Zusammenfassung
Hintergrund
Ein wichtiges Ziel der Palliativversorgung ist die Erhaltung der Lebensqualität stark belasteter Patienten, die durch körperliche und psychische Auswirkungen der Erkrankung, familiäre Unterstützung und Lebenssinn bestimmt wird. Sie ist häufig unabhängig von einer sich verschlechternden Symptomatik. Die Studie untersucht mithilfe retrospektiver Daten aus der Hospiz- und Palliativerfassung (HOPE) das selbst eingeschätzte Befinden und dessen Zusammenhang mit der Symptombelastung für stationäre und ambulante Palliativpatienten.
Material und Methoden
Symptome und Befinden von 2030 Patienten (1616 stationär, 414 ambulant) wurden mithilfe eines Patienten- (MIDOS) und Behandlerfragebogens (Basisbogen) erhoben und deskriptiv analysiert.
Ergebnisse
Stationäre Patienten zeigten zu Behandlungsbeginn ausgeprägtere Symptome, die sich stärker als bei ambulanten Patienten verbesserten. Eine Verbesserung von Schmerz, Müdigkeit, und Schwäche begünstigte die Entlassung aus dem Krankenhaus, während bei ambulanten Patienten eine Verschlechterung von Luftnot, Angst und Verstopfung zur stationären Einweisung führte. Die insgesamt nur moderaten Zusammenhänge zwischen Befinden und Symptombelastung, Schwäche und Müdigkeit waren für ambulante Patienten stärker ausgeprägt.
Schlussfolgerung
Das Befinden von Palliativpatienten hängt zwar mit ihrer Müdigkeit und Schwäche zusammen, insbesondere bei stationär versorgten Patienten existieren jedoch weitere Einflussfaktoren. Um Lebensqualität bei Palliativpatienten erhalten zu können, müssen neben der Symptomkontrolle die individuellen bestimmenden Prozesse beachtet werden.
Abstract
Background
A major goal of palliative care is sustaining quality of life (QoL) for patients suffering from severe symptoms, which is determined by physical and psychological consequences of an illness as well as other factors, such as the meaning of life and family support. Patients have reported high levels of QoL despite worsening symptoms. The self-estimated QoL of patients receiving outpatient and inpatient palliative care was analyzed using retrospective data from the German Hospice and Palliative Care Evaluation (HOPE).
Materials and methods
A descriptive analysis of questionnaires given to 2,030 patients (1,616 inpatients, 414 outpatients) and their professional care takers was carried out assessing symptoms, well-being and care-related information.
Results
At the beginning of treatment inpatients had a higher symptom burden than outpatients. Reduced pain, tiredness and weakness and improved well-being allowed inpatients to be discharged. Outpatients suffering from severe dyspnea, constipation and anxiety were more likely to be admitted to hospital. Well-being was associated with symptom burden, weakness and tiredness in both self-evaluation and care-taker assessment particularly for outpatients.
Conclusions
While tiredness and weakness influenced QoL especially for outpatients, patient-specific factors may surpass them in patient perception. To improve the QoL of palliative care patients, individual factors must be assessed in addition to symptom control.
Avoid common mistakes on your manuscript.
Es ist das wichtigste Ziel der Palliativmedizin, die Lebensqualität stationär wie ambulant betreuter Patienten mit lebensbegrenzender, progredienter Erkrankung aufrechtzuerhalten oder zu verbessern [1, 2]. Lebensqualität kann dabei als Übereinstimmung zwischen Erwartung und Hoffnung und der aktuellen Lebenssituation verstanden werden [3]. Sie bleibt oft auch bei schwerkranken Patienten mit sich verschlechternden Symptomen stabil, die ihre Erwartungen an die Situation anpassen [4, 5]. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität bezieht die körperlichen und psychosozialen Auswirkungen der Erkrankung und Therapie und den erlebten Gesundheitszustand des Patienten ein [6]. Sie kann mit zahlreichen Instrumenten (vgl. EORTC-QLQ-C30 [7] oder SF-12 [8]) multidimensional oder mithilfe einer einzelnen, globalen Frage gemessen werden. Bei den stark belasteten und eingeschränkten Palliativpatienten bietet sich eine globale Messung an. Diese bildet jedoch nicht alle Aspekte multidimensionaler Instrumente ab [9], sodass verschiedene Dimensionen nicht differenziert werden können. Zudem scheint das Ergebnis von der Formulierung der Frage selbst sowie dem Kontext, in den sie eingebettet wird, abzuhängen [9]. Die Frage nach dem Befinden der Patienten, die als globaler Ausdruck von Lebensqualität gemeint ist, korreliert in diesem Patientenkollektiv so auch nur mäßig mit der Symptombelastung und vermittelt damit über diese hinausgehende Informationen [10]. Dabei stehen offenbar physische Aspekte im Vordergrund [9, 10, 11], es konnte jedoch auch der Einfluss von psychosozialen und existenziellen Faktoren wie Lebenssinn und Unterstützung durch Freunde auf das Befinden gezeigt werden [12, 13]. Diese Faktoren können zum Lebensende hin immer wichtiger werden [9, 14]. Die Mehrzahl der Studien bezieht sich jedoch auf das Befinden und die Lebensqualität stationär versorgter Patienten [9, 10].
Das Befinden ambulant betreuter Patienten könnte durch andere Faktoren beeinflusst werden als das stationärer Patienten. So könnten im Vergleich mit stationären Patienten psychosoziale Probleme in einem engeren Zusammenhang zum Befinden stehen, da ambulante Patienten sich nicht in einem dezidiert medizinischen Kontext befinden [10]. Die Ergebnisse der Forschung zu Befinden und Lebensqualität ambulant betreuter Patienten sind uneinheitlich [11, 15, 16]. Zudem existieren bislang keine deutschen Studien, die Unterschiede im Befinden und Symptomverlauf zwischen ambulant und stationär versorgten Patienten untersuchen.
In einer retrospektiven Erhebung soll in dieser Studie anhand eines Patientenfragebogens, der das Befinden und die Symptome abfragt, und der durch das Team erhobenen Symptomcheckliste aus der Hospiz- und Palliativerfassung (HOPE) explorativ untersucht werden, wie Palliativpatienten ihr Befinden beurteilen, durch welche Symptome diese Einschätzung beeinflusst wird und welche Unterschiede diesbezüglich zwischen ambulanten und stationären Palliativpatienten bestehen.
Methoden und Studiendesign
Daten
Es wurden Daten aus HOPE 2007–2009 ausgewertet. HOPE ist ein modulares Dokumentationssystem mit einem Basisbogen und einer Auswahl optionaler Module [17]. Stationäre und ambulante Einrichtungen der Palliativversorgung erfassen jährlich alle in einem 3-monatigen Erfassungszeitraum aufgenommenen (maximal jedoch 30) Patienten. Es wurden alle Patientendatensätze einbezogen, die mindestens 2 Basisbogen mit vollständiger Symptomliste (maximal 2 fehlende Symptome) sowie mindestens einen vollständigen Bogen des Minimalen Dokumentationssystems (MIDOS; maximal 1 fehlendes Symptom) enthielten. Insgesamt wurden 2030 Patientendatensätze von 1616 stationär und 414 ambulant versorgten Patienten in die Analyse einbezogen.
Basisbogen
Der HOPE-Basisbogen ist ein 2-seitiger Dokumentationsbogen für Aufnahme, Verlauf und Behandlungsende (Entlassung/Verlegung/Tod), der von den Behandelnden ausgefüllt wird.
Die aktuellen Probleme der Patienten werden in Form einer aus 16 Items (Tab. 1) bestehenden Symptomliste erfasst. Ihre Intensität wird auf einer 4-stufigen Skala von 0 („kein“) bis 3 („stark“) beurteilt. Außerdem werden die Pflegebedürftigkeit der Patienten, der Funktionsstatus [Eastern-Cooperative-Oncology-Group(ECOG)-Funktionsstatus: 0=“keine Einschränkungen“, 4=“pflegebedürftig, permanent bettlägerig“ [18]], die laufende Therapie und therapeutische Maßnahmen sowie die Medikation und demografische Daten dokumentiert.
Patienten, in deren Abschlussbogen das Ende der Dokumentationsphase als Abschlussgrund angegeben war oder diesbezügliche Angaben fehlten, wurden in dieser Analyse als zum Ende der Dokumentationsphase noch in der Versorgung befindliche Patienten gewertet.
Minimales Dokumentationssystem (MIDOS)
MIDOS [9, 19, 20] wird zur Selbsteinschätzung von Patienten eingesetzt. Es erfasst 7 Symptome analog dem Basisbogen (Tab. 1) auf einer je 4-stufigen verbalen Kategorialskala von 0 („kein“) bis 3 („stark“). Weitere Symptome können in einem Freitextfeld angegeben werden. Zudem wird das subjektive Befinden („Bitte kreuzen Sie an, wie Sie sich heute fühlen“) auf einer 5-stufigen Skala von 0 („sehr schlecht“) bis 4 („sehr gut“) erfragt. Die Antworten können von den Patienten direkt selbst eingetragen, im Interview erfragt oder als Fremdeinschätzung angegeben werden. Mittlerweile wurden weitere Symptome in MIDOS aufgenommen (MIDOS2, validiert durch Stiel et al. [20], vgl. Tab. 1), die jedoch nicht in die vorliegende Analyse aufgenommen wurden. In den Jahren 2007 und 2008 wurde die durchschnittliche Schmerzstärke auf einer 11-stufigen Rating-Skala erfasst, die zur Vergleichbarkeit in eine 4-stufige Skala umcodiert wurde. Angaben von 8 bis 10 bedeuten starken, von 5 bis 7 mittleren, von 2 bis 4 leichten und von 0 oder 1 keinen Schmerz.
Von 2030 Patientendatensätzen mit 2 Basisbogen enthielten 59,6% (1211) nur einen MIDOS-Bogen, 40,4% (819) mindestens 2 MIDOS-Bogen, 11,8% (238) mindestens 3 MIDOS-Bogen und 2,4% (47) ≥4 Bogen. Für die Analyse wurden nur MIDOS-Bogen berücksichtigt, die durch die Patienten selbst oder im Interview ausgefüllt worden waren. Der erste [selbst ausgefüllt durch 1561 Patienten (76,9%)] und der letzte MIDOS-Bogen [selbst ausgefüllt durch 555 Patienten (67,8%)] wurden in die Analyse einbezogen.
Verlauf
Als Maß für die Symptombelastung wurde die Summe der einzelnen Symtomintensitäten aus MIDOS (maximale Symptombelastung: 21) und Basisbogen (maximale Symptombelastung: 48) berechnet. Die Differenz zwischen Symptomintensitäten, Symptombelastung und Befinden zu Beginn und am Ende der Betreuung zeigte deren Veränderung an, wobei sich positive Werte ergaben, wenn die Belastung am Ende der Versorgung niedriger war als zu Beginn.
Statistische Auswertung
Die dokumentierten Daten wurden anonymisiert in eine Datenbank übertragen. Für die vorliegende Arbeit wurden Angaben zum Aufnahmezeitpunkt und Behandlungsende ausgewertet. Die Auswertung erfolgte mit der statistischen Datenanalysesoftware IBM SPSS Version 18.0 für Windows.
Da es sich um eine explorative Untersuchung mit einer großen Zahl an Patientendatensätzen handelte, wurde auf statistische Signifikanztests verzichtet. Die Ergebnisse wurden hinsichtlich ihrer klinischen Bedeutung bewertet.
Alle Korrelationen sind Spearman-Rangkorrelationen. Sie wurden bei Werten von r≥0,3 als Zusammenhang und r≥0,7 als enger Zusammenhang bewertet.
Unterschiede in prozentualen Anteilen wurden ab einer Abweichung von 10% als bedeutsam angesehen.
Ergebnisse
Demografische und Versorgungsdaten
Mehr als die Hälfte der Patienten [1084 (53,4%)] war weiblich, das durchschnittliche Alter betrug 66,9 Jahre. Bei 96,3% der Patienten waren bösartige Neubildungen als Hauptdiagnose angegeben.
Die ambulanten Patienten waren geringfügig älter als die stationären Patienten (68 vs. 66,5 Jahre) und verbrachten sowohl durchschnittlich als auch im Median mehr Zeit in der Betreuung (Tab. 2).
Während der Dokumentationsphase verstarben 32,2% aller Patienten, 55,5% wurden entlassen oder verlegt, 9,3% befanden sich zum Dokumentationsende weiterhin in Behandlung. Für 3% lagen keine Angaben vor. Im Dokumentationszeitraum wurden wesentlich mehr stationäre als ambulante Patienten verlegt (62,2% vs. 24,9%), ambulante Patienten befanden sich häufiger noch in der Versorgung (37,6% vs. 3,2%; Tab. 2).
Symptome und Befinden zu Beginn der Behandlung
Zu Beginn waren Schwäche (MIDOS: 77,5%), Müdigkeit (MIDOS: 62,7%) und Schmerz (MIDOS: 45,5%) die am häufigsten mäßig oder stark ausgeprägten Symptome (Abb. 1). Dabei konnten keine Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung festgestellt werden. Ihr Befinden gaben 39,9% der Patienten als sehr schlecht bis schlecht an, mit einem höheren Anteil bei den stationären Patienten (43% vs. 31,2%). Die stationären Patienten hatten häufiger einen schlechteren ECOG-Status (3 und 4; 71,2% vs. 55,1%) und waren zu Beginn der Behandlung sowohl selbst als auch fremd eingeschätzt im Mittel stärker belastet als die ambulanten Patienten (Tab. 3). Mehr ambulante Patienten hatten zu Beginn der Behandlung kein moderat oder stark ausgeprägtes Symptom (12% vs. 5,6% in MIDOS, 32,4% vs. 16,6% im Basisbogen).
Stationäre Patienten litten selbst und fremd eingeschätzt häufiger an mäßiger bis schwerer Luftnot (MIDOS: 31,0% vs. 18,5%; Abb. 1). Fremd eingeschätzte Symptome waren bei stationären Patienten häufiger von starker bis mäßiger Intensität [Schmerz: 53,8% vs. 38,6%; Schwäche: 85,6% vs. 71,1%; Angst: 35,4% vs. 22,9%; Hilfebedarf bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL): 68,6% vs. 58,1%; Appetitmangel: 65,5% vs. 50,3%; Überforderung der Familie: 53,4% vs. 30,6%; Probleme in der Organisation der häuslichen Versorgung: 42,2% vs. 18,6%; Anspannung: 41,6% vs. 26,2%].
Die Korrelationen zwischen den selbst und den durch die Behandler eingeschätzten Symptomen lagen zu Beginn zwischen r=0,515 für Angst und r=0,690 für Luftnot.
Symptome und Befinden im Verlauf
Die Symptombelastung und der Anteil von Patienten mit schlechtem oder sehr schlechtem Befinden sanken sowohl bei Selbst- als auch bei Fremdeinschätzung im Verlauf der Behandlung (Tab. 3). Patienten, die zum Ende der Behandlung den MIDOS-Bogen noch selbst ausfüllen konnten, zeigten zu diesem Zeitpunkt eine niedrigere Symptombelastung als das Gesamtkollektiv, das auch Patienten mit zum Ende nur fremd eingeschätzten Symptomen umfasste. Am Behandlungsende unterschieden sich ambulante und stationäre Patienten nicht in ihrem Befinden und der Symptombelastung (Tab. 3).
Im Vergleich mit den ambulanten Patienten zeigten mehr stationäre Patienten eine Verbesserung von Schmerz (46,7% vs. 32,9%), Übelkeit (37,6% vs. 22,8%), Schwäche (40,6% vs. 30,4%) und Symptombelastung (44,9% vs. 25,3%).
Die Gruppe stationärer Patienten, die den ersten und den letzten MIDOS-Bogen selbst ausgefüllt hatten und später stationär verstarben (n=52), war im Vergleich zu verlegten oder entlassenen Patienten (n=410) sehr klein (Abb. 2).
Patienten, die in ambulanter Behandlung verstarben, zeigten im Vergleich zu Patienten, die aus der ambulanten Versorgung verlegt wurden, eine geringere Verbesserung hinsichtlich Übelkeit und Befinden, jedoch eine größere Verbesserung hinsichtlich Luftnot, Verstopfung und Angst.
Während sich bei verlegten oder entlassenen im Vergleich zu verstorbenen stationären Patienten Schmerz, Müdigkeit, Schwäche und Befinden häufiger verbesserten, verbesserte sich Übelkeit seltener (Abb. 2).
Zum Ende der Behandlung lagen die Korrelationen zwischen den selbst und den durch die Versorger eingeschätzten Symptomen zwischen r=0,476 für Verstopfung und Schwäche und r=0,579 für Luftnot.
Zusammenhang von Befinden und Symptomen
Zu Beginn der Behandlung korrelierte das Befinden am stärksten negativ (schlechteres Befinden, je stärker das Symptom) mit der selbst und fremd eingeschätzten Symptombelastung, Schwäche und selbst eingeschätzten Übelkeit (Tab. 4). Bei ambulanten Patienten zeigte sich zusätzlich ein Zusammenhang mit selbst und fremd eingeschätzter Angst und Müdigkeit sowie fremd eingeschätztem Funktionsstatus, Übelkeit, Anspannung, Hilfebedarf bei ATL, Appetitmangel und Depressivität.
Zum Ende der Behandlung korrelierte das Befinden mit Symptombelastung, Schwäche, Müdigkeit, Schmerz und Übelkeit (selbst eingeschätzt) sowie Symptombelastung, Schwäche, Müdigkeit und Appetitmangel (fremd eingeschätzt), bei ambulanten Patienten zudem mit Übelkeit und Angst (selbst eingeschätzt) sowie Hilfsbedarf bei ATL, Schmerzen, Überforderung der Familie und Depressivität.
Ein besseres Befinden am Ende war häufig mit einer Verbesserung der Symptombelastung und Müdigkeit verbunden, bei ambulanten Patienten außerdem mit einer Verbesserung der selbst eingeschätzten Schwäche.
Eine Besserung von selbst eingeschätzter Symptombelastung, Müdigkeit, Schwäche und Schmerz ging oft auch mit einer positiven Veränderung des Befindens einher (Tab. 4). Bei ambulanten Patienten war die Verbesserung des Befindens zudem mit einer Verbesserung von Angst, Luftnot, fremd eingeschätztem Hilfebedarf bei ATL sowie Depressivität korreliert.
Bei ambulanten Patienten korrelierte das Befinden stärker mit den Symptomen, z. T. fanden sich auch Korrelationen zu psychischen und sozialen Problemen wie Angst, Depressivität und Überforderung der Familie.
Die Korrelationen zwischen Befinden und Symptomen waren zudem größer, wenn die Patienten die Symptome selbst einschätzten und sich am Ende der Behandlung befanden (Tab. 4).
Diskussion
In der vorliegenden retrospektiven Studie wurde der Zusammenhang zwischen dem Befinden und der Symptomsituation in Selbst- und Fremdeinschätzung bei ambulanten und stationären Palliativpatienten in Deutschland analysiert. Insgesamt lagen 2030 Patientendatensätze vor.
Zu Beginn der Behandlung gaben viele Patienten ihr Befinden als sehr schlecht oder schlecht an. Während Finlay et al. [15] keinen Unterschied in der Lebensqualität zwischen stationär und ambulant betreuten Patienten fanden, zeigten die in HOPE erfassten stationären Patienten, wie auch die Patienten in der Studie von Peters u. Sellick [11], eine höhere Symptombelastung und einen schlechteren Funktionsstatus [16], was ein Hinweis auf eine akute Krisensituation bei der Einweisung in eine Palliativstation sein kann.
Verlauf
Die schwere Symptombelastung stationärer Patienten scheint durch die Behandlung beherrscht werden zu können, denn diese Gruppe zeigte im Vergleich zu ambulanten Patienten eine stärkere Verbesserung von Symptomatik und Befinden. Eine Verbesserung von Schmerz, Müdigkeit, Schwäche und Befinden bei stationären Patienten begünstigt offenbar eine Entlassung. In der Untersuchung von Vassal et al. [21] erwies sich die Klärung klinischer, ethischer, praktischer und spezifischer Umgebungsfaktoren als ausschlaggebend für eine Entlassung aus dem Krankenhaus. Bei ambulanten Patienten kann es zu einer Einweisung kommen, wenn sich Luftnot, Verstopfung und Angst, die einen krisenhaften Verlauf anzeigen könnten, nicht verbessern oder sogar verschlechtern. Luftnot wurde zusammen mit einer längeren Betreuungszeit als Auslöser für eine Überforderung der pflegenden Angehörigen auch in anderen Studien als ausschlaggebend für eine Einweisung identifiziert [22].
Wie auch Krumm et al. [10] berichteten, besteht der stärkste Zusammenhang zwischen dem Befinden zu Beginn und Ende der Behandlung zur jeweiligen Symptombelastung und Schwäche.
Verbesserte Symptombelastung und Müdigkeit werden von besserem Befinden am Ende der Betreuung begleitet. Wenn sich im Verlauf der Behandlung Schwäche, Müdigkeit und Schmerz sowie bei ambulanten Patienten zusätzlich Angst und Luftnot verbessern, wird auch das Befinden besser als zu Beginn eingeschätzt.
Zusammenhang von Befinden und Symptomen
Ambulante Patienten, bei denen das Befinden in einem stärkeren Zusammenhang zu den Symptomen steht, erleben diese möglicherweise stärker als Bedrohung der häuslichen Versorgung, wobei insbesondere Luftnot als belastendes Symptom identifiziert wurde [22]. Dabei haben neben den körperlichen Symptomen auch die psychischen und sozialen Belastungen wie Angst, Depressivität und die Überforderung der Familie einen Einfluss.
Bei den stationären Patienten zeigte sich ein geringerer Zusammenhang zwischen Symptomen und Befinden. Die meisten stationären Patienten, die zum Betreuungsende eine Einschätzung ihrer Symptome abgeben konnten, wurden entlassen oder verlegt. Die Aussicht auf die Entlassung könnte einen Einfluss auf das Befinden haben und den geringeren Zusammenhang erklären. Entlassungsrelevante Probleme wie die Organisation der häuslichen Versorgung spielten jedoch für das Befinden keine Rolle. Möglicherweise wurden sie nicht dokumentiert oder betrafen eher die Angehörigen als die Patienten selbst.
Der Zusammenhang zwischen Symptomen und Befinden war insgesamt nur schwach bis moderat. Das Befinden bildet bei Palliativpatienten im stationären wie im ambulanten Bereich offenbar über die Symptombelastung hinausgehende Faktoren ab, wobei die Symptome im ambulanten Bereich einen größeren Einfluss auf das Befinden haben. Es gibt jedoch außer Schwäche und Müdigkeit keine leitenden Symptome, die das Befinden besonders beeinflussen. Dies könnte mit den verschiedenen Symptomlagen unterschiedlich erkrankter Patienten zusammenhängen, sodass insgesamt die Summe der Symptomintensitäten den größten Zusammenhang zum Befinden aufweist. Auch ein Erfassungsinstrument wie MIDOS, das selbst eingeschätzte physische und psychische Belastung erfasst, zeigt nur mäßige Korrelationen mit dem Befinden. Faktoren wie Lebenssinn [12] und psychosoziale und existenzielle Faktoren [13] wurden nicht erfasst, können aber für das Befinden eine Rolle spielen. Unsere Ergebnisse unterstützen die Untersuchung von Neudert et al. [23], die keinen Zusammenhang der individuellen mit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und dem Funktionsstatus bei palliativ behandelten Patienten mit amyotropher Lateralsklerose fanden. In der Untersuchung von Stiel et al. [9] korrelierten die globalen Items der Lebensqualität verschiedener Instrumente nur moderat untereinander und mit dem Item für Befinden von MIDOS; Lebensqualität scheint je nach Kontext und Fragestellung eine unterschiedliche Bedeutung zu haben. Zur Erfassung der individuellen Lebensqualität in verschiedenen, durch die Patienten selbst in ihrer Bedeutung gewichteten Bereichen dient der Schedule for the Individual Quality of Life ([24], deutsche Version [25]), der jedoch bei kognitiv eingeschränkten oder sehr schwachen Patienten nicht angewendet werden kann. Er zeigt ebenfalls nur mäßige Zusammenhänge mit globalen Items der Lebensqualität und des Befindens.
Einschränkungen der Aussagekraft
Viele Palliativpatienten sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten nicht in der Lage, selbst einen Fragebogen auszufüllen [19], sodass die Repräsentativität der vorliegenden Daten eingeschränkt ist.
So ist bei Patienten, die sprachlich oder kognitiv eingeschränkt, zu schwach oder belastet sind, eine Symptomeinschätzung durch die Versorger notwendig. Wir fanden im Vergleich zu Stiel et al. [20] eine bessere Übereinstimmung der Behandelnden mit den Patienten in der Symptomeinschätzung bei den Anteilen stark und moderat ausgeprägter Symptome und eine stabile, moderate Korrelation zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung, die allerdings zum Ende der Behandlung abnahm.
Die Daten wurden durch die Einrichtungen selbst erhoben; es lagen keine Informationen darüber vor, wie die Erhebung im Einzelnen erfolgte. Es wurden ausschließlich die Daten zu Beginn und am Ende der jeweiligen Behandlung, die einen unterschiedlich langen Zeitraum umfasste, beschrieben, sodass wegen der instabilen Situation von Palliativpatienten Aussagen über den Verlauf nur eingeschränkt möglich sind. Zudem kann beispielsweise nicht nachvollzogen werden, ob die aus dem ambulanten Setting eingewiesenen Patienten im Krankenhaus versterben oder wieder nach Hause entlassen werden.
Eine Aussage über kausale Beziehungen zwischen dem Befinden der Patienten und den Symptomen ist aufgrund des retrospektiven Charakters der Untersuchung nicht möglich.
Die sehr großen Fallzahlenunterschiede zwischen stationären und ambulanten Patienten schränken die Aussagekraft vor allem für den ambulanten Bereich ein. Die zugrunde liegenden Versorgungsstrukturen können hinsichtlich der betreuten Patienten und ihrer Charakteristika sehr unterschiedlich sein. Dies gilt insbesondere für den ambulanten Bereich, in dem erst 2007 die gesetzliche Grundlage für eine spezialisierte Palliativversorgung gelegt wurde [2]. Generell kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei den in HOPE dokumentierten Patienten um Patienten in spezialisierten Institutionen, d. h. Institutionen mit erhöhtem Versorgungsaufwand gegenüber Patienten in allgemeiner Palliativversorgung durch den Hausarzt oder ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen, handelt.
Fazit für die Praxis
Die starke Belastung palliativmedizinsch betreuter Patienten macht die Verwendung eines kurzen und einfachen Instruments zur Selbsterfassung der Symptomsituation und des Befindens wie beispielsweise MIDOS notwendig. Dennoch können nicht alle Palliativpatienten damit erreicht werden, was eine standardisierte Fremderfassung der Symptome durch die Behandelnden unumgänglich macht.
Stationär versorgte Patienten befinden sich zu Beginn der Behandlung meist in einer krisenhaften Situation, die sich jedoch im Lauf der Betreuung verbessert, während ambulant versorgte Patienten zunächst eine weniger starke Symptomatik aufweisen und bei Verschlechterung spezifischer Symptome wie Luftnot, Verstopfung und Angst häufiger zur stationären Behandlung eingewiesen werden.
Insgesamt sind die Zusammenhänge zwischen den Symptomen und dem Befinden moderat, wobei die einzelnen Symptome einen unterschiedlich starken Einfluss haben. Eine Verbesserung von Schwäche, Müdigkeit und Schmerz kann mit einer Verbesserung des Befindens einhergehen. Bei ambulant betreuten Patienten hängt das Befinden stärker mit den Symptomen zusammen. Dabei spielen neben Schwäche und Müdigkeit auch psychische und soziale Belastungen eine größere Rolle. Das Befinden liefert offenbar über die Symptomsituation hinausgehende Informationen. Unklar bleibt, welche Faktoren neben den Symptomen das Befinden der Patienten beeinflussen und wie sich weitere Einflüsse im Verlauf jeweils zeigen könnten.
In der Betreuung der Patienten muss beachtet werden, dass Lebensqualität individuell eine sehr unterschiedliche Bedeutung hat und von vielen Faktoren beeinflusst werden kann. Neben der strukturierten Abfrage von Symptomen sollten deshalb immer auch die individuelle Bewertung der Lebensqualität und ihre bestimmenden Prozesse für den einzelnen Patienten beachtet werden. Erst dann kann die multidisziplinäre Betreuung mit dem Ziel der Erhaltung der Lebensqualität für schwer belastete Patienten verwirklicht werden.
Literatur
Sepúlveda C, Marlin A, Yoshida T, Ullrich A (2002) Palliative care: the World Health Organization’s global perspective. J Pain Symptom Manage 24:91–96
Gemeinsamer Bundesausschuss (2007) Richtlinie zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung. http://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/64/. Zugegriffen: 1. November 2010
Calman KC (1984) Quality of life in cancer patients – an hypothesis. J Med Ethics 10:124–127
Echteld MA, Deliens L, Ooms ME et al (2005) Quality of life change and response shift in patients admitted to palliative care units: a pilot study. Palliat Med 19:381–388
Elsner F, Koop A, Sonntag B, Radbruch L (2001) Schmerzen und Lebensqualität bei Tumorpatienten in der ambulanten Versorgung. Palliat Med 2:107–112
Bullinger M (2000) Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität mit dem SF-36-Health Survey. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 43:190–197
Aaronson NK, Ahmedzai S, Bergman B et al (1993) The European Organization for Research and Treatment of Cancer QLQ-C30: a quality-of-life instrument for use in international clinical trials in oncology. J Natl Cancer Inst 85:365–376
Gandek B, Ware JE, Aaronson NK et al (1998) Cross-validation of item selection and scoring for the SF-12 Health Survey in nine countries: results from the IQOLA project. J Clin Epidemiol 51:1171–1178
Stiel S, Psych D, Kues K et al (2011) Assessment of quality of life in patients receiving palliative care: comparison of measurement tools and single item on subjective well-being. J Palliat Med 14:599–606
Krumm N, Stiel S, Ostgathe C et al (2008) Subjektives Befinden bei Palliativpatienten – Ergebnisse der Hospiz- und Palliativerhebung (HOPE). Z Palliativmed 9:132–138
Peters L, Sellick K (2006) Quality of life of cancer patients receiving inpatient and home-based palliative care. J Adv Nurs 53:524–533
Axelsson B, Sjödén PO (1998) Quality of life of cancer patients and their spouses in palliative home care. Palliat Med 12:29–39
Simmons Z, Bremer BA, Robbins RA et al (2000) Quality of life in ALS depends on factors other than strength and physical function. Neurology 55:388–392
Kaasa S, Loge JH (2003) Quality of life in palliative care: principles and practice. Palliat Med 17:11–20
Finlay I, Higginson I, Goodwin D et al (2002) Palliative care in hospital, hospice, at home: results from a systematic review. Ann Oncol 13(Suppl 4):247–264
Ventafridda V, De Conno F, Viganò A et al (1989) Comparison of home and hospital care of advanced cancer patients. Tumori 75:619–625
Lindena G, Nauck F, Bausewein C et al (2005) Qualitätssicherung in der Palliativmedizin – Ergebnisse der Kerndokumentation 1999–2002. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 99:555–565
Oken MM, Creech RH, Tormey DC et al (1982) Toxicity and response criteria of the Eastern Cooperative Oncology Group. Am J Clin Oncol 5:649–655
Radbruch L, Sabatowski R, Loick G et al (2000) MIDOS. Validierung eines minimalen Dokumentationssystems für die Palliativmedizin. Schmerz 14:231–239
Stiel S, Matthes ME, Bertram L et al (2010) Validierung der neuen Fassung des Minimalen Dokumentationssystems (MIDOS2) für Patienten in der Palliativmedizin. Schmerz 24:596–604
Vassal P, Le Coz P, Herve C et al (2011) Return home at the end of life: Patients‘ vulnerability and risk factors. Palliat Med 25:139–147
Kern M, Wessel H, Ostgathe E (2007) Ambulante Palliativbetreuung – Einflussfaktoren auf eine stationäre Einweisung am Lebensende. Z Palliativmed 8:155–161
Neudert C, Wasner M, Borasio GD (2011) Individual quality of life is not correlated with health-related quality of life or physical function in patients with amyotrophic lateral sclerosis. J Palliat Med 7:551–557
Hickey AM, Bury G, O’Boyle CA et al (1996) A new short form individual quality of life measure (SEIQoL-DW): application in a cohort of individuals with HIV/AIDS. BMJ 313(7048):29–33
Neudert C, Wasner M, Borasio GD (2001) Patients‘ assessment of quality of life instruments: a randomised study of SIP, SF-36 and SEIQoL-DW in patients with amyotrophic lateral sclerosis. J Neurol Sci 191:103–109
Danksagung
Den an HOPE teilnehmenden Einrichtungen gebührt der Dank für die Möglichkeit, ihre patientenbezogenen Daten aus den unterschiedlichen Palliativversorgungsbereichen zusammenzuführen und auszuwerten.
Interessenkonflikt
Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht. Die Arbeit entstand in Zusammenhang mit einem Kooperationsprojekt, das im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert wird. HOPE selbst wurde 2007–2009 durch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, den Deutschen Hospiz- und Palliativverband und die Deutsche Krebsgesellschaft sowie die Mundipharma GmbH (Limburg) gefördert.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Jansky, M., Lindena, G. & Nauck, F. Befinden von Palliativpatienten im Verlauf einer spezialisierten ambulanten oder stationären Versorgung. Schmerz 26, 46–53 (2012). https://doi.org/10.1007/s00482-011-1119-z
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00482-011-1119-z