Einleitung

Im Jahr 2004 gab es im deutschen Krankenhaussystem eine grundlegende Änderung in der Vergütungsstruktur stationärer Behandlungen. Die Abrechnung basiert nun nicht mehr auf Tagessätzen, sondern auf diagnosebezogenen Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, kurz DRG). Ziel dieser Änderung war es, den Fokus vermehrt auf wirtschaftliches Handeln zu setzen und überflüssige Behandlungen zu vermeiden [3]. Um dem steigenden Kostendruck gerecht zu werden, erfolgte zunehmend eine Reduktion der Krankenhausbetten sowie eine Verkürzung der Verweildauer. Allein im Zeitraum von 1991 bis 2010 nahm die Zahl der Betten um knapp ein Viertel ab [1].

Ein bedeutender Kostenfaktor im deutschen Gesundheitssystem ist die Erkrankung Diabetes mellitus (DM), von der in Deutschland etwa 6,7 Mio. Menschen betroffen sind. Die direkten und indirekten diabetesbezogenen Kosten werden von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) auf etwa 35 Mrd. € pro Jahr geschätzt. Häufig geht eine Diabeteserkrankung mit peripheren vaskulären Komplikationen einher, die eine der wichtigsten Ursachen für die über 40.000 jährlichen Amputationen bei dieser Patientengruppe sind [7, 17]. So liegen die Kosten für einen Diabetespatienten, der eine Amputation erhalten hat, bei knapp 11.000 € pro Jahr [12]. Um hier eine effektive Kostensenkung zu erzielen, empfiehlt die DDG, neben der Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren, einen multidisziplinären Behandlungsansatz zur Verringerung der Komorbiditäten [10].

Ziel dieser Studie war es, anhand krankenhausspezifischer Kennzahlen die Entwicklung von Diabetikern mit unterschiedlichen Schweregraden vaskulärer Komplikationen von 2005 bis 2014 in Deutschland darzustellen.

Methode

Die Analyse erfolgte auf der Basis von fallbezogenen Struktur- und Leistungsdaten, die im Zeitraum von 2005 bis 2014 vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) an das Statistische Bundesamt (Destatis) übermittelt wurden. Rechtliche Grundlage für diesen Vorgang stellt § 21 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) dar. Jeder Patient, der vollstationär in einem nach DRG-Vergütungssystem abrechnenden und dem § 1 KHEntgG unterliegenden Krankenhaus behandelt wurde, ist dokumentiert (Vollerhebung). Um datenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden, wurden die Mikrodaten der DRG-Statistik über die kontrollierte Datenfernverarbeitung (KDFV) analysiert [13]. Bei Mikrodaten handelt es sich, im Gegensatz zu aggregierten Daten, um individuelle Einzeldaten von Krankenhausfällen. Die zugrunde liegende Methode der KDFV wurde bereits in vorangegangenen Untersuchungen angewendet und detailliert beschrieben [14,15,16]. Das Studienprotokoll wurde im Zuge des Antragsverfahrens an das Destatis übermittelt, aber nicht separat publiziert. Allgemein handelt es sich bei dieser Untersuchung um eine retrospektive Sekundärdatenanalyse mit Kohortendesign. Um ethischen Standards gerecht zu werden, wurde bei der Ethikkommission der Technischen Universität eine Genehmigung zur Durchführung der Studie eingeholt.

Eingeschlossen wurden alle Fälle, die in den Berichtsjahren 2005 bis 2014 als Haupt- oder Nebendiagnose (HD, ND) mit den ICD-10-GM Codes für PAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) der Stadien IIb bis IV nach Fontaine (I70.21 bis I70.24) und gleichzeitig vorliegendem DM mit peripheren vaskulären Komplikationen (E1*.5*) oder DM mit multiplen Komplikationen (E1*.7*) verschlüsselt wurden. Bei der Klassifikation nach Fontaine handelt es sich um eine Stadieneinteilung der Durchblutungsstörungen unterer Extremitäten nach klinischem Beschwerdebild (I: keine Beschwerden; II: Beschwerden beim Gehen; III: Beschwerden in Ruhe; IV: Absterben von Gewebe). Mit aufgenommen wurden außerdem Fälle, die in der HD/ND mit einer diabetischen Angiopathie (I79.2) verzeichnet wurden. Ausgeschlossen wurden alle Fälle mit DM ohne vaskuläre Beteiligung. Dabei erfolgte eine Unterteilung der eingeschlossenen Fälle in 4 Gruppen, je nach Schweregrad der vaskulären Pathologie: Gruppe 1 (PAVK Stadium IIb), Gruppe 2 (PAVK Stadium III), Gruppe 3 (PAVK Stadium IV), jeweils mit gleichzeitig kodiertem DM mit peripheren vaskulären Komplikationen (E1*.5*) oder Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen (E1*.7*) und Gruppe 4, Fälle mit diabetischer Angiopathie (I79.2) oder DM mit vaskulären Komplikationen (E1*.5*), jeweils ohne PAVK. Analysiert wurden die Verweildauer, der Case-Mix-Index und der Elixhauser Summenscore zur Schätzung der Komorbidität [2, 19, 21]. Der Case-Mix-Index ist hierbei ein Maß für den relativen ökonomischen Ressourcenaufwand, der über einen bestimmten Zeitraum hinweg die durchschnittliche Schwere der Fälle erfasst. Der Elixhauser Summenscore ist ein Index, der auf Basis der mit ICD-10-Codes verschlüsselten, administrativ erfassten Nebendiagnosen eine Abschätzung der Krankenhausmortalität ermöglicht. Dieser hat sich in der Analyse von administrativen Daten bewährt [19]. Zusätzlich wurde die Aufnahmeart, der Kreistyp des Krankenhauses und die Entfernung vom Wohnort zum Krankenhaus bestimmt.

Auf eine Fallzahlkalkulation wurde verzichtet, da es sich bei dieser Untersuchung um eine Vollerhebung handelt. Ebenso wurde auf eine post-hoc Powerberechnung verzichtet [11]. Die Aufbereitung und Analyse der Daten erfolgte mithilfe des Statistikprogramms SAS, Version 9.2 für Microsoft Windows (Copyright © 2015 SAS Institute Inc., Cary, NC, USA). Die Aufbereitung der Datengrafiken wurde mit Microsoft Excel sowie mithilfe des Statistikprogramms R (Version 3.2.1; The R Foundation, www.r-project.org) durchgeführt.

Ergebnisse

Von 2005 bis 2014 konnten bundesweit insgesamt 1.811.422 Fälle eingeschlossen werden, die die Einschlusskriterien erfüllten. 262.212 Fälle hatten als vaskuläre Komplikation eine PAVK IIb (14 %, Gruppe 1), 102.357 Fälle eine PAVK III (6 %, Gruppe 2), 680.794 eine PAVK IV (38 %, Gruppe 3) und 766.059 eine diabetische Angiopathie (42 %, Gruppe 4). Das mediane Alter des Gesamtkollektivs lag bei 73 Jahren und 62 % waren männlich. Während des untersuchten Zeitraumes blieb die Krankenhausinzidenz aller Diabetesfälle in Deutschland (von 260 auf 262 pro 100.000 Einwohner; +1 %) annähernd stabil, ebenso die Inzidenz der Diabetesfälle mit multiplen Komplikationen (von 85 auf 93 pro 100.000 Einwohner; +9 %), während die Anzahl der Fälle mit vaskulären Komplikationen zurückging (von 23 auf 11 pro 100.000 Einwohner; −53 %) (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Krankenhausinzidenz von Diabetes mellitus mit unterschiedlichen Komplikationen in Deutschland, im Zeitverlauf von 2005 bis 2014. KH Krankenhaus, DM Diabetes mellitus

Der Elixhauser Summenscore für das Gesamtkollektiv lag bei 9 und zeigte keine Unterschiede in den vier Gruppen. Die häufigsten Nebenerkrankungen waren dabei die arterielle Hypertonie (71 %), Herzerkrankungen ohne KHK (70 %) und die Niereninsuffizienz (40 %). Die Krankenhausletalität war für die Fälle der Gruppe 1 mit 2,6 % am niedrigsten (Tab. 1). Allerdings konnte im zeitlichen Verlauf ein deutlicher Anstieg des Elixhauser Summenscore von 2005 bis 2014 nachgewiesen werden (Abb. 2).

Tab. 1 Patientencharakteristika von Diabetikern mit vaskulären Komplikationen in Deutschland (kumuliert 2005-2014)
Abb. 2
figure 2

Zeitverlauf von Elixhauser Summenscore (a), Case-Mix-Index (b) und mittlerer Verweildauer (c), von 2005 bis 2014. PAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit, DM Diabetes mellitus, MW arithmetischer Mittelwert, VWD Verweildauer

In den meisten Fällen erfolgte die stationäre Aufnahme aufgrund einer Einweisung durch einen niedergelassenen Arzt. Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen zeigte sich insbesondere für Gruppe 1, die im Vergleich zu den anderen Gruppen seltener ohne Einweisung oder als Notfall aufgenommen wurden (Gruppe 1: 27 %; Gruppe 2–4: 39–44 %) (Tab. 2).

Tab. 2 Krankenhauskennzahlen von Diabetikern mit vaskulären Komplikationen in Deutschland (kumuliert 2005–2014)

Keine Unterschiede zeigten sich für die Kreistypen der Krankenhäuser, die sich am häufigsten in kreisfreien Städten (36 %) und städtischen Kreisen (30 %) befanden. Dabei lag die Entfernung vom Wohnort zum Krankenhaus im Median bei 8,2 km mit einer Fahrzeit von 12,6 min (Tab. 2).

Während den höchsten Case-Mix-Index mit 2,31 Punkten Gruppe 3 hatte, blieben die Werte allerdings im zeitlichen Verlauf für alle 4 Gruppe stabil (Tab. 2; Abb. 2).

Die mittlere Verweildauer war für die Fälle der Gruppe 4 mit durchschnittlich 20,3 Tagen am höchsten. Obwohl hier für alle 4 Gruppen im Verlauf ein Rückgang der Aufenthaltsdauer zu verzeichnen war, fiel dieser mit einem Rückgang von knapp 28 % für die Fälle der Gruppe 2 (−28 %) und 3 (−27 %) mit chronisch kritischer Extremitätenischämie am stärksten aus (Gruppe 1: −21 %; Gruppe 4: −17 %) (Tab. 2; Abb. 2).

Diskussion

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass über den Untersuchungszeitraum hinweg, die Krankenhausinzidenz aller Diabetesfälle in Deutschland stabil blieb, wohingegen bei Fällen mit vaskulären Komplikationen ein Rückgang von 53 % zu verzeichnen war. Trotz Zunahme des Elixhauser Summenscores kam es, je nach Komplexität der vaskulären Komplikationen bei den Diabetikern, zu einer Reduktion der mittleren Verweildauer zwischen 17 und 28 %. Den höchsten Case-Mix-Index mit 2,31 Punkten hatten Diabetiker mit PAVK IV. Insgesamt blieb der Case-Mix-Index über alle Fallgruppen hinweg stabil. Obwohl bekannt ist, dass die Inzidenz von Diabetes mellitus weltweit zunimmt und damit steigende Kosten im Gesundheitswesen verursacht, blieb die Krankenhausinzidenz aller Fälle mit Diabetes und der Gruppe mit multiplen Komplikationen annähernd stabil und nahm bei den Fällen mit vaskulären Komplikationen sogar deutlich ab. In Hinblick auf die sozioökonomischen Kosten konnte in einer Arbeit von Jacobs et al. [6] gezeigt werden, dass Patienten mit Diabetes Typ 2 1,7-mal so hohe Kosten verursachen, wie Patienten ohne Diabetes Typ 2 und somit jeder zehnte Euro der Gesundheitsausgaben für diese Patientengruppe aufgewendet werden muss. In der in Deutschland durchgeführten und 2006 publizierten CoDiM-Studie wurden die direkten und indirekten Kosten von Diabetikern aufgezeigt. Die höchsten direkten Kosten bei Diabetespatienten entstehen dabei insbesondere durch die Begleiterkrankungen und Komplikationen der Erkrankung [9].

Umso wichtiger erscheint es, dass bei Diabetikern mit vaskulären Komplikationen aller 4 Gruppen trotz eines ansteigenden Elixhauser Summenscores eine Reduktion der mittleren Verweildauer im Untersuchungszeitraum zu verzeichnen war.

Allerdings können letztendlich auch Kodiereffekte, wie z. B. Veränderungen in der Verschlüsselungspraxis bzw. eine bessere Schulung des Verschlüsselungspersonals, in Verbindung mit Änderungen in der DRG-Vergütung, als Ursache für zunehmend dokumentierte Komorbiditäten nicht ausgeschlossen werden [20]. Vermutlich kam es zu einer Änderung in der Vergütungsstruktur, da der Case-Mix-Index einen konstanten Verlauf, bei gleichzeitig ansteigenden Komorbiditäten in allen 4 Gruppen, aufweist und vaskuläre DRGs in den letzten Jahren eher eine Abwertung erfahren haben.

Erwartungsgemäß wird der höchste Wert in der Gruppe mit PAVK IV erzielt (Tab. 1; Abb. 2). Dies ist nicht weiter verwunderlich, da Patienten mit PAVK IV, trotz eines vergleichbaren Komorbiditätenspektrums (Elixhauser Summenscore) im Vergleich zu den anderen Gruppen eine deutlich schlechtere Prognose besitzen und oftmals eine prolongierte Wund- und Amputationsbehandlung notwendig ist [5], die den Case-Mix-Index zusätzlich beeinflusst.

Das vermeintlich „gesündeste“ Patientengut dieser Analyse stellen dagegen die Fälle der Gruppe 1 dar (PAVK IIb und DM), die zum einen den niedrigsten Elixhauser Summenscore und mit 10 Tagen die kürzeste mittlere Verweildauer besitzen. Dies resultiert auch in der geringsten Krankenhausletalität, da diese Patienten in der Regel unter elektiven Bedingungen behandelt werden. Dementsprechend wurden auch beinahe 70 % dieser Gruppen durch einen niedergelassenen Arzt geplant stationär eingewiesen (Tab. 2).

Erstaunlicherweise führen diese Unterschiede in den 4 Gruppen nicht zu einer Auswirkung auf die Auswahl des Krankenhauses, da sowohl für die Fahrzeit zwischen Wohnort und Krankenhaus als auch für die Kreistypen der Krankenhäuser keine relevanten Unterschiede vorlagen. Dies zeigt, dass hier noch weiteres Potenzial in Hinblick auf eine verstärkte Zentrenbildung vorliegt, welche bei verbesserten Versorgungsstrukturen eine weitere Kostenreduktion ermöglichen könnte [8].

Die vorliegende Arbeit weist gewisse Limitationen auf, die es zu erwähnen gilt. Bei den Primärdaten handelt es sich um administrative Informationen, die im Zuge der Krankhausabrechnung erhoben werden. Da Änderungen in der Vergütung zu einem geänderten Kodierverhalten und damit verbunden zu möglichen Ergebnisverzerrungen führen können, sollte die Kodierqualität in Bezug auf DRG-Daten stets kritisch beurteilt werden [18]. Außerdem handelt es sich hier um Fallzahlen, die zu einer Mehrfachzählung eines Patienten führen können. Aus diesem Grund wurde von einer alters- oder geschlechtsspezifischen Adjustierung der Daten abgesehen. Des Weiteren ist anhand der Daten nicht nachvollziehbar, ob eine PAVK oder ein Diabetes mellitus als Hauptdiagnose verschlüsselt wurde. Ebenso ist es nicht möglich, etwaige Wiederaufnahmen zu identifizieren und somit Rückschlüsse bezüglich des sog. „Drehtüreffekts“ zu ziehen.

Zudem wird nur die vollstationäre Versorgung abgebildet. Ambulante oder teilstationäre Behandlungen ohne darauffolgende vollstationäre Versorgung werden nicht erfasst [4].

Weiter gab es weder Informationen zu den Krankenhausarten und dortigen Fachabteilungen, in denen die Patienten versorgt werden, noch zur medikamentösen Begleitbehandlung.

Dennoch war es möglich, Trends im zeitlichen Verlauf von 2005 bis 2014 darzustellen, welche die medizinische Entwicklung an unserem Patientengut widerspiegeln und als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen dienen können.

Zusammenfassend zeigt die vorliegende Untersuchung, dass es Unterschiede in den 4 Krankheitsgruppen gibt, die insbesondere vom Schweregrad der PAVK abhängig sind. Dies könnte einen Hinweis auf eine verbesserte ambulante und multidisziplinäre Versorgung von Diabetikern mit vaskulären Komplikationen in Deutschland liefern. Zukünftige Analysen könnten untersuchen, ob es sich bei dieser Assoziation um eine statistisch signifikante Korrelation handelt.

Fazit für die Praxis

  • Gemessen am Elixhauser Komorbiditätsscore, zeigte das Komorbiditätenspektrum der stationär behandelten Patienten mit Diabetes mellitus und vaskulären Komplikationen einen deutlichen Anstieg.

  • Trotz des Anstiegs des Elixhauser Summenscores kam es zu einer Reduktion der mittleren Verweildauer.

  • Der Case-Mix-Index blieb in Untersuchungszeitraum von 2005 bis 2014 für alle 4 Gruppen annähernd konstant.

  • Trotz der unterschiedlich komplexen vaskulären Begleiterkrankungen waren die Entfernung zwischen Wohnort und Krankenhaus und der Kreistyp des Krankenhauses für die unterschiedlichen Gruppen ähnlich.