Hintergrund

Chronischer Schmerz ist eines der häufigsten Krankheitsbilder in Europa [2]. Entsprechend findet man auch in Deutschland eine ansteigende Anzahl von spezialisierten schmerztherapeutischen Einrichtungen. Allerdings sind bundesdeutsche Daten über das behandelte Patientenkollektiv bislang sehr lückenhaft. Die letzte größere Datenerfassung an ca. 2500 Patienten fokussierte auf Versorgungsaspekte im DRG-System und beschränkte sich auf stationäre und teilstationäre Patientenkollektive [16]. Andere Erhebungen an z. T. kleineren Stichproben sind ebenfalls in ihrer Aussagekraft limitiert [7, 10, 12, 15]. Deshalb beschloss die DGSS, das derzeit größte Schmerz-Dokumentationssystem zur Qualitätssicherung in der Schmerztherapie „QUAST“ [11] für eine umfassende Datenanalyse zu nutzen. Der Datenpool wurde in schmerztherapeutischen Praxen, in universitären und nichtuniversitären Schmerzkliniken im Rahmen der Regelversorgung gewonnen. Dieses ist ein Vorteil für versorgungsrelevante Fragestellungen, auch wenn diese Daten keine populationsbasierte Stichprobe darstellen [4].

Ziel dieses Beitrags ist eine differenzierte Beschreibung soziodemografischer, krankheitsbezogener und psychosozialer Merkmale des Patientenkollektivs in deutschen Schmerzzentren/-einrichtungen.

Methodik

Datengewinnung

Die Daten der hier vorgestellten Analysestichprobe aus 19 schmerztherapeutischen Einrichtungen wurden im Juni 2004 aus QUAST“ exportiert. Im Zeitraum von 1998–2004 waren in diesen Einrichtungen Datensätze von nahezu 30.000 Schmerzpatienten erfasst worden, wobei diese Datensätze eine unterschiedliche Qualität und Vollständigkeit aufwiesen. Die exportierten Datensätze beinhalten alle anonymisierten Angaben aus dem Deutschen Schmerzfragebogen (DSF) der DGSS [19], alle eingegebenen Schmerztagesprotokolle und Verlaufsfragebögen sowie Angaben aus der Behandlungsdokumentation.Footnote 1

Zur Bildung einer auswertbaren Analysestichprobe wurden Datensätze ausgesondert, auf die eins oder mehrere der folgenden Ausschlusskriterien zutrafen:

  • fehlender Erstfragebogen (DFS),

  • Erstfragebogen wurde länger als ein halbes Jahr vor der Erstvorstellung ausgefüllt,

  • Erstfragebogen wurde länger als 2 Monate nach Erstvorstellung ausgefüllt,

  • trotz vorliegendem Erstfragebogen keine Vorstellung in der schmerztherapeutischen Einrichtung,

  • unplausible Altersangabe,

  • fehlende Eingabe einer Schmerzdiagnose.

Einzelne fehlende Angaben, wie z. B. Alter, Geschlecht, Familienstand, Schulbildung oder Symptomausprägungen, waren kein Grund für einen generellen Ausschluss des jeweiligen Datensatzes. Die Häufigkeit fehlender Werte bei der Ausgangs- und Analysestichprobe sind der elektronisch abrufbaren Tab. 7 (s. Anhang) zu entnehmen.

Die vom Patienten beklagte Schmerzsymptomatik wurde entsprechend der IASP-Taxonomie mithilfe von MASK-S einer von insgesamt 9 Hauptdiagnosegruppen zugeordnet [14, 17]. Die Einstufung der Chronifizierung war auf der Grundlage der ärztlichen Anamnese anhand des Mainzer Stadienmodells erfolgt [9]. Ferner wurden folgende Variablen bzw. Merkmale aus dem Deutschen Schmerzfragebogen (DSF) zur Datenanalyse herangezogen:

  • soziodemografische Daten (Alter, Geschlecht, Familienstand, Schulbildung und Berufsstand),

  • schmerzbezogene Daten (numerische Ratingskala [NRS] zur Erfassung der durchschnittlichen, maximalen, minimalen, aktuellen und erträglichen Schmerzstärke sowie Angaben zur Erkrankungsdauer und Ursachenzuschreibung),

  • psychometrische Daten (ADS = Allgemeine Depressionsskala [13]; PDI = Pain Disability Index [6]; SES = Schmerzempfindungs-Skala von [8] und SF-36 = Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität von [3]).

Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit dem Auswertungsprogramm SPSS Version 14. Klassifikatorische Zuordnungen wurden mit einem nichtparametrischen Verfahren (χ2-Test) geprüft. Die Auswertung der psychometrischen Verfahren erfolgte nach den Vorgaben der jeweiligen Testanweisungen. Die Gruppenvergleiche zwischen den verschiedenen Hauptschmerzdiagnosen wurden für die Schmerzhäufigkeit und -intensitätsmaße sowie für die psychischen Befindensmaße mittels einfaktorieller Varianzanalyse vorgenommen. Bei signifikanten Gruppenunterschieden erfolgten Einzelvergleiche mit Duncan-Folgetests. Vergleiche zwischen 2 Gruppen erfolgten mittels t-Tests. Insgesamt wurde p≤0,05 als signifikant gewertet.

Die gesamte Datenanalyse ist wegen der vorgenommenen Mehrfachvergleiche beschreibend [1]. Entsprechend versteht sich der Terminus „signifikant“ als deskriptiver Hinweis auf Gruppenunterschiede ohne konfirmatorische Absicherung.

Ergebnisse

Das Ausgangskollektiv umfasste N=28.865 Schmerzpatienten. Aufgrund der oben angeführten Ausschlusskriterien verblieb eine auswertbare Analysestichprobe von n=10.054 Patientinnen und PatientenFootnote 2. Überdurchschnittlich viele Datensätze von Patienten mit Tumorerkrankung konnten aufgrund des fehlenden Deutschen Schmerzfragebogens nicht in die Analysestichprobe aufgenommen werden (3251 von 3634). Details zu den ausgeschlossenen Datensätzen sind online in der elektronisch abrufbaren Tab. 8 (s. Anhang) nachlesbar.

Befunde der gesamten Analysestichprobe

Soziodemografische Merkmale

Das Durchschnittsalter in der Analysestichprobe (n=10.054) betrug nahezu 54 Jahre. Die Verteilung der Altersgruppen in Dekaden ist in Abb. 1 wiedergegeben. Der Frauenanteil betrug 60%. Fast zwei Drittel der Patienten waren zum Zeitpunkt ihrer schmerztherapeutischen Erstvorstellung verheiratet. Weniger als 50% der Patienten, die ihren aktuellen Berufsstand im Erstfragebogen angaben, waren in einem Beschäftigungsverhältnis als Arbeiter, Angestellter, Beamter oder selbstständig tätig. Von diesen waren wiederum bei der schmerztherapeutischen Erstvorstellung 50,6% wegen Schmerzen arbeitsunfähig, und 32,9% sahen ihren Arbeitsplatz als gefährdet an. Nahezu 42% der Schmerzpatienten gaben an, zum Zeitpunkt der Datenerhebung eine Rente zu erhalten, die überwiegende Mehrheit (85,8%) endgültig. Erreichen der Altersgrenze wurde von 53,3%, Erwerbsunfähigkeit von 33,9% und Berufsunfähigkeit von 6,5% als Grund für die Rente angegeben. Weitere soziodemografische Angaben zur Analysestichprobe sind der Tab. 1 zu entnehmen.

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Altersgruppen in Dekaden

Tab. 1 Soziodemografische Daten der Analysestichprobe (n=10.054)

Schmerzbezogene Merkmale

Die Abb. 2 gibt die Verteilung der Schmerzpatienten auf die 9 Hauptdiagnosegruppen wieder. Die 4 größten Kollektive sind Patienten mit Rückenschmerzen (37%), gefolgt von der Patientengruppe mit neuropathischem Schmerz (21,4%), Muskel-, Gelenk- und Knochenschmerz (19,5%) und schließlich Kopfschmerz mit 10,6%. Alle übrigen 5 Diagnosegruppen machen zusammen weniger als 12% der Analysestichprobe aus.

Abb. 2
figure 2

Diagnoseverteilung der QUAST-Analysestichprobe (n=10.054)

Annähernd 75% der Patienten gaben an, ihr Schmerz sei dauernd vorhanden (Tab. 2). Die Angaben zur durchschnittlichen, maximalen und aktuellen Schmerzstärke überschritten einen Wert von 5 auf der 11-stufigen numerischen Ratingskala (NRS: 0 = kein Schmerz bis 10 = maximal vorstellbarer Schmerz). Auch die minimale Schmerzstärke wurde im Mittel noch mit einem NRS-Wert von nahezu 5 (M = 4,8) angegeben, wobei die Hälfte der untersuchten Klientel nach erfolgreicher Behandlung eine Schmerzreduktion auf einen NRS-Wert von Md = 2 erträglich fände; 19,3% der Klientel gaben einen Schmerz mit dem NRS-Wert von 0 als erträgliche Schmerzstärke an (Tab. 2).

Tab. 2 Schmerzbezogene Daten der Analysestichprobe (n=10.054)

Bei 50% der Patienten lag der Erkrankungsbeginn mindestens 3 Jahre zurück. Ein Viertel des Kollektivs hatte seit mindestens 9 Jahren Schmerzen, während die durchschnittliche Erkrankungsdauer im Mittel bei M = 7,0 Jahre lag; 22,5% der Analysestichprobe hatten sich innerhalb des ersten Jahres ihrer Erkrankung in eine spezielle schmerztherapeutische Behandlung begeben (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Diagnoseübergreifende und diagnosespezifische Erkrankungsdauer

Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung gehörten nahezu 40% der Patientenstichprobe dem Chronifizierungsstadium III [9] und weniger als 20% dem Stadium I an. Als Ursache der Schmerzen wurden am häufigsten körperliche Belastungen, Krankheiten, Operationen und/oder seelische Belastungen angeführt (Tab. 2), wobei Mehrfachnennungen möglich waren. Für nahezu 16% der befragten Patienten war allerdings keine Ursache der Schmerzen erkennbar.

Psychometrische Merkmale

Der Deutsche Schmerzfragebogen enthält 4 psychometrische Verfahren (s. Methodik). Der Depressionsscore (ADS) wies bei der Hälfte aller Patienten einen Summenscore >23 auf und zeigte damit eine klinisch relevante depressive Symptomatik an. Im Pain Disability Index (PDI) hat jeder zweite Schmerzpatient einen Summenscore von ≥40 und jeder zehnte Schmerzpatient einen Summenscore von ≥60 (Maximalwert = 70). Die affektive Schmerzempfindung lag mit einem mittleren Summenscore von fast 40 näher am Maximalwert (56) als die sensorische Schmerzempfindung mit nahezu 22 (Maximalwert = 40). Bei der Beschreibung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wurden in der körperlichen Summenskala deutlich geminderte Werte angegeben (M = 28,7). Auch in der psychischen Summenskala war die Lebensqualität reduziert (M = 41,3), hier allerdings weniger deutlich. Weitere Angaben zu den Merkmalsausprägungen der Analysestichprobe sind Tab. 3 zu entnehmen. Aus dieser wird auch ersichtlich, dass die Allgemeine Depressionsskala das psychometrische Instrument mit den meisten fehlenden Angaben ist, während der Pain Disability Index (PDI) am häufigsten auswertbar vorlag.

Tab. 3 Psychometrische Daten der Analysestichprobe (n=10.054)

Befunde der einzelnen Diagnosegruppen

Detaillierte Angaben zu den jeweiligen Haupt- und Unterdiagnosegruppen sind online in Tab. 9 (s. Anhang) zu finden. Für die 4 größten Diagnosegruppen ist zusammenfassend Folgendes festzuhalten:

Bei Erstvorstellung wies die Patientengruppe mit chronischen Rückenschmerzen eine durchschnittliche Erkrankungsdauer von 7,5 Jahren und ein Durchschnittsalter von 56,5 Jahren auf. Neurologische Korrelate (Radikulopathien) wurden lediglich bei einem Anteil von 27,1% der insgesamt 3720 Patienten diagnostiziert. Die Hauptlokalisation wurde in 85% aller Fälle im lumbosakralen Bereich angegeben. Bis auf die minimale Schmerzstärke, die nach oben abweicht (Tab. 4), entsprachen alle übrigen Intensitätsangaben dieser Diagnosegruppe den Durchschnittswerten der gesamten Analysestichprobe.

Tab. 4 Diagnosebezogene Schmerzangaben der Analysestichprobe (n=10.054)

Patienten mit neuropathischem Schmerz suchten nach vergleichsweise kurzer Erkrankung spezialisierte Schmerzeinrichtungen auf (Abb. 3). Das Geschlechterverhältnis war in dieser Diagnosegruppe nahezu ausgeglichen. Ein Viertel der Unterdiagnosen fiel den Neuralgien zu (26,3%), gefolgt von der zweithäufigsten Diagnose CRPS (16,7%). Trotz deutlich kürzerer Erkrankungsdauer finden sich hinsichtlich der Angaben zur Schmerzstärke keine signifikanten Unterschiede zu den Patienten mit Rückenschmerz und nur ein signifikanter Unterschied zu Patienten mit Muskel-, Gelenk- und Knochenschmerz (Tab. 4).

Nahezu 20% der hier analysierten Stichprobe erhielt die Diagnose Muskel-, Gelenk- und Knochenschmerzen. Die Differenzialdiagnose Fibromyalgie blieb unter 10%, und die rheumatischen Erkrankungen machten weniger als 2% dieser Hauptdiagnosegruppe aus. Insgesamt handelt sich um eine Hauptdiagnosegruppe mit mittlerer Schmerzausprägung. Es zeigten sich auch in den soziodemografischen und psychometrischen Instrumenten keine hervorzuhebenden Merkmalsausprägungen (Tab. 5).

Tab. 5 Diagnosebezogene Schmerzangaben und psychometrische Angaben der Analysestichprobe (n=10.054)

Die Kopfschmerzklientel setzte sich mit dem niedrigsten Durchschnittsalter (44,4 Jahre) und dem höchsten Anteil weiblicher Patienten (knapp 70%) von allen übrigen Hauptdiagnosegruppen ab. Sie wiesen mit durchschnittlich 13,8 Jahren die längste Erkrankungsdauer auf und erschienen somit deutlich später in spezialisierten Versorgungseinrichtungen als andere Schmerzpatienten. Kopfschmerzen vom Spannungstyp waren in dieser Gruppe mit etwa 42% und Migräne mit 35% vertreten. Hinsichtlich der direkten Schmerzparameter unterschied sich wiederum die Kopfschmerzklientel von den anderen Schmerzdiagnosen am deutlichsten (Tab. 4). Die Abstände zwischen durchschnittlicher, maximaler und minimaler Schmerzstärke waren bei ihnen am größten. In der depressiven Symptomatik und körperlichen Lebensqualität waren die Patienten mit Kopfschmerzen mit am wenigsten belastet (Tab. 5).

Auch die Ursachenzuschreibung fiel in den verschiedenen Diagnosegruppen unterschiedlich aus. So gaben 52,3% der Patienten mit Rückenschmerz und 44,0% der Patienten mit Muskel-, Gelenk- und Knochenschmerz körperliche Belastungen als meistgenannte Ursache ihrer Schmerzproblematik an. Demgegenüber sahen Patienten mit neuropathischem Schmerz in Operationen (39,8%) und Patienten mit Kopfschmerzen in seelischen Belastungen (39,5%) die Hauptursache ihrer Schmerzerkrankung.

Die psychometrischen Kennwerte ließen bei diagnosespezifischer Analyse ebenfalls unterschiedliche psychische Belastungen erkennen. Der gemittelte Depressionsscore (ADS) lag in 7 von 9 Diagnosegruppen oberhalb des kritischen Cut-off-Wertes von >23 (Abb. 4). Betrachtet man hier wieder die 4 größten Diagnosegruppen, so zeichnete sich die Kopfschmerzklientel durch den niedrigsten Depressionsscore aus. Rückenschmerzpatienten unterschiedenen sich von allen übrigen Diagnosegruppen insbesondere in der signifikant höheren schmerzbezogenen Beeinträchtigung. Die Werte auf der Skala der körperlichen Lebensqualität waren in allen Diagnosegruppen deutlich niedriger als bei der psychischen Lebensqualität, in der die 4 größten Diagnosegruppen ähnliche Werte aufwiesen. Bei den Lebensqualitätsskalen zeigten sich auch in den Einzelvergleichen die meisten signifikanten Unterschiede zwischen den Diagnosegruppen (Tab. 5).

Abb. 4
figure 4

Psychisches Befinden und Diagnosezugehörigkeit

Diskussion

Mit dem QUAST-Datenpool steht unseres Wissens die bislang größte deutsche Datenbank für schmerzbezogene wissenschaftliche Fragestellungen zur Verfügung. Diese ist aufgrund verschiedener Einschränkungen keineswegs repräsentativ. Dennoch erbringt diese große, multizentrisch gewonnene Stichprobe zentrale soziodemografische und schmerzbezogene Erkenntnisse sowie aktualisierte psychometrische Kennwerte über chronische Schmerzpatienten und ist gleichzeitig die Ausgangsbasis für weitere vertiefende Fragestellungen zur Behandlung und Effektivität multidisziplinärer Schmerztherapie.

Aufgrund der Nutzung von QUAST im Routinebetrieb ist bei dieser nicht explizit für wissenschaftliche Zwecke angelegten Datenbank zwangsläufig eine limitierte Datenqualität mit z. T. erheblichen „missing values“ zu akzeptierten. So gibt es in QUAST keine obligatorisch festgelegten Felder (wie z. B. Geburtsdatum), die eine Eingabe zwingend erfordern. Letztlich ist jedoch rückblickend nicht klärbar, wie groß der jeweilige Anteil an „missing values“ ist, der auf das Erhebungsinstrument (DSF), auf fehlende Compliance seitens der ausfüllenden oder eingebenden Personen zurückgeht. Um bei der vorliegenden Datenanalyse nicht unnötig viele Datensätze auszuschließen, wurden in die Analyse auch die Datensätze eingeschlossen, bei denen lediglich einzelne Angaben fehlten. Fehlende Werte traten im Übrigen bei den psychischen Befindensmaßen häufiger auf als bei den Schmerzangaben. Dies lässt darauf schließen, dass nicht alle Patienten mit Schmerzerkrankungen einsehen, über ihre psychische Verfassung Auskunft geben zu müssen. Hier würde sicherlich eine weitere Datenanalyse interessante Hinweise liefern, ob es sich dabei um eine spezielle Untergruppe des Schmerzkollektivs handelt.

Ein vermutlich systematischer Datenverlust ergab sich bei Patienten mit malignombedingten Schmerzen. Dies ist vermutlich dem Umstand zuzuschreiben, dass diese Patientengruppe seltener dazu angehalten wird, den umfangreichen Deutschen Schmerzfragebogen auszufüllen. Da in der vorliegenden Analyse nur Patienten mit verwertbarem Erstfragebogen eingeschlossen wurden, ist die Gruppe der Patienten mit malignombedingten Schmerzen von insgesamt 12,6% auf 3,8% in der Analysestichprobe gesunken. Unseres Erachtens ist die Verwendung von syndromübergreifenden Diagnostiktools deshalb grundsätzlich zu überdenken. Insbesondere bei Patienten mit tumorbedingten Schmerzen oder Palliativpatienten sind kurze und spezifische Instrumentarien zu fordern. Dieser Forderung ist die Arbeitsgruppe um QUAST mit der Installierung eines Palliativmoduls vor kurzer Zeit bereits nachgekommen.

Soziodemografische und schmerzbezogene Befunde im Vergleich

Im Vergleich zur bundesdeutschen Bevölkerung [21] weist die hier vorgestellte Analysestichprobe weniger Personen bis 40 Jahre (36,2 vs. 18,4%) und dafür mehr 40- bis 65-Jährige (40,7 vs. 56,1%) auf. Vergleichbar ist hingegen der Anteil an älteren Personen über 65 Jahre (23,0 vs. 25,0%). Der Frauenanteil unter den Schmerzpatienten ist um fast 10% höher als in der Allgemeinbevölkerung, ebenso der Anteil verheirateter Personen (51,3 vs. 63,8%). Zudem findet sich in der untersuchten Schmerzklientel ein geringerer Personenanteil mit höherem Bildungsabschluss. Soziodemografische Merkmale, die auf eine höhere Prävalenz für schmerzbezogene Erkrankungen hinweisen, sind demnach: Alter zwischen 40 und 65 Jahre, weibliches Geschlecht, verheiratet und geringerer Bildungsabschluss.

Die vorgestellten Ergebnisse können aufgrund der Art der Datengewinnung nicht als repräsentativ angesehen werden. Um der Frage nachzugehen, inwieweit sie den bereits vorliegenden Angaben aus anderen untersuchten Schmerzkollektiven entsprechen, wurden die soziodemografischen und psychosozialen Angaben der Untersuchungskollektive miteinander verglichen. Im Vergleich zu den Schmerzkollektiven von Gerbershagen et al. [10], Lindena et al. [16] und Komarahadi et al. [15] ist die vorliegende Analysestichprobe im Mittel etwas älter, bei ähnlicher Geschlechtsverteilung. Die neuere Untersuchung von Hampel und Moergel [12] eignet sich unseres Erachtens nicht für einen solchen Vergleich, weil es sich um eine rein orthopädische Klientel aus lediglich 2 Rehakliniken handelt, bei der zudem das Chronifizierungsstadium I dominiert.

Betrachtet man zunächst die direkten Schmerzparameter, so finden sich hinsichtlich der durchschnittlichen Schmerzstärke keine nennenswerten Unterschiede zu den früheren Patientenkollektiven. In 3 der 4 gegenübergestellten Schmerzkollektiven (Tab. 6) gibt ein erschreckend hoher Anteil von um die 70% ständig vorhandene Schmerzen an. Dabei wird die durchschnittliche Schmerzstärke mit M = 7,2 angegeben, womit dieser NRS-Wert zwischen den Angaben von Gerbershagen et al. [10] und Lindena et al. [15] liegt und entsprechend der S3-Leitlinie der AWMF für die Behandlung akuter Schmerzen als starker Schmerz zu charakterisieren ist (http://www.awmf.org). Die Verteilung auf die Chronifizierungsstadien scheint sich über die Jahre nicht bedeutsam verschoben zu haben. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer wird in der Studie von Gerbershagen et al. [10] mit einem vergleichbaren Mittelwert von etwa 7 Jahren angegeben. Allerdings zeigt eine differenziertere Analyse der eigenen Daten, dass entgegen verbreiteter Überzeugungen, ein beachtlicher Anteil von mehr als 20% bereits innerhalb der ersten 12 Monate nach Erkrankungsbeginn eine spezialisierte schmerztherapeutische Einrichtung aufsucht. Offenbar ist mittlerweile der Bekanntheitsgrad schmerztherapeutischer Behandlungskonzepte besser geworden, was nicht zuletzt auf die gezielte Öffentlichkeitsarbeit der entsprechenden Fachgesellschaften zurückzuführen ist. Ebenfalls nicht bestätigt hat sich die tradierte Annahme, dass ein Großteil der betroffenen Patienten Schmerzfreiheit als Behandlungsergebnis erwartet. Tatsächlich gab die Analysestichprobe im Mittel einen Erträglichkeitswert von NRS = 2,4 an, und nur etwa 20% sahen einen NRS-Wert von 0 als erträgliches Maß an. Beachtlich ist auch die Gewichtung seelischer Belastungen bei der Ursachenzuschreibung: Mehr als ein Fünftel der Patienten räumt psychischen Faktoren eine Bedeutung bei der Entstehung der Schmerzerkrankung ein.

Tab. 6 Gegenüberstellung bedeutsamer Merkmale verschiedener Schmerzkollektive

Zunahme der psychischen Belastung und Veränderung der Referenzwerte

Die psychometrische Charakterisierung der multizentrischen Analysestichprobe von mehr als 10.000 Schmerzpatienten macht zunächst deutlich, dass es sich um ein psychisch hoch belastetes Schmerzkollektiv handelt. Nach der Auswertung des hier untersuchten Patientenkollektivs ergeben sich für die psychometrischen Instrumente andere Prozentränge als die bislang in QUAST angeführten Referenzwerte (entsprechend den Originalhandbüchern). So weisen laut Handanweisung des ADS [13] lediglich 28% einer untersuchten Schmerzstichprobe einen Summenscore >23 auf. In der hier ausgewerteten Analysestichprobe lagen 50% über diesem kritischen Wert. Kürzlich wurden von Mewes et al. [18] erstmalig bevölkerungsbezogene Daten zur Beeinträchtigung durch körperliche Beschwerden vorgelegt. Die Autoren verwendeten den PDI, ersetzten aber „schmerzbedingte Beeinträchtigungen“ durch „gesundheitsbezogene Beeinträchtigungen“ („physical symptoms“). In die Auswertung gingen nur Personen ein, die angaben, mindestens 1 körperliches Symptom zu haben; 50% dieser Bevölkerungsstichprobe hatten einen PDI-Wert von ≤4. Einen derart niedrigen Beeinträchtigungswert wiesen lediglich 1,8% des hier untersuchten Schmerzkollektivs auf. Immerhin 80% der Bevölkerung hatten einen PDI-Wert ≤16, in der hier vorliegenden Untersuchung traf das für lediglich 8,6% der Analysestichprobe zu.

Entsprechend diesen neuen Bezugswerten verschieben sich die Perzentile deutlich nach oben, was zur Folge hat, dass ein Schmerzpatient mit seinem erzielten Summenscore innerhalb der Referenzgruppe von Schmerzpatienten nunmehr einen niedrigeren Prozentrang hat. Die hier vorgestellte Datenauswertung zeigt diese Referenzwertverschiebung für alle psychometrischen Verfahren (ADS, PDI, SES und SF-36) des Deutschen Schmerzfragebogens. Zieht man zur Einordnung der psychischen Belastung frühere Studien zum Vergleich heran, so findet auch Lindena [16] in den bereits 2002 erhobenen Patientendaten häufiger eine klinisch relevante depressive Symptomatik als Gerbershagen et al. [10] in der früheren Erhebung von 1996–1997 (Tab. 6). Angesichts dieser Befundlage stellt sich die Frage, ob die mittlere psychische Beeinträchtigung bei Schmerzpatienten im Laufe der Jahre generell angestiegen ist oder ob sich in spezialisierten Schmerzeinrichtungen zunehmend mehr psychisch belastete Patienten einfinden. Diese Frage muss offen bleiben, da noch keine entsprechenden Vergleichskollektive ausgewertet wurden.

Zusammenfassend bleibt jedoch festzuhalten, dass die in QUAST bislang zugrunde gelegten Prozentränge für das jetzige Patientenkollektiv in spezialisierten Schmerzeinrichtungen nicht mehr repräsentativ sind. Deshalb erscheint uns eine neue Normierung auf der Basis der in dieser Studie ermittelten Prozentränge angezeigt. Zu erwähnen ist auch, dass bei den psychischen Befindensmaßen mehr fehlende Werte zu beobachten sind als bei den körperlichen Schmerz- und Befindensmaßen. Offenbar scheinen sich Schmerzpatienten über ihr psychisches Befinden weniger mitteilen zu wollen.

Diagnosespezifische Besonderheiten

Die multizentrische und einheitliche Erfassung zentraler Merkmale von Schmerzpatienten mit verschiedenen Schmerzdiagnosen erlaubte eine diagnosespezifische sowie vergleichende Analyse der Daten. Differenzierte Angaben über einzelne Diagnosegruppen (mit z. B. Kopf-, Rücken- oder neuropathischen Schmerzen) sind bisher meist in dafür jeweils spezialisierten Einrichtungen gewonnen und ausgewertet worden. In der diagnoseübergreifenden Datenerfassung und -auswertung besteht ein weiterer Informationsgewinn des hier analysierten multizentrischen Datenpools, der für die 4 größten Diagnosegruppen hier diskutiert wird.

Wie erwartet, stellen Patienten mit Rückenschmerzen das größte Subkollektiv dieser Analysestichprobe dar. Nahezu 80% geben zum Zeitpunkt der Erstvorstellung einen Dauerschmerz an. Bei höchsten Beeinträchtigungsscores (im PDI) ist insgesamt die niedrigste körperliche, aber gleichzeitig die höchste psychische Lebensqualität zu verzeichnen. Hier stellt sich die Frage, über welche Mechanismen die psychische Lebensqualität erhalten bleibt, obwohl die körperliche Beeinträchtigung maximal ausgeprägt ist. Körperliche Belastung wird von den meisten Rückenschmerzpatienten als Hauptursache für das bestehende Schmerzproblem angesehen. Die vielfach erforderliche körperliche Remobilisierung wird bei einer solchen Ursachenattribution entsprechend schwierig umsetzbar sein. Ungünstig für eine Verhaltensänderung wirkt sich vermutlich auch die lange Erkrankungsdauer aus, die diese Patienten im Regelfall aufweisen, bis sie sich in spezialisierten Schmerzeinrichtungen vorstellen.

Demgegenüber finden sich die Patienten mit neuropathischen Schmerzen früher als die meisten anderen Schmerzsyndrome dieser Analysestichprobe in spezialisierten Praxen und Kliniken ein, was jedoch angesichts der beteiligten Schmerzzentren nicht repräsentativ für die deutsche Versorgungslandschaft sein muss. Fast alle Patienten dieser Diagnosegruppe beklagen mehrmals täglich auftretenden oder dauernd vorhandenen Schmerz. Nicht analysiert wurde, wie viele Patienten eine doppelte Symptomatik aufweisen, d. h. unter Dauerschmerzen und einschießenden Attacken leiden, und in welchem Ausmaß diese beiden Schmerzqualitäten an der Gesamtbeeinträchtigung beteiligt sind. Vorangegangene Operationen werden von Patienten mit neuropathischen Schmerzen als meistgenannte Ursache angegeben. Dies geht oft mit einer Schuldzuweisung einher und könnte für die Arzt-Patient-Interaktion in der Schmerztherapie potenziellen Konfliktstoff beinhalten. Es ist bekannt, dass externale Schuldzuweisungen das Therapie-Outcome negativ beeinflussen [5, 20].

Jeder fünfte Patient der vorliegenden Analysestichprobe hat die Schmerzdiagnose Muskel-, Gelenk- und Knochenschmerzen erhalten. Diese Diagnosegruppe weist im Vergleich zu den übrigen Hauptdiagnosen eine in allen Bereichen mittlere Symptomausprägung auf. Obwohl die Differenzialdiagnosen mit bekanntermaßen hohem Frauenteil (z. B. Fibromyalgie) nur gering vertreten sind, ist der Frauenanteil insgesamt recht hoch. Hervorzuhebende Abgrenzungen zu den anderen Diagnosegruppen finden sich auch für die psychometrischen Daten nicht. Hier wäre eine differenziertere Auswertung für einzelne Unterdiagnosen sicherlich aufschlussreich, würde aber den Rahmen der vorliegenden Ergebnisdarstellung überschreiten.

Die meisten Besonderheiten sind über die Patientengruppe mit Kopfschmerzen zu berichten. Diese Schmerzklientel ist bei Einschluss in die spezielle Schmerztherapie bereits deutlich länger erkrankt als alle anderen Diagnosegruppen. Gemeinsam mit Patienten, die unter Gesichtsschmerz leiden, geben sie vergleichsweise niedrigere Depressivitätsscores an und beschreiben eine höhere körperliche Lebensqualität als die übrigen Diagnosegruppen. Vielleicht verfügen diese Patienten über psychosoziale Ressourcen, die ihnen bei der besseren Bewältigung der Erkrankung zugute kommen. Möglicherweise trägt aber auch der episodische Charakter des Kopfschmerzes zu der geringeren Belastung bei und vermeidet, dass sich dieses Kollektiv als durchgehend krank erlebt. Dass die Ursachenzuschreibung sich vorwiegend auf psychische Faktoren bezieht, ist für Schmerzexperten nicht verwunderlich. Dies bestätigt sich auch im klinischen Alltag, wo diese Schmerzklientel eine höhere Bereitschaft für schmerzpsychotherapeutische Interventionsansätze zeigt.

Zusammenfassend legt die diagnosespezifische Auswertung den Schluss nahe, dass sich Chronifizierung und Chronizität in Abhängigkeit von der jeweiligen Schmerzdiagnose auf unterschiedliche Merkmale auswirken bzw. von diesen Merkmalen in unterschiedlich starkem Ausmaß beeinflusst zu sein scheinen. Welche Faktoren und Mechanismen dieses hervorrufen, stellt eine wissenschaftlich hoch spannende und klinisch relevante Frage dar, die anhand der hier zur Verfügung stehenden Daten nicht klärbar ist. Die bisherigen Forschergruppen spezialisieren sich oftmals in diagnosespezifischen Forschungsverbünden, wie sie z. B. von der DFG oder dem BMBF gefördert werden („Forschungsverbund Kopfschmerz“, „Netzwerk neuropathischer Schmerz“ etc.). Da bei solch spezialisierten Ausrichtungen und Förderschwerpunkten diagnoseübergreifende Fragestellungen weitgehend unberücksichtigt bleiben, sind störungs- und zentrumsübergreifende Datenerhebungen überaus wertvoll. Verantwortliche und Entscheidungsträger sollten sich deshalb zu mehr syndromübergreifenden Forschungsambitionen und -aktivitäten aufgerufen sehen.

Fazit für die Praxis

Aus der Datenanalyse besonders hervorzuheben sind folgende Aspekte: Ein nennenswerter Anteil der Schmerzpatienten sucht bereits zu einem frühen Zeitpunkt schmerzspezialisierte Einrichtungen auf oder wird diesen zugewiesen. Von Bedeutung sind auch die hohen psychischen Belastungen (wie z. B. Depressivität, Einschränkung der Lebensqualität, schmerzbezogene Beeinträchtigung des Alltagslebens) und die Beobachtung, dass immerhin fast ein Viertel der Patienten in seelischen Belastungen einen relevanten Risikofaktor für ihre Schmerzproblematik sieht. Nach dem jetzt vorliegenden Kenntnisstand müssen die bislang geltenden psychometrischen Referenzwerte für das Bezugssystem der Schmerzpatienten nach oben korrigiert werden. Somit unterstreichen diese Befunde ganz deutlich die Notwenigkeit einer interdisziplinären Behandlung, bei der die Schmerzpsychotherapie in der Versorgung von Schmerzpatienten einen festen Bestandteil einnehmen muss. In den jeweiligen Hauptdiagnosegruppen zeigen sich verschiedene soziodemografische und psychosoziale Besonderheiten, die bei der multimodalen Versorgung von Schmerzpatienten Berücksichtigung finden sollten.

Zu dem hier vorgestellten Datenpool sind Folgebeiträge in Vorbereitung, die sich u. a. mit verschiedenen Aspekten der Schmerzchronifizierung, der Schmerzbehandlung und der Effektivität multidisziplinärer Schmerztherapie befassen werden.

Abschließend sei noch einmal betont, dass mit dem QUAST-Dokumentationssystem die Gewinnung und der Zugriff auf einen multizentrischen Datenpool möglich wurden, der aufgrund der Stichprobengröße international einzigartig ist. Seine Relevanz resultiert zudem aus der Tatsache, dass er überwiegend im Versorgungsalltag und nicht wie sonst üblich im Forschungskontext gewonnen wurde.