1 Einleitung

Der Bereich der Ver- und Entsorgung von Siedlungsstrukturen ist zurzeit im Wandel. Im Fokus steht dabei auf der einen Seite die Versorgung des Endverbrauchers mit Energie, Wasser und Lebensmitteln/Waren und auf der andern Seite die Entsorgung von Abwasser und Abfall. Entsorgung meint dabei nach KrWG (2012) „Verwertungs- und Beseitigungsverfahren, einschließlich der Vorbereitung vor der Verwertung oder Beseitigung“.

Durch den Bau der Kanalisation, an deren Ende die Kläranlage als End-of-Pipe-Lösung das Abwasser behandelt, konnten die grundsätzlichen Belange des Gesundheits- und Gewässerschutzes erzielt werden. Die Verbreitung von Krankheiten aufgrund einer fehlenden Abwasserableitung konnte – zumindest in den Industrienationen – (weitestgehend) gebannt werden. Mit der Erkenntnis, dass die im Abwasser enthaltenen Schmutzstoffe (Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor) zur Verschlammung, Sauerstoffzehrung und Eutrophierung im Gewässer führen, wurden Abwasserbehandlungsanlagen errichtet. Die Gewässerqualität konnte damit deutlich gesteigert werden. Sind damit die Ziele einer zukunftsfähigen Abwasserbehandlung erreicht?

Die Forschungsergebnisse im Bereich des Gesundheits- und Gewässerschutzes, aber auch das veränderte ökologische Bewusstsein der Gesellschaft (Klima- und Ressourcenschutz) erfordern einen neuen Blickwinkel auf die Abwasserbehandlung. Die Kläranlage zum „Klären“ des Abwassers wird zukünftig zum „Wasser- und Ressourcendienstleister“. Die Abwasserbehandlungsanlage wird dabei Dienstleister für Mensch (Abwasserableitung und -behandlung) und Gewässer (im Sinne der Ökosystemleistung (MEA 2005)), Energiedienstleister, Produzent für bedarfsgerechte Produkte bspw. Wasser und Düngemittel.

Eine zukunftsfähige Abwasserbehandlung besteht dabei aus den Bausteinen:

  • Gesundheitsschutz:

    Sicherstellung der hygienischen Erfordernisse, auch unter Beachtung von Legionellen und antibiotikaresistenten Keimen, bis hin zu einer Badegewässerqualität im Gewässer oder der Bereitstellung von hygienisch unbedenklichem Wasser zur Wiederverwendung.

  • Gewässerschutz:

    Minimierung der Eutrophierung im Gewässer durch eine weitestgehende Elimination von Nährstoffen (Phosphor, Stickstoff), Elimination von Mikroschadstoffen/Mikroplastik/Nanopartikeln zum Schutz der aquatischen Fauna, aber auch aus Sicht des vorsorgenden Gesundheitsschutzes.

  • Ressourcenschutz:

    Minimierung des Ressourcenverbrauchs für die Abwasserbehandlung, bspw. von Energie und Betriebsstoffen aber auch die Minimierung der Umweltwirkungen sowie Ressourcenrückgewinnung durch die Nutzung der im Abwasser enthaltenen Ressourcen, insbesondere Wasser, Nährstoffe und Energie.

Eine Realisierung erfordert dabei eine Kombination von Technologie und Betriebsoptimierungen, wobei Synergieeffekte bestehen, die es zu nutzen gilt.

2 Ziele der Abwasserbehandlung: gestern, heute und in der Zukunft

2.1 Gesundheitsschutz

„Abwasser ist so zu beseitigen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird“, vgl. WHG (2009). Dieser Leitsatz kann sicherlich als Grundbasis der Abwasserbehandlung betrachtet werden. Deutlich wird dies vor allem aus der Geschichte der Abwasserbehandlung (Anforderung an die Hygiene), die gerade im internationalen Kontext unter dem Aspekt der Sicherstellung eines Zugangs zu Sanitäreinrichtungen nicht an Bedeutung verloren hat. Aber nicht nur Aspekte der Hygiene, sondern auch die Minimierung des Eintrags von Mikroschadstoffen, Nanopartikeln oder Mikroplastik in den Nahrungsmittelkreislauf sind aus Sicht des (vorsorgenden) Gesundheitsschutzes von Bedeutung.

2.1.1 Sicherstellung einer hygienischen Grundversorgung der Bevölkerung

Die Errichtung von Kanalsystemen im 19. Jahrhundert leitete das Abwasser aus den Wohngebieten in das nächste Gewässer ab. Erklärtes Ziel war es, der Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Cholera und Typhus entgegenzuwirken, d. h. die Sicherstellung eines hygienischen Standards in Städten, vgl. ATV (1997) und ATV (1999), was damit auch gelang.

Auch im beginnenden 21. Jahrhundert hat der Gesundheitsschutz im Bereich der Abwasserbehandlung nicht an Bedeutung verloren. Weltweit haben rd. 2,6 Mrd. Menschen keinen Zugang zu einfachen sanitären Einrichtungen; täglich sterben rd. 3.900 Kinder aufgrund schlechter hygienischer Bedingungen (vgl. UN 2012). Wenngleich in der überwiegenden Anzahl der Länder mit der Errichtung von Sanitärkonzepten der Gesundheitsschutz erfolgreich sichergestellt werden konnte, so gibt es noch immer viele Länder, wo entsprechende Installationen vollständig fehlen. In Fortführung der Millenniumsziele (UN 2012) definierten die Vereinigten Nationen im September 2015 als 6. Ziel der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (UN 2015), dass die „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle zu gewährleisten ist“.

2.1.2 Desinfektion: Badegewässerqualität und Wasserwiederverwendung

Die Desinfektion hat die Aufgabe, Krankheitserreger, d. h. Bakterien, Viren oder Parasiten, zu inaktivieren (Verlust der Vermehrungsfähigkeit) oder zu reduzieren, sodass eine Gesundheitsgefährdung durch Abwassereinleitungen in ein Gewässer nicht zu befürchten ist. Die Gefährdung ist dabei abhängig von der Art der Nutzung des aufbereiteten Abwassers (DIN 2004; DWA 2013c).

Forschungsarbeiten im halbtechnischen Maßstab, aber auch diverse großtechnische Umsetzungen – allein in den USA findet die Desinfektion des Kläranlagenablaufs weite Verbreitung, vgl. Leong et al. (2008) – zeigen, dass mit unterschiedlichen Desinfektionsverfahren, wie z. B. UV-Bestrahlung, Chlordioxiddosierung, Ozonung und Chlorung, eine mikrobiologische Ablaufqualität erzielt werden kann, die je nach Charakteristik der vorhergehenden Abwasserbehandlungsstufen und der jeweiligen Desinfektionsmitteldosierung sowohl für die Einleitung in Badegewässer als auch für verschiedene Wiederverwendungszwecke geeignet ist, vgl. z. B. Tchobanoglous (2003), Bischoff (2013), Gnirss et al. (2015), Cornel et al. (2015). Von großer Bedeutung für die Wirksamkeit des Desinfektionsprozesses ist neben den Desinfektionsverfahren die Zusammensetzung des zu behandelnden Wassers. Vor allem suspendierte Partikel oder Kolloide können die Desinfektionswirkung beeinträchtigen und/oder zu negativen Desinfektionsnebenprodukten (vor allem beim Einsatz von Chlor und Ozon) führen (Bischoff 2013), weshalb vorgeschaltete Verfahren zur Verminderung der Feststoffe (bspw. Mikrosiebe oder Filtrationsverfahren) von Relevanz sind.

Großtechnische Beispiele in Deutschland sind die Kläranlagen entlang der Isar oder in Berlin. Allein im Einzugsgebiet der oberen und mittleren Isar sowie der Würm wurden zwischen 2000 und 2005 insgesamt 12 kommunale Abwasserbehandlungsanlagen mit einer UV-Desinfektion realisiert, wobei ausschließlich ein saisonaler Betrieb in den Sommermonaten erfolgt (Englmann und Schranner 2015). Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass selbst bei Desinfektion der Kläranlagenabläufe in der Regel keine durchgängige Badegewässerqualität in den nachgelagerten Gewässern erreicht werden kann – insbesondere aufgrund von Mischwasserentlastungen bei Regenereignissen oder durch Einträge aus landwirtschaftlich genutzten Flächen.

Einen besonderen Aspekt bildet aktuell die Fragestellung der Verbreitung von Legionellen. In Warstein erkrankten im Jahr 2013 162 Menschen an Legionellose, 2 Menschen verstarben (Evers und Grünebaum 2015). Ursache war mit Legionellen besiedeltes Wasser im Ablauf einer Abwasserbehandlungsanlage, das von einer flussabwärtsgelegenen Anlage als Kühlwasser genutzt wurde. Durch die Rückkühlanlage erfolgte eine Freisetzung der Legionellen über Aerosole. Die Legionellen wurden über einen Industriebetrieb der Abwasserbehandlungsanlage zugeführt, wobei diese während der Abwasserbehandlung nicht eliminiert und so in das Gewässer eingeleitet wurden (vgl. Wiedenhöft 2014; Rosenwinkel et al. 2014; Evers und Grünebaum 2015). Wenngleich spezielle Randbedingungen für den Legionellenausbruch vorlagen, so wird, neben der Fragestellung des Einsatzes von Desinfektionsverfahren im Bereich von Rückkühlanlagen, die Relevanz der Abwasserbehandlung für den Gesundheitsschutz deutlich und zeigt auch, dass entsprechende Technologien (weiter) zu entwickeln sind.

Des Weiteren stehen antibiotikaresistente Keime im Fokus, wobei die Forschung im Bereich der Abwasserbehandlung noch am Anfang ist. Primäre Quelle für die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen sind Abwässer aus Kliniken, kommunalen Kläranlagen und Abwässer der Mast- und Lebensmittelbetriebe. Neben dem Einsatz von Antibiotika kann es auch durch die Emissionen von Bioziden als Desinfektionsmittel oder anderen antimikrobiell wirksamen Chemikalien zu einer Co-Selektion von Antibiotikaresistenzen kommen. Dabei sind Kläranlagen eine wichtige sekundäre Quelle, da es dort zu einer Akkumulation der Resistenzen aus Primärquellen kommen kann (Schwartz und Alexander 2014; Kaeseberg et al. 2015; Krebs et al. 2015; Exner und Schwartz 2015).

Insbesondere im internationalen Kontext ist der Rückhalt von Helminthen-Eiern zu beachten. Bei Helminthen handelt es sich um parasitisch lebende Würmer. Schätzungen gehen davon aus, dass weit mehr als 2 Milliarden. Menschen in den Regionen Afrikas, Asiens und Amerikas an einer Infestation mit Helminthen (insbesondere soil-transmitted helminths) leiden (Pullan et al. 2014; de Silva et al. 2003). Da die Inaktivierung (i. d. R Abtötung) der Helminthen-Eier durch chemische und/oder physikalische Verfahren nur bedingt möglich ist (Maya et al. 2012), sind u. a. Sedimentations-/Filtrationsverfahren bspw. mittels Mikrosieb zur Abtrennung der Helminthen-Eier Bestandteil aktueller Forschungsarbeiten (Düppenbecker et al. 2013; Quinzanos et al. 2008).

2.2 Gewässerschutz

„Eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Direkteinleitung) darf nur erteilt werden, wenn die Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist, die Einleitung mit den Anforderungen an die Gewässereigenschaften und sonstigen rechtlichen Anforderungen vereinbar ist und Abwasseranlagen oder sonstige Einrichtungen errichtet und betrieben werden, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Anforderungen (…) sicherzustellen.“ (vgl. WHG 2009). Unter Beachtung der Wasserrahmenrichtlinie (vgl. WRRL 2000), bedeutet dies die Erreichung eines „guten Zustands“ im Gewässer, d. h. das Gewässer nähert sich einem „natürlichen“ Zustand an.

2.2.1 Minimierung Eutrophierung im Gewässer

Die Entwicklung der Gewässergüte korrespondierte viele Jahre mit dem Ausbau der Abwasserbehandlung. Der ökologische sowie chemische Zustand der Flüsse in Deutschland war um das Jahr 1900, insbesondere in Ballungsgebieten, sehr schlecht. Zur Verminderung der Verschlammung wurden Rechen und Sandfänge errichtet. Bereits 1887 wurde in Frankfurt am Main, aber auch in anderen Großstädten, eine mechanische und chemische Behandlungsstufe, bestehend aus Sandfang, Rechenanlage, Dosierung von schwefelsaurer Tonerde und Kalk sowie einem anschließenden Absetzbecken in Betrieb genommen (vgl. SEF 2008).

In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts schloss sich die Errichtung von biologischen Anlagen zur Oxidation von organischen Substanzen an, um deren sauerstoffzehrende Wirkung im Gewässer zu vermindern (vgl. ATV 1997; Tilley 2011; ATV 1999). 1926 wurde in Deutschland die erste großtechnische Anlage in Essen-Rellinghausen mit dem Belebtschlammverfahren in Betrieb genommen (ATV 1999). Dem gleichen Ziel diente die seit ca. 1980 umgesetzte Nitrifikation der Abwässer. Seit ca. 1990 wurde in Deutschland die Nährstoffelimination zum Schutz der Gewässer vor Eutrophierung durch Umsetzung der Denitrifikation sowie Phosphorelimination etabliert (vgl. ATV 1999).

2.2.2 Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union

Mit dem Jahrtausendwechsel hat sich der Ansatz des Gewässerschutzes gewandelt. Stand in der Vergangenheit vor allem ein emissionsbezogener Ansatz, d. h. eine Verminderung der Austräge in das Gewässer im Vordergrund, so setzt die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union (WRRL 2000) auf den immissionsbezogenen Ansatz, d. h. auf die Betrachtung des Eintrags/der Auswirkung auf die Umwelt (Gewässer, Tier/Mensch). Mit dem Inkrafttreten der Wasserrahmenrichtlinie am 20.12.2000 wurde ein rechtlicher Ordnungsrahmen für einen umfassenden europaweiten Gewässerschutz geschaffen (WRRL 2000). Der erste Punkt der Erwägungsgründe ist dabei charakteristisch für die Richtlinie (WRRL 2000): „Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss.“

Insbesondere die grenzüberschreitende Betrachtung der Gewässergüte unter Berücksichtigung ganzer Flussgebiete ist hier als Novum hervorzuheben. Kernpunkt der Wasserrahmenrichtlinie ist dabei die Forderung nach einem guten ökologischen sowie chemischen Zustand der Gewässer bis 2015 bzw. mit Fristverlängerung bis spätestens 2027. Die Erreichung dieser Ziele soll dabei in den Schritten Bestandsaufnahme, Erarbeitung von Überwachungsprogrammen, Erstellung von Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen, Umsetzung der Maßnahmenprogramme und einer Zeit für die Zielerreichung erfolgen.

2.2.3 Minimierung des Nährstoffeintrags ins Gewässer

Ausgehend von der Nährstoffbelastung der Gewässer wird eine deutliche Verschärfung des Parameters Phosphor diskutiert. Für den Bodensee bedeutet dies Ablaufwerte von 0,3 mg/L Pges; der Berliner Senat fordert für die Abwasserbehandlungsanlage Ruhleben Ablaufwerte von ≤ 0,05 mg/L Pges (vgl. Rosenwinkel und Lorey 2009); Hessen diskutiert zzt. für Kläranlagen > 100.000 Einwohnerwerte (EW) und einige Anlagen zwischen 10.000 bis 100.000 EW bei Einleitung in Gewässer mit sehr hoher Abwasserbelastung oder größerer Empfindlichkeit (z. B. Talsperren), Ablaufwerte von 0,2 mg/L Pges im arithmetischen Monatsmittelwert und 0,4 mg/L Pges in der 2-h-Probe. Auch für alle weiteren Kläranlagen < 100.000 EW ist eine Verschärfung der Ablaufwerte in Diskussion (vgl. Cornel et al. 2015).

Um diese niedrigen Werte einhalten zu können wird i. d. R eine (Membran-)Filtrationsstufe notwendig (sein). Bereits bei 1–2 mg/L Biomasse im Ablauf der Abwasserbehandlungsanlage kann ein Grenzwert von 0,05 mg/L Pges überschritten sein, unabhängig von den gelösten anorganischen und organischen Phosphorverbindungen (z. B. auch Phosphonate; vgl. Cornel et al. 2015).

Neben Phosphor sind die Stickstoffemissionen im Gewässer aus Sicht der Wasserrahmenrichtlinie kritisch zu bewerten. Im Rahmen der Bearbeitung der Orientierungswerte für das Gewässer sollen für Deutschland die Ammoniumwerte von 0,3 auf 0,1 mg/L gesenkt werden. Zusätzlich soll erstmals ein Orientierungswert für Nitrit eingeführt werden (vgl. LAWA 2014). Für Einleitungen aus Abwasserbehandlungsanlagen kann dabei vor allem die Ammonium- und Nitritemission von Relevanz sein. Insbesondere im Jahresgang kann es im Frühjahr bzw. Herbst durch die Anpassung der Biozönose zu einem Anstieg der Nitritemissionen, als Resultat einer unvollständigen Nitrifikation oder Denitrifikation, kommen.

2.2.4 Mikroschadstoffe, Nanopartikel und Mikroplastik

Für den Bereich der Abwasserbehandlung stehen verschiedene „neue“ Stoffgruppen wie Mikroschadstoffe (Daughton und Ternes 1999; Deblonde et al. 2011; Verlicchi et al. 2012; Luo et al. 2014), Nanopartikel (Abels 2012) oder Mikroplastik (AWI 2014; Bannick et al. 2015; Yang et al. 2015; UBA-AUT 2015) im Fokus.

Aufgrund ihrer teilweise schlechten biologischen Abbaubarkeit können etliche Mikroverunreinigungen in den Gewässern und in Spuren sogar im Trinkwasser nachgewiesen werden. Wenngleich ein Gesundheitsrisiko der Mikroverunreinigungen im Gewässer (noch) nicht nachgewiesen ist, so zeigt sich hier doch eine Verknüpfung zwischen Gewässerschutz und vorsorgendem Gesundheitsschutz (vgl. Prasse et al. 2015; Oehlmann et al. 2014). Dies bedeutet, dass physikalische Verfahren wie z. B. (Membran-)Filtration, Adsorption an Aktivkohle und/oder chemische Verfahren wie z. B. die Oxidation mit Ozon zusätzlich benötigt werden (vgl. Ternes et al. 2004; DWA 2008a; Fahlenkamp et al. 2008; Knopp und Cornel 2015; Pinnekamp et al. 2015).

2.2.5 Verbot von Stoffen zum Gewässerschutz (und Gesundheitsschutz)

Einhergehend mit der Einführung der Abwasserbehandlung wurden auch regulative sowie technische Maßnahmen ergriffen und z. T. internationale Vereinbarungen wie bspw. die Stockholm-Konvention über persistente organische Schadstoffe getroffen, damit schwer abbaubare bzw. eliminierbare Substanzen nicht in das Abwasser eingeleitet werden. Damit verbunden gab es Verbote von Stoffen wie z. B. von eutrophierenden Enthärtern (Polyphosphaten) in Waschmitteln (ATV 1997; Klöpffer und Scheringer 2000).

Auch für Mikroschadstoffe werden vergleichbare Ansätze diskutiert. In Schweden sind bspw. Ärzte dazu angehalten, bei gleicher Wirksamkeit ein entsprechend umweltfreundlicheres Medikament zu verschreiben. Hierzu wurde ein PBT-Index (Persistence, Bioaccumulation, Toxicity) erarbeitet, der die Stabilität des Medikaments (Persistenz), die Anreicherung in der Umwelt (Bioakkumulation) und die Toxizität bewertet (vgl. Kümmerer 2004). In Deutschland, aber auch in anderen Ländern, wird eine gesetzliche Regelung zum Verbot von Mikroplastik in Kosmetik- und Körperpflegeprodukten diskutiert.

2.3 Ressourcenschutz

UBA (2012a) definiert Ressourcenschutz als die „Gesamtheit aller Maßnahmen zum Erhalt oder zur Wiederherstellung natürlicher Ressourcen, (…) hierzu zählen erneuerbare und nicht erneuerbare Primärrohstoffe, physischer Raum (Fläche), Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft), strömende Ressourcen (z. B. Erdwärme, Wind-, Gezeiten- und Sonnenenergie) sowie Biodiversität“.

Für die Abwasserbehandlung kann diese Definition über die beiden folgenden Teilaspekte konkretisiert werden (Schaum 2015a):

  • Ressourceneffizienz:

    Minimierung des Ressourcenverbrauchs für die Abwasserbehandlung, bspw. von Energie und Betriebsstoffen aber auch die Minimierung der Umweltwirkungen.

  • Ressourcenrückgewinnung:

    Nutzung der im Abwasser bzw. Klärschlamm enthaltenen Ressourcen, insbesondere Wasser, Nährstoffe und Energie.

3 Ressourcen im Abwasser: Wasser, Nährstoffe und Energie

3.1 Wasser

Abwasser besteht zu über 99 % aus Wasser, somit liegt hierin auch die mengenmäßig größte Ressource. Wenngleich in Deutschland Wasser in ausreichender Menge und Qualität verfügbar ist, so bleibt doch die Fragestellung einer Wasserwiederverwendung bestehen, insbesondere vor dem Kontext der lokalen und saisonalen Verfügbarkeit (BMBF 2014), in der Zukunft verstärkt durch den Klimawandel, aber auch im Hinblick auf die weltweite Verfügbarkeit von Wasser.

In Verbindung mit einer weitergehenden kommunalen Abwasserbehandlung können zukünftig Verfahrensansätze mit einer Nutzung des aufbereiteten Abwassers an Bedeutung gewinnen. Einhergehend mit einer Verschiebung von Regenzeiten in den Winter, d. h. außerhalb der Vegetationsperioden, sowie durch den Anbau von Pflanzen zur Bioenergieerzeugung kann für die Zukunft der Einsatz einer Wasserwiederverwendung in der Landwirtschaft auch in Deutschland an Bedeutung gewinnen (vgl. auch Fuhrmann et al. 2012; DWA 2009).

Durch die deutschen kommunalen Kläranlagen wird eine Jahresschmutzwassermenge (nur häusliches und betriebliches Abwasser) von rd. 5,02 Mrd. m³/a behandelt (DESTATIS 2013b). Dem gegenüber steht ein Wasserverbrauch durch Haushalte und Kleingewerbe von rd. 4,47 Mrd. m³ (DESTATIS 2013a). Hinzu kommt der Wasserverbrauch der Industrie sowie der Bereich des Kühlwassers mit allein rd. 25,2 Mrd. m³/a (DESTATIS 2013c). Die Zahlen verdeutlichen dabei das grundsätzliche Potenzial für eine Wasserwiederverwendung.

Des Weiteren sind die vielfältigen Wasserwiederverwendungen in der Industrie zu berücksichtigen, die heute schon zum Stand der Technik gehören, wobei hier hauptsächlich die Ökonomie ein wichtiger Treiber ist. Vor allem die Papierindustrie ist dafür ein gutes Beispiel: Innerhalb von 34 Jahren konnte der spezifische Frischwasserbedarf von rd. 45 L/kg Papier in 1974 auf rd. 10 L/kg Papier in 2008 reduziert werden (vgl. Bierbaum 2013).

Wasser und Energie sind direkt miteinander verknüpft: Wasser wird benötigt für die Bereitstellung von Energie, bspw. zur Kühlung. Gleichzeitig erfordert die Nutzung von Wasser den Einsatz von Energie. In Bezug auf die kommunale Siedlungswasserwirtschaft ist hierbei die Warmwasserbereitung der Hauptfaktor. In Abhängigkeit von der Rohwasserqualität erfolgt für die Bereitstellung von Trinkwasser ein Einsatz von unterschiedlicher Aufbereitungstechnik, wobei mit zunehmender Aufbereitungstechnik (von einfachen mechanischen Verfahren bis hin zur Umkehrosmose) der Energieverbrauch steigt. Da insbesondere in Ballungszentren der Wasserbedarf die Verfügbarkeit übersteigt, werden Fernwasserleitungen notwendig, wofür wiederum der entsprechende Energieeinsatz notwendig ist.

Eine Wasserwiederverwendung kann dementsprechend einen wichtigen Beitrag zur Schonung der Ressourcen Wasser und auch Energie leisten. Das zu nutzende Wasser ist bereits meist direkt am Nutzungsort, sodass lange Transportleitungen entfallen. Durch die Anpassung der Aufbereitungstechnik an das Nutzungsziel (Fit for Purpose) kann dabei auch der Energiebedarf minimiert werden (vgl. Schaum et al. 2014a).

3.2 Nährstoffe

Die Verrieselung von Abwasser gehörte schon sehr früh zu den ersten Formen der Wasserwiederverwendung, bei der auch die im Abwasser enthaltenen Nährstoffe genutzt wurden, wenngleich die Fragestellung der Hygiene sukzessive an Bedeutung gewann. Auch in Deutschland gibt es noch heute Beispiele einer Abwasserverrieselung. Einhergehend mit dem Bau von Kanalisationen erfolgte der Bau von gemauerten Fäkaliengruben im Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Fäkalien wurden abtransportiert und in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt (vgl. ATV 1999). Mit dem Ausbau der Abwasserbehandlung ging auch der Ausbau der Klärschlammbehandlung einher. Bereits 1907 wurde durch Karl Imhoff der Emscherbrunnen entwickelt. Es folgte die Errichtung von beheizbaren Faultürmen zur Stabilisierung des Klärschlamms.

Mit dem sich wandelnden Bewusstsein für die Ökologie veränderte sich auch die Klärschlammverwertung, vor allem da Klärschlamm sowohl als Nährstoff- als auch Schadstoffsenke fungiert. Von daher wechselte die Klärschlammentsorgung von einer Verklappung im Meer, Deponierung, Landschaftsbau/landwirtschaftliche Nutzung bis hin zur thermischen Entsorgung/Verwertung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aspekte des genannten Gesundheits- und Gewässerschutzes in Analogie auch für die Klärschlammverwertung gelten (UBA 2012b; Kunkel und Ternes 2014; UBA 2015).

Phosphor ist ein begrenzter, lebensnotwendiger Rohstoff, welcher durch kein anderes Element ersetzt werden kann. Hauptanwendungsgebiet bildet die Düngemittelindustrie bzw. die Landwirtschaft. Phosphor wird während der Abwasserbehandlung durch biologische sowie chemisch-physikalische Verfahren (Fällung) in den Klärschlamm eingebunden. Aus diesem Grund gibt es diverse Bestrebungen, den im Abwasser/Klärschlamm/Klärschlammasche enthaltenen Phosphor zu recyceln, was eine Trennung der Nährstoffe von den Schadstoffen erforderlich macht. Technologien zur Rückgewinnung von Phosphor stehen für verschiedene Einsatzorte auf der Abwasserbehandlungsanlage zur Verfügung – von der Abwasserbehandlung über die Klärschlammbehandlung bis hin zur Klärschlammasche (vgl. Schaum 2007; Petzet 2013).

Die in Deutschland anfallenden kommunalen Klärschlämme enthalten rd. 60.000 Mg P/a, was bezogen auf den Durchschnitt der fünf Wirtschaftsjahre von 2005 bis 2010 rd. 48 % der Importe von mineralischen Phosphatdüngern nach Deutschland entspricht (Pinnekamp et al. 2013). Klärschlamm ist damit ein bedeutender Sekundärrohstoff für Phosphat.

Aktuell wird in Deutschland eine Novellierung der Klärschlammverordnung diskutiert, welche die landwirtschaftliche Verwertung regelt, (BMU 2015). Neben der Fragestellung einer thermischen Klärschlammverwertung stehen dabei auch gesetzliche Regularien für eine Phosphorrückgewinnung im Fokus. Auch in der Schweiz und den Niederlanden wird aktuell die Schaffung von gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine Rückgewinnung von Phosphor diskutiert.

Wenngleich Stickstoff nahezu unbegrenzt über die Luft zur Verfügung steht, so ist die Düngemittelerzeugung mit einem hohen Energieaufwand verbunden. Hier könnte der im Abwasser/Klärschlamm enthaltene Stickstoff eine Alternative sein, sofern dieser sich mit geringerem Energieeinsatz (landwirtschaftlich) verwerten lässt (vgl. Schaum und Cornel 2013).

3.3 Energie

Mit der Novellierung der Abwasserverordnung erfolgte in Deutschland die Aufnahme der Energieeffizienz sowie der Energiepotenziale in einen regulativen Rahmen: „Abwasseranlagen sollen so errichtet, betrieben und benutzt werden, dass eine energieeffiziente Betriebsweise ermöglicht wird. Die bei der Abwasserbeseitigung entstehenden Energiepotenziale sind, soweit technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar, zu nutzen“ (AbwV 2014).

Für die Abwasserbehandlung bedeutet dies, auch wenn durch zusätzliche Verfahrenstechniken zur Elimination von Mikroschadstoffen oder auch zur Desinfektion der Energieverbrauch steigt, zukünftig den Einsatz von Energie zu minimieren und gleichzeitig die im Abwasser enthaltene Energie zu nutzen. Neben der Nutzung der im Abwasser enthaltenen thermischen Energie gilt es dabei die in den Kohlenstoffverbindungen gespeicherte Energie zu nutzen.

3.3.1 Chemisch gebundene Energie im Abwasser: Eine Bewertung mittels CSB-Bilanz

Kohlenstoffverbindungen, analytisch erfasst über den chemischen Sauerstoffbedarf (CSB), werden während der Abwasserbehandlung zum einen zu Kohlendioxid und Wasser umgewandelt und zum anderen über den Klärschlamm (Primär- und Überschussschlamm) aus dem Abwasser eliminiert. Eine Restkonzentration wird nicht entfernt und gelangt in das Gewässer (vgl. Svardal 2012; Schaum 2015a).

Aus Sicht einer nachhaltigen Ressourceneffizienz ist der im Abwasser enthaltene Kohlenstoff als chemisch gebundene Energie zu nutzen, z. B. konventionell durch eine Umwandlung der Kohlenstoffverbindungen zu Faulgas mit anschl. Nutzung in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Generierung von Strom und Wärme oder durch eine thermische Verwertung der Klärschlämme.

Von zentraler Bedeutung für die Bewertung der chemisch gebundenen Energie ist der CSB, da sich aufgrund der Stöchiometrie direkt das Energiepotenzial im Abwasser bzw. Klärschlamm berechnen lässt:

Heizwert HU [kJ/kg TR] bzw. [kWh/kg TR]= 12,56 bzw. 3,49 • CCSB mit CCSB in [g CSB/kg TR] (Schaum 2015a)

Die Verwendung des Parameters CSB zur Bilanzierung und Dimensionierung von Anlagen im Bereich der Klärschlammbehandlung kann dabei aufgrund der Stöchiometrie unabhängig vom Substrat (Klärschlamm und auch Co-Substrate) erfolgen; im Gegensatz zu Ansätzen auf Basis des organischen Trockenrückstands (oTR), die ausschließlich für konstante/vergleichbare CSB/oTR-Verhältnisse gültig sind (bspw. ausschließlich für Klärschlamm).

3.3.2 Zusammenführung CSB-Bilanz mit Analysenergebnissen

Im Rahmen von Forschungsarbeiten (Schaum 2015a) wurden diverse Klärschlämme bezüglich der (organischen) Zusammensetzung analysiert und bewertet. Ein Schwerpunkt bildete dabei die Verknüpfung einer theoretisch ermittelten CSB-Bilanz einer kommunalen Kläranlage (vgl. auch Abb. 1) mit Klärschlammanalysen der CSB-Konzentration sowie des Heizwerts. Tabelle 1 enthält eine zusammenfassende Darstellung der spezifischen Kenngrößen (Jahresmittelwerte) zur Charakterisierung der chemisch gebundenen Energie von Primär-, Überschuss- und Faulschlamm. Hierbei konnte gezeigt werden, dass oftmals eine Überschätzung der spezifischen Klärschlammmengen erfolgte (Möller 1980/1982; Imhoff 1983) bzw. die Zuordnung (Jahresmittelwert bzw. 85-Perzentil) nicht eindeutig ist. Mit mittleren Klärschlammmengen nach DWA (2014) ergeben sich direkte Korrelationen zu den Analysenergebnissen, vgl. Tab. 1.

Tab. 1 Zusammenfassende Darstellung der spezifischen Kenngrößen zur Charakterisierung der chemisch gebundenen Energie von Primär-, Überschuss- und Faulschlamm als Jahresmittelwerte für eine konventionelle Abwasserbehandlungsanlage mit Vorklärung und Belebtschlammverfahren (Schaum 2015a)

3.3.3 Erweiterung der CSB-Bilanz bezüglich der Methanemissionen

Aufgrund der im Vergleich zu Kohlendioxid vielfach höheren Klimaschädlichkeit von Methan ist für eine ökologische Bewertung, insbesondere im Hinblick auf die Treibhausgasemissionen, die CSB-Bilanzierung um die bei der Faulung bzw. Faulgasnutzung entstehenden Methanemissionen zu erweitern, wobei als Hauptemissionsquellen die folgenden Bereiche identifiziert werden können:

  • Gelöstes Methan, welches zusammen mit dem Faulschlamm aus der Faulung ausgetragen wird.

    Wenngleich verschiedene Analysenergebnisse zum gelösten Methan im Faulschlamm publiziert sind, so zeigt sich aufgrund der hohen Messdatenschwankungen die Schwierigkeit der Analytik (Daelman 2014). Hauptschwierigkeit bei der Erfassung des gelösten Methans bildet die Probenahme mit anschl. Analyse des Methans. Im Rahmen von Forschungsarbeiten (Schaum et al. 2015a; Schaum 2015a) wurde hierzu für die Messung der gelösten Methankonzentration im Faulschlamm die Vakuum-Aussalzmethode nach Daelman (2014) und Gal’chenko et al. (2004) für den Einsatz von Klärschlamm modifiziert und weiterentwickelt. Die Methode basiert auf der Headspace-Gas-Chromatographie in Kombination mit der Vakuumentgasung und dem Aussalzen zur Einstellung eines neuen Gleichgewichtzustandes. Die Messungen an 6 verschiedenen großtechnischen Faulungen ergab eine mittlere spezifische Fracht aus dem gelösten Methan von 16 g CH4/(E·a; vgl. Schaum 2015a).

  • Restgaspotential, welches im Nacheindicker entstehen kann und von dort in die Atmosphäre entweicht.

    Das Restgaspotenzial kann mittels Laborgärversuchen nach VDI (2006) analysiert werden. Im Rahmen von Forschungsarbeiten (Schaum et al. 2015a; Schaum 2015a) wurde bei der Analyse von 6 Faulschlämmen ein mittleres Restgaspotenzial bei 2 Tagen Speicherung von 87 g CH4/(E·a) ermittelt (vgl. Schaum 2015a).

  • Methanschlupf, welcher im Rahmen der Faulgasnutzung im Blockheizkraftwerk entweicht.

    Der Methanschlupf kann mit rd. 1 % der Faulgasmenge zum BHKW abgeschätzt werden (vgl. Liebetrau et al. 2010; SYLVIS 2009; Ronchetti et al. 2002); d. h. bei einer Faulgasmenge zum BHKW von 30 g CSB/(E·d) resultiert ein Methanschlupf von rd. 0,3 g CSB/(E·d) bzw. von rd. 28 g CH4/(E·a). Bei hocheffizienten Blockheizkraftwerken kann der Methanschlupf mit rd. 0,3–0,5 % bezogen auf die Faulgasmenge zum Blockheizkraftwerk deutlich niedriger sein (vgl. SYLVIS 2009; Ronchetti et al. 2002).

Abbildung 1 und Tab. 2 zeigen exemplarisch eine Gesamt-CSB-Bilanz für eine kommunale Abwasserbehandlungsanlage.

Bezogen auf die CSB-Bilanz liegt der Anteil der Methanemissionen (gelöstes Methan, Restgaspotenzial und Methanschlupf) bei rd. 1,4 g CSB/(E·d) bzw. bezogen auf die Zulauffracht von 120 g CSB/(E·d) bei rd. 1 %. Wenngleich die Methanemissionen aus Sicht der CSB-Bilanzierung damit gering sind, so ist die Bewertung der Emissionen aufgrund des im Vergleich zu Kohlendioxid vielfach höheren Treibhauspotenzials dahingehend zu prüfen.

Weitere Methanemissionen, die während der Klärschlammentsorgung, z. B. in der Landwirtschaft oder der Verbrennung, entstehen können, wurden im Rahmen dieser Untersuchung nicht betrachtet (vgl. SYLVIS 2009; Schaum et al. 2010).

Abb. 1
figure 1

Mittlere CSB-Bilanz einer kommunalen Abwasserbehandlungsanlage einschl. Polymerverbrauch sowie Methanemissionen

Tab. 2 Exemplarische mittlere CSB-Bilanz in g CSB/(E·d) [A] und % [B] bezogen auf die Zulauffracht von 120 g CSB/(E·d) einer kommunalen Kläranlage (KA) (vgl. Schaum 2015a)

Tabelle 3 überführt die Methanemissionen auf Basis des Treibhauspotenzials in CO2-Äquivalente, wobei sowohl ein Zeithorizont von 100 als auch 20 Jahren betrachtet wird (IPCC 2013a). Die Methanemissionen aus gelöstem Methan, Restgaspotenzial und Methanschlupf liegen dabei bei rd. 130 g CH4/(E·a) bzw. bei rd. 4.400–11.200 g CO2-Äquivalent/(E·a) (100 bzw. 20 Jahre).

Tab. 3 Ermittlung der CO2-Äquivalente der Methanemissionen bezogen auf einen Zeithorizont von 100 und 20 Jahren (vgl. Schaum 2015a)

Zum Vergleich: Bei einem mittleren Stromverbrauch für die kommunale Abwasserbehandlung von rd. 34 kWh/(E·a) (DWA 2013b) resultieren bei dem heutigen Strommix in Deutschland mit 559 g CO2-Äquivalent/kWhel (UBA 2014) Emissionen von rd. 19.000 g CO2-Äquivalent/(E·a). Bei alleiniger Betrachtung der spezifischen Eigenstromproduktion aus der Faulgasnutzung von rd. 15 kWhel/(E·a) ergeben sich bei 559 g CO2-Äquivalent/kWhel rd. 8.400 g CO2-Äquivalent/(E·a). Der Vergleich mit den Methanemissionen aus der Faulgasnutzung zeigt, dass Maßnahmen zur Minimierung der Emissionen einen Beitrag zum Klimaschutz liefern können (Vakuumentgasung, Verkürzung Lagerzeiten in Nacheindickern, Einsatz von Katalysatoren bei Blockheizkraftwerken).

3.3.4 Die Kläranlage in der Interaktion mit der Energiewirtschaft

Ein wichtiger Baustein zur energetischen Optimierung von Kläranlagen war (und ist) die Entwicklung und Durchführung von Energieanalysen vor allem in Deutschland ab Ende der 1990er-Jahre (Hoffmann 1982; VSA 1994; MURL 1999). Auf dieser Basis erfolgte eine Vielzahl von Untersuchungen zur Durchführung von Energieanalysen auf Kläranlagen (AEC 2001; BMLFUW 2002; UBA 2008; VSA 2008) bis hin zur Aufnahme ins Regelwerk der DWA (2013a). Die Anwendung in der Praxis zeigt, dass allein durch Erfassung des Ist-Zustands und Vergleich/Bewertung mit Kennzahlen energetische Optimierungen möglich sind. Neben verfahrenstechnischen Anpassungen von Teilsystemen, z. B. Kontrolle des Sauerstoffeintrags, Einstellung der Feststoffkonzentration in der Biologie im Jahresgang oder auch Abstimmung mit der Maschinentechnik, erfolgt eine Optimierung auch durch den Einsatz neuer hocheffizienter Maschinentechnik. Grundsätzlich basiert die Energieanalyse dabei auf einer statischen Systembetrachtung von Jahresmittelwerten.

Die bedarfsgerechte Bereitstellung und Speicherung von Energie sowie der Ausgleich von Lastspitzen in den Energienetzen, insbesondere Strom, durch zeitliche und regionale Unterschiede zwischen der Erzeugung und dem Energiebedarf, ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Dementsprechend formuliert der VDE in einer aktuellen Studie das Grundprinzip für die Energieversorgung der Zukunft: Die Erzeugung und der Verbrauch von Energie sind auf der niedrigsten möglichen Ebene auszubalancieren (VDE 2015). Für die Abwasserbehandlungsanlage bedeutet dies eine zunehmende Flexibilisierung in Bezug auf Energieverbrauch und -bezug (vgl. Schaum 2015b; Schaum et al. 2014b).

Die Flexibilisierung kann dabei über verschiedene Bewirtschaftungsstrategien erfolgen:

  • Das bereits in der Praxis oft (teil-)realisierte Lastmanagement zielt auf einen weitestgehenden Ausgleich von Strombedarf und -erzeugung im Tagesgang.

  • Der Strompreis an den kurzfristigen Strommärkten (Day-ahead oder Intraday) unterliegt starken Schwankungen, wobei sich die Kostenstruktur mit der Volatilität der erneuerbaren Energien ändert (vgl. Abb. 2). Durch die Teilnahme an den Spotmärkten erfolgt der Strombezug bei Niedrigtarifzeiten und die Eigenversorgung entsprechend in Hochtarifzeiten.

Abb. 2
figure 2

a) Exemplarische Darstellung der Stromerzeugung in Deutschland für einen Sommer- und Herbsttag, Daten: Agora (2015); b) Veränderung der Preisstruktur für Strom im Tagesgang, Daten: BmWi (2015)

Die Bereitstellung von Regelenergie ist notwendig, um Ungleichgewichte zwischen Stromerzeugung und -verbrauch auszugleichen. Die positive Regelleistung ist die Kapazität, die im Notfall eine Unterproduktion auf dem Strommarkt abfedert und Strom einspeist. Mit positiver Regelleistung ist hingegen die Kapazität gemeint, die für das Speichern oder Zurückhalten von Strom benötigt wird. Hierbei erfolgt der Zusammenschluss über ein virtuelles Kraftwerk mit weiteren Anbietern am Regelenergiemarkt. Schäfer et al. (2015) ermittelten ein Gesamtpotenzial der deutschen Abwasserbehandlungsanlagen allein für die negative Regelenergiereserve von rd. 300 MWel. Bei einem Gesamtbedarf der Netzbetreiber von rd. 1.5000–2.500 MWel können die Kläranlagen damit einen wichtigen Beitrag der Energiewirtschaft leisten.

Ein Beispiel für eine effektive Steuerung der Energieproduktion ist die Flexibilisierung der Faulgaserzeugung mittels Rohschlamm und Co-Substraten. In Abhängigkeit der Beschickung (Dosierungsmenge und -häufigkeit) von Rohschlamm und Co-Substrat lässt sich gezielt die Faulgaserzeugung steuern (Lensch et al. 2015). Klärschlamm bzw. Co-Substrat mit der darin enthaltenen chemisch gebundenen Energie wird so zum Energiespeicher, wobei insbesondere Co-Substrate mit leichtabbaubaren Inhaltsstoffen für den Einsatz bei Lastspitzen prädestiniert sind.

Tabelle 4 zeigt die unterschiedlichen Energiedichten in Bezug auf die Bereitstellung von Strom von fossilen Brennstoffen, Rohschlämmen (Primär- und Überschussschlamm), Faulgas sowie von zurzeit üblichen Akkumulatoren/Batterien.

Sehr deutlich ist zu erkennen, dass die fossilen Brennstoffe die höchste Energiedichte besitzen. Allerdings zeigt der Vergleich mit den Akkumulatoren (Batterien), dass die Speicherung von chemisch gebundener Energie in Form von Primär-/Überschussschlamm sowie Co-Substraten mit einer Energiedichte von 0,03–0,2 kWhel/kg in ähnlicher Größenordnung liegt, wenngleich die zeitliche Verfügbarkeit (Geschwindigkeit der Bereitstellung von Strom) zu berücksichtigen ist. Bei Erdgas/Faulgas ist die Dichte zu berücksichtigen, wobei das Volumen durch entsprechende (Hoch-)Druckbehälter reduziert werden kann. Wenngleich die Entwicklung von Akkumulatoren zurzeit im Fokus internationaler Forschung ist und zu erwarten ist, dass die Leistung bzw. die Energiedichte zunehmen wird, so zeigt sich doch, dass die Nutzung von chemisch gebundener Energie ein weiterer Baustein für eine zukünftige Energiewirtschaft darstellen kann.

Tab. 4 Vergleich/Abschätzung fossiler Brennstoffe, Rohschlämme und Co-Substrate sowie Akkus (Akkumulatoren) im Hinblick auf die spezifische Energiedichte für Strom

4 Abwasserbehandlungsanlage der Zukunft: Vom Klären zum (System-)Dienstleister

Mit der Zusammenführung von Gesundheits-, Gewässer- und Ressourcenschutz wandelt sich die Abwasserbehandlungsanlage vom Klären des Wassers zum (System-)Dienstleister (vgl. Abb. 3):

  • Dienstleistung Abwasserbehandlung und Gewässerschutz:

    Sicherstellung der Abwasserableitung aus den Siedlungsstrukturen und weitergehende Abwasserbehandlung zum Schutz der Gewässer. Die Abwasserbehandlung ist dabei ein wichtiger Baustein zur Erfüllung der Ökosystemleistung des Gewässers (Basis-, Versorgungs- Regulierungs- und kulturelle Leistungen, vgl. MEA 2005).

  • Energiesystemdienstleister:

    Interaktion mit der Energiewirtschaft als Energieverbraucher, -erzeuger und -speicher.

  • Produzent:

    Bereitstellung von Wasser und auch Düngemittel.

Die Abwasserbehandlungsanlage als End-of-Pipe-Installation der Siedlungsentwässerung liefert so einen Beitrag für eine Kreislaufwirtschaft. Auch neue Konzepte der Siedlungswasserwirtschaft (Bieker et al. 2010; DWA 2008b) können hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Abb. 3
figure 3

Die Abwasserbehandlungsanlage als Dienstleister und Produzent, Leistungen des Gewässers angepasst nach Plieninger et al. (2014)

Mit den Aufgabenstellungen „Ressourcenschutz“ kommt auf die Betreiber von Abwasserbehandlungsanlagen ein neues Selbstverständnis zu. Die Einhaltung von Qualitätsstandards, die Produktakzeptanz, Verfügbarkeit, Liefergarantien etc. werden notwendige Voraussetzungen sein, um Produkte wie Brauch- oder Bewässerungswasser, Düngemittel, Rohphosphatersatz, aber auch Wärme und Strom vermarkten zu können. Die (Dienst-)Leistungen/Produkte sind dabei auf Basis der Nachfrage (bspw. Gewässer-, Energie- und Landwirtschaft) strategisch auszurichten und nicht aufgrund der entwickelten Technologie (From Push to Pull). Die Erarbeitung von Lösungen bedingt dabei eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, bspw. mit Ökotoxikologen (Prasse et al. 2015), Energienetzbetreibern/virtuellen Kraftwerksbetreibern (Schaum et al. 2015b) oder der Düngemittelindustrie (Petzet 2013). Gleichzeitig können dabei neue Modelle in Bezug auf interkommunale Kooperationen sowie Organisationsformen/Geschäftsmodelle notwendig werden.

5 Zusammenfassung und Ausblick: Vom Klärwerk zum Systemdienstleister

Die Ver- und Entsorgung von Wasser gehört zu den integralen Bestandteilen von Siedlungsstrukturen. Besonders eindrücklich zeigt sich die Bedeutung dort, wo täglich Menschen aufgrund von Wassermangel oder fehlenden sanitären Einrichtungen erkranken oder sterben.

Für die Anforderungen der zukunftsfähigen Abwasserbehandlung gilt es, gezielt Technologien (weiter-) zu entwickeln und einzusetzen, damit die Anforderungen des Gesundheits-, Gewässer- und Ressourcenschutzes erfüllt werden können, wobei die Belange der Ökonomie, Ökologie, Technik/Betrieb und Gesellschaft zu berücksichtigen sind. Im Fokus der zukünftigen Entwicklungen stehen die folgenden Aspekte:

  • Gesundheitsschutz:

    Sicherstellung der hygienischen Erfordernisse, Desinfektion sowohl im Hinblick auf das Gewässer als auch auf eine Wasserwiederverwendung sowie Rückhalt von antibiotikaresistenten Keimen.

  • Gewässerschutz:

    Schutz vor Eutrophierung bis hin zur weitestgehenden Nährstoffelimination, Elimination von Mikroschadstoffen, Nanopartikeln und Mikroplastik.

  • Ressourcenschutz:

    Ressourceneffizienter Betrieb (Fit for Purpose), Nutzung von im Abwasser enthaltenen Stoffen (Wasser, Nährstoffe, Energie) sowie Klimaschutz im Hinblick auf eine Minimierung von Treibhausgasemissionen.

Auch wenn im Einzelfall noch Diskussionen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis oder zu den Risiken und der Notwenigkeit der Elimination einzelner Stoffgruppen geführt werden, sollten im Rahmen einer zukunftsfähigen Planung alle potenziellen zukünftigen Anforderungen mitberücksichtigt werden, bevor die Entscheidung für eine bestimmte Technologie getroffen wird, die ggf. nur ein einzelnes akutes Problem beseitigt, den Weg für zukünftige Anforderungen jedoch verbaut oder erschwert. Vor allem gilt es bei der Technologiewahl gezielt Synergieeffekte zu nutzen, bspw. ist ein weitergehender Feststoffrückhalt Voraussetzung für mehrere in der Zukunft zu erwartende Ziele (weitergehende Phosphorelimination, Rückhalt von Mikroplastik, Elimination von Mikroschadstoffen, Desinfektion; vgl. Abb. 4). Die Fragestellungen des Gesundheits-, Gewässer-, Boden- und Ressourcenschutzes müssen dabei in Analogie zur Abwasserbehandlung auch für die Klärschlammentsorgung/-verwertung gelten.

Abb. 4
figure 4

Technologien für eine zukunftsfähige Abwasserbehandlung

Mit den Aufgabenstellungen „Ressourcenschutz“ kommt auf die Betreiber von Abwasserbehandlungsanlagen ein neues Selbstverständnis zu. Die Abwasserbehandlungsanlage wandelt sich dabei vom Klären des Wassers zum (System-)Dienstleister. Dies betrifft zum einen die Abwasserableitung und -behandlung für die Siedlungsstrukturen, aber auch eine „Dienstleistung“ für das Gewässer. Durch Interaktion mit der Energiewirtschaft, aber auch durch die Bereitstellung von Düngemitteln und Wasser, kommen zusätzliche Aufgabenstellungen auf die Abwasserbehandlung zu. Dabei geht es um Fragestellungen der Vermarktung, der Einhaltung von Qualitätsstandards, die Produktakzeptanz, Verfügbarkeit, Liefergarantien etc. Die Abwasserbehandlung ist damit direkt systemübergreifend bspw. mit der Siedlungsentwässerung, Abfall- und Energiewirtschaft oder der Landwirtschaft verknüpft. Hier gilt es zukünftig Synergieeffekte (weiter) zu nutzen, sodass die Abwasserbehandlungsanlage zum integralen Bestandteil für die Ver- und Entsorgung von Siedlungsstrukturen wird.