Zusammenfassung
Der Beitrag zu einem Symposion zur „psychoanalytischen Identität in Deutschland“ hat den Autor angeregt, sich mit Tradition und Wiederannäherung zu befassen und dabei besonders zu bedenken, dass es sich um zwei verschiedene Identitäten handelt. Sie lassen sich theoretisch gut voneinander trennen, aber praktisch fließen sie ineinander. Das hat den Autor dazu bewogen, Allgemeines auch am Persönlichen zu zeigen.—Die eine Identität ist die einer Nation, die deutsche Identität, die aus der Perspektive der um 1935 geborenen Kriegskinder dargestellt wird. Die andere Identität ist die einer Wissenschaft, die psychoanalytische Identität, deren Geist aus Deutschland herausgetrieben war.—Hillel Klein führte den Begriff der „Wiederannäherung“ in einem sehr weit gefassten Sinne ein.—Die Identitätsfindung erfordert Wiederannäherung an die deutsche kulturelle Tradition, wie sie insbesondere in der Literatur unversehrt erhalten geblieben war, an jüdisches Denken, wie es in deutschjüdischen Begegnungen erfahren werden konnte, und an die Psychoanalyse, wie sie von Sigmund Freud begründet und jenseits der deutschen Grenzen weiterentwickelt worden war.—Die Wiederannäherung ist ein schmerzlicher Prozess, verbunden mit den Gefühlen der Wut, der Schuld, der Scham und der Trauer.—Das kostbarste Gut ist die Hoffnung. Sie ist zu bewahren oder zu wecken, dass es möglich ist, sich von Lasten der Vergangenheit zu befreien.—Wie für viele andere gilt auch für die Kriegskinder: Es hört nie auf.
Abstract
His contribution to a symposium on “The psychoanalytic identity in Germany” stimulated the author to deal with tradition and rapprochement and in doing so to consider in particular that two different identities are at stake. Theoretically, it is quite easy to distinguish them but in practice they merge into one another. This has prompted the author to demonstrate general issues by way of personal ones.—One identity is that of a nation, i.e. the German identity, which is presented from the perspective of the war children born around 1935. The other identity is that of a science, i.e. the psychoanalytic identity, the spirit of which had been forced out of Germany.—Hillel Klein introduced the term “rapprochement” in a very wide sense.—The search for identity requires rapprochement to the German cultural tradition, as it had been preserved in literature in particular, rapprochement to Jewish thinking, as it could be experienced in German-Jewish encounters, and also rapprochement to psychoanalysis, as it had been founded by Sigmund Freud and developed further beyond the German frontiers.—Rapprochement is a painful process, accompanied by feelings of rage, guilt, shame and mourning.—The most precious treasure is hope which is to be preserved or awakened, the hope that it is possible to free oneself from the burden of the past.—What applies to many others also applies to the war children: it never comes to an end.
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Symposion anlässlich des 70. Geburtstags von Ludwig Drees und des fünfjährigen Bestehens des Magdeburger psychoanalytischen Instituts am 16. Oktober 2004 in Magdeburg. Dem Psychosozial-Verlag danken wir herzlich für die freundliche Nachdruckgenehmigung.
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Nedelmann, C. Psychoanalytische Identität in Deutschland. Forum Psychoanal 22, 182–189 (2006). https://doi.org/10.1007/s00451-006-0278-5
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00451-006-0278-5