Die Wirbelsäulenchirurgie hat in den letzten 50 Jahren eine rasante Entwicklung erfahren, und das Verfahrensspektrum (minimalinvasiv, Augmentation mit Knochenzement, CT-navigiert usw.) wird immer vielfältiger.

Ziel jeder Versorgung ist die weitgehende Wiederherstellung der biomechanischen Gesetzmäßigkeiten.

Die Rehabilitation des Verletzten nach operativer Versorgung differiert unwesentlich von derjenigen nach konservativer Behandlung. Wichtig ist:

  • dass die Nachbehandlung an das jeweilige Leistungsvermögen des Patienten angepasst wird und

  • dass sich das Behandlerteam aus verschiedenen Fachgruppen zusammensetzt, um eine möglichst rasche Wiedereingliederung – sowohl beruflich als auch sozial – zu erreichen.

Dies setzt Vertrauen der beiden Protagonisten – Patient und Behandlerteam – voraus.

Epidemiologie

Wirbelkörperfrakturen treten vorwiegend im thorakolumbalen Bereich auf. Im Jahr 2002 führten 1950 dieser Verletzungen zur Unfallrente. Ihnen kommt somit eine hohe sozialökonomische Relevanz zu (Tab. 1) [4].

Tab. 1 Unfallrente wegen Wirbelkörperfrakturen 2002. (Nach [4])

Funktionelle Anatomie

Durch die S-Form der Wirbelsäule wird das Körpergewicht um deren Tragachse ausbalanciert, da ein labiles Gleichgewicht vorherrscht. Biomechanisch kann die Wirbelsäule als segmentierter, elastischer Stab (Feder) betrachtet werden, der als Stoßdämpfer fungiert und in allen 6 Freiheitsgraden beweglich ist.

Ohne Belastung befindet sich eine frei präparierte Wirbelsäule in einem stabilen Zustand, da der Bandapparat unter Zug, die Bandscheiben unter Kompression stehen. Bei Belastung übernehmen die Muskeln die Stabilität und entlasten dadurch die Bänder. Die Facettengelenke beschränken die Beweglichkeit der Wirbelsäule, um eine Überlastung der Bandscheibe und der Bänder zu verhindern.

Nach Junghans [8] besteht ein Bewegungssegment aus:

  • Wirbelkörper

  • vorderem und hinterem Längsband

  • Bandscheibe

  • Facettengelenk

  • Lig. flavum

  • Bändern

  • Muskelanteilen der Quer- und Dornfortsätze

Bei einem Trauma der Wirbelsäule kommt es immer zu einer Schädigung des Bewegungssegments und biomechanisch zu einer Störung des dynamischen Gleichgewichts im ossären bzw. diskoligamentären Bereich. Eine solitäre Wirbelkörperfraktur (statisch) kann durch die ventrale und dorsale Muskulatur begrenzt stabilisiert werden.

Indikationen

Die Spätergebnisse nach konservativer oder operativer Versorgung ergeben die Richtigkeit des Behandlungswegs. Die Entscheidung, wie eine frische Wirbelkörperfraktur versorgt werden soll, hängt von verschiedenen Parametern ab:

  • Klassifikation der Wirbelkörperfraktur

  • Neurologie

  • Alter des Patienten

  • Operateur

In der vorliegenden Darstellung werden ausschließlich die thorakalen und lumbalen Wirbelsäulenabschnitte betrachtet. Besonders gefährdet sind dabei die Übergänge zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule. Nach Bonnaire u. Röhl [4] waren die Wirbelkörperfrakturen am thorakolumbalen Übergang überwiegend bei LWK1 (n=336; 49,3%), BWK12 (n=170; 24,9%) und LWK2 (n=141; 20,7%) gelegen, weitere Lokalisationen waren BWK11 (n=26; 3,8%) und BWK10 (n=9; 1,3%).

Historisch betrachtet wurden bis in die 1950er Jahre die Wirbelkörperbrüche konservativ behandelt, heute wird vorwiegend die operative Intervention präferiert, wobei eine singuläre Stabilisation sowie die dorso-ventrale Fusion gewählt werden können. Hinzu kommt noch – nicht nur bei osteoporotischen Frakturen – die Versorgung mittels Kyphoplastie.

Ziel jeder Behandlung ist die Stabilisierung der Wirbelsäule, die Indikation zur Wahl des Therapieverfahrens muss nachvollziehbar und reproduzierbar sein.

Die Klassifikation nach Magerl u. Witzmann [11] beruht auf pathomechanischen Vorgängen nach einem 2-Säulen-Modell und spiegelt die AO-Unterteilung in 3 Verletzungstypen wider:

  • Typ A: Kompressionsverletzung

  • Typ B: Flexions-, Distraktions- und Extensionsverletzung

  • Typ C: Torsionsverletzung

In der weiteren Unterteilung der Hauptgruppe in 3 und diese wiederum in 3 Untergruppen reduziert sich die Frakturstabilität, und die neurologische Komponente nimmt zu.

Konservativ werden reine Wirbelkörperkompressionsfrakturen des Typs A1.1–A1.3 sowie Frakturen der Gruppe A2.1–A2.3 und bedingt A3 versorgt. Bei als stabil eingestuften Frakturen soll der Achsenknick <20° (nach Verheyden et al. [18] im Bereich der BWS <15°) sein und die Sinterung nicht mehr als 1/3–1/2 der ursprünglichen Wirbelhöhe betragen (Abb. 1, [12, 15]).

Abb. 1
figure 1

Wirbelkeilwinkel bei BWK7-Fraktur

Müller u. Muhr [13] empfahlen erst bei Berstungsbrüchen mit einer Höhenminderung >50% eine operative Intervention, während Resch et al. [16] auch für die konservative Versorgung bei Typ A3 und bei alten Patienten plädierten.

Nach Verheyden et al. [16] kommt es sowohl nach konservativer als auch nach operativer Therapie zu einer deutlichen Zunahme des segmentalen Kyphosewinkels im Verlauf. Die Sinterung findet nach konservativer Therapie vorrangig im Wirbelkörper statt, nach ausschließlich dorsaler operativer Behandlung überwiegend in den Zwischenwirbelräumen. Vorrangiges Ziel jeglicher Therapie muss es sein, den Korrekturverlust zu kontrollieren und nach Möglichkeit zu minimieren.

Der Korrekturverlust nach Repositionen und die jeweilige Höhenminderung, ausgedrückt durch den sagittalen Index, einzelner Arbeitsgruppen in der Literatur sind in Tab. 2 wiedergegeben, die Empfehlung zur Orthesenversorgung in Tab. 3.

Tab. 2 Posttraumatische Veränderungen
Tab. 3 Empfehlung zu Orthesenversorgung

Rehabilitation

Anatomische und biomechanische Kenntnisse sowie das Wissen über die Entstehung der Fraktur und ihre Belastbarkeit sind für die Behandlung unabdingbar. Sie werden benötigt, um suffiziente Nachbehandlungskriterien und -strategien zu erarbeiten.

Die konservative Therapie hat folgende Rehabilitationsziele:

  • Schmerzreduktion/-freiheit

  • ADL

  • Muskel- und Kraftaufbau

  • Reintegration

Da sowohl bei operativ versorgter als auch konservativ behandelter Fraktur von einer Stabilität ausgegangen werden kann, ist eine Orthesenversorgung umstritten. Die Funktion des Korsetts (BWS/LWS) ist eine Erhöhung des intraabdominellen Drucks, damit eine Entlastung der Bauchmuskulatur eintritt. Die Orthese gibt dem Patienten „Sicherheit“, die Wirbelsäulenbeweglichkeit wird nicht reduziert. Die häufigste Versorgung ist das 3-Punkte-Korsett für die BWS und LWS, für die HWS eine harte Zervikalstütze. Trotz Orthese kann eine Nachsinterung nicht vermieden werden [12, 16].

Die Physiotherapie richtet sich primär nach den Defiziten. 2 Aspekte sind im Behandlungsalgorithmus zu beachten:

  • Die Vorgehensweise sollte dem „criterion based program“ entsprechen.

  • Der zeitliche Ablauf sollte die Reihenfolge der Therapieziele wie folgt beachten:

    1. 1.

      Stabilisation

    2. 2.

      Koordination

    3. 3.

      Mobilisation

    4. 4.

      Kräftigung

Die Adaptation der Therapie an das aktuelle Leistungsvermögen des Patienten erfordert von den Behandlern eine hohe fachliche Kompetenz (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

a Stabilisierung der Wirbelsäule an der Kletterwand unter Anleitung, b Anleitung zum Selbsttraining

Gemeinsam mit der Ergotherapie soll der Patient für den Alltag vorbereitet und zu Eigenübungen motiviert werden. Selbstverständlich ist eine effiziente Schmerztherapie erforderlich, um eine Chronifizierung mit lang dauernder Behandlung und Krankenstand, Reduktion der Lebensqualität und hohen Kosten zu vermeiden. Eine multimodale Schmerztherapie, die Psychologen mit einbezieht, ist sehr hilfreich, da Vermeidungsverhalten und Angst die Leistungsfähigkeit des Verletzten limitieren können. Das Postulat von Prof. Zieglgänsberger [20]“Schmerz entsteht im Gehirn“ unterstreicht die immense Bedeutung der spezifischen Schmerztherapie (Abb. 3). Der Ausschluss bzw. die Vermeidung von posttraumatischen Belastungssyndromen (PTBS) sollten am Anfang der Rehabilitationsphase evaluiert werden.

Abb. 3
figure 3

Abhängigkeit der Schmerzsymptomatik von stattgehabter Fraktur, erreichter Funktion und psychischen Faktoren

Zur Rehabilitation nach Wirbelkörperfrakturen zählt auch die Wiedereingliederung. Eine Sozialberatung kann den Patienten in seinen häuslichen und beruflichen Belangen unterstützen. Für die Verletzten der Unfallversicherung werden eine Belastungs- oder, wenn möglich, eine Arbeitsplatzerprobung durchgeführt, um

  • berufsspezifische körperliche Defizite schneller zu erfassen und die Therapie daraufhin anzupassen und

  • rechtzeitig, falls eine Wiedereingliederung am Arbeitsplatz aufgrund des Handicaps nicht möglich ist, eine Umsetzung bzw. Umschulung in die Wege zu leiten.

In unserem Hause werden für die BG-Patienten regelmäßig Belastungs- bzw. Arbeitsplatzerprobungen durchgeführt.

Abb. 4
figure 4

Arbeitserprobung 16 Wochen postoperativ als Autokranführer (maximale Traglast 200 t) vor dem Abschluss der rehabilitativen Phase

Beispielfall

Bei dem 51 Jahre alten Patienten mit dem Beruf Autokranführer wurden folgende Diagnosen erhoben:

  • Berstungsfraktur LWK1 und LWK4 mit Querfortsatzfraktur LWK1–LWK4

  • Beckenringverletzung mit Symphysensprengung Typ B I, „open book“

  • Bennett-Fraktur der rechten Hand

Es wurden folgende Behandlungsmaßnahmen durchgeführt:

  • Offene Reposition der Symphyse und Plattenosteosynthese

  • Dorsale transpedikuläre Stabilisierung Th 12/L2 und L3/L5

  • Konservative Therapie der Bennett-Faktur der rechte Hand

Die Arbeitserprobung 16 Wochen postoperativ vor Abschluss der Rehabiliation im ursprünglichen Beruf ist in Abb. 4 dargestellt.

In der Arbeit von Reinhold et al. [15] wurde bei 37 Fällen die berufliche Situation nachuntersucht. Die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit betrug 9,5 Monate. 23 Patienten konnten wieder ihren alten Beruf ausüben, davon 13 zu 100%. 25% der Probanden hatten weiterhin – trotz Berufswechsel – Beschwerden.

Fazit

Die Indikation zur konservativen Versorgung einer Fraktur im thorakolumbalen Übergang ist bis zur AO-Klassifikation A2.3 gegeben. Nur in Sonderfällen sehen wir bei A3-Frakturen die Rechtfertigung zur nichtoperativen Behandlung. Eine Orthesenversorgung nach operativer Stabilisation ist im Normalfall nicht notwendig, da die Stabilität durch die operative Korrektur gegeben sein sollte. Bei hoher Schmerzintensität und mangelnder Compliance ist bei konservativ behandelten Wirbelkörperfrakturen eine Orthesenversorgung für 4 Wochen angezeigt, da die Psyche des Patienten positiv beeinflusst werden kann.

Das Ziel der vollständigen Reintegration nach Verletzungen der thorakalen und lumbalen Wirbelsäule kann nur durch optimale Zusammenarbeit der am Behandlungsprozess beteiligten Behandlergruppen erreicht werden. Anatomische und biomechanische Kenntnisse über die Entstehung der Fraktur und ihre Behandlung sind wesentliche Voraussetzungen für die Indikation zur konservativen oder operativen Akutversorgung und die anschließende Rehabilitation. Eine suffiziente Schmerztherapie unter Einbeziehung multimodaler Behandlungskonzepte mit psychologischer Mitbehandlung ist wesentlicher Bestandteil, um eine Chronifizierung von Beschwerden zu verhindern. Die Adaptation der Therapie an das aktuelle Leistungsvermögen erfordert eine hohe fachliche Kompetenz der Behandler.

Zur genaueren Einschätzung der Belastungsfähigkeit nach konservativer und operativer Behandlung thorakolumbaler Wirbelkörperfrakturen sind weitere Arbeiten erforderlich.