Die ambulante Versorgung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase erfolgt größtenteils im Rahmen der allgemeinen Palliativversorgung durch Hausärzte, ambulante Pflegedienste, Angehörige und Pflegeheime [1]. Bei erhöhtem Versorgungsbedarf, z. B. bei schwer beherrschbarer Symptomatik, können die Patienten bei regionaler Verfügbarkeit durch spezialisierte stationäre oder ambulante Hospiz- und Palliativversorgung betreut werden [2]. Da die meisten Patienten ihren letzten Lebensabschnitt nach Möglichkeit zu Hause verbringen möchten [3, 4], wird die Betreuung in der häuslichen Umgebung durch Hausärzte in Kooperation mit ambulanten Pflegediensten und Angehörigen immer bedeutsamer [5, 6]. In der spezialisierten ambulanten Patientenversorgung (SAPV) wurden in den letzten 5 Jahren in Deutschland Strukturen aufgebaut und gesetzlich verankert [7]. Im Gegensatz dazu wurde die allgemeine Palliativversorgung, obwohl politisch gefordert [8], bisher nur wenig strukturell gefördert und erforscht [1]. Voraussetzung dafür ist eine genauere Kenntnis der Charakteristika und des Versorgungsbedarfs dort versorgter Patienten [9]. Ziel der Studie zur Hausärztlichen Versorgung am Lebensende (HAVEL) war, die Versorgungssituation und Charakteristika hausärztlich versorgter Patienten auf der Basis retrospektiv erhobener Daten abzubilden. Darüber hinaus sollte ein Vergleich mit Daten aus einem spezialisierten Versorgungsbereich, der Hospiz- und Palliativ-Erfassung (HOPE) von 2010, durchgeführt werden.

Methoden

HAVEL-Studie

In dieser retrospektiven Beobachtungsstudie sollten Hausärzte aus Göttingen, Hannover und Umgebung Daten zu ihren verstorbenen Patienten erheben. Eingeschlossen wurden alle Patienten über 18 Jahre, die in den letzten 12 Monaten vor Beginn der Studie eines natürlichen Todes verstarben und für mindestens 3 Monate durch den teilnehmenden Arzt betreut wurden.

Instrument der Datenerhebung

Im ersten Teil des Erhebungsbogens (EB), der aus 10 Items bestand, wurden allgemeine Angaben zum Arzt und zur Praxis erfasst, im zweiten Teil mit 35 Items individuelle Daten zu jedem Patienten. Hier wurden Daten zur Soziodemografie der Patienten (Alter, Geschlecht, Wohnsituation), zur Versorgungssituation (beteiligte Personen und Institutionen) und zum Gesundheitszustand [Vorliegen von Symptomen, Diagnosen sowie Komorbidität mit dem Charlson Comorbidity Index (CCI)] am Lebensende erhoben. Im CCI sind alle Begleiterkrankungen, die die 1-Jahres-Mortalität mindestens um den Faktor 1,2 erhöhen, abgebildet [10]. Für weitere Diagnosen wurden Freitextfelder eingefügt.

Um Veränderungen über die Versorgungszeit abzubilden, wurden der Aufenthaltsort der Patienten, die Symptome, in die Versorgung involvierte Personen sowie die Häufigkeit der Arztkontakte (z. B. Hausbesuche, Konsultation in der Praxis, Telefonate) sowohl für den Zeitraum von 3–6 Monaten als auch für die letzten 48 h vor dem Tod erhoben. Abschließend wurde erfragt, ob die Ärzte die Patienten als palliativ eingeschätzt hatten und wie lang dieser Zeitraum war.

Der EB wurde auf Grundlage eigener Vorerfahrungen und Literaturrecherchen entwickelt, in einem interdisziplinären Team der Abteilung Allgemeinmedizin diskutiert und in 2 nicht teilnehmenden Praxen getestet. Nach den einzelnen Testphasen wurde der EB jeweils überarbeitet.

Vergleich mit Daten aus der Hospiz- und Palliativ-Erfassung (HOPE)

Die in HAVEL erhobenen Diagnosen und Symptome 3–6 Monate vor dem Tod wurden hinsichtlich ihrer Häufigkeit mit Daten aus HOPE verglichen. HOPE ist eine prospektive Basisdokumentation für Palliativpatienten, die v. a. in Institutionen der spezialisierten Palliativversorgung durchgeführt wird. In einer 3-monatigen Erfassungsphase werden alle in der jeweiligen Einrichtung neu aufgenommenen Patienten dokumentiert. Der Basisbogen erfasst soziodemografische Daten zu den Patienten sowie Erkrankungen, Symptome, Medikation, Maßnahmen und das Ende der Versorgung durch die Versorger [11, 12]. Die Symptome werden auf einer Skala von 0 („keine Ausprägung“) bis 3 („stark“) erfasst. Zum Vergleich mit der HAVEL-Studie wurden die im Jahr 2010 zu Beginn der Versorgung aufgenommenen Daten von 1703 Patienten aus dem stationären und ambulanten Versorgungsbereich herangezogen. Für die Vergleichbarkeit der Symptome mit der HAVEL-Erhebung – hier wurde nur das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen erhoben – wurde die Symptomstärke (HOPE) dichotomisiert (0–1: als Symptom nicht vorhanden; 2–3: als Symptom vorhanden).

Statistische Auswertung

Die Daten wurden mittels deskriptiver Statistik analysiert. Als Streuungsmaße sind Mittelwerte (MW) und Standardabweichungen (SD) sowie Mediane angegeben. Die Auswertung erfolgte mit dem Softwarepaket Statistical Analysis System (SAS) 9.2 (HAVEL) sowie dem Statistical Package for Social Science (SPSS) 20 (HOPE).

Datenschutz

Die Durchführung der Studie wurde von der Ethikkommission der Universitätsmedizin Göttingen am 07.10.2010 unter dem Aktenzeichen 7/5/10 unter folgenden Auflagen genehmigt: Aufgrund der fehlenden Einwilligung durch die Patienten wurden die Patientendaten ausschließlich durch die Hausärzte in den Praxen anonymisiert erhoben, d. h. ohne Namen und Geburtsdatum, und an das Studienzentrum weitergegeben. Die Patienten- und Praxisdaten wurden in getrennten Ordnern verwaltet, sodass eine Zuordnung der teilnehmenden Ärzte zu den verstorbenen Patienten nicht möglich war.

Ergebnisse

Teilnehmende Ärzte

Die Befragung wurde von Januar bis April 2011 durchgeführt. Von 162 angeschriebenen Ärzten nahmen 30 an der Studie teil, davon waren 19 Männer. Die Hälfte der Ärzte war in einer Einzelpraxis niedergelassen. Die Dauer der Niederlassung lag im Durchschnitt bei 13,6 ± 8,1 Jahren (Median: 12,5 Jahre; Range: 2–31 Jahre), wobei Männer mit 14,9 ± 7,9 Jahren (Median: 14 Jahre; Range: 5–31 Jahre) im Durchschnitt länger niedergelassen waren als Frauen (11,4 ± 8,2 Jahre; Median: 10 Jahre; Range: 2–30 Jahre). Eine Zusatzqualifikation in Palliativmedizin hatten 5 der teilnehmenden Ärzte.

Patientencharakteristika

Insgesamt wurden Daten von 451, pro Praxis von im Schnitt 15 ± 7,3 Patienten erhoben (Median: 14,5; Range: 4–36). Die Frauen (55 %) wurden im Durchschnitt älter als die Männer (MW: 80,9 ± 13,0 Jahre; Median: 83 Jahre; Range: 19–102 Jahre vs. 75,6 ± 12,1 Jahre; 77 Jahre; 45–100 Jahre). Bei 27 % der Verstorbenen lag eine schriftliche Patientenverfügung vor. Weitere personenbezogene Angaben sind in Tab. 1 aufgeführt.

Tab. 1 Beschreibung der Patientenmerkmale in der letzten Lebensphase

Diagnosen und Symptome

Die Patienten zeigten ein breites Spektrum an Erkrankungen. Im Durchschnitt wurden 3,3 ± 1,6 Erkrankungen (Median: 3; Range: 0–8), bei 22 % der Patienten jedoch ≥ 5 Erkrankungen angegeben. Ein Anteil von 77 % der Patienten litt an mindestens einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems, insbesondere an Herzinsuffizienz (42 %), Erkrankungen der Hirngefäße (29 %), arterieller Hypertonie (29 %), koronarer Herzkrankheit (24 %), Durchblutungsstörungen der Beine (18 %) und Herzrhythmusstörungen (11 %). Bei 36 % lag eine Tumorerkrankung, bei 35 % psychische Erkrankungen vor (davon bei 86 % Demenz, aber auch Depression, Angststörungen und Psychosen). Endokrine und Stoffwechselerkrankungen wurden bei 33 % der Patienten genannt (davon 81 % mit Diabetes mellitus), Erkrankungen der Atemwege bei 27 % [davon 90 % mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) und Asthma bronchiale]. Der CCI lag im Durschnitt bei 4,6 ± 2,9 (Median: 4; Range: 0–20), mit Berücksichtigung des Alters bei 8,1 ± 3,0 Erkrankungen (Median: 8; Range: 0–22). Eine Übersicht der Erkrankungen bietet Abb. 1.

Abb. 1
figure 1

Übersicht der Erkrankungen (n = 451), Mehrfachnennungen waren möglich

Für den Zeitraum von 3–6 Monaten vor dem Tod wurden Schwäche (60 %), Immobilität (43 %) und Schmerzen (42 %) als Symptome angegeben (Tab. 2). Auch Luftnot (37 %) und Gewichtsverlust (31 %) traten häufig auf. Als symptomfrei wurden von den Ärzten 9,1 % der Patienten eingeschätzt.

Tab. 2 Symptome und Diagnosen im Vergleich zu Daten von Patienten aus HOPE

Versorgungssituation der Patienten

Die mittlere Dauer der hausärztlichen Betreuung betrug 9,7 ± 7,8 Jahre (Median: 8 Jahre; Range: 1–31 Jahre). Innerhalb der letzten 3 Jahre hatten 25 % der Patienten mindestens alle 2 Wochen, 43 % etwa 1-mal im Monat und 31 % seltener den Hausarzt konsultiert. In den letzten 3–6 Monaten waren die Hausärzte bei 99 % der Verstorbenen, in den letzten 48 Lebensstunden bei 48 % in die Versorgung involviert. In den letzten 4–6 Wochen vor dem Tod nahm die Häufigkeit der Kontakte durch den Hausarzt deutlich zu: 24 % der Patienten konsultierten häufiger als 1-mal wöchentlich ihren Hausarzt, 47 % wöchentlich bis alle 2 Wochen, 22 % 1-mal im Monat.

Sterbeorte

Der größte Anteil der Patienten (41 %) verstarb im Krankenhaus, knapp ein Drittel (28 %) in einer Alten- oder Pflegeeinrichtung und 22 % zu Hause, nur 6 % im Hospiz oder auf einer Palliativstation.

Während von den Patienten, die zuletzt in einer Alten- oder Pflegeeinrichtung gelebt hatten, nur 28 % in einer Klinik und die meisten (70 %) in ihrem vertrauten Umfeld verstarben, verstarb von den Patienten, die zuletzt noch zu Hause gelebt hatten, nur ein Drittel (32 %) zu Hause (Abb. 2). Patienten, die in einer Alten- oder Pflegeeinrichtung verstarben, waren älter (MW: 85,5 ± 8,3 Jahre; Median: 86,5 Jahre; Range: 63–101 Jahre) als Patienten, die zu Hause verstarben (MW: 76,1 ± 13,5 Jahre; Median: 77 Jahre; Range: 22–102 Jahre).

Abb. 2
figure 2

Sterbeorte der Patienten (n = 451) mit Angaben des mittleren Sterbealters

Einschätzung der „palliativen Situation“

58 % der Patienten wurden retrospektiv als „palliativ“ angesehen. Bei 42 % dieser Patienten wurde die Palliativphase auf eine Dauer von < 4 Wochen, bei 40 % auf 4 Wochen bis 6 Monate geschätzt. 18 % der Patienten befanden sich länger als ein halbes Jahr in einer Palliativsituation.

HOPE-Patientenstichprobe

Für 1703 Patienten lag eine vollständige Symptomliste im ersten erfassten Basisbogen vor. Der Altersdurchschnitt lag bei 69,3 ± 12,89 Jahren (Median: 71 Jahre; Range: 11–100 Jahre), 52 % waren weiblich. Durch ambulante Einrichtungen wurden 30 % der Patienten erfasst, durch stationäre 70 %. Eine Patientenverfügung hatten 4 % der Patienten. Im Durchschnitt waren 2,2 ± 1,5 Diagnosen pro Patient angegeben (Median: 2, Range: 0–11), bei 9 % ≥ 5 Diagnosen. Bei etwa 2 % fehlte eine Angabe von Diagnosen.

Symptome und Diagnosen im Vergleich zu den HOPE-Daten

Ein Vergleich der HAVEL-Daten mit den Daten aus HOPE zeigte in Symptomhäufigkeit und Diagnosen Unterschiede auf. Insbesondere Müdigkeit (Differenz HAVEL-HOPE: − 46 %), Schwäche (− 27 %) und Angst (− 26 %) wurden in HAVEL seltener angegeben als in HOPE. Auch Obstipation (Differenz: − 23 %) sowie Depression (− 14 %) und Übelkeit (− 13 %) wurden in HAVEL seltener dokumentiert. Immerhin 9 % der Patienten in HAVEL wurden als symptomfrei eingeschätzt (HOPE: 1 %).

Hausärztlich versorgte Patienten litten am häufigsten an Herz- und Kreislauferkrankungen (77 % vs. 23 %), während die meisten spezialisiert versorgten Patienten an bösartigen Neubildungen erkrankt waren (89 % vs. 36 %). Die hausärztlichen Patienten litten häufiger an psychischen Störungen (35 % vs. 9 %), an endokrinen und Stoffwechselerkrankungen (33 % vs. 11 %) sowie an Krankheiten der Atemwege (27 % vs. 11 %) und des Urogenitalsystems (24 % vs. 10 %).

Diskussion

In der HAVEL-Studie wurden erstmals in Deutschland Daten hausärztlich betreuter Patienten am Lebensende standardisiert erhoben. Die retrospektive Datenerhebung durch Ärzte ermöglichte neben den überwiegend elektronisch gespeicherten soziodemografischen Daten und Diagnosen auch die Erfassung von Symptomen und der Versorgungssituation.

Patientencharakteristika

Das Sterbealter der Patienten in HAVEL entspricht ungefähr dem durchschnittlichen Sterbealter der Gesamtbevölkerung im Jahr 2010 (Frauen: 81 Jahre, Männer 73 Jahre; [13]). Der Anteil der Patienten mit einer schriftlichen Patientenverfügung war in HAVEL höher als in HOPE. Dies könnte zum einen mit dem höheren Alter der Patienten in HAVEL zusammenhängen. Auch ein Selektionsbias besonders an Palliativversorgung interessierter Ärzte ist möglich. Andererseits fühlen sich Hausärzte für Patienten mit Beratungswunsch bezüglich einer Patientenverfügung zuständig [14]. Dass im hausärztlichen Kontext Patientenverfügungen entstehen, ist erfreulich. Zu deren Qualität, die in früheren Untersuchungen als sehr unterschiedlich beschrieben wurde [15], kann im Rahmen dieser Erhebung keine Aussage getroffen werden.

Versorgungssituation der Patienten

Bei den hausärztlich versorgten Patienten handelte es sich um multimorbide Menschen, mit einem breiten Krankheitsspektrum. Dass Hausärzte nach eigener Einschätzung seltener Palliativpatienten mit einem Tumorleiden versorgen, bestätigen auch frühere Studien [1, 9].

Hausärzte sind an der Versorgung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase maßgeblich beteiligt, auch wenn ein hoher Anteil im Krankenhaus verstirbt. Die Betreuung besteht in der Regel über mehrere Jahre, ihre Häufigkeit nimmt aber zum Lebensende zu. Bemerkenswert ist, dass ein großer Teil der Patienten immer häufiger besucht wurde, dass Hausärzte also die ambulante Palliativversorgung trotz des erheblichen Mehraufwands als ihre Aufgabe ansehen [16].

Sterbeorte

Ein hoher Anteil der Patienten verstarb im Krankenhaus und nur wenige zu Hause, obwohl sich die meisten Menschen wünschen, zu Hause zu sterben [17]. Ob Krankenhauseinweisungen am Lebensende vermeidbar gewesen wären, lässt sich hier nicht beantworten. Die hohe Kontaktfrequenz in der letzten Lebensphase deutet aber an, dass mangelndes hausärztliches Engagement keine wesentliche Ursache war. Da die zeitintensive Betreuung von Patienten am Lebensende im hausärztlichen Leistungskatalog bisher nicht abgebildet wird, könnte eine zunehmend bessere Verfügbarkeit – und Finanzierung – spezialisierter Palliativangebote zu einem Rückzug der Hausärzte aus der Basispalliativversorgung führen. Deshalb wird die Einführung einer hausärztlichen Palliativziffer im Bewertungsausschuss diskutiert [18].

Einschätzung der „palliativen Situation“

Ein großer Teil ihrer Patienten wurde von den Hausärzten retrospektiv als „nicht palliativ“ eingeschätzt. Als Ursachen hierfür kommen z. B. ein plötzliches Versterben oder eine Sterbephase, die sich erst in der Klinik manifestierte, infrage. Unklar ist, ob das Nichterkennen der Palliativsituation auch an Unsicherheit in der Einschätzung der Patienten mit fortgeschrittenen, nichtmalignen Erkrankungen liegt [19]. So könnten chronisch multimorbide Patienten beispielsweise eher als „geriatrische“ Patienten wahrgenommen worden sein [9]. Andererseits wurde die Palliativsituation bei etwa einem Fünftel auf über ein halbes Jahr geschätzt. Eine differenziertere Definition der Palliativsituation ist nicht zuletzt für die Begründung der Inanspruchnahme einer Basis- oder spezialisierten Palliativversorgung notwendig.

Vergleich mit HOPE

Im Vergleich mit HAVEL wurden die Patienten in der HOPE-Stichprobe als jünger und weniger multimorbid dokumentiert. Hausärztliche Patienten unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf die Diagnosen, sondern auch durch die vorliegenden Symptome deutlich von Patienten aus dem spezialisierten Versorgungsbereich. Sie leiden weniger unter Schwäche, Immobilität, Angst und Schmerzen, jedoch stärker unter Verwirrtheit und Desorientiertheit. Demzufolge haben die Patienten vermutlich auch Bedürfnisse, die sich von Patienten mit Tumorleiden unterscheiden [20]. Diese Unterschiede sollten in medizinischen Aus- und Fortbildungen stärker berücksichtigt werden.

Limitationen der Erhebung und Grenzen eines Vergleichs

Die Daten für HAVEL wurden von 30 Ärzten erhoben. Da ein Selektionsbias der teilnehmenden Ärzte nicht ausgeschlossen werden kann, wurde auf Auswertungen auf Arztebene verzichtet. Die Datenerhebung erfolgte z. T. auch aus dem Gedächtnis, z. B. bei Daten über die Versorgungssituation oder Symptome, sodass Fehler durch Erinnerungslücken bzw. subjektive Einfärbung („recall bias“) bzw. im Fall von HOPE Dokumentationsfehler, z. B. die ausschließliche Dokumentation der Hauptdiagnose, auftreten können. Trotz der genannten Limitationen gehen die Autoren von einer hohen Aussagekraft der Daten aus, wurde doch eine hohe Anzahl unselektierter Patientendaten erreicht. Da es sich primär um Versorgungsdaten handelt und die Versorgungsqualität nicht gemessen wurde, ist nicht von einer Verzerrung z. B. durch soziale Erwünschtheit auszugehen.

Die beiden Erhebungsinstrumente HAVEL und HOPE unterscheiden sich in einigen wesentlichen Punkten:

  • Items,

  • integrierte Instrumente,

  • Zeitpunkt der Erfassung (nach dem Tod vs. vor dem Tod) und

  • erhebende Personen (Hausarzt vs. betreuende Ärzte, Pfleger und andere medizinassoziierte Berufsgruppen).

Zudem wurden in beiden Erhebungen die Symptome durch die Versorger dokumentiert, die tendenziell zu einer Unterschätzung der Symptomintensität neigen [21].

Fazit für die Praxis

Auch wenn viele Patienten im Krankenhaus versterben, begleiten Hausärzte einen großen Teil ihrer Patienten bis zum Lebensende. Charakteristika und Rahmenbedingungen der hausärztlichen Versorgung sollten in den Curricula der medizinischen Aus- und Weiterbildung sowie bei der Definition der Palliativsituation berücksichtigt werden. Um eine Verschiebung von der „Basis“ in die spezialisierte Palliativversorgung zu vermeiden, sollte die allgemeine ambulante Versorgung strukturell gefördert werden.