Hintergrund

Das Chronic Pain Grading (CPG) wurde im Erwachsenenbereich von Von Korff et al. [18] entwickelt und ist dort eine weit verbreitete und valide Methode, um die Schwere der Schmerzproblematik einzuschätzen [2]. Beim CPG werden die Schmerzintensität und Maße der Schmerzbeeinträchtigung zu einem Gesamtmaß der Schwere der Schmerzproblematik integriert. Für Kinder und Jugendliche wurde dieses Vorgehen von Huguet u. Miro [12] und Wager et al. [19] angepasst. Huguet u. Miro [12] fanden in einer epidemiologischen Studie eine gute Anwendbarkeit der Methode in einem spanischen Schul-Sample von Kindern und Jugendlichen. Wager et al. [19] zeigten eine gute Anwendbarkeit des deutschen CPG für Jugendliche in einem klinischen Sample mit Patienten, die sich erstmalig in einer Schmerzambulanz vorstellten. Außerdem zeigte sich die Methode als änderungssensitives Maß, um ein kurzfristiges Therapie-Outcome 3 Monate nach ambulanter Erstvorstellung abzubilden [19]. In der vorliegenden Studie soll die Eignung des CPG überprüft werden, langfristige Therapieeffekte bei ambulant und stationär behandelten jugendlichen Schmerzpatienten abzubilden.

Die Wirksamkeit einer interdisziplinären Schmerztherapie für Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen ist sowohl für stationäre [3] als auch für ambulante Therapieprogramme [5, 15] mit unterschiedlichen Outcome-Maßen belegt. Neben der Reduktion der Schmerzintensität zeigt sich eine Abnahme der schmerzbezogenen Beeinträchtigung im Alltag und der Schulfehltage [3, 5]. Allerdings profitieren nicht alle Patienten ausreichend von dieser spezialisierten Therapie. Eine langfristige, klinisch relevante Verbesserung zeigt sich für ca. 60 % der Kinder und Jugendlichen mit stark beeinträchtigenden chronischen Schmerzen nach einer stationären Therapie [6, 8]. Eine ambulante Therapie erzielt eine kurzfristige klinisch relevante Verbesserung bezüglich Schmerzintensität bzw. Schmerzbeeinträchtigung für 45 % bzw. 31 % der Patienten [7]. Warum ein Teil der Patienten nicht ausreichend von der spezialisierten Therapie profitiert, ist eine Frage, deren Beantwortung von großer Bedeutung ist, um die Therapie individualisieren zu können und dadurch die Wirksamkeit zu steigern. Im stationären Setting ergaben sich Hinweise darauf, dass Schmerzeigenschaften vor der Therapie [8], ängstliche oder depressive Symptome [8] und das Geschlecht [4] einen moderierenden Einfluss auf das Therapie-Outcome haben. Wenige Schulfehltage sowie ängstliche und depressive Symptome vor der Therapie [8] und das weibliche Geschlecht [4] scheinen Risikofaktoren für ein schlechtes Therapie-Outcome zu sein.

Ambulante und stationäre Therapieprogramme für Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen unterscheiden sich vor allem in der Intensität der Therapie [5]. Bisher befassen sich allerdings nur zwei Studien mit der Effektivität einer Therapie im ambulanten Setting im Vergleich zu einer stationären Therapie [7, 16]. Beide Studien fanden signifikant größere Verbesserungen der schmerzbezogenen Beeinträchtigung für stationäre Patienten [7, 16]. Hechler et al. [7] konnten außerdem zeigen, dass sich die stationären Patienten signifikant mehr in der Schmerzintensität und den Schulfehltagen verbesserten. Diese Ergebnisse haben jedoch aufgrund folgender methodischer Schwächen nur eine eingeschränkte Aussagekraft. Simons et al. [16] machen keine Angaben zur Schmerzintensität, einem der zentralen Outcome-Maße bei chronischen Schmerzen [13], sondern berichten lediglich Auswirkungen der Therapie auf die Schmerzbeeinträchtigung, die Angst vor Schmerzen und die Bereitschaft zu Veränderung. Außerdem werden in der Arbeit von Simons et al. [16] nur sehr kurzfristige Therapieeffekt einen Monat nach Therapie erfasst. In der retrospektiven Studie von Hechler et al. [7] variiert der Zeitraum der Nacherhebung zwischen 12 Tagen und einem Jahr; mit einem Mittelwert von 3–4 Monaten ist diese Nacherhebung ebenfalls vergleichsweise kurz.

In der vorliegenden Studie soll das Therapie-Outcome prospektiv ein Jahr nach ambulanter Erstvorstellung in einer Kinderschmerzambulanz für ambulant und stationär behandelte Patienten mithilfe des CPG getrennt untersucht und verglichen werden. Es werden signifikante Verbesserungen in beiden Gruppen erwartet, wobei in der stationären Gruppe eine stärkere Verbesserung als in der ambulanten Gruppe erwartet wird, da sie eine intensivere Therapie durchläuft. Potenzielle Moderatoren des Therapieerfolgs für die interdisziplinäre Schmerztherapie insgesamt und separat für die ambulante und stationäre Therapie werden analysiert.

Methoden

Stichprobe

Alle Kinder und Jugendlichen, die sich zwischen Januar 2013 und März 2014 erstmalig in der Schmerzambulanz des Deutschen Kinderschmerzzentrums vorstellten, wurden im Rahmen dieser Studie ein Jahr nach der Erstvorstellung erneut kontaktiert (n = 521). Im Rahmen dieser Analysen wurden nur Daten derjenigen Patienten verwendet, die zum Zeitpunkt der Nachbefragung 14 Jahre oder älter waren, da von diesen Patienten eine Selbstauskunft zu beiden Messzeitpunkten vorlag (n = 330). Von den 330 kontaktierten Jugendlichen, die zur Nachbefragung 14 Jahre oder älter waren, nahmen 267 Jugendliche (80,9 %) an der Studie teil. Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen den Jugendlichen, die an der Studie teilnahmen, und denen, die nicht teilnahmen, in Bezug auf Alter, Geschlecht oder Schmerzeigenschaften wie Schmerzintensität, Schmerzbeeinträchtigung, Schulfehltage oder Schmerzorte (alle p > 0,1). Es gingen nur die Patienten in die Analysen ein, von denen vollständige Daten bei der Nachbefragung vorlagen (n = 258). Abb. 1 zeigt das Flussdiagramm.

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm

Studienablauf

Die Studienteilnehmer wurden in einem Längsschnittdesign zu 2 Messzeitpunkten befragt: Erstvorstellung (M1) und ein Jahr nach der Erstvorstellung (M2). Bei der Erstvorstellung füllten die Jugendlichen die Fragebogen persönlich aus. Zwölf Monate später (−1 Woche/+4 Wochen) wurden die Daten durch strukturierte Telefoninterviews von wissenschaftlichen Mitarbeitern erfragt, um den „dropout“ möglichst gering zu halten. Zunächst wurden Informationen über die Studie gegeben, bevor das Einverständnis zur Teilnahme eingeholt wurde. Waren die Patienten 16 Jahre alt oder älter, gaben sie selbst ihr Einverständnis. Bei unter 16-Jährigen wurde das Einverständnis der Eltern eingeholt.

Ambulante Schmerztherapie

Das ca. 1,5-stündige Erstgespräch in der Schmerzambulanz des Deutschen Kinderschmerzzentrums ist in drei Teile gegliedert. Am Anfang steht der anamnestische Teil, in dem die Therapeuten (Kinder-/Jugendmediziner und Psychologe) Informationen sammeln und mit den Ergebnissen der zuvor von den Patienten und ihren Eltern ausgefüllten Fragebogen und Vorbefunden integrieren, um die schmerzbezogene Diagnose zu stellen. Anschließend erfolgt eine Edukation über das biopsychosoziale Modell chronischer Schmerzen. Hiernach wird ein Therapieplan aufgestellt, der die therapeutischen Empfehlungen enthält. Diese umfassen, je nach Fall, eine Anpassung der medikamentösen Schmerztherapie, aber vor allem psychosoziale Interventionen, wie Ablenkungstechniken, Strategien für den Schulbesuch trotz Schmerzen und eine Defokussierung von den Schmerzen. Alle Empfehlungen werden im Arztbrief zusammengefasst, der den Eltern und dem behandelnden Hausarzt bzw. Kinder- und Jugendmediziner zugesandt wird. Bei Bedarf wird ein 3 Monate nach Erstvorstellung liegender Termin zur Wiedervorstellung vereinbart [5].

Stationäre Schmerztherapie

Wurde im anamnestischen Teil der Erstvorstellung eine schwere schmerzbezogene Beeinträchtigung festgestellt, erfolgt anschließend an das erste Ambulanzgespräch die Empfehlung für eine 3‑ bis 4‑wöchige stationäre intensive interdisziplinäre Schmerztherapie [1]. Das Programm der multimodalen Schmerztherapie wurde bereits an anderer Stelle ausführlich beschrieben [1].

Messinstrumente

Die Schmerzintensität innerhalb der letzten 4 Wochen wurde zu beiden Messzeitpunkten in ihrer maximalen und durchschnittlichen Ausprägung auf einer numerischen Rating-Skala (NRS; 0 = kein Schmerz, 10 = maximaler Schmerz) erfasst.

Die schmerzbezogene Beeinträchtigung im Alltag innerhalb der letzten 4 Wochen wurde zu beiden Messzeitpunkten durch den deutschen Paediatric Pain Disability Index (PPDI; [11]) erhoben. Dieser besteht aus 12 Fragen (Wertebereich 12–60; 12 = minimale Beeinträchtigung, 60 = maximale Beeinträchtigung) und weist eine gute interne Konsistenz (Cronbachs α = 0,87) und Validität auf.

Zu M1 wurden die Schulfehltage aufgrund von Schmerzen in den letzten 3 Monaten unter Berücksichtigung der Ferienzeiten erfragt und für die Analyse auf 4 Wochen heruntergerechnet. Zu M2 wurden die schmerzbezogenen Schulfehltage in den letzten 4 Wochen (20 Schultage) erfragt.

Die manifeste Angst wurde bei der Erstvorstellung mithilfe des Angstfragebogens für Schüler erhoben (AFS; [20]). Der AFS ermöglicht die Zuweisung von T‑Werten anhand eines Vergleichs mit gesunden Schulkindern. Nur die Subskala manifeste Angst ging in die Analysen ein, die eine gute interne Konsistenz aufweist (Cronbachs α = 0,81; [20]).

Ebenfalls wurde zu M1 die Depressivität anhand des Depressionsinventars für Kinder und Jugendliche erhoben (DIKJ; [17]). Das Inventar erfasst Depressivität mit hoher Reliabilität (Cronbachs α = 0,84) und Validität [17]. Auch für dieses Instrument stehen T‑Werte von gesunden Schulkindern zur Verfügung.

Ethik

Die vorliegende Studie wurde von der Ethikkommission der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, positiv bewertet.

Statistische Analyse

Die statistischen Analysen wurden mithilfe des Statistikprogramms SPSS Version 22 durchgeführt.

Unterschiede ambulantes und stationäres Sample

Unterschiede bei Erstvorstellung zwischen den ambulant und stationär behandelten Patienten wurden mit t‑Tests (Alter, Schmerzdauer, Angst, Depressivität) und χ2-Tests (Geschlecht, Dauerschmerz, Schmerzorte, auffällige Angst, auffällige Depressivität) analysiert.

Chronic Pain Grading (CPG)

Beim Chronic Pain Grading (CPG) wird der Schweregrad der Schmerzproblematik anhand von Schmerzintensität und schmerzbezogener Beeinträchtigung (zusammengesetzt aus Beeinträchtigung im Alltag und Schulfehltagen) einer von 5 Stufen zugeordnet (s. unten). Für die Schmerzintensität wird der Mittelwert aus maximalem und durchschnittlichem Schmerz (NRS) errechnet und in gering (<5/10) oder hoch (≥5/10) eingeteilt. Die Schmerzbeeinträchtigung im Alltag wird erfasst durch PPDI [11] und Schulfehltage und jeweils in 4 Kategorien eingeteilt (Wertebereich jeweils 0–3). Die Kategorien der Schmerzbeeinträchtigung im Alltag und der Schulfehltage werden addiert (Wertebereich 0–6) und eingeteilt in geringe Beeinträchtigung (0–2 Beeinträchtigungspunkte), starke Beeinträchtigung (3–4 Beeinträchtigungspunkte) und schwerwiegende Beeinträchtigung (5–6 Beeinträchtigungspunkte). Abb. 2 zeigt die Zuweisung zu den 5 CPG-Stufen. Diese sind folgendermaßen definiert:

  • CPG 0 – keine chronischen Schmerzen;

  • CPG 1 – geringe Schmerzintensität (<5/10) und geringe Beeinträchtigung (0–2);

  • CPG 2 – hohe Schmerzintensität (≥5/10) und geringe Beeinträchtigung (0–2);

  • CPG 3 – starke schmerzbezogene Beeinträchtigung; starke Einschränkung des Funktionsniveaus in Alltag und Schule (3–4);

  • CPG 4 – starke schmerzbezogene Beeinträchtigung; schwerwiegende Einschränkung des Funktionsniveaus in Alltag und Schule (5–6).

Abb. 2
figure 2

Einteilung der CPG-Stufen. aPaediatric Pain Disability Index [11], Wertebereich 0–60. NRS Numerische Rating-Skala

Eine Schmerzproblematik der Stufe 0 oder Stufe 1 wird in dieser Studie als unproblematisch beurteilt, da diese Stufen mit dem Therapieziel übereinstimmen, den „Schmerz im Griff“ zu haben. Ein Jahr nach der Therapie sollte sowohl die Schmerzbeeinträchtigung als auch die Schmerzintensität gering sein. Um zu überprüfen, ob es eine Veränderung von M1 zu M2 in den CPG-Stufen gab, wurde ein Vorzeichentest für die Gesamtstichprobe durchgeführt. Zusätzlich wurden Unterschiede in den CPG-Stufen zwischen ambulanten und stationären Patienten zu M1 und M2 jeweils mit einem Mann-Whitney-U-Test untersucht und die Veränderung von M1 zu M2 separat für ambulante und stationäre Patienten mit einem Vorzeichentest.

Moderatoren des Therapieerfolgs

Um Moderatoren des Therapieerfolgs zu analysieren, wurden univariate logistische Regressionen für die Gesamtstichprobe und separat für ambulante und stationäre Patienten gerechnet. Als Therapieerfolg wurde eine unproblematische CPG-Stufe von 0 oder 1 zu M2 definiert. Folgende Prädiktoren wurden analysiert: soziodemografische Variablen (Alter bei Erstvorstellung und Geschlecht), CPG zu M1, Schmerzort zu M1 (Kopf-, Bauch- und muskuloskelettale Schmerzen) und die emotionale Belastung vor der Therapie (Angst und Depressivität).

Das globale Signifikanzniveau für alle Analysen wurde auf p < 0,05 festgelegt und aufgrund multipler Tests nach Bonferroni-Holm korrigiert [10]. Bei dieser Methode wird das lokale Signifikanzniveau für jeden Einzelvergleich neu bestimmt. Das kleinste Signifikanzniveau ergibt sich, indem das globale Signifikanzniveau durch die Anzahl der durchgeführten Tests dividiert wird, in unserem Fall also 0,05/16 = 0,003. Für die nachfolgenden lokalen Signifikanzniveaus reduziert sich die Anzahl der Tests jeweils um 1, sodass das lokale Signifikanzniveau langsam steigt. Das lokale Signifikanzniveau wird in Klammern berichtet.

Ergebnisse

Sample-Beschreibung

Von den n = 258 Schmerzpatienten waren n = 183 (70,9 %) weiblich und n = 75 (29,1 %) männlich. Das Durchschnittsalter der Patienten bei Erstvorstellung (M1) lag bei 15,0 Jahren (SD = 1,4). Die Hälfte der Patienten wurde rein ambulant (51,9 %), die andere Hälfte auch stationär (48,1 %) behandelt. Die stationären Patienten berichteten signifikant häufiger Dauerschmerzen (χ2 = 31,20, p < 0,001 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,003]) und höhere Angstwerte (t(254) = −2,932, p = 0,004 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,005]). Es gab Tendenzen dahingehend, dass stationäre Patienten häufiger muskuloskelettale Schmerzen (χ2 = 7,19, p = 0,007 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,006]) und höhere Depressivitätswerte berichteten (t(249) = 2,345, p = 0,020 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,007]) und häufiger auffällige Angstwerte aufwiesen (χ2 = 6,100, p = 0,014 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,006]). Diese Tendenzen wurden aufgrund der Bonferroni-Holm-Korrektur nicht signifikant. Es gab keine Unterschiede zwischen ambulanten und stationären Patienten bezogen auf Alter, Geschlecht, Schmerzdauer, andere Schmerzorte und Anzahl der Patienten mit auffälligen Depressivitätswerten (alle p > 0,15). Tab. 1 zeigt die demografischen, emotionalen und Schmerzcharakteristika für das ambulante und stationäre Sample.

Tab. 1 Vergleich demographischer, emotionaler und Schmerzeigenschaften von ambulanten und stationären Patienten zu M1

CPG zu M1 und M2

Zu M1 konnten insgesamt n = 237 Patienten einer der CPG-Stufen zugeordnet werden. Für n = 21 Patienten lagen nicht ausreichend Daten vor, um eine Klassifizierung vornehmen zu können. Da die Patienten aufgrund von chronischen Schmerzen in der Schmerzambulanz vorstellig wurden, entfiel CPG 0 zum Zeitpunkt der Erstvorstellung. Lediglich 3,3 % der ambulanten Patienten und kein stationärer Patient befanden sich in CPG 1 mit geringer Schmerzintensität und geringer Beeinträchtigung. Ambulante und stationäre Patienten unterschieden sich signifikant in den CPG-Stufen. Ambulante Patienten weisen eine geringere Schmerzproblematik auf (Z = 2,96, p = 0,003 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,005], r = 0,19). Insgesamt wurden die meisten Patienten CPG 3 zugeordnet. Jeweils etwa ein Drittel wurde CPG 2 bzw. CPG 4 mit schwerwiegender Beeinträchtigung zugeordnet.

Zwölf Monate später konnten fast 3‑mal so viele ambulante Patienten CPG 0 zugeordnet werden (da sie keine Schmerzen mehr berichteten) wie stationäre Patienten. Bei den ambulanten Patienten konnte die Schmerzproblematik zu M2 bei der Hälfte der Patienten (52,3 %) als unproblematisch beurteilt werden (CPG 0 oder 1). Bei den stationären Patienten war dies nur für ein Drittel der Patienten (29,8 %) der Fall. Die Verteilung der CPG-Stufen war signifikant unterschiedlich für ambulante und stationäre Patienten (Z = 4,01, p < 0,001 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,003], r = 0,25). Insgesamt befanden sich die meisten Patienten in CPG 2 (40,3 %). Die wenigsten Patienten (4,3 %) wurden CPG 4 mit schwerwiegender Beeinträchtigung zugeordnet. Tab. 2 zeigt die Verteilung der CPG-Stufen für das Gesamt-Sample und separat für das ambulante und stationäre Sample.

Tab. 2 CPG-Stufen zu M1 (bei Erstvorstellung) und M2 (12 Monate nach Erstvorstellung) und Ergebnisse der Mann-Whitney-U-Tests zu Unterschieden zwischen ambulantem und stationärem Sample

CPG-Veränderung

Für insgesamt n = 237 Patienten lagen Daten vor, um eine Klassifikation der CPG-Stufe sowohl zu M1 als auch zu M2 vorzunehmen und eine Veränderung überprüfen zu können. Der Vorzeichentest ergab eine signifikante Veränderung der CPG-Stufen von M1 zu M2 für das Gesamt-Sample (Z = −11,88, p < 0,001 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,004]). Dies entspricht einem großen Effekt (r = −0,55). Für etwa zwei Drittel der Patienten (67,5 %) verbesserte sich die CPG-Stufe nach 12 Monaten. Insgesamt 44,6 % der Patienten verbesserten sich sogar um 2 oder mehr Stufen. Zu M1 (bei Erstvorstellung) konnte die Schmerzproblematik für 1,7 % der Patienten als unproblematisch beurteilt werden, zu M2 (ein Jahr nach Erstvorstellung) war dies für 41,5 % der Fall. Von denjenigen Patienten, die zu M1 in CPG 3 oder 4 waren, verbesserten sich die meisten, wohingegen von denjenigen Patienten, die zu M1 in CPG 2 waren, die meisten auch zu M2 weiterhin in CPG 2 blieben.

Der Vorzeichentest ergab sowohl für ambulante als auch für stationäre Patienten eine signifikante Veränderung der CPG-Stufen von M1 zu M2 (Z = −8,46, p < 0,001 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,004] bzw. Z = −8,22, p < 0,001 [lokales Signifikanzniveau nach Bonferroni-Holm-Korrektur p = 0,004]), jeweils mit einem großen Effekt (r = −0,54). Für jeweils zwei Drittel der ambulanten und stationären Patienten verbesserte sich die CPG-Stufe nach einem Jahr (67,2 % bzw. 67,8 %). Bei den ambulanten Patienten verbesserte sich die Hälfte (49,2 %) sogar um 2 oder mehr CPG-Stufen, bei den stationären Patienten waren es 40,0 %. Abb. 3 zeigt die Verteilung der CPG-Stufen zu M1 und M2 sowie die Veränderungen separat für ambulante und stationäre Patienten.

Abb. 3
figure 3

Veränderung in den CPG-Stufen von M1 (Erstvorstellung) zu M2 (12 Monate nach Erstvorstellung) für ambulante (a) und stationäre (b) Patienten. Beispiel zur Erläuterung der Abbildung: Ein ambulanter Patient, der sich zu M1 in CPG 4 befand und zu M2 in CPG 2, ist in a M1 in CPG 4 unter „Gesamt“ und unter „Verbesserung zu M2“ und in a M2 in CPG 2 unter „Gesamt“ und unter „Verbesserung von M1“ zu finden. Ein stationärer Patient, der sich zu M1 in CPG 2 befand und zu M2 in CPG 3, ist in b M1 in CPG 2 unter „Gesamt“ und unter „Verschlechterung zu M2“ und in b M2 in CPG 3 unter „Gesamt“ und unter „Verschlechterung von M1“ zu finden. CPG Chronic Pain Grading

Moderatoren des Therapieerfolgs

Für das Gesamt-Sample konnte nur das Geschlecht (OR = 2,31; 95 %-KI [1,34–3,99]) als signifikanter Prädiktor für eine unproblematische Schmerzsituation ein Jahr nach Erstvorstellung identifiziert werden. Männliche Patienten hatten eine fast zweieinhalb Mal so hohe Wahrscheinlichkeit für ein CPG von 0 oder 1 zu M2. Bei den ambulanten Patienten hatte ebenfalls das Geschlecht (OR = 2,68; 95 %-KI [1,26–5,72]) einen signifikanten Effekt auf das Kriterium. Männliche Patienten hatten eine mehr als zweieinhalb Mal so hohe Wahrscheinlichkeit für ein CPG von 0 oder 1 zu M2. Alle Ergebnisse der Regressionsanalysen sind in Tab. 3 dargestellt.

Tab. 3 Moderatoren des Therapieerfolgs

Diskussion

In dieser Studie zeigte sich das CPG als gutes Outcome-Maß, um langfristige Therapieeffekte im ambulanten und stationären Setting abzubilden. In diesem zusammengesetzten Maß werden die wichtigsten Outcome-Maße Schmerzintensität, Schmerzbeeinträchtigung und Schulfehltage integriert, sodass eine umfassende Einschätzung der Effektivität der Therapie möglich ist. Mithilfe des CPG konnte in dieser Studie gezeigt werden, dass die interdisziplinäre Schmerztherapie eine wirksame Intervention für Jugendliche mit chronischen Schmerzen ist. Sowohl bei ambulant als auch bei stationär behandelten Patienten verbesserte sich der Schweregrad der Schmerzproblematik ein Jahr nach der Erstvorstellung. Ambulante Patienten wiesen bei Erstvorstellung und ein Jahr später eine geringere Schmerzproblematik auf als stationäre Patienten. Die beiden Therapieprogramme hatten gleich große Wirkeffekte, was eine angemessene Zuweisung der Patienten zu ambulanter oder stationärer Therapie unterstreicht. Als moderierender Faktor für Therapieerfolg konnte nur das Geschlecht identifiziert werden. Es zeigte sich, dass bei einer ambulanten Therapie Jungen eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit für eine unproblematische CPG-Stufe ein Jahr nach Erstvorstellung hatten.

Stationäre Patienten berichteten bei Erstvorstellung häufiger Dauerschmerz und befanden sich in einem höheren CPG als ambulante Patienten. Dies entspricht dem Therapiestratifizierungskonzept des Deutschen Kinderschmerzzentrums, da eine stationäre Therapie solchen Patienten empfohlen wird, die eine schwere schmerzbezogene Beeinträchtigung und somit höhere CPG-Stufen aufweisen [1]. Stationäre Patienten gaben außerdem höhere Angstwerte und tendenziell höhere Depressivitätswerte an und hatten häufiger auffällige Angstwerte. Dies unterstreicht die größere emotionale Belastung später stationär behandelter Patienten.

Ambulante und stationäre Patienten verbesserten sich in gleich starkem Ausmaß in ihrer Schmerzproblematik. Demnach ist sowohl die ambulante als auch die stationäre interdisziplinäre Schmerztherapie für die jeweilige Zielgruppe eine sehr gut wirksame Therapie. Ein Jahr nach Erstvorstellung befanden sich die stationären Patienten allerdings immer noch in höheren CPG-Stufen als die ambulanten Patienten und es konnten weniger Patienten einer unproblematischen Stufe zugeteilt werden. Für beide Therapieprogramme ist allerdings eine unproblematische CPG-Stufe das Therapieziel, da dies bedeutet, den „Schmerz im Griff“ zu haben. Die Ergebnisse legen also nahe, dass eine Steigerung der Wirksamkeit der stationären Therapie nötig ist, zum Beispiel durch eine Individualisierung der Therapie. Dafür sind verlässliche Prädiktoren des Therapieerfolgs von essenzieller Bedeutung.

Dass sich für beide Therapieprogramme ein gleich großer Effekt ergab, steht im Widerspruch zu bisherigen Studien, die die Wirksamkeit ambulanter und stationärer Schmerztherapie verglichen und größere Verbesserungen der Schmerzintensität, Schmerzbeeinträchtigung und Schulfehltage bei stationären Patienten fanden [7, 16]. Der Zeitraum bis zur Nacherhebung war bei diesen beiden Studien allerdings vergleichsweise kurz. Bei Hechler et al. [7] lag der Wiedervorstellungstermin bei den ambulanten Patienten im Schnitt bei 3 Monaten und bei den stationären Patienten bei 4 Monaten nach der Therapie. Bei Simons et al. [16] lag die Nacherhebung nur einen Monat nach der Erstvorstellung. Die Patienten in beiden Studien hatten also kaum die Möglichkeit, Therapieempfehlungen umzusetzen, sodass der Effekt der ambulanten Therapie wahrscheinlich unterschätzt wurde. Weitere Studien sind nötig, um die Wirksamkeit der ambulanten im Vergleich zur stationären Therapie einzuschätzen.

Für eine Unterschätzung der Wirksamkeit der ambulanten Therapie bei einem kurzen Zeitraum bis zur Nacherhebung spricht auch ein Vergleich der Verteilung der CPG-Stufen mit der bei Wager et al. [19]. Vor der Therapie sind die Verteilungen vergleichbar, mit den wenigsten Patienten in CPG 1 und jeweils etwa einem Drittel in CPG 2–4. In beiden Studien verbesserten sich jeweils zwei Drittel der ambulanten Schmerzpatienten in den CPG-Stufen zur Nacherhebung. Bei Wager et al. [19] konnte allerdings kein Patient bei der Nacherhebung CPG 0 ohne chronische Schmerzen zugeordnet werden. In der vorliegenden Studie befanden sich 33,6 % der ambulanten Patienten ein Jahr nach der Erstvorstellung in CPG 0. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wirksamkeit der ambulanten Therapie langfristig steigt. Möglicherweise stellen Wiedervorstellungstermine sowie die Umsetzung der Therapieempfehlungen wichtige Bestandteile des Wirkkonzepts dar.

Die meisten Patienten, die zu M1 in CPG 3 oder 4 waren, verbesserten sich, wohingegen von den Patienten, die vor der Therapie in CPG 2 waren, die meisten in dieser Stufe blieben. CPG 2, 3 und 4 unterscheiden sich in erster Linie in der Schwere der Schmerzbeeinträchtigung. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass schwer beeinträchtigte Patienten in Stufe 3 und 4 mehr von der Therapie profitieren als nur gering beeinträchtigte Patienten in Stufe 2. Patienten in Stufe 3 und 4 können sich verbessern, wenn sie weniger beeinträchtigt sind nach der Therapie, wohingegen Patienten in Stufe 2 sich nur dann verbessern können, wenn sie zum Follow-up nur noch geringe Schmerzen oder sogar Schmerzfreiheit berichten. Dies legt nahe, dass die Schmerztherapie eher zu einer Reduktion der Schmerzbeeinträchtigung führt als zu einer Veränderung der Schmerzempfindung oder -wahrnehmung. Auch wenn sich die Patienten nicht in ihrer Stufe verbesserten, kann es allerdings sein, dass sie von der Therapie zum Beispiel durch eine emotionale Entlastung oder gesteigerte Selbstwirksamkeit profitierten. Dies lässt sich mithilfe des jugendlichen Chronic Pain Grading nicht abbilden und zeigt die Grenzen dieses Maßes auf. Ein erweitertes Maß, in dem zusätzlich z. B. die emotionale Belastung berücksichtigt wird, könnte die Wirksamkeit der Schmerztherapie noch umfangreicher aufzeigen.

Männliches Geschlecht konnte als signifikanter Prädiktor für eine unproblematische Schmerzsituation für das Gesamt-Sample identifiziert werden. Vor allem in der ambulanten Therapie profitieren Jungen stärker als Mädchen. Während eine vorherige Studie auch einen besseren Therapieverlauf im stationären Setting für Jungen zeigte [4], konnte dieses Ergebnis in der aktuellen Studie nicht repliziert werden. Ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Studien stellt erneut das Nachverfolgungsintervall dar, welches in der vorherigen Studie nur 3 Monate betrug. Kurzfristige Geschlechtsunterschiede nach stationärer Therapie können somit möglicherweise langfristig ausgeglichen werden. Im ambulanten Setting scheint jedoch das weibliche Geschlecht ein Risikofaktor für Therapieversagen zu sein. Eine Anpassung der Therapieinhalte für weibliche Patienten könnte die Wirksamkeit der Therapie steigern.

Bei der Interpretation der Ergebnisse müssen folgende Limitationen berücksichtigt werden: Zum einen konnten nicht alle Studienteilnehmer in die Analysen eingeschlossen werden, da die CPG-Methode bisher nur für Selbstauskunft validiert wurde. Im Kinder- und Jugendbereich ist die Fremdauskunft über die Eltern oder Sorgeberechtigten eine häufig genutzte Informationsquelle, da wichtige Messinstrumente im Schmerzbereich erst ab einem Alter von 11 Jahren eingesetzt werden können [14]. Daher sollte das Chronic Pain Grading auch für Fremdauskunftsdaten validiert werden. Die positiven Ergebnisse dieser Studie gelten somit nur für Jugendliche ab 14 Jahren und können nicht für Kinder generalisiert werden. Darüber hinaus gab es einen Methodenwechsel zwischen den Messzeitpunkten, da zu M1 Fragebogen eingesetzt und zu M2 Telefoninterviews durchgeführt wurden. Eine weitere Einschränkung ist, dass in dieser Studie nur Patienten des Deutschen Kinderschmerzzentrums untersucht wurden. Es sind weitere Studien in anderen Schmerzzentren nötig, um die Wirksamkeit der Therapien zu vergleichen. Des Weiteren wurde das Chronic Pain Grading bisher nur in einem spanischen Schul-Sample eingesetzt [12] und in einem deutschen klinischen Sample mit Jugendlichen validiert [19]. Eine Validierung der CPG-Methode in einem englischsprachigen Sample aus Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen ist nötig, um die Ergebnisse dieser Studie international vergleichen zu können. Die Ergebnisse der Regressionsanalysen müssen aufgrund der vergleichsweise geringen Stichprobengröße mit Vorsicht interpretiert werden. Hirschfeld et al. [9] zeigten, dass verlässliche Ergebnisse bei Regressionsanalysen erst ab einer Stichprobengröße von mehreren Hundert zu erwarten sind. Solche großen Stichproben erfordern bei einem prospektiven Studiendesign im klinischen Bereich multizentrische Studien. Um Moderatoren für Therapieerfolg im ambulanten und stationären Setting zu identifizieren, sind solche multizentrischen Studien dringend erforderlich, um die Therapie individualisieren und langfristig wirksamer machen zu können.

Insgesamt zeigt die vorliegende Studie, dass eine interdisziplinäre Therapie für chronische Schmerzen wirksam ist und den Schweregrad der Schmerzproblematik reduziert. Die ambulante und stationäre Therapie zeigen eine vergleichbar starke Wirksamkeit für die jeweilige Zielgruppe. Die Wirksamkeit der ambulanten Therapie scheint langfristig zu steigen. Insgesamt sollte die interdisziplinäre Schmerztherapie besser auf Mädchen zugeschnitten werden, um die Wirksamkeit zu verbessern. Das CPG zeigt eine gute Anwendbarkeit für ein langfristiges Therapie-Outcome in einem gemischten Sample aus ambulanten und stationären Patienten. Da das CPG die Kernmaße Schmerzintensität, Schmerzbeeinträchtigung und Schulfehltage integriert, die in allen Studien erfasst werden sollen [13], hat das CPG das Potenzial, in Metaanalysen eingesetzt zu werden und das Therapie-Outcome studienübergreifend zu vergleichen. Dazu ist zunächst eine Validierung im englischsprachigen Raum nötig.

Fazit für die Praxis

  • Das Chronic Pain Grading (CPG) ist auch für jugendliche Schmerzpatienten ein geeignetes Maß für langfristiges Therapie-Outcome im ambulanten und stationären Setting.

  • Die ambulante und die stationäre Schmerztherapie sind für die jeweilige Zielgruppe langfristig hoch wirksam.