Die psychosoziale Versorgung von Krebspatienten wird zunehmend auch vor dem Hintergrund der eingeführten Disease-Management-Programme als ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden evidenzbasierten onkologischen Behandlung erachtet. Einen Schwerpunkt stellt dabei die frühzeitige und sorgfältige Diagnostik psychischer Störungen und deren Behandlung im Rahmen breitgefächerter Beratungs- und Unterstützungsangebote dar.

Die onkologische Forschung und Versorgung hat traditionell die Bemühungen, den Tumor zu reduzieren und die Lebenszeit des Patienten zu verlängern, an erste Stelle gestellt. Die Auswirkungen der Krebserkrankung auf die Psyche und das Befinden der Patienten, die familiäre wie soziale Situation und die Lebensqualität wurden gegenüber der Überlebenszeit als sekundär betrachtet. Die Psychoonkologie hat in den letzten Jahren wesentlich dazu beitragen können, eine Brücke zwischen einer stark medizinisch orientierten Behandlung und den Bedürfnissen der Patienten nach psychosozialer Unterstützung und Begleitung zu bauen und damit die Voraussetzung für eine Versorgung im Sinne eines ganzheitlichen biopsychosozialen Modells zu schaffen. Dieses sich verändernde Verständnis stellt damit neue Anforderungen an die professionellen Behandler, die sich auch auf die Diagnostik und das Management psychischer Symptome und Störungen bei Krebspatienten beziehen.

Die Diagnose Krebs konfrontiert Patienten mit einer Bandbreite von Problemen, die sich auf alle Lebensbereiche auswirken, unterschiedlich gravierend sind und in unterschiedlichen Phasen der Krebserkrankung und ihrer Behandlung auftreten. Diese Problembereiche betreffen körperliche Symptome und Folgeprobleme wie Schmerzen, Funktionsstörungen und Zustände chronischer Erschöpfung, familiäre Belastungen wie die Verunsicherung hinsichtlich individueller Rollen und Aufgaben, soziale, finanzielle und berufliche Belastungen. Weiterhin ergeben sich existenzielle Fragestellungen in Zusammenhang mit der Konfrontation mit der Endlichkeit des eigenen Lebens wie auch Probleme, die auf das Versorgungssystem zurückzuführen sind. Das Spektrum psychischer Reaktionen von Patienten reicht entlang eines Kontinuums von „normalen“ Sorgen und Ängsten, Gefühlen von Traurigkeit, Hilf- und Hoffnungslosigkeit bis hin zu gravierenderen Belastungsreaktionen wie Anpassungs- und Angststörungen, Depressionen und familiären Konflikten oder existenziellen Krisen [1]. Besonders kritische Phasen im Krankheitsverlauf sind die Diagnosestellung, die Beendigung der Primärbehandlung und die folgende Zeit des Hoffens auf einen langfristigen Therapieerfolg, das Wiederauftreten und Fortschreiten der Krebserkrankung sowie die palliative Behandlung [2].

Krebs ist eine chronische Erkrankung, die in längerfristiger Perspektive mit häufigen Krankenhausaufenthalten, mit Therapieerfolgen ebenso wie mit Misserfolgen und Komplikationen, Fort- und Rückschritten einhergeht. Eine frühzeitige Diagnostik psychischer Störungen in der onkologischen Versorgung und die Bereitstellung breitgefächerter und niedrigschwelliger psychosozialer Unterstützungsangebote ist dabei von besonderer Bedeutung, weil komorbide psychische Störungen bei Krebspatienten nicht nur deren Behandlung erschweren, sondern sich auch nachteilig auf die Compliance auswirken und zu schlechteren medizinischen Behandlungsergebnissen führen [3].

Epidemiologie psychischer Störungen

Die häufigsten psychischen Störungen bei Krebspatienten sind Anpassungsstörungen, Angststörungen und depressive Störungen sowie — seltener — die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD). In der fortgeschrittenen palliativen Behandlung bei zunehmenden körperlicher Beschwerden und Symptomen treten vermehrt auch kognitive Störungen auf [4]. In der psychoonkologischen Forschung liegt eine Reihe anspruchsvoller Studien zur Prävalenz psychischer Störungen bei Krebspatienten in verschiedenen Diagnosegruppen und Behandlungssettings vor [5, 6, 7, 8, 9] (Tabelle 1). Art und Prävalenz psychischer Störungen schwanken insgesamt erheblich in Abhängigkeit von der Krebserkrankung, den eingesetzten Erhebungsverfahren und zugrunde gelegten Klassifikationssystemen bzw. Cut-off-Wertebereichen und dem Zeitpunkt der Untersuchung. In der Mehrzahl der Studien wurden Screeninginstrumente eingesetzt, die Prävalenzraten bis knapp 60% für depressive Störungen und bis 50% für Angststörungen und Anpassungsstörungen zeigen. Die Auftretenshäufigkeiten gemessen mit klinisch-psychiatrischen Interviews sind im Mittel etwas niedriger. Hervorzuheben ist, dass die Prävalenz psychischer Störungen bei Patienten im terminalen Krankheitsstadium deutlich ansteigt.

Tabelle 1 Epidemiologie psychischer Störungen bei Krebspatienten

Die Ursachen psychischer Störungen bei Krebspatienten sind multifaktoriell, häufig aber mitbedingt durch die Schwere der Erkrankung und Behandlung, einen Mangel an individuellen und sozialen Ressourcen, eine maladaptive, d. h. v. a. resignative und passive Krankheitsverarbeitung und durch Autonomie- und Kontrollverlust. Folgende Risikofaktoren wurden studienübergreifend gefunden [10]:

  • fortgeschrittenes Krankheitsstadium,

  • geringe körperliche Funktionsfähigkeit (v. a. Schmerzen),

  • jüngeres Erkrankungsalter,

  • weibliches Geschlecht,

  • Vorhandensein psychischer Erkrankungen in der Vorgeschichte.

Angststörungen

Wenige chronische Erkrankungen sind so stark mit Angst verbunden wie Krebserkrankungen. Die Angst vor einer Verschlechterung des Gesundheitszustands, vor Leiden, Schmerzen, Isolation und die Angst vor dem Tod ist für die meisten Krebspatienten trotz Verbesserungen der Diagnostik und medizinischen Behandlung allgegenwärtig. Angststörungen bezeichnen zunächst eine Gruppe von psychischen Störungen, die durch im Verhältnis zur realen Gefahr übermäßige Angstreaktionen gekennzeichnet ist. Bei Krebspatienten treten Ängste und Angststörungen allerdings häufig als Reaktion auf die existenzielle Bedrohung, die eine Krebserkrankung darstellt, auf, und sind somit Reaktionen auf eine reale Gefahr. Auch wenn diese insofern als „angemessen“ betrachtet werden können, birgt dies jedoch gleichzeitig die Gefahr in sich, dass pathologische Ängste nicht identifiziert werden und Patienten nicht die Behandlung erhalten, die sie benötigen.

Symptomatik

„Normale“ Angstreaktionen, z. B. auf die schlechte Nachricht der Diagnose Krebs, bestehen in einem initialen Schock, Ungläubigkeit und gemischt ängstlich-depressiven Symptomen (u. a. Reizbarkeit, Appetit- und Schlaflosigkeit sowie Konzentrationsprobleme), die innerhalb von 7–10 Tagen vorübergehen. Angststörungen unterscheiden sich von „normalen“ Ängsten hinsichtlich Auslöser, Angemessenheit, Intensität und Dauer, nicht aber in den physiologischen, kognitiven und emotionalen Reaktionen (Tabelle 2). Panikstörung (mit oder ohne Agoraphobie), generalisierte Angststörung und — seltener — phobische Ängste haben bei Krebspatienten die größte Bedeutung. Eine besondere Form der Angst bei Krebspatienten ist die Angst vor dem weiteren Verlauf der Erkrankung, die sog. Progredienzangst. Neben der situativen Dimension („state“) von Angst kann Ängstlichkeit jedoch auch eine relativ stabile, Zeit überdauernde Persönlichkeitseigenschaft („trait“) darstellen. Diese Unterscheidung ist deswegen wichtig, da Reaktionen auf Belastungen wie die Diagnose Krebs in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Persönlichkeitsstruktur eines Patienten unterschiedlich sein können.

Tabelle 2 Symptome von Angststörungen nach DSM-IV (Stark und House 2000)

Prävalenz und Risikofaktoren

Etwa ein Viertel aller Krebspatienten leidet unter einer Angststörung (Range: 1–49%) [11, 12, 13]. Häufig treten Angst- und depressive Störungen gemeinsam auf. Die Ursachen für Angststörungen bei Krebspatienten sind sehr unterschiedlich. Dabei handelt es sich

  • um Reaktive Angst- und Anpassungsstörungen als Reaktion auf die lebensbedrohliche Krankheit Krebs und deren Behandlung,

  • um symptom- und behandlungsbedingte Angststörungen, häufig verursacht z. B. durch unzureichend behandelte Schmerzen oder Stoffwechselstörungen wie Hypoglykämie,

  • substanzinduzierte Ängste und Angststörungen, z. B. durch Kortikosteroide, Bronchodilatoren

  • Angststörungen in der Vorgeschichte wie z. B. Generalisierter Angststörung oder Panikstörung [14] (Tabelle 3).

    Tabelle 3 Angststörungen und deren Ursachen bei Krebspatienten (Breitbart et al. 2004)

Etwa 40% der Patienten mit pathologischen Ängsten litten bereits vor der Krebserkrankung unter Angststörungen.

Depressive Störungen

Niedergeschlagenheit und Traurigkeit sind vorübergehende normale menschliche Reaktionen, wenn ein Patient mit der Diagnose Krebs konfrontiert wird. Gerade in den letzten Jahren hat aber eine Reihe von Studien gezeigt, dass klinisch relevante depressive Symptome und Syndrome in der onkologischen Versorgung häufig auftreten, aber nicht ausreichend diagnostiziert und entsprechend behandelt werden [15]. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Symptome, die einen Zustand „normaler“ Traurigkeit kennzeichnen und die Symptome, die eine klinische Depression charakterisieren, zu kennen und zu unterscheiden.

Symptomatik

Bei einem Zustand normaler Niedergeschlagenheit und Traurigkeit stehen die Symptome meist eng mit bestimmten Ereignissen, z. B. einer schlechten Nachricht im Behandlungsverlauf in Zusammenhang. Die Symptome sind insgesamt weniger drastisch und fluktuieren üblicherweise im Zeitverlauf während eines Tages oder von einem Tag auf den anderen. Darüber hinaus wird ein Patient in der Regel positiv auf emotionale Zuwendung und professionelle wie persönliche Unterstützung reagieren.

Eine klinische Depression ist durch das Vorhandensein sog. Kernsymptome, nämlich einer niedergeschlagenen Stimmung oder dem Verlust an Interesse und Freude gekennzeichnet. Weitere Symptome beziehen sich auf den Antrieb, auf psychomotorische Veränderungen, Kognition sowie vegetative und somatische Beschwerden (Tabelle 4). Die Symptome sind intensiver, höher in ihrer Anzahl und länger in ihrer Dauer als bei „normaler“ Traurigkeit und sie beeinträchtigen spürbar das Leben der Person.

Tabelle 4 Symptome einer depressiven Störung

Prävalenz und Risikofaktoren

Die Prävalenz depressiver Störungen bei Krebspatienten reicht insgesamt von 0–58% und liegt im Mittel bei etwa 25% [8]. Bei schwer kranken Patienten ist die Prävalenz deutlich erhöht, insbesondere dann, wenn eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit und Schmerzen zusätzliche Belastungen darstellen [16, 17]. Depressive Störungen gehen häufig mit einer Reihe anderer psychischer Symptome und Syndrome einher, besonders häufig mit Angststörungen. Krebspatienten mit komorbiden depressiven Störungen und Angststörungen leiden dabei häufig unter gravierenderen Symptomen, benötigen eine längere Genesungszeit, nutzen häufiger Ressourcen des Gesundheitssystems und weisen schlechtere Behandlungsergebnisse auf als Patienten mit „nur“ einer psychischen Störung [8].

Empirische Studien zu den Folgen depressiver Störungen bei Krebspatienten zeigen insgesamt folgende Ergebnisse [3, 18, 19, 20, 21, 22, 23]:

  • verringerte Lebensqualität,

  • erhöhte Belastungen für die Familie,

  • verminderte Compliance,

  • verminderte Wirksamkeit der Chemotherapie,

  • längere Krankenhausaufenthalte,

  • kürzere Lebenserwartung,

  • erhöhtes Suizidrisiko.

Zu den psychosozialen Risikofaktoren für die Entwicklung einer Depression zählen belastende Lebensereignisse kurz vor oder während der Diagnose und ein Mangel an interpersonalen Ressourcen. Einige Krebsarten wie Mund- und Rachenkrebs (22–57%), Bauchspeicheldrüsenkrebs (33–50%), Lungenkrebs (11–44%) und Brustkrebs (1,5–46%) sind mit einem höherem Risiko für Depression assoziiert [8]. Begünstigende Faktoren für eine Depression sind weiterhin körperliche Symptome wie unkontrollierbare Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Fatigue sowie eine Reihe von Medikamenten wie Steroide, Virustatika (z. B. Interferon und Interleukin), Methyldopa, Reserpin, Kortikosteroide und Zytostatika (z. B. Vinblastin, Vincristin, Methotrexat) [24].

Suizidalität

Suizidgedanken und Suizid sind ernste Konsequenzen einer unerkannten und inadäquat behandelten Depression. In Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist das Suizidrisiko bei Krebspatienten 1,5-mal höher [25]. So äußern zwischen 9 und 45% schwer kranker Patienten zumindest vorübergehend im Krankheitsverlauf den Wunsch zu sterben. Bei 9% allerdings bleibt dieser Wunsch auch über die Zeit bestehen [26, 27, 28]. Eine schlechte Prognose, geringe soziale Unterstützung, Komplikationen der Erkrankung wie Schmerzen, Depression, Delirium und weitere Defizitsymptome tragen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dem erhöhten Suizidrisiko bei [28, 29] (Tabelle 5).

Tabelle 5 Risikofaktoren für Suizid bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung (Breitbart et al. 2004)

Posttraumatische Belastungsstörung

Die PTSD ist ein Störungsbild, das spezifische kognitive, emotionale, physiologische und behaviorale Veränderungen, die nach einem traumatischen Ereignis (Konfrontation mit einem lebensbedrohlichen Ereignis, ernsthafte Verletzung, Gefahr der körperlichen Unversehrtheit) auftreten können, bezeichnet. Dies sind neben intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen Symptome des beharrlichen Wiedererlebens, Vermeidung und Hyperarousal. In den letzten Jahren wurde die PTSD bei Krebspatienten als komorbides Störungsbild zunehmend in Betracht gezogen. Die gefundenen Prävalenzraten liegen bei Krebspatienten zwischen 0 und 35% [30].

Anpassungsstörungen

Anpassungsstörungen spielen bei der Behandlung von Patienten mit einer Tumorerkrankung eine im Vergleich zur PTSD wichtigere Rolle. Sie treten ebenfalls als Reaktion auf ein besonders belastendes Lebensereignis wie z. B. eine Krebserkrankung auf. Im Gegensatz zur PTSD wird eine Anpassungsstörung diagnostiziert, wenn in der Folge eines Belastungsfaktors jedweden Schweregrads verschiedene emotionale und verhaltensbezogene Symptome auftreten. Die Anpassungsstörung ist definiert als subjektives Leiden und eine emotionale Beeinträchtigung mit Einschränkung der sozialen Funktionen oder der beruflichen Leistungsfähigkeit. Die Symptome einer Anpassungsstörung können sehr unterschiedlich sein. Besonders häufige Anzeichen sind depressive Stimmung, Angst oder Probleme bei der Bewältigung des Alltags. In den meisten Fällen stehen einzelne Symptome im Vordergrund, sodass die Diagnose einer Anpassungsstörung mit depressiven oder/und ängstlichen Symptomen vergeben wird. Untersuchungsergebnisse zeigen, dass 2–52% der Krebspatienten unter einer Anpassungsstörung leiden [31].

Diagnostik

Die Erfassung psychischer Störungen bei Krebspatienten unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von der Diagnostik bei körperlich gesunden Personen. Hervorzuheben sind zunächst die Wechselwirkungen zwischen krankheits- oder behandlungsbedingten Symptomen und psychischen Störungen. So weisen Patienten mit Schmerzen ein doppelt so hohes Risiko für psychische Störungen auf (am häufigsten Anpassungsstörungen), als Patienten ohne Schmerzen [32]. Die Überlappung körperlicher und psychischer Symptome kann die Diagnostik erheblich erschweren, was am Beispiel der Depression besonders deutlich wird: Die Diagnostik stützt sich hier primär auf die psychischen und kognitiven Symptome einer Depression und weniger auf die somatischen Symptome, da unklar sein kann, ob spezifische Symptome wie Unruhe, Schlaflosigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten auf die Krebsbehandlung (z. B. Chemotherapie) zurückzuführen sind oder Symptome einer Depression darstellen. Insofern kann die Prävalenz leicht unter- oder überschätzt werden.

Im Rahmen der Diagnostik sind weitere Probleme aufseiten der Patienten Gefühle wie Angst und Scham, nicht genug Willenskraft und Leistungsfähigkeit zu haben, um die Krankheit zu bewältigen, Angst vor Stigmatisierung und unzureichendes Wissen bzw. Mangel an Vertrauen in psychosoziale Unterstützung. Aufseiten der Ärzte sind häufige Gründe, psychischen Störungen wenig Beachtung zu schenken, Unsicherheit in der Diagnostik und Befürchtungen, unzureichende Fertigkeiten zu haben, mit den Emotionen der Patienten umzugehen (Tabelle 6).

Tabelle 6 Schwierigkeiten der Diagnostik

Das diagnostische Vorgehen und die Auswahl von Erhebungsverfahren hängen von den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Im klinischen Alltag, in dem die Patienten häufig nur kurz gesehen werden können, wird man in der Regel ein psychosoziales Assessment im Sinne eines Screenings einsetzen. Die mit einem Screeninginstrument erfassten Patienten, die einen auffälligen Wert erreichen, werden dann in der Regel einer vertiefenden klinischen Diagnostik, die durch das psychosoziale Team durchgeführt wird, unterzogen. Das diagnostische Interview ist eines der zuverlässigsten Instrumente und deckt das gesamte Spektrum psychischer Störungen ab. Sehr gut validierte Verfahren sind das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV (SKID) [33], das Composite International Diagnostic Interview (CIDI), basierend auf dem ICD-10 [34], und das Diagnostische Interview bei Psychischen Störungen (DIPS) [35]. Der Nachteil dieser Instrumente ist der zeitliche Aufwand und die Notwendigkeit eines geschulten Interviewers.

Screeninginstrumente sind das NCCN-Belastungsthermometer [36, 37], die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) [38], das Brief-Symptom-Inventory (BSI) bzw. die Symptom-Checkliste (SCL-90-R) [39] und der Patient Health Questionnaire (PHQ-D) [40]. Instrumente zur Erfassung krebsspezifischer Ängste liegen nur in sehr begrenzter Anzahl vor. Zu nennen sind hier der Progredienzangst-Fragebogen (PA-F) [41] und die Memorial Anxiety Scale for Prostate Cancer (MAX-PC) [42, 43]. Eine ausführliche Beschreibung von Screeningverfahren findet sich bei Herschbach et al. (in diesem Heft).

Behandlung psychischer Störungen bei Krebspatienten

Die psychoonkologische Behandlung ist von Art und Schweregrad der auftretenden Symptome abhängig. Eine optimale Versorgung von Krebspatienten mit psychischen Störungen umfasst primär psychotherapeutische Interventionen, die sich v. a. bei einer milden bis moderaten Symptomatik durch eine hohe Effektivität auszeichnen, kann aber auch eine pharmakotherapeutische Behandlung (z. B. Benzodiazepine, Antidepressiva) beinhalten [16, 44, 45, 46, 47]. Eine Metaanalyse [48] zeigt, dass psychoonkologische Interventionen psychische Belastungen reduzieren und positive Effekte u. a. auf Angst, Depression, Hilflosigkeit, Schmerzen, berufliche Beeinträchtigung, körperliche und soziale Aktivitäten sowie die Lebensqualität insgesamt haben. Grundsätzlich sind psychoonkologische Interventionen weniger durch einzelne Therapieschulen bestimmt und zeichnen sich durch einen methodenintegrierenden supportiven Arbeitsansatz aus. Einen wichtigen Bestandteil bilden darüber hinaus Entspannungs- und imaginative Verfahren. Wesentliches Ziel besteht im Erhalt bzw. der Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Patienten.

Psychosoziale Maßnahmen sind in jeder Phase der Krebserkrankung von Bedeutung: Im Akutkrankenhaus ist es zunächst wichtig, psychosoziale Konzepte und Arbeitsweisen (Tabelle 7) in die onkologische Diagnostik und Behandlung der Patienten zu integrieren. Dabei müssen auch deren Angehörige berücksichtigt werden und die Durchführung der psychosozialen Maßnahmen muss sich an den Aufgaben und Belastungen der betreuenden Ärzte und Pflegekräfte orientieren. Hier findet psychoonkologische Betreuung in der Regel im Rahmen von Konsil- und Liaisondiensten statt. Zielsetzungen bestehen im Einzelnen in der Entlastung und Stabilisierung von psychischem Befinden und Funktionen, Reduktion von Neben- und Folgewirkungen der Behandlung, Information und Unterstützung bei der Bewältigung der Krankheits- und Behandlungsfolgen [49].

Tabelle 7 Übersicht über psychosoziale Interventionen

Nach Abschluss der Primärbehandlung besteht für Krebspatienten die Möglichkeit, stationäre Nachsorgeangebote im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme und ambulante Angebote in Anspruch zu nehmen. Letztere bieten niedergelassene Psychoonkologen in Form von Einzel- oder Gruppentherapie oder Selbsthilfegruppen, allerdings stehen diese in wesentlich geringerem Ausmaß zur Verfügung.

Fazit für die Praxis

Trotz immenser Fortschritte in der Medizin wird den psychischen Beeinträchtigungen bei Krebspatienten nicht die Aufmerksamkeit in Diagnostik und Behandlung geschenkt wie somatischen Symptomen. Dazu tragen auf der einen Seite die professionellen medizinischen Behandler bei — durch Unsicherheit im Umgang mit psychisch belasteten Patienten, der Unterschätzung des Schweregrads psychischer Symptome und der richtigen Zuweisung —, aber auch Patienten durch Angst vor einer zusätzlichen Stigmatisierung oder der Erwartung, dass psychische Belastungen vom medizinischen Behandler angesprochen werden. Oft sind es aber auch institutionelle oder ökonomische Hindernisse, die eine umfassende Versorgung chronisch Kranker behindern, wie z. B. Befürchtungen, psychologische Behandlung sei nicht evidenzbasiert oder in ihrer Wirksamkeit nicht überprüfbar. Eine umfassende Versorgung chronisch Kranker erfordert deshalb eine interdisziplinäre Diagnostik und Therapie und eine ausreichende Kooperation zwischen den verschiedenen Disziplinen, sodass psychischen Problemen in gleicher Weise wie somatischen Beschwerden Rechnung getragen werden kann.