Einleitung

Das „mid-aortic syndrome“ (MAS) ist eine seltene, angeborene Entwicklungsstörung der Aorta im viszerorenalen Segment unklarer Genese, verursacht durch eine Entwicklungsanomalie der Fusion und Reifung der paarigen embryonalen dorsalen Aorta [1]. Nach Manifestation, primär im Kinder- und Jugendalter, zeigt sich typischerweise eine arterielle Hypertonie, welche mit der Zeit zunehmend therapierefraktär wird. Lebensbedrohliche Minderperfusionen der viszerorenalen Organe sind nicht selten die Folge [2]. Interventionelle Therapien können eine temporäre Verbesserung der Hypertonie durch Angioplastie der Nierenarterien und der betroffenen Aorta bewirken, sind aber, basierend auf der existenten Literatur, nur eingeschränkt hilfreich [3]. Die offene Therapie mittels direkter Rekonstruktion durch Prothesenmaterial und körpereigene Vene wird ebenso beschrieben wie extraanatomische Bypässe, wobei schwere Komplikationen in fast allen Fallberichten Erwähnung finden [4, 5].

Im vorliegenden Fall kam es zu einer solchen Komplikation, welche ein offenes Abdomen notwendig machte. Trotz massiver Darmschwellung und großer Wundfläche konnte die Bauchdecke vollständig unter Verwendung eines Gerätes zur Dehnung der Faszie innerhalb weniger Tage verschlossen werden. Die Erkrankung sowie das Wirkungsprinzip des Gerätes sollen im vorliegenden Kasus erläutert werden. eine entsprechende schriftliche Aufklärung des Patienten sowie der Erziehungsberechtigten wurde vorab eingeholt.

Kasuistik

Ein 16-jähriger junger Mann wurde bei uns 2020 vorstellig. Anamnestisch litt er seit mehreren Jahren an einem MAS, so waren 2016 und 2017 bereits Angioplastien der infrarenalen Aorta und der stenosierten Nierenarterien erfolgt. Bereits seit mehreren Jahren wurde er durch eine zweifache orale antihypertensive Medikation therapiert. Durch eine ausgeprägt stark entwickelte Arteria mesenterica inferior (AMI) wurden die untere Körperhälfte sowie über Kollateralen die viszeralen Organe mitversorgt, wobei der Truncus coeliacus (TC) und die Arteria mesenterica superior (AMS) verengt zur Darstellung kamen (Abb. 1a). Bei insgesamt schlechter werdender Blutdruckeinstellung und neu aufgetretener muskulärer Beinschwäche bei körperlicher Belastung wurde eine offene Operation vereinbart und vorbereitet. Zur Vermeidung extraanatomischer Bypässe, welche durch den Verlauf und das vermehrte Fremdmaterial mit einem erhöhten Stenose- und Infektionsrisiko assoziiert sein können, wurde eine direkte Rekonstruktion geplant.

Abb. 1
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a Präoperatives CT, sagittale Darstellung des „mid-aortic syndrome“ bei einem 16-jährigen Patienten mit therapierefraktärer Hypertonie. Der axiale Aortendurchmesser beträgt 2–3 mm. b Postoperative abgangsnahe Stenosierung des Truncus coeliacus und der Arteria mesenterica superior. Begleitend zeigte sich ein abgangsnaher Verschluss der rechten Nierenarterie (kommt nicht zur Darstellung)

Zum OP-Protokoll gehörten die Anlage einer Liquordrainage sowie die rechts-rotierte helikale Lagerung des Patienten. Die Operation wurde unter Neuromonitoring (motorisch evozierte Potenziale [MEP], Elektro-Enzephalogramm [EEG] und transkraniale Duplexsonographie [TCD]) durchgeführt.

Nach erfolgter Thorakolaparotomie über den 8. Interkostalraum folgte zunächst die Präparation der Aorta sowie ein arteriovenöser femoraler Zugang mit Etablierung einer Herz-Lungen-Maschine bei Heparinisierung mit einer „activated clotting time“ (ACT) >500 s. Die linke Niere wurde freipräpariert und mit einem selektiven 8 mm Dacron-Bypass versehen, hiernach Applikation von 1000 ml Kardioplegielösung. Nach Schaffung von aortalen Klemmplätzen und Ausklemmen der Aorta descendens und der infrarenalen Aorta folgte die distale Organperfusion sowie die Eröffnung des stark verengten und steinartig verhärteten Viszerorenalsegments. Nach der Darstellung des rechten Nierenostiums sowie des TC und der AMS wurde kardioplege Lösung in die rechte Niere appliziert und die selektive Organperfusion über Katheter in TC und AMS begonnen. Mittels Erweiterungsplastik des betroffenen Aortensegments wurden die Ostien der genannten drei Gefäße sukzessive in die Rekonstruktion integriert. Nach Beendigung der Rekonstruktion und Blutfreigabe wurde die linke Nierenprothese unter partieller Klemmung inseriert. Sorgfältige Blutstillung, Entfernung der extrakorporalen Zirkulation. Verschluss des Operationsgebietes.

In den ersten 48 h postoperativ zeigte sich ein konsekutiver Anstieg der Nieren- und Leberwerte als Folge des Ischämie-Reperfusionsschadens, jedoch war der Verlauf insgesamt günstig mit früher Extubation des insgesamt beschwerdearmen Patienten. Zu einer deutlichen Befundverschlechterung mit Schmerzen, Darmatonie, Anurie und Hämatemesis kam es 72 h postoperativ. Eine notfallmäßige Gastroskopie zeigte einen ischämiebedingten Mageninnenwandschaden, das veranlasste CT zeigte relevante Stenosierung von TC und AMS sowie einen Teilverschluss der rechten Nierenarterie (Abb. 1b).

Umgehend erfolgte eine Relaparotomie mit extraanatomischer Rekonstruktion mittels descendo-trunkalem und mesenterialem Bypass sowie selektiven Bypässen auf die rechte Niere und die Iliakalgefäße. Die eingeschränkte Nierenfunktion erholte sich, die klinischen Minderperfusionszeichen von Leber, Magen und Darm waren noch im Operationssaal regredient. Infolge der umgehend auftretenden Darmschwellung war ein Bauchdeckenverschluss nicht möglich. Die erste Wundrevision erfolgte 48 h nach der zweiten Operation im Sinne eines „second look“ (Abb. 2a). Der Darm war weiterhin stark geschwollen, das einliegende Vicrylnetz wurde ausgetauscht, das Abdomen inspiziert und großzügig mit warmer Kochsalzlösung gespült, Blutungen oder Ischämien zeigten sich nicht. Unter Vollrelaxation betrug der laterolaterale Faszienabstand 20 cm.

Abb. 2
figure 2

Postoperatives CT mit Darstellung der extraanatomischen Bypässe für Truncus coeliacus und Arteria mesenterica superior (Pfeile)

Da ein Verschluss primär nicht möglich war, wurde das Fasciotens® Abdomen appliziert. In zwei weiteren Operationen konnten die Faszie und Kutis direkt verschlossen werden, sodass 6 Tage nach der Fasciotens®-Anlage und 8 Tage nach der Notfalloperation der vollständige Bauchdeckenverschluss gelang (Abb. 2b–d). Der weitere Verlauf des Patienten gestaltete sich langwierig, eine Tracheotomie sowie die Durchführung einer temporären Nierenersatztherapie wurden notwendig. Eine ausprägte Darmatonie besserte sich vollständig unter konservativen Maßnahmen, ein erhöhter abdomineller Druck war postoperativ nie nachweisbar. Letztendlich konnte der Patient jedoch beschwerdefrei, vollständig mobilisiert und kostaufgebaut mit verschlossenem Tracheostoma und reizlosen Wunden in die stationäre Rehabilitation entlassen werden. Im Bereich der medialen Wunde zeigte sich eine unter konservativer Therapie ausheilende Wunddehiszenz.

Fasciotens® Abdomen

Das Grundprinzip des Fasciotens® Abdomen (CE0481) beruht auf der Anwendung von ventral gerichtetem Zug auf die Bauchdeckenfaszie durch ein externes Unterstützungssystem (Abb. 3 und 4). In einer Großtierstudie konnte 2019 gezeigt werden, dass durch die Applikation von Fasciotens® eine Faszienretraktion verhindert und ein früherer Bauchdeckenverschluss ermöglicht werden kann. [6].

Abb. 3
figure 3

a OP-Situs vor der ersten Wundrevision mit einliegendem Vicrylnetz nach Thorakolaparotomie und medianer Notfalllaparotomie. b OP-Situs nach der ersten Wundrevision mit partiellem Wundverschluss und vorgelegten Fäden für das Fasciotens® Abdomen. c OP-Situs nach einer Woche (3 Tage nach erster Wundrevision) unter Verwendung des Fasciotens® Abdomens mit erfolgtem partiellem Bauchdeckenverschluss. d Kompletter Bauchdeckenverschluss (6 Tage nach erster Wundrevision) mit vollständig explantiertem Vicrylnetz

Abb. 4
figure 4

Schematische Darstellung der Wirkweise des Fasciotens® Abdomens. Die grünen Pfeile zeigen die Hauptkraftrichtung des Faszienzugs, mit freundlicher Genehmigung der fasciotens GmbH, Köln

Diese höhenverstellbare externe Apparatur, am Patientenkörper durch gepolsterte Auflagerungen thorakal und im Bereich des Beckens abgestützt, kann durch mehrere handelsübliche Vicrylfäden mit einem einliegenden Vicrylnetz oder der Faszie selbst verbunden werden. Durch gegenläufigen, aber vornehmlich vertikalen Zug, welcher durch eine simple Regulation nachgestellt bzw. justiert werden kann, sodass kontinuierlich ein Zug von ca. 7 kg wirkt, kann somit sukzessive die Bauchdecke gedehnt und für den Verschluss vorbereitet werden. Die dynamische Anpassung des Systems im OP, aber auch auf der Station macht neben der Faszienretraktion auch das vorübergehende Entfernen des Systems möglich. Zudem ist begleitend die Anlage eines Vakuumpumpensystems ebenso möglich wie konventionelle Verbandswechsel.

Diskussion

Das MAS ist eine seltene Aortenpathologie, deren Beschreibung ausschließlich auf einzelnen Fallberichten beruht. Basierend auf der existenten Literatur, erscheint die offene Operation den einzig kurativen Ansatz darzustellen, wobei Komplikationen nicht selten sind [7, 8]. Wie im vorliegenden Fall kann ein offenes Abdomen infolge solcher komplexer und auch notfallmäßiger abdomineller Eingriffe erforderlich sein, um pathologische Druckverhältnisse und sekundäre Organschäden zu verhindern [9,10,11]. Neben der zu erwartenden verlängerten Aufenthaltsdauer ergeben sich weitere Komplikationen wie das Risiko enterischer Fisteln, Infekte, Wundkomplikationen und Pneumonien bei verlängerter künstlicher Beatmung. Im vorliegenden Fall eines 16-jährigen Patienten kamen die psychologischen Konsequenzen eines offenen Abdomens als schwerwiegende Einschränkung der Lebensqualität hinzu. Alternative Behandlungskonzepte sehen die Nutzung von Unterdrucktherapien und Netzdeckungen vor, wie auch im vorliegenden Fall beschrieben. Während ein rein horizontaler Zug der Faszienränder aufeinander möglicherweise eine relevante Erhöhung des intraabdominellen Druckes (IAP) bewirkt hätte, könnte der vertikale Zug mit einer geringeren Druckbelastung einhergehen. Mit Fokus auf aortale Eingriffe zeigte sich in einer multizentrischen Studie eine relevante Rate an schwerwiegenden sekundären Komplikationen infolge des offenen Abdomens: Neben enterischen Fisteln wurden verzögerte, im Krankenhaus auftretende Protheseninfekte sowie Darmischämien beschrieben, unabhängig von der Art der Versorgung, jedoch abhängig von der Dauer des Vorhandenseins des offenen Abdomens [12]. Ähnliche Ergebnisse legt das multizentrische International Register of Open Abdomen (IROA) nahe: Nach Auswertung von 649 Patienten zeigte sich ein Zusammenhang zwischen intestinalen Fisteln und der Dauer des Vorhandenseins des offenen Abdomens [13].

Im vorliegenden Fall konnte, trotz komplexer, notfallmäßiger Voroperation das offene Abdomen innerhalb von drei Operationen über 6 Tage nach Beginn der Fasciotens®-Nutzung vollständig allschichtig verschlossen werden. Im weiteren Verlauf zeigten sich keine abdominellen Beschwerden oder frühe Narbenhernien. In unseren Augen stellt Fasciotens® Abdomen somit eine sinnvolle Ergänzung des Armamentariums abdominell tätiger Chirurgen dar, wenn auch prospektive, gegebenenfalls sogar randomisierte Studien fehlen, die den Therapieerfolg wissenschaftlich untermauern.