Internationale epidemiologische Studien in der Allgemeinbevölkerung zeigen eine weite Verbreitung chronischer Schmerzen [2, 3, 7, 8, 9, 13, 18, 25, 26, 34]. Die ermittelten Prävalenzwerte variieren aus methodischen Gründen beträchtlich. Je nach den untersuchten Prävalenzzeiträumen, Erhebungsmethoden, ausgewählten Stichproben und verwendeten Schmerzdefinitionen sowie Schweregradeinteilungen werden Raten zwischen 2 und 50% berichtet. Die breite Streuung der Prävalenzraten lässt vermuten, dass sie als singuläre Parameter keine realistischen Indikatoren für die Planung oder Optimierung der klinischen Versorgung chronischer Schmerzpatienten sein können.

Im Vergleich zu epidemiologischen Untersuchungen in der Allgemeinbevölkerung gibt es deutlich weniger Studien, die chronische Schmerzen in Schmerzambulanzen und klinischen Einrichtungen erforscht haben [5, 10, 17, 23, 27, 31, 36]. Zudem konzentrieren sich einige nur auf häufig vorkommende Schmerzsyndrome wie z. B. Kopf- oder Rückenschmerzen. Wegen des hohen Informationsgehalts hinsichtlich Schmerzprävalenzen, klinischem Verlauf und Inanspruchnahme von Therapien sind versorgungsbezogene Untersuchungen von hoher gesundheitsökonomischer Bedeutung [21, 26]. Als Vorbehalt wird aber häufig vorgebracht, dass Studien in ausschließlich klinischen oder ambulanten Settings wegen möglicher Selektionseffekte zu einer verzerrten Perspektive führen [11].

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, spezifische Schmerzparameter der Allgemeinbevölkerung mit Prävalenzraten aus Versorgungssettings zu vergleichen. Sie geht der Frage nach, wie sich die Schmerzlokalisationen in einer großen, heterogenen Stichprobe stationär und ambulant versorgter Patienten sowie Probanden aus Selbsthilfeorganisationen verteilen und stellt die Ergebnisse zu den repräsentativen Daten des Bundesgesundheitssurveys 1998 (BGS98; [6, 30]) in Beziehung. Die Erwartung ist, dass die Beschwerdelast bei der Patientenstichprobe höher liegt als in der Allgemeinbevölkerung, die relativen Unterschiede der Prävalenzen häufiger Schmerzlokalisationen (Kopf-, Rücken-, Nacken- und Schulterschmerzen [6, 19]) aber vergleichbar sind. Darüber hinaus werden die Schmerzlokalisationen auf ihre Alters- und Geschlechtsabhängigkeit überprüft und nach unterschiedlichen Versorgungseinrichtungen differenziert. Schließlich werden die Verteilung weiterer Schmerzparameter, wie Häufigkeit, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Beeinträchtigungen im Alltag und das Therapieinanspruchnahmeverhalten untersucht.

Methodik

Patientenauswahl

Für die Querschnittserhebung wurden von 2000–2001 chronische Schmerzpatienten aus verschiedenen Versorgungseinrichtungen konsekutiv rekrutiert:

  • stationär (n=223): 4 Rehabilitationskliniken (Schwerpunkte Orthopädie, Rheuma, chronische Schmerzsyndrome);

  • ambulant (n=149): 6 Schmerzambulanzen an Universitätskliniken und Kreiskrankenhäusern, 3 orthopädische Facharztpraxen, eine Psychotherapeutenpraxis;

  • Selbsthilfeorganisation (n=121): Bundesverband Deutsche Schmerzhilfe e.V.

Es wurden durch die behandelnden Ärzte, Physiotherapeuten und Psychologen sowie durch Leiter von Selbsthilfegruppen insgesamt 761 Fragebögen verteilt, von denen die Patienten 494 auf dem Postweg zurücksendeten. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 65%. Bedingt durch die Art der Rekrutierung sind keine Aussagen über Merkmale der Nichtteilnehmer möglich. Einschlusskriterien waren ein Mindestalter von 20 Jahren und eine Schmerzdauer von mindestens 3 Monaten. Patienten mit mangelndem deutschem Sprachverständnis, akuten psychischen Erkrankungen oder Intoxikation blieben unberücksichtigt. Die Teilnahme war anonym und freiwillig. Die Erfassung der Prävalenzen wurde im Rahmen einer DFG-Studie durchgeführt, die die Untersuchung der Veränderungsmotivation chronischer Schmerzpatienten zum Ziel hatte [24]. Die repräsentativen Vergleichsdaten zur Allgemeinbevölkerung stammen aus dem Kernsurvey des Bundesgesundheitssurveys 1998 (N=7124, Alter 18–79 Jahre), der vom Robert-Koch-Institut durchgeführt wurde und zum Ziel hatte, den Gesundheitszustand der deutschen Allgemeinbevölkerung zu untersuchen [6, 30]. Zur besseren Vergleichbarkeit wurde die Altersspanne der beiden Stichproben angeglichen (20–79 Jahre). Dies hatte zur Folge, dass von den 494 chronischen Schmerzpatienten eine 81-jährige Patientin und beim BGS98 267 Probanden unter 20 Jahren unberücksichtigt blieben. Weitere 155 Probanden des BGS98 wurden wegen fehlender Angaben zu ihren Schmerzlokalisationen nicht mit einbezogen. Die den Ergebnissen zugrunde liegenden Stichproben umfassten somit 493 chronische Schmerzpatienten und 6702 Probanden aus der Allgemeinbevölkerung.

Erhebungsinstrument

Die Erhebung der soziodemographischen Daten der Teilnehmer orientiert sich an Vorgaben der Arbeitsgruppe „Routinedaten“ im Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften des BMBF und der Deutschen Rentenversicherung, die in Anlehnung an Empfehlungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie zur Messung und Quantifizierung soziodemographischer Merkmale in empirischen Studien entwickelt wurden [12].

Die Schmerzlokalisationen (z. B. Kopf, Nacken, Schultern, Rücken, Unterleib etc.) wurden mittels eines Fragebogens untersucht, der zuvor in gleicher Form zur Erhebung der Zwölfmonatsprävalenzraten im Rahmen des BGS98 [6, 30] eingesetzt worden war. Im Unterschied zum BGS98 wurde statt nach dem stärksten Schmerz in den letzten 7 Tagen nach den z. Z. am stärksten belastenden Schmerzen gefragt.

Die Erfassung der Stärke der z. Z. belastenden Schmerzen basiert auf der üblichen 10-stufigen numerischen Ratingskala von 1 kaum spürbare bis 10 unerträgliche Schmerzen (Kategorien: 1–3 gering, 4–7 mittel, 8–10 stark; [20]). Im BGS98 kam eine 9-stufige Skala (Kategorien: 1–3 gering, 4–6 mittel, 7–9 stark) zur Erfassung des stärksten Schmerzes im Verlauf der letzten Woche zur Anwendung. Die Beschreibung der chronischen Schmerzen nach Dauer, Auftretenshäufigkeit (5-stufige Ratingskala: ständig bis selten) und Behinderungen bei der Ausübung von Alltagstätigkeiten durch die Schmerzen während der letzten 4 Wochen (5-stufige Ratingskala: überhaupt nicht bis sehr) orientiert sich an einer Studie von Von Korff et al. [20].

Darüber hinaus wurden Fragen nach den Behandlungsmethoden (z. B. Medikamente, physikalische, psychologische Therapien) gestellt, die aus dem Schmerzfragebogen des Schmerztherapeutischen Kolloquium e.V. übernommen wurden [14].

Statistische Auswertung

Die Prävalenzraten der Schmerzlokalisationen (12 Monate und z. Z.) wurden jeweils als prozentuale Häufigkeiten in der Gesamtstichprobe und in Patientensubgruppen, gebildet nach Geschlecht, Alter und dem Setting (stationär, ambulant, Selbsthilfe) berechnet. Die Berechnung der Prävalenzraten in den Patientensubgruppen aus den verschiedenen Versorgungseinrichtungen erfolgte geschlechts- und altersadjustiert, um Einflüsse dieser Variablen zu kontrollieren [3, 6, 15, 22]. Hierbei erfolgte eine logistische Regression zur Berechnung des Risikos (Odds Ratio = Chancenverhältnis, mit dem ein Merkmal in 2 zu vergleichenden Subgruppen auftritt) für die Patientengruppen, den jeweiligen Schmerz im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung aufzuweisen, unter Einschluss der konfundierenden Variablen „Alter“ und „Geschlecht“. Auf der Basis der Odds Ratios wurden ausgehend von den Prävalenzraten der Allgemeinbevölkerung die adjustierten Prävalenzraten der Patientenstichproben berechnet. Die adjustierten Prävalenzraten der Patientenstichproben geben somit wieder, welche Prävalenzraten man in den Patientenstichproben erwarten würde, wenn deren Alters- und Geschlechtsverteilung der (gewichteten) Verteilung in der Allgemeinbevölkerungsstichprobe entsprechen würde. Die zum Vergleich herangezogenen Zwölfmonatsprävalenzwerte zur deutschen Allgemeinbevölkerung stammen aus dem Public Use File Bundesgesundheitssurvey 1998 — Kernsurvey [30]. Für repräsentative Aussagen zur deutschen Allgemeinbevölkerung wurden die BGS98-Daten entsprechend der deutschen Alters-, Geschlechts- und Gemeindeverteilung gewichtet [33]. Die hierfür vorliegende Gewichtungsvariable im Public Use File BGS98 [30] wurde der reduzierten Stichprobe angepasst (Mittelwert der 6702 Gewichtungsfaktoren: 1). Zur Prüfung auf Gruppenunterschiede wurden χ2-Tests verwendet. Bei nicht normalverteilten Variablen wurden zur Beschreibung der Verteilung der Median (Md) und die Spannweite berechnet und zum Gruppenvergleich nichtparametrische Verfahren, hier der H-Test nach Kruskal und Wallis, eingesetzt.

Ergebnisse

Stichprobe

Von den 493 chronischen Schmerzpatienten sind 45,2% stationäre und 30,2% ambulante Patienten. 24,5% sind Mitglieder von Selbsthilfegruppen. Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, liegt das Alter der Patienten zwischen 20–79 Jahren, wobei 2/3 zwischen 40 und 59 Jahre alt sind.

Tabelle 1 Soziodemographische Daten der chronischen Schmerzpatienten (n=493) im Vergleich zu den repräsentativen Daten des Bundesgesundheitssurveys (BGS 1998; n=6702) [30]

59,9% der Patienten sind weiblich. Unter Berücksichtigung von Schulbildung, Berufstatus und Einkommen ergibt sich bei der Schichtklassenbildung [12] ein Überwiegen der Mittelschicht (71,5%). Im BGS98 waren Männer und Frauen etwa gleich häufig (48,7 vs. 51,3%) und etwa 2/3 der Probanden der Mittelschicht zuzurechnen.

Schmerzlokalisationen

Für den Zeitraum der letzten 12 Monate geben 97,6% der chronischen Schmerzpatienten (Md(12mon) 6; Min-Max 1–13) und 76,8% der Allgemeinbevölkerung (Md(12mon) 3; Min-Max 0–13) mehr als eine Schmerzlokalisation an. Werden die chronischen Schmerzpatienten nach den z. Z. am belastendsten Schmerzen befragt, sinkt zwar die Zahl der genannten Schmerzlokalisationen (Md(zZ) 3; Min-Max 0–13), aber immer noch 88,3% berichten über mehr als eine Lokalisation. Zwischen Intensität (r=0,32, p <0,01), Häufigkeit (r=0,20, p <0,01) und Dauer (r=0,16, p <0,01) der belastenden Schmerzen und der Anzahl der Schmerzlokalisationen bestehen positive Zusammenhänge. Für beide befragte Zeiträume geben weibliche (Md(12mon) 7/Md(z.Z) 3) und ältere Patienten (50–69 Jahre, Md(12mon) 7/Md(zZ) 3) mehr Schmerzbereiche an.

Tabelle 2 zeigt die von den Patienten im Laufe des vergangenen Jahres für verschiedene Körperlokalisationen angegebenen Schmerzen, und Tabelle 3 die aktuell am stärksten belastenden Schmerzen. Da Mehrfachnennungen möglich waren, übersteigt die Gesamtsumme der Schmerzbereiche jeweils 100%.

Tabelle 2 Zwölfmonatsprävalenzwerte der Schmerzlokalisationen in der Patientenstichprobe, getrennt nach Geschlecht im Vergleich zur deutschen Allgemeinbevölkerung [30]
Tabelle 3 Prävalenzwerte der zur Zeit am belastendsten Schmerzlokalisationen in der Patientenstichprobe, getrennt nach Geschlecht

Rücken-, Nacken-, Schulter- und Kopfschmerzen sind für beide Beobachtungszeiträume am häufigsten. Die Prävalenzwerte der Schmerzlokalisationen in der Patientenstichprobe liegen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um den Faktor 1–3 höher (Tabelle 2). Für Kopf-, Bauch- und Unterleibsbeschwerden ist der Unterschied zur Allgemeinbevölkerung eher klein, während er für muskuloskelettale Schmerzen (Nacken, Schulter, Rücken, Finger, Arme, Hüfte, Beine, Füße) am größten ist.

Die Schmerzprävalenzen für die letzten 12 Monate sind durchgehend um den Faktor 1,5–3,5 größer als die aktuell belastenden Schmerzen, wobei sich bei Rücken-, Hüft- und Nackenschmerzen die kleinsten und bei Unterleib-, Brustkorb- und Bauchschmerzen die größten Häufigkeitsunterschiede zeigen.

Geschlechts- und Alterseffekte

Frauen weisen gegenüber Männern sowohl in der Patientenstichprobe als auch in der Allgemeinbevölkerung nahezu durchgängig höhere Prävalenzwerte für die untersuchten Schmerzlokalisationen auf (Tabelle 2 und 3; OR 0,9–5,7; Referenz Männer: 1). Die stärksten Geschlechtsunterschiede finden sich in der Patientenstichprobe für Unterleibsschmerzen und Schmerzen in den Extremitäten (Arme, Hände und Füße), während dies in der Allgemeinbevölkerung für Unterleibs-, Nacken- und Kopfschmerzen der Fall ist. Für Rücken und Knie sind die Schmerzen bei Frauen und Männern annähernd gleich häufig.

Bezüglich des Altersverlaufs für die Schmerzlokalisationen zeigen sich in der Patientenstichprobe mehrere Trendmuster (Abb. 1a, b):

Abb. 1a, b
figure 1

Schmerzhäufigkeiten in den oberen und unteren Schmerzlokalisationen während 12 Monaten in Abhängigkeit vom Alter in der Patientenstichprobe

  • Trend a: über alle Altersgruppen eine nahezu gleich bleibende Schmerzhäufigkeit,

  • Trend b: höchste Beschwerdelast bei den Jüngeren und fallende Tendenz mit zunehmendem Alter,

  • Trend c: Anstieg auf ein Maximum im mittleren Altersbereich und Abklingen der Beschwerdehäufigkeit im Alter,

  • Trend d: ansteigende Tendenz mit Maxima bei den Ältesten.

Rückenschmerzen liegen für alle Altersgruppen auf einem hohen Häufigkeitsniveau und sind die mit Abstand am häufigsten genannten Schmerzen (Trend a). Kopfschmerzen finden sich besonders bei den Jüngeren und zeigen mit zunehmendem Alter eine sinkende Tendenz (Trend b). Für die Schmerzlokalisationen des oberen Rückens (Nacken und Schultern) und die oberen Extremitäten (Arme, Ellbogen, Hände und Finger) sind mit dem Alter ansteigende Kurven mit Maxima bei den 50- bis 59- bzw. 60- bis 69-Jährigen zu beobachten, die dann bei den über 70-Jährigen eine mehr oder weniger stark fallende Tendenz zeigen (Trend c). Die Schmerzhäufigkeit in den unteren Extremitäten (Oberschenkel, Knie, Wade, Füße und Zehen) steigt beginnend von niedrigem bis mittlerem Niveau bei jüngeren Patienten an und erreicht im höheren Alter (≥60 Jahre) das Maximum (Trend d). Eine Ausnahme sind Hüftschmerzen, die ein Maximum bei den 50- bis 59-Jährigen aufweisen. Insbesondere Knieschmerzen steigen mit dem Alter stark an, sie werden bei den über 70-Jährigen hinter Rückenschmerzen zum zweithäufigsten Schmerz.

Setting

In Abb. 2 sind die geschlechts- und altersadjustierten Prävalenzen der Schmerzlokalisationen der Patientensubgruppen in den verschiedenen Settings dargestellt. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sind in allen 3 Settings die Prävalenzen der meisten Schmerzlokalisationen signifikant erhöht (OR 1,0–5,1; Referenz BGS98: 1). Nur bei Kopf-, Bauch- und Unterleibschmerzen sind die Unterschiede nicht signifikant (OR 1,0–1,8).

Abb. 2
figure 2

Geschlechts- und altersadjustierte 12-Monats-Prävalenzen der Schmerzlokalisationen in der Patientenstichprobe (getrennt nach Setting) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung

Zwischen den 3 Settingbedingungen bestehen nur geringe Prävalenzunterschiede. Die ambulant behandelten Patienten und die Probanden aus den Selbsthilfegruppen geben für den Zwölfmonatszeitraum seltener muskuloskelettale Beschwerden an als die stationär in Rehabilitationskliniken versorgten Patienten (OR: Finger, Schulter, Rücken, Hüfte, Knie 0,4–0,6; p ≤0,05; stationäres Setting: 1 [Referenz]). Kopfschmerzen sind bei den Patienten aus den Selbsthilfegruppen häufiger zu finden (OR 1,7; p ≤0,05).

Qualität der belastenden Schmerzen

Die von den chronischen Schmerzpatienten angegebene Schmerzdauer, Auftretenshäufigkeit und Intensität der Schmerzen sowie der Grad der Behinderung können näherungsweise als Maß für die Chronifizierung angesehen werden [20]. Etwa die Hälfte der Patienten berichtet, seit 8–45 Jahren an den belastenden Schmerzen zu leiden (Md 8,6 Jahre). Bei 6,7% der Patienten liegt die Schmerzdauer unter einem Jahr. Die Angaben zur Schmerzdauer sind geschlechtsunabhängig, zeigen aber einen Zusammenhang mit dem Alter (H 32,4; df 5, p <0,001). Der Median steigt mit dem Alter von 5 Jahren (Min-Max: 3 Monate – 30 Jahre) bei den unter 30-Jährigen auf 11,5 Jahre (Min-Max: 1,3–45 Jahre) bei den 60- bis 69-Jährigen. Bei den über 70-Jährigen sinkt er wieder (Md 9,1 Jahre, Min-Max 1–40 Jahre, 75%-Perzentil 14 Jahre), wobei 3/4 der Mitglieder dieser Subgruppe angeben, ihre Schmerzbeschwerden erst in mittleren Jahren bzw. nach Austritt aus dem Berufsleben entwickelt zu haben.

76,3% der Patienten geben chronisch-persistierende (ständig, nahezu täglich) und 21,9% chronisch-rekurrierende (mehrmals die Woche oder mehrmals im Monat) Schmerzen an. Lediglich 1,8% berichten über selten auftretende Schmerzen. Zusammenhänge der Schmerzhäufigkeit mit Geschlecht und Alter zeigen sich nicht. 88,1% der Frauen geben für die z. Z. belastendsten Schmerzen starke und mittlere Schmerzintensitäten an, bei den Männern sind es 83,8% (Abb. 3). Der Vergleich mit BGS98-Probanden, die Schmerzen während der letzten 7 Tage angegeben haben (n=4640), zeigt, dass in beiden Studien die mittleren Schmerzintensitäten überwiegen. Der Unterschied besteht darin, dass in der Allgemeinbevölkerung die geringen und in der Patientenstichprobe die starken Schmerzintensitäten häufiger genannt werden. Die eingangs in der Methodenbeschreibung angeführten Skalenunterschiede für die Schmerzintensitäten in der Patientenstichprobe (10-stufige Skala) und der BGS98-Studie (9-stufige Skala) wirken sich insbesondere auf das Verhältnis von mittleren zu starken Schmerzintensitäten aus. Die gewählte Kategorisierung führt dazu, dass in Abb. 3 der relative Anteil an starken Schmerzintensitäten in der Patientenpopulation zugunsten der mittleren Schmerzintensitäten eher unterbewertet wird (vgl. [1]).

Abb. 3
figure 3

Intensität der z. Z. belastendsten Schmerzen in der Patientenstichprobe (n=490) und Intensität des stärksten Schmerzes in den letzten 7 Tage in der Allgemeinbevölkerung (n=4640)

Die Frauen der Patientenstichprobe geben häufiger als Männer starke Schmerzintensitäten an (H 6,4; df 1; p 0,01). Während bei den Frauen die Schmerzintensität über die gesamte Altersspanne relativ hoch ist, nimmt sie bei den Männern mit dem Alter zu (H 11,1; df 5; p 0,05).

Bei der Ausübung der Alltagstätigkeiten zu Hause und im Beruf in den letzten 4 Wochen fühlen sich 69,6% der chronischen Schmerzpatienten, aber nur 9,7% der BGS98-Probanden durch ihre Schmerzen sehr bis ziemlich eingeschränkt. Hingegen geben 10,2% der Patienten, aber 75,1% der BGS98-Probanden an, überhaupt nicht oder nur etwas beeinträchtigt zu sein. Bei dieser Selbsteinschätzung der Beeinträchtigung durch die Schmerzen zeigt sich in der Patientenstichprobe kein und in der BGS98-Studie ein schwach positiver Zusammenhang mit dem weiblichen Geschlecht (r=0,10, p <0,01) und Alter (r=0,21, p <0,01). In beiden Studien steigt die Beeinträchtigung mit der Schmerzintensität an (Abb. 4; r=0,50 in der Patientenstichprobe vs. 0,44 in der Allgemeinbevölkerung, p <0,01). Von den erwerbstätigen chronischen Schmerzpatienten (56,9%; n=278) geben 60,7% an, dass sie in den letzten 12 Monaten wegen ihrer Schmerzen krank geschrieben waren (Md 14 Tage; Min-Max 2–365 Tage).

Abb. 4
figure 4

Zunehmende Einschränkungen der Alltagstätigkeiten in der Patientenstichprobe und Allgemeinbevölkerung in Abhängigkeit von der Schmerzintensität

Inanspruchnahmeverhalten

96,7% (n=472) der Patienten haben wegen ihrer Schmerzen in den letzten 12 Monaten den Arzt konsultiert (1- bis 4-mal 19,7%; 5- bis 12-mal 41,4%; mehr als 13-mal 35,6%). Frauen gehen im Vergleich zu Männern häufiger zum Arzt (χ2=31,2; df 5; p <0,001). Ein Zusammenhang der Häufigkeit des Arztbesuchs mit dem Alter oder der Chronifizierungsdauer zeigt sich nicht. Die Inanspruchnahme von ärztlicher Hilfe während der letzten 12 Monate steigt mit der berichteten Schmerzproblematik, d. h. je intensiver (r=0,36; p <0,01) und häufiger (r=0,37; p <0,01) der Schmerz auftritt, je mehr Schmerzlokalisationen beteiligt sind (r=0,25; p <0,01) und je höher der Grad der Alltagsbehinderung ist (r=0,41; p <0,01), desto häufiger wird der Arzt aufgesucht. Mit der Chronifizierungsdauer steigt die Zahl der als belastend angegebenen Schmerzlokalisationen (r=0,15; p <0,01) und die Anzahl der Therapien (r=0,23; p <0,01). Unabhängig von Geschlecht oder Alter hat etwa die Hälfte der Patienten (49,3%) in den letzten 5 Jahren an bis zu 9 (Md 0; Min-Max 0–9) medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen oder Kuren teilgenommen. 31,4% der Patienten sind wegen der Schmerzen bereits operiert worden, wobei bis zu 15 Operationen genannt werden (Md 0; Min-Max 0–15).

Die mit Abstand häufigsten Therapieformen, die die Patienten aufgrund ihrer Schmerzen bisher erhalten haben, sind medikamentöse (86,6%) und physikalische Behandlungen (93,3%), zu denen Krankengymnastik und Physiotherapie (75,9%) sowie Massagen (71,0%), Bäder (65,7%), TENS (51,5%) und Rückenschule (43,2%) gehören. Bis zu 5 verschiedene Therapieformen sind von den Patienten bisher in Anspruch genommen worden (Md 3, Min-Max 1–5), wobei Frauen mehr Therapieversuche als Männer unternommen (χ2=31,6; df=4; p <0,001) und auch mehr alternative Behandlungsangebote (χ2=26,6; df=1; p <0,001) wie Homoöpathie, Akupunktur, autogenes Training, PMR, Meditation und Psychotherapien erprobt haben (Tabelle 4).

Tabelle 4 Von den chronischen Schmerzpatienten der Stichprobe bisher in Anspruch genommene Therapien, getrennt nach Geschlecht

Eine Altersabhängigkeit hinsichtlich der Therapienutzung zeigt sich hingegen nur für einzelne unterstützende Verfahren zur Schmerzbewältigung, z. B. Imaginationstraining.

Diskussion

Es wurde eine große Anzahl von Schmerzpatienten (n=493) mit verschiedenen chronischen Erkrankungen aus unterschiedlichen Versorgungseinrichtungen (ambulant, stationär, Selbsthilfegruppen) in die Querschnittsstudie einbezogen, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse unterstützt. Einschränkend ist zu sagen, dass die jüngste und älteste Altersgruppe in der Patientenstichprobe eher unterrepräsentiert ist. Dies ist auch der Grund, warum — anders als in der Untersuchung in der Allgemeinbevölkerung [6, 19] — der Altersverlauf für die untersuchten Schmerzparameter nicht durchgängig getrennt für Männer und Frauen dargestellt wurde. Ein Vergleich der Beschwerdelast zwischen Patientenstichprobe und Bevölkerung ist nur möglich, wo gleiche oder vergleichbare Fragen gestellt werden. Zwischen den beiden Stichproben war der Selbstbericht zu den Schmerzlokalisationen, der Intensität der stärksten Schmerzen sowie den Beeinträchtigungen durch die Schmerzen vergleichbar.

Schmerzbeschwerden

In der Patientenstichprobe traten erwartungsgemäß die Schmerzbeschwerden häufiger und stärker auf. Die hohen Prävalenzzahlen für die Schmerzbeschwerden in beiden Studien ergaben sich durch die Angabe mehrerer Schmerzlokalisationen. Bei der Erhebung der Schmerzbeschwerden Mehrfachnennungen zuzulassen, ist sinnvoll, weil fast alle chronischen Schmerzpatienten und 3/4 der Bevölkerung mehrere Schmerzbereiche nannten. Mit der Dauer, Häufigkeit und Intensität der Schmerzen stieg die Zahl der Beschwerden an, was auf die „Ausbreitung“ der Schmerzen in andere Körperregionen und eine möglicherweise gesteigerte Schmerzsensibilität mit zunehmender Chronifizierung hinweist.

Schmerzlokalisationen

Trotz der deutlichen Prävalenzunterschiede der einzelnen Schmerzlokalisationen in der Patientenstichprobe im Vergleich zum BGS98 zeigten sich viele qualitative Übereinstimmungen, z. B. hinsichtlich der relativen Häufigkeit der Nennung von Schmerzlokalisationen, deren Geschlechtsabhängigkeit und dem Altersverlauf. Die am häufigsten betroffenen Körperregionen in der Patientenstichprobe waren, ähnlich wie in anderen Studien mit chronischen Schmerzpatienten [34, 36], Rücken, Nacken, Schulter, Beine und Kopf. Im BGS98 wurden diese 5 Lokalisationen ebenfalls am häufigsten genannt, jedoch war die Reihenfolge unterschiedlich. Kopfschmerzen waren hier am häufigsten und auch am belastendsten. Dies belegt die weite Verbreitung von Kopf- und muskuloskelettalen Schmerzen sowohl in der Bevölkerung als auch bei Schmerzpatienten aus verschiedenen Versorgungseinrichtungen [19]. In der Patientenstichprobe zeigten sich für die Altersabhängigkeit der Schmerzlokalisationen mehrere Trendmuster (sinkend, ansteigend, ansteigend-fallend, gleichbleibend). Mit dem Alter sinkende Tendenzen waren für Kopfschmerzen zu beobachten, was zuvor auch in anderen Studien berichtet wurde [6, 29].

Ansteigende Trendkurven waren insbesondere bei den Schmerzlokalisationen der unteren Körperhälfte mit den gewichttragenden, im ganzen Leben stark beanspruchten Beingelenken und zugehörigen Muskelgruppen zu finden. Maxima im mittleren Alter traten bei den Gelenken der oberen Körperhälfte (Schulter, Arme, Finger, Nacken) auf. Diese Gelenke sind durch Fehlhaltungen oder einseitige Belastung bei der täglichen Arbeit stärker belastet, was erklären könnte, dass für diese Lokalisationen mit dem Eintritt in das Rentenalter eine Abnahme der Schmerzhäufigkeit zu beobachten war. Die unterschiedlichen Verläufe für die Schmerzlokalisationen im höheren Alter machen deutlich, dass in Anbetracht der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft weitere Untersuchungen mit passenden Erhebungsinstrumenten nötig sind [4, 16, 26, 34]. Dass sich auch der Umgang mit Schmerzen und das Krankheitsverhalten geändert haben könnten [28, 32], legen die Angaben der Patienten zur Schmerzdauer nahe, die zwar einen Anstieg mit dem Alter zeigten, aber gleichzeitig bei den jüngeren Jahrgängen eine Streubreite aufwiesen, die für eine beträchtliche Zahl der Patienten bis in die Adoleszenz zurückreichte.

Schmerzintensitäten

Bei der häufigen Nennung von mittleren Schmerzintensitäten in beiden Stichproben und dem positiven Zusammenhang zwischen Schmerzintensität und funktionaler Beeinträchtigung hätte man ein ähnliches Ausmaß der durch die Schmerzen verursachten Einschränkungen erwartet. Starke Behinderungen bei der Ausübung der Alltagstätigkeiten zu Hause und im Beruf fanden sich aber bei den chronischen Schmerzpatienten etwa 7-mal häufiger. Dies macht deutlich, dass die Schmerzintensität für sich alleine keine aussagekräftige Größe für Graduierungs- oder Stadienmodelle ist. Erst wenn die subjektiv empfundene Schmerzintensität mit andauernden Schmerzfolgen gekoppelt wird, zeigt sich ihre Rolle als Amplifikator: Mit steigenden Schmerzstärken wurden mehr Schmerzbereiche angegeben, stärkere Einschränkungen der Alltagstätigkeiten berichtet und vermehrt ärztliche Hilfe aufgesucht.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Übereinstimmend mit vielen epidemiologischen Studien in der Allgemeinbevölkerung [22, 35] berichteten die Frauen der Patientenstichprobe für den Zwölfmonatszeitraum mehr, häufigere und stärkere Schmerzen als Männer. Es fällt auf, dass die Geschlechtsunterschiede mit steigender Schmerzintensität und -dauer abnahmen. Dies lässt sich so interpretieren, dass Männer erst bei schwereren, langwierigen Beschwerden bereit sind, ihre Schmerzen mitzuteilen, während dies Frauen schon bei leichten Schmerzproblemen tun. Die Frauen der Patientenstichprobe schienen also insgesamt mit dem Schmerz offener umzugehen und auch bereitwilliger als Männer die praktische Hilfe und den Rat von Schmerzspezialisten zu suchen, was sich aus der vermehrten und früheren Nutzung von Therapien ableiten lässt. Die genauen Gründe für die geschlechtsspezifischen Häufigkeitsunterschiede müssen jedoch offen bleiben. Es sind mehrere Erklärungsansätze möglich, die physiologische, hormonelle und psychosoziale Faktoren umfassen [22, 35].

Fazit für die Praxis

Sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch Patientenstichprobe werden die gleichen 5 häufigsten Schmerzlokalisationen benannt. Was die Patienten kennzeichnet, ist, dass sie häufiger und stärker unter Schmerzen leiden, stärker in der Ausübung ihrer Alltagstätigkeiten eingeschränkt sind und trotz vielfältiger Behandlungen eine langjährige Schmerzgeschichte haben. Insbesondere Männer nehmen alternative Behandlungsmethoden wenig in Anspruch und unterziehen sich hauptsächlich physikalischen Therapien. Die vergleichenden Informationen dieser Studie können dazu beitragen, das klinische Versorgungsangebot effizienter auf die Beschwerden und Bedürfnisse der Patienten anzupassen. Dies ist wichtig, da Schmerzpatienten häufig angeben, dass keine der bisher durchgeführten Therapien ihre Beschwerden zufriedenstellend gelindert haben [36]. Außerdem kann eine fehlende oder falsche Behandlung zum Fortbestehen der Erkrankung und aufgrund der Koppelung mit psychosozialen Faktoren zu einer ungünstigen Prognose für den weiteren Krankheitsverlauf führen.