Zusammenfassung
Hintergrund
Objektivierung der Streuung des National Advisory Committee for Aeronautics (NACA)-Scoringsystems bei ausgewählten, homogenen Diagnosegruppen mittels retrospektiver Datenanalyse und Evaluierung des Einflusses vorgegebener Bewertungs-Zeitpunkte auf die Bewertungs-Validität mittels prospektiver Daten.
Material und Methode
Statistische Analyse von Notarzteinsätzen aus dem Datenpool der NACA-X-Datenbank der Notarztsysteme Innsbruck-Stadt und -Land mit einem retrospektiven Untersuchungszeitraum über 6 Jahre und einem prospektiven über 9 Monate mit der Möglichkeit, NACA-Werte für drei Zeitpunkte, d. h. bei Erstkontakt, zum Zeitpunkt der stärksten Vitalgefährdung und bei Übergabe zu dokumentieren.
Ergebnisse
Alle Diagnosegruppen mit insgesamt 2596 analysierten Datensätzen zeigen retrospektiv eine auffallende Streuung in der NACA-Bewertung. Prospektiv zeigen Hypoglykämie (n=31) und Intoxikation (n=93) eine hochsignifikante (p<0,01) sowie akutes Koronarsyndrom (n=87) und kardiopulmonale Reanimation/Herz-Kreislauf-Stillstand (n=68) eine signifikante Veränderung (p<0,05) in der Verteilung der NACA-Werte zwischen den Bewertungs-Zeitpunkten.
Schlussfolgerungen
Je nach Klassifizierungszeitpunkt werden z. T. signifikant unterschiedliche NACA-Werte zugeordnet. Das NACA-System bedarf einer eindeutigen Festlegung des Klassifizierungszeitpunktes, wobei unter Bezug auf die ursprünglich intendierte Bedeutung als Maß für den Verletzungs- oder Erkrankungsschweregrad der Zeitpunkt der maximalen Vitalgefährdung des Notfallpatienten definiert werden sollte.
Abstract
Background
Objectification of the spread of National Advisory Committee for Aeronautics (NACA) scoring system for selected homogeneous groups based on retrospective data, and diagnosis and analysis of the influence of a given validatation date to the valuation accuracy based on prospective data.
Material and Methods
Records of emergency operations from the data pool of the NACA-X database of emergency medical systems (EMS) Innsbruck and surroundings with a retrospective study period over 6 years and a prospective study period of 9 months with the possibility to record the NACA score on three different time points.
Results
All diagnostic groups with 2596 records show a striking retrospective dispersion in the NACA evaluation. Prospectively “hypoglycemia” (n=31) and “intoxication” (n=93) show a highly (p <0.01) while “acute coronary syndroms (ACS)” (n=87) and “cardiopulmonary resuscitation/arrest (CPR)” (n=68) show a significant change (p <0.05) in the distribution of NACA evaluation between the evaluation time points.
Conclusions
Depending on the classification stage partly significantly different NACA-values are assigned. The NACA system requires a clear definition of the classification time. For the intended aim of being used as a severity score, the time of maximum threat to emergency patients should be chosen.
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Das National Advisory Committee for Aeronautics (NACA)-Scoringsystem, ein in präklinischen Notfallsystemen weit verbreitetes Schweregrad-Scoringsystem, wurde Mitte der 1960er Jahre in den USA als Triageinstrument zur Bewertung der Transportfähigkeit verletzter Soldaten entwickelt [14]. Im Jahr 1972 von Tryba übernommen, wurde es 1980 mit einem ausführlichen traumatologischen sowie einem internistisch/neurologischen Diagnosekatalog ergänzt und der Schweregrad der Verletzung/Erkrankung nun bei Abschluss des Notfalleinsatzes festgelegt [13].
NACA bewertet den Schweregrad einer Verletzung oder Erkrankung aus der subjektiven Sicht des Notarztes, ermöglicht Benchmarking zwischen bodengebunden Notarztsystemen und auch mit bzw. zwischen Hubschrauberrettungssystemen [8] und wird häufig retrospektiv zur Bewertung der Einsatzindikation des Notfalleinsatzes verwendet. Messelken und Dirks [5] definierten NACA-1- und NACA-2-Einsätze als relative Fehleinsätze, NACA-3- und NACA-4- als relativ, sowie NACA-5-, NACA-6- und NACA-7- als absolut indizierte notärztliche Einsätze [5]. Da NACA Bestandteil zahlreicher Notarztprotokolle und notfallmedizinischer Datenbanken (DIVI [7], NADOK, NACA-X) und auch Datendefinitionen (MIND2, [6]) ist, liegt für diesen Score ein hohes Maß an Verbreitung, Anwendung und auch Praktikabilität vor. Weitgehende Objektivität scheint durch den zugeordneten Diagnosekatalog [13] gewährleistet.
Ein Nachteil von NACA ist die Beurteilung durch den Notarzt auf Basis einer subjektiven Einschätzung [4], wobei die Bewertung – auch durch die allgemein gehaltene siebenteilige Skala – eine inhaltliche Unschärfe aufweist und Interpretationsmöglichkeiten der Klassifikation zulässt. Eine besondere Schwachstelle ist der nicht eindeutig festgelegte Klassifizierungszeitpunkt. Am klassischen Hypoglykämiepatienten ist dies deutlich demonstrierbar: Ist dieser bei Eintreffen des Notarztes zumindest somnolent und dessen Zustand damit zumindest als NACA 4 zu kategorisieren, bessert sich dieser nach erfolgter Glukose-Therapie. Der Patient ist dann in der Regel wieder ansprechbar (NACA 2).
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, bei vier gewählten Diagnosegruppen durch retrospektive Datenanalyse festzustellen, ob NACA als Folge nicht einheitlicher Zeitpunktangaben der Bewertung eine erkennbare Streuung aufweist. Des Weiteren sollte prospektiv der Einfluss vorgegebener Klassifizierungszeitpunkte analysiert werden, wobei die verschiedenen NACA-Werte des einzelnen Einsatzes und die Verteilung der NACA-Bewertung zu den unterschiedlichen Zeitpunkten auf Signifikanz geprüft wurden. Im Anschluss wurde nach erfolgten, vitalfunktionsbeinflussenden therapeutischen Maßnahmen deren Einfluss auf die NACA-Graduierung evaluiert.
Methodik
Notarzteinsatz-Dokumentationen des Notarztwagens (NAW) bzw. Notarzteinsatzfahrzeugs (NEF) Innsbruck-Stadt (retrospektiv: 1.1.1997–31.12.2003, prospektiv: 1.1.–1.10.2004) und des NEF Innsbruck-Land (retrospektiv: 10.11.2000–31.12.2003 prospektiv: 1.1. –1.10.2004) wurden untersucht. Als Datenbank diente NACA-X (Version 3.0, EDV Trimmel/Ternitz).
Aus allen Einsatzdaten der notfallmedizinisch versorgten Patienten wurden die Einsätze mit den Hauptverdachtsdiagnosen Hypoglykämie, Intoxikation, akutes Koronarsyndrom (ACS) und kardiopulmonale Reanimation (CPR) eingeschlossen. Die Diagnosegruppe Hypoglykämie wurde zudem nach Blutzucker (BZ)-Messwert (BZ≤50 mg/dl) und Glasgow Coma Scale (GCS), die Intoxikation nach Intoxikationsart und GCS und die kardiopulmonale Reanimation nach dem Verlauf der erweiterten Reanimationsmaßnahmen beurteilt.
Im prospektiven Teil wurden die 40 Notärzte des Systems angehalten, den NACA-Score zu drei verschiedenen Zeitpunkten zu bestimmen und in extra für diese Studie installierten Datenbankfeldern zu dokumentieren. Als Klassifizierungszeitpunkte wurden NACA A (Anfang, Erstkontakt am Notfallort), NACA max (maximale Vitalgefährdung während der ärztlichen Intervention), sowie NACA E (Ende, Übergabe des Notfallpatienten) festgelegt.
Tab. 1 fasst die in beiden Untersuchungsteilen festgelegten Ein- und Ausschlusskriterien zusammen. Bei der Analyse wurden die absoluten Fehl- (=keine notärztliche Patientenversorgung) und Subeinsätze (=Einsatz mit mehreren Patienten) und im prospektiven Teil die primären Todesfeststellungen exkludiert.
Die statistische Auswertung der Häufigkeiten zu den einzelnen Zeitpunktangaben erfolgte mittels des nichtparametrischen Testverfahrens nach Wilcoxon. Die Auswertung erfolgte mithilfe von SPSS 11.0 for Windows® und Microsoft Excel®, Signifikanz wurde als p<0,05, hohe Signifikanz als p<0,01 definiert. Es wurde keine Korrektur für Mehrfachvergleiche vorgenommen.
Ergebnisse
Retrospektiver Teil
Aus 24.124 Einsätzen (23.782 Primär- und 342 Sekundäreinsätze) mit 23.442 versorgten Patienten wurden von 2834 Patientendaten der vier Diagnosegruppen 2.478 Einsatzdaten (87,4 %) untersucht. Insgesamt 289 reanimierte Patientendaten wurden – weil in zwei Diagnosegruppen eingeschlossen – doppelt ausgewertet.
Nach Berücksichtigung der Ein- und Ausschlusskriterien wurden 209 von 455 Patientendaten der Diagnosegruppe Hypoglykämie (Abb. 1 und Abb. 2 linke/mittlere Säulenhälfte), 680 von 702 Patientendaten der Diagnosegruppe Intoxikation (Abb. 2 rechte Säulenhälfte und 3), 724 von 752 Patientendaten der Diagnosegruppe akutes Koronarsyndrom (ACS, Abb. 4) sowie 865 von 926 Patientendaten der Diagnosegruppe kardiopulmonale Reanimation (CPR) eingeschlossen.
Bei Hypoglykämie zeigen NACA 1/2 ohne i.v.-Glukose bzw. NACA 4/5 mit i.v.-Glukosetherapie eine deutliche Streuung (Abb. 1), im Unterschied dazu bei Intoxikation bzw. ACS eine eindeutigere Zuordnung der therapeutischen Maßnahmen Antidota-Therapie/Intubation/Lyse zum dokumentierten NACA-Grad (Abb. 3 und Abb. 4).
Die Gegenüberstellung (Abb. 2 linke/mittlere Säulen) von NACA bzw. GCS beschreibt in beiden Hypoglykämie-Therapiearmen (ohne i.v.-[links] vs. mit i.v.-[mitte] Glukosetherapie) eine deutlich inkongruente Verteilung (n=2 [13,3%] vs. n=78 [40,2%]) der somnolenten/bewusstlosen Patienten (GCS <8). Die jeweilige Subgruppe der i.v.-Antidotatherapie bei Intoxikation (Abb. 2 rechte Säulen und 3) sowie der Lysetherapie bei ACS (Abb. 4) zeigt eine deutliche Übereinstimmung hinsichtlich der Therapiemaßnahme, eines höheren NACA- sowie niederen GCS-Grades.
Prospektiver Teil
Aus 4403 Einsätzen (4342 Primär- und 61 Sekundäreinsätze) wurden von 474 Einsätzen nach Berücksichtigung der Ein- und Ausschlusskriterien 279 Einsatzdaten der vier Diagnosegruppen analysiert.
Signifikant änderte sich im Laufe des Einsatzes die Anzahl vitalgefährdeter Patienten der Kategorien NACA 4/5 der Diagnosegruppe Hypoglykämie (n=31; Abb. 5) von anfänglich 21 auf 26 während der notärztlichen Betreuung und – bedingt durch die erfolgreiche Therapie – bei Übergabe auf einen Patienten. Die Unterschiede zwischen NACA A und NACA E sowie NACA max und NACA E waren hochsignifikant, zwischen NACA A und NACA max signifikant. Der prospektive i.v.-Therapiearm (Abb. 2 rechte der mittleren Säulen) zeigt 15 dieser 31 Patienten als somnolent/bewusstlos (GCS<8), im Therapiearm ohne i.v.-Therapie (Abb. 2 rechts von den linken Säulen) war kein Patient eingeschlossen.
Die Anzahl der 38 bei Erstkontakt als primär vitalgefährdet (NACA≥4) klassifizierten Patienten der Diagnosegruppe Intoxikation (n=93; Abb. 6) verringerte sich auf 21 bei Übergabe. Die Unterschiede zwischen NACA A und NACA E sowie zwischen NACA max und NACA E waren hochsignifikant.
Der Anteil der vitalgefährdeten Patienten der Kategorien NACA 4–6 der Diagnosegruppe ACS (n=87; Abb. 7) veränderte sich von 68 über 65 auf 62 nur gering. Die Unterschiede zwischen NACA max und NACA E waren hochsignifikant, zwischen NACA A und NACA E sowie NACA A und NACA max signifikant. Bei 7 von 8 NACA-7-Patienten zum Zeitpunkt NACA A wurden die anfänglichen CPR-Maßnahmen noch an der Einsatzstelle abgebrochen, ein Patient wurde unter CPR-Maßnahmen als NACA 6 an die Zielklinik übergeben. Zum Zeitpunkt der maximalen Gefährdung wurden 12/87 Patienten reanimiert, von denen es bei 9 Patienten vor Übergabe zu einem „return of spontaneous circulation“ (ROSC) kam, 2 Patienten verstarben vor oder bei Übergabe an die Zielklinik (NACA 7), ein Patient entwickelte stabile Kreislaufverhältnisse (NACA 5).
Diskussion
Diagnosegruppe Hypoglykämie
Aufgrund der möglichen Vitalgefährdung müsste ein i.v.-therapiebedürftiger Hypoglykämie-Patient – gemäß dem Tryba-Katalog „Akute Stoffwechselentgleisung mit Koma” – als NACA 4 oder 5 klassifiziert werden [13]. Insgesamt 97 von 209 retrospektiven Datensätzen zeigten hingegen mit NACA 1–3 einen NACA-Grad ohne absolute Notarztindikation, obwohl 83 dieser 97 Patienten (85,6%) eine i.v.-Glukosetherapie erhielten. Dies weist auf eine Klassifizierung des Patienten nach erfolgter Therapie hin. Die Hinzunahme des Kriteriums Therapiemaßnahme, also i.v.- bzw. keine i.v.-Glukosetherapie (Abb. 1), trägt zudem zu einer präziseren Zuordnung des reellen NACA-Grades bei. Im intensivmedizinischen Bereich wird eine Koppelung therapeutischer Maßnahmen u. a. an den Schweregrad einer Verletzung/Erkrankung anhand des Therapeutic Intervention Scoring System (TISS, [3]) bzw. des Core-10-TISS, einer Kurzform von TISS 28, praktiziert. Die 112 retrospektiv beurteilten Patienten mit NACA≥4 (Abb. 1) weisen darauf hin, dass die Notärzte den Erkrankungs-Schweregrad zu Beginn des Notfalleinsatzes bzw. zum Zeitpunkt der maximalen Vitalgefährdung oder anhand des Tryba-Diagnosekataloges klassifiziert haben.
Die zusätzliche Information durch ein objektiveres Scoringsystem, wie der GCS, zeigt in unserer Untersuchung hingegen keinen wesentlichen Vorteil. Der Anteil der bewusstseinsgetrübten (GCS<8), i.v.-therapierten Patienten nimmt zwar zu den den höhergradigen NACA-Kategorien stetig zu, eindeutige Zusammenhänge zwischen NACA-Score mit GCS können jedoch weder mit den retrospektiven noch den prospektiven Daten festgestellt werden. Beispielhaft sei eine asymptomatische Hypoglykämie, vom Notarzt als i.v.-therapiebedürftig eingestuft, mit einer GCS von 15 angeführt. Zur Objektivierung des tatsächlichen Schweregrades erweist sich die Koppelung des NACA-Scores mit der durchgeführten Maßnahme (Glukosetherapie) im Vergleich zur Koppelung mit der GCS als besser geeignet. Bei letztgenannter Koppelung müssten beide Scoring-Klassifizierungen – um einen Benchmark zu ermöglichen – jedenfalls zum gleichen Zeitpunkt durchgeführt werden.
Bei den prospektiven Daten wird der Anteil der bei NACA A bzw. NACA max (67,7% bzw. 83,8%) als vitalgefährdet eingestuften Patienten (NACA 4/5) prägnant ersichtlich. Zusammenfassend lässt sich ableiten, dass in der Diagnosegruppe Hypoglykämie der maximale Schweregrad immer vor bzw. zu Beginn der therapeutischen Maßnahmen besteht und dieser Zeitpunkt zur korrekten NACA-Klassifizierung herangezogen werden muss und damit auch zur retrospektiven Bewertung der Einsatzindikation dienen kann. Die Hypoglykämie ist ein sich ohne Glukosetherapie linear verschlechternder, mit Therapie verbessernder Prozess.
Diagnosegruppe Intoxikation
Opiat- bzw. medikamentintoxikierte Patienten sind potenziell vital gefährdet, entsprechend NACA 4–6 – laut Tryba-Katalog z. B. Intoxikation mit Bewusstlosigkeit, Alkoholdelir und Lähmungen des Atemzentrums [13]. Insgesamt 328 von 680 retrospektiv analysierten Intoxikation-Notfalleinsätzen (48%) zeigten NACA 1–3 (Abb. 3). Bei 28 Patienten der Kategorien NACA 1–3 wurden Antidota verabreicht und bei 8 (Abb. 2 rechte Säulen) von diesen eine GCS≤7 dokumentiert. Damit lag bei diesen eine tiefe Bewusstlosigkeit [2] mit möglicher Intubationsindikation vor. Analog der Hypoglykämie wird evident, dass zumindest diese 8 Patienten erst nach Abschluss der therapeutischen Maßnahmen klassifiziert wurden. Dass 81 der insgesamt 111 retrospektiv beurteilten Patienten (73%) mit i.v.-Antidotatherapie (Abb. 3) mit NACA 4 bzw. 5 beurteilt wurden, ist Hinweis dafür, dass diese Patienten zu Beginn der Therapie NACA-klassifiziert wurden oder, dass – bei vorliegender Mischintoxikation – kein wesentlicher Antidota-Therapieerfolg zu erreichen war.
Die Bedeutung und Auswirkung der zur präziseren NACA-Zuordnungsanalyse beitragenden Therapiemaßnahme gilt bei Intoxikation besonders für die Subgruppen i.v.-Antidota bzw. Intubation, wobei die Therapiemaßnahme offensichtlich mit dem NACA-Schweregrad sowie mit der GCS korreliert.
Im prospektiven Teil kann die Zustandsveränderung durch die Veränderung in der NACA-Graduierung innerhalb der Subgruppe der – vom Notarzt deklarierten – reinen Opiat- (n=4) bzw. Benzodiazepinintoxikationen (n=4) aufgezeigt werden. Insgesamt 6 von 7 initial als NACA 4–6 klassifizierten Patienten werden nach der i.v.-Therapie als NACA 3 klassifiziert. Der Anteil der NACA-4-Patienten verschiebt sich bei allen Intoxikations-Datensätzen in der Zeitpunktdefinition NACA A zu NACA E von 38 auf 21. Dies beruht größtenteils auf der allgemein inhaltlich unscharfen NACA-Graduierung und der daraus resultierenden subjektiven Einschätzung des Notarztes bzw. teilweise auf den durchgeführten Therapiemaßnahmen.
Daraus ergibt sich, analog zur Hypoglykämie und unter Berücksichtigung der Intoxikationsart, den korrekten NACA-Klassifizierungszeitpunkt zum Moment der maximalen Vitalgefährdung und damit – in diesen beiden Diagnosegruppen – zu Beginn der notärztlichen Maßnahmen zu wählen.
Diagnosegruppe ACS
ACS-Patienten werden laut Tryba-Katalog [13] mindestens als NACA 4/5 klassifiziert.
In dieser Gruppe resultieren aus den retrospektiven Daten – zumindest theoretisch – mehrere Interpretationsmöglichkeiten: den Patienten zu Beginn der ärztlichen Therapiemaßnahmen als NACA 4 bzw. 5 oder nach antiischämischer/analgetischer Medikation, wenn in stabilem Zustand, als NACA 3 zu klassifizieren (Abb. 4). Ein Teil der NACA-3-Beurteilungen kann durch die Klassifikation nach zukünftigem Zielort (stationäre Behandlung) erklärt werden [9]. Ein Großteil der Patienten der Kategorien NACA 6/7 wird bei Auftreten von akut rhythmologischen Komplikationen mit konsekutivem Einsatz von Herzdruckmassage/Defibrillation/Intubation bzw. Todesfolge erklärt.
In den prospektiven Daten ist der signifikante Unterschied zwischen NACA max und NACA E einerseits auf die unscharf differenten Definitionen der NACA-4- und NACA-5-Grade zurückzuführen. Andererseits ist die Verschiebung von NACA 4 zu NACA 3 durch den schnellen Therapieerfolg antiischämischer Maßnahmen bzw. bei fehlenden oder sich zumindest theoretisch zurückbildenden ST-Streckenelevationszeichen zu erklären. Durch die mögliche, dynamische und nicht linear verlaufende Veränderung der Vitalgefährdung bei ACS-Patienten besteht bei diesen – im Unterschied zu den beiden vorher diskutierten Diagnosegruppen – kein zwingender Grund zu einer Klassifizierung am Beginn der therapeutischen Maßnahmen: der gemeinsame Nenner ist der Zeitpunkt der maximalen Gefährdung.
Diagnosegruppe CPR
Die derzeit übliche Klassifizierung (Reanimation erfolgreich: NACA 6; nicht erfolgreich/Todesfeststellung: NACA 7) bewertet aus dem Standpunkt der Übergabe bzw. zum Ende des Einsatzes und nicht zum Zeitpunkt der maximalen Gefährdung und differenziert zudem die reine Todesfeststellung nicht [12].
Eine eindeutige Differenzierung der NACA-7-Einsätze ohne oder trotz CPR-Maßnahmen ist nicht möglich, womit eine differenzierte retrospektive Auswertung reanimierter Patienten allein mit NACA nicht erfolgen kann, sondern dazu zusätzlich Behandlungs-Aussagen, wie Herzdruckmassage oder Defibrillation benötigt werden. Folglich ist eine Erhebung aller reanimierter Notfallpatienten nur mithilfe einer Maßnahmenanalyse möglich.
Schlechtriemen et al. [10] beschreiben, dass bei etwa 38% der erfolgreichen Reanimationen ein NACA-Schweregrad ≤5 dokumentiert wurde – wohl wieder wegen des nicht eindeutigen NACA-Klassifizierungszeitpunktes.
Auch hier gilt – nach unserer Meinung – die Empfehlung zur Verwendung des Klassifizierungzeitpunktes bei maximalem Vitalgefährdungsgrad, id est – unter laufender Reanimation.
Zeitpunkt der Klassifikation/Münchner (M) NACA-Score
Die Festlegung des NACA-Klassifizierungszeitpunkts bzw. auch die -Schweregradgraduierung bedürfen aus Dargelegtem dringend einer Überarbeitung. Dazu sollte der jeweilige Verwendungszweck eindeutig festgelegt werden. In Übereinstimmung mit der Arbeitsgruppe von Schlechtriemen aus dem Jahre 2005 sollte bei Verwendung als Schweregradbeurteilung der schlechteste Patientenzustand während des Notarzteinsatzes verwendet werden [10]. Bei dieser Verwendung kann NACA nicht durchgängig als Ex-post-Qualitätskriterium für die korrekte Notarzt-Einsatzindikation der Leitstelle herangezogen werden; hierzu müsste man additiv einen NACA-Grad zum Zeitpunkt der Erstbeurteilung oder NACA in Kombination mit GCS verwenden.
Eine Schwäche von NACA ist die inhaltliche Unschärfe; daher wurden im M-NACA-Score [11] die NACA-Klasse 1 sowie 2 als M-NACA 2 zusammengefasst. Um eine weitere Verallgemeinerung der NACA-Kategorien zu vermeiden, wurde von dieser Autorengruppe ein Diskussionsvorschlag mit 8 NACA-Kategorien von 0 bis 7 in Tab. 2 (rechte Spalte) angeführt. Die Überlegung hierbei war, Fehleinsätze in die Bewertung einfließen zu lassen sowie eine praktikable NACA-Graduierung durch Koppelung an spezifische Maßnahmen zu ermöglichen. Eine Koppelung an eine Vielzahl von Vitalparametern, wie z. B. beim MEES [1], an einen wie von Tryba et al. [13] dargestellten Diagnosekatalog – partiell in M-NACA übernommen – sowie für Traumapatienten an den Utstein Trauma Style – wie im M-NACA vorgeschlagen – erscheint uns für den präklinischen Bereich nur bedingt praktikabel.
Einschränkungen
Festgehalten werden muss, dass in einigen wenigen Fällen unserer Darstellung Details der Dokumentation nur bedingt nachvollziehbar waren und somit ein gewisser Interpretationsspielraum bestand. Erklärend muss diesbezüglich angeführt werden, dass in den beiden untersuchten Systemen insgesamt etwa 40 Notärzte tätig waren, die nicht alle Klinikangehörige waren und daher der Einfluss auf diese nicht immer gegeben war. Aus Studiengründen verbot sich eine Kontrolle der Dateneingabequalität während des Studienverlaufes. In jedem Fall zeigen die Ergebnisse auf, dass die Dokumentation und ihre Bedeutung zu wenig geschult wurde. Zudem muss durch laufende Überprüfung der Dokumentation, zumindest stichprobenartig, eine hinreichende Qualität sichergestellt werden.
Darüber hinaus muss auch die grundsätzliche Verwendung verschiedener Scores wie NACA, MEES mit den Notärzten besprochen und festgelegt sein. Hier ist ebenfalls im Rahmen der Ausbildung zu vermitteln, welche Rolle Scores insgesamt für den Individualpatienten bzw. für das Kollektiv haben und wie letztlich Entscheidungen davon abgeleitet werden sollten.
Als methodische Einschränkung ist zu nennen, dass die intravenöse Glukosegabe bei Hypoglykämie sowie die Antidotagabe bei Intoxikation primär kein festes Zusatzkriterium waren und dass die Exklusion der reinen Alkoholintoxikation bzw. Mischintoxikationen noch deutlichere Ergebnisse erbracht hätte. Des Weiteren wurden primäre Todesfeststellungen in der prospektiven Datensammlung lediglich anhand der Verlaufsdokumentation bewertet und exkludiert, ohne dass eine zwingende Koppelung an dokumentierte CPR-Maßnahmen erfolgte.
Anhand der Interpretation der Signifikanz der Ergebnisse im prospektiven Untersuchungsteil möchten wir weniger auf den Therapieerfolg verweisen, sondern vielmehr die Unschärfe der NACA-Graduierung aufzeigen.
Fazit für die Praxis
Für die weitere Verwendung des NACA-Scoringsystems als Klassifizierungsinstrument in der präklinischen Notfallmedizin empfiehlt es sich, den Zeitpunkt der maximalen Vitalgefährdung während der notärztlichen Versorgung zu wählen. Die Abhängigkeit von NACA hinsichtlich therapeutischer Maßnahmen [14] bzw. der Dynamik eines Krankheitsverlaufes sollte – auch in Kenntnis der dargestellten Ergebnisse – als Diskussionsgrundlage zur zukünftigen Optimierung der NACA-Graduierung dienen.
Die Möglichkeit, den NACA-Schweregrad an verschiedene objektive Parameter zu binden [9] und diese EDV-automatisiert bzw. als Vorschlag zuzuordnen [5, 10], könnte einen wesentlichen Beitrag zur Minimierung der Interpretationsvarianz leisten. Objektive Parameter mit entsprechendem NACA-Schweregrad bieten dazu die Diagnosekataloge von Tryba et al. [13] und Schlechtriemen et al. [11]. In weiteren Arbeiten soll ein Maßnahmenkatalog, der sich an dem DIVI-Notarzteinsatzprotokoll orientiert, erarbeitet und die NACA-Graduierung angepasst werden. In einem deutschsprachigen Expertengremium sollten diese Themen diskutiert und einer Beschlussfassung zugeführt werden.
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Danksagung
Die Autoren bedanken sich bei den Notärzten, die während des prospektiven Studienteils den Mehraufwand auf sich genommen und an den drei vorgegebenen Zeitpunkten eine NACA-Beurteilung abgegeben haben, des Weiteren bei EDV Trimmel, Ternitz Niederösterreich, für die zur Verfügung Stellung der technischen Möglichkeiten.
Interessenkonflikt
HT ist medizinischer Programmverantwortlicher für NACA-X. Der korrespondierende Autor versichert, dass ansonsten keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.
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Alessandrini, H., Oberladstätter, D., Trimmel, H. et al. NACA-Scoringsystem. Notfall Rettungsmed 15, 42–50 (2012). https://doi.org/10.1007/s10049-010-1386-8
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