1 Einleitung

Die digitale Transformation prägt die aktuelle und zukünftige Entwicklung des Gesundheitswesens nachhaltig. Durch den zunehmenden Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (I&K-Technologien) in allen Teilen der Gesellschaft ändern sich Möglichkeiten, Gewohnheiten, Bedürfnisse, Erwartungen und Prozesse. Das diagnostische und therapeutische Spektrum moderner medizinischer Versorgung wird zunehmend komplexer. Präventionsorientierter Beratung schließen sich diffizile Diagnosemethoden und arbeitsteilig organisierte Behandlungsverfahren spezialisierter BehandlungsträgerFootnote 1 an. Digitale Technologien ermöglichen innovative Medizintechnik-Lösungen, einen beschleunigten Austausch zwischen beteiligten Akteuren und die Vernetzung der Patientendaten. Sie bergen die Chance, Kommunikations‑, Rationalisierungs- und Qualitätsprobleme zu lösen. Insbesondere im deutschen Gesundheitswesen, das durch Sektoren- und Disziplinen-Grenzen gekennzeichnet ist, ergeben sich Potenziale zu Effizienzsteigerungen, Qualitätsverbesserungen und Kosteneinsparungen. Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“ konstatiert in seinem Gutachten aus dem Jahre 2018 das gleichzeitige Bestehen einer Unter‑, Über- und Fehlversorgung bei vielen Krankheitsbildern, die durch eine gezielte Steuerung der Angebote und Bedarfe ausgeglichen werden könnten. Er betont, dass der digitale Wandel im Gesundheitswesen die notwendigen Steuerungsprozesse unterstützen kann und für die sektorenübergreifende Vernetzung unerlässlich ist [1]. Allerdings bedingt die Einführung digitaler Technologien Veränderungen. Seit Langem etablierte Prozesse müssen aufgebrochen und neu strukturiert werden. Die Art der Interaktion zwischen den Akteuren muss neu definiert werden, wobei auch die Rolle des Patienten im Versorgungsprozess, die etablierten Hierarchien und die benötigten Kompetenzen einem Wandel unterliegen. Zudem müssen die digitalen Lösungen sinnvoll kombiniert und in den arbeitsteiligen Prozessen des Gesundheitswesens miteinander verzahnt werden, um deren Potenziale in vollem Umfang nutzen zu können. Digitale Insellösungen steigern eher die Intransparenz und fördern Kommunikationslücken. Nicht zu vergessen ist der verantwortungsvolle Umgang mit den sensiblen Daten. Sinnvolle und wirksame Datenschutzrichtlinien sind eine Grundlage für die nachhaltige Etablierung digitaler Angebote im Gesundheitswesen. Letztlich müssen Geschäftsmodelle gefunden werden, die durch eine entsprechende Finanzierung eine nachhaltige Anwendung der Technologien sicherstellen. Die regulativen Anforderungen des deutschen Gesundheitswesens erschweren die Etablierung digitaler Geschäftsmodelle jedoch.

Die Herausforderung ist es demnach, die digitale Transformation weiter voranzutreiben, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und das deutsche Gesundheitswesen dadurch zu modernisieren und zu reformieren. Nur so kann das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich bestehen und brillieren.

2 Telemedizin als Ausdruck des digitalen Wandels

Telemedizin gilt als ein konkretes Beispiel für den digitalen Wandel. Die Einführung in der Betreuung, Therapieführung und -steuerung chronisch kranker Patienten gilt in Deutschland jedoch – trotz starker Unterstützung durch Gesundheitspolitik und Gesundheitsökonomie – nach wie vor als Pionierarbeit. Das uneinheitliche Verständnis von Telemedizin spiegelt sich in unterschiedlichen Definitionen wider. Die Bundesärztekammer definiert Telemedizin wie folgt: „Telemedizin ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt“ [2].

Telemedizin birgt das Potenzial, …

  • die Kommunikation und Koordination des arbeitsteiligen medizinischen Versorgungsprozesses sektoren- und disziplinenübergreifend zu erleichtern, z. B. durch strukturierte Patientenakten, die gleichzeitig zu einer Vermeidung von Doppel- oder Mehrfachuntersuchungen beitragen.

  • die Qualität der Versorgung zu steigern, indem die Therapie transparent und aufeinander abgestimmt ist.

  • die Effizienz der Versorgung zu steigern, indem Verschlechterungen des Gesundheitszustandes mittels medizintechnischer Geräte rechtzeitig erkannt werden und adäquate medizinische Maßnahmen rasch eingeleitet werden können.

  • vorhandenes Wissen umfassend verfügbar zu machen und so z. B. eine verbesserte und zielgerichtete Aus‑, Fort- und Weiterbildung zu ermöglichen.

  • verfügbares Wissen in evidenzbasierten, leitlinienorientierten Entscheidungs- und Unterstützungssystemen für medizinische Leistungserbringer zu nutzen.

  • die Patientenorientierung des Gesundheitssystems zu stärken, indem Patienten in qualitätsgeprüften Patienten- und Gesundheitsinformationssystemen mehr Wissen über ihre Erkrankung erlangen und eine aktive Rolle in ihrem Versorgungsprozess einnehmen können.

  • räumliche Distanzen zwischen Behandlern und Patienten zu überbrücken.

Trotz der aufgezeigten Chancen stößt die operative Umsetzung der Telemedizin immer noch auf Probleme, die einerseits in dem deutschen Gesundheitssystem verankert sind. Andererseits behindern jedoch auch technische Aspekte die reibungslose Einführung in den Gesundheitsmarkt.

Die folgenden Einführungsbarrieren geben eine beispielhafte Übersicht:

  • Standards zur Interoperabilität fehlen oder werden nur unzureichend umgesetzt: Eine große Schwierigkeit stellt die mangelnde technische und semantische Interoperabilität der vielen eigenständigen Komponenten dar. So behindert die fehlende Interoperabilität die notwendige Vernetzung zwischen stationären und ambulanten Primärsystemen. Zahlreiche Medizintechnik-Unternehmen haben jeweils ihre eigenen Lösungen für einzelne Komponenten einer Telemedizin-Gesamtlösung entwickelt, ohne deren Zusammenspiel im Gesamtsystem zu beachten. Beispielsweise betreiben alle Hersteller kardialer Implantate ihre eigene Datenbank. Die Integration der Implantatdaten in das Primärsystem des Nutzers ist nicht ohne weiteres möglich.

  • Finanzierungs- und Investitionshürden: Die Finanzierungs- und Anreizstrukturen des Gesundheitswesens bedingen, dass sich Investitionen möglichst kurzfristig auszahlen sollen. Veränderungsprozesse im Zuge des digitalen Wandels amortisieren sich jedoch häufig erst nach einer gewissen Zeit. Zudem bestehen aufgrund der sektoralen Trennung und der fehlenden sektorenübergreifenden Finanzierungslösungen keine wirtschaftlichen Anreize für die ambulanten oder stationären Leistungserbringer, in telemedizinische, sektorenübergreifende Lösungen zu investieren. Letztlich haben nur wenige Telemedizin-Lösungen bisher Eingang in den Abrechnungskatalog der Krankenkassen gefunden. Bemängelt wird pauschal eine fehlende Evidenz des medizinischen und gesundheitsökonomischen Nutzens.

  • Keine Zertifizierung digitaler Lösungen: Die digitalen Anwendungen und damit verbundenen Dienstleistungen auf dem Gesundheitsmarkt sind sehr heterogen. Sie unterliegen bisher keinem allgemein anerkannten Katalog an Qualitätsanforderungen. Die Bewertung der Angebote durch potenzielle Nutzer ist daher erschwert und behindert deren Adoption.

  • Verkrustete Prozesse und Organisationsstrukturen: Telemedizin erfordert eine komplexe Anpassung der Arbeitsprozesse und der Aufgabenteilung der Leistungserbringer und ist daher barrierenbehaftet. Partikularinteressen sowie etablierte Kompetenz- und Hierarchiegebilde stehen den Veränderungsprozessen gegenüber.

Die folgenden Ausführungen fokussieren den Bereich der Telemedizin im kardialen Bereich. Neben den Ausprägungen werden die Einsatzmöglichkeiten bei verschiedenen Krankheitsbildern sowie die Anwendung im Zuge von Instrumenten des Gesundheitssystems, wie integrierte Versorgungsprogramme, beschrieben. Es ist das Ziel des vorliegenden Positionspapiers, eine aktuelle Standortbestimmung zum Stellenwert gegenwärtig verfügbarer Telemonitoring-Systeme in der Prävention, Diagnostik und gerichteten Therapieführung bei kardialen Patienten vorzunehmen und in ihrer medizinischen Wertigkeit zu beschreiben.

3 Arten von Telemedizin

Auch wenn sich verschiedene Definitionen von Telemedizin unterscheiden, können gemeinsame Kernmerkmale festgehalten werden: Mithilfe von I&K-Technologien werden digitale Bilder oder andere medizinisch relevante Daten über Zeit- und Ortsgrenzen hinweg übermittelt, um die Versorgung des Patienten zu unterstützen [3]. Grundsätzlich kann Telemedizin nach den beteiligten Partnern klassifiziert werden. Zum einen dient Telemedizin dazu, die Kommunikation und damit die Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Leistungserbringern zu erleichtern. Bei diesen Konzepten handelt es sich um sog. „doctor-to-doctor“ – kurz: doc2doc – Anwendungen. Diese Konzepte fokussieren häufig die Übermittlung von Wissen. Beispielhaft sind hier die Telekonsultation, Teleradiologie und Telepathologie zu nennen. Im Zuge einer Telekonsultation werden Patientendaten unter Überwindung der räumlichen Trennung zwischen Ärzten ausgetauscht, um die Expertise zu erhöhen und beispielsweise eine zweite Meinung in die Befundung und Therapieplanung hinzuzuziehen. Zum Beispiel bieten zentrale Schwerpunktkliniken ihre Expertise kleinen Krankenhäusern mittels Telekonsultation an. Auch die Auswertungen von Röntgenbildern (Teleradiologie) oder Mikroskop- bzw. Laborbefunden (Telepathologie), wenn die erforderliche Expertise nicht vor Ort ist, zählen vor allem zu den doc2doc-Anwendungen. Darüber hinaus kann die medizinische Aus‑, Fort- und Weiterbildung von den Möglichkeiten der Telemedizin profitieren (Teleedukation). Die Überwindung der räumlichen Distanzen, aber auch der Einsatz innovativer digitaler Medien, wie virtuelle Operationsszenarien etc., kann die medizinische Ausbildung bereichern und dazu beitragen, neue Forschungsergebnisse schneller in die praktische Anwendung zu überführen.

Neben do2doc-Konzepten liegt der Fokus anderer Lösungen auf den Austausch von Daten bzw. Informationen zwischen medizinischen Leistungserbringern und Patienten – doc2patient. Hierzu zählt beispielsweise das Telemonitoring, die Telediagnostik oder Teletherapie. Mit Telemonitoring bezeichnet man die Überwachung des Gesundheitsstatus eines Patienten mithilfe von externen oder implantierten Sensoren. Telemonitoring ist unabhängig vom Standort des Patienten und kann damit sowohl im häuslichen Umfeld als auch in der Klinik oder an einem anderen Aufenthaltsort erfolgen. Telediagnostik ermöglicht es wiederum einem Patienten, sich durch die Übertragung relevanter Daten, beispielsweise eine Zweitmeinung bzw. einen Befund durch einen nichtortsansässigen medizinischen Leistungserbringer einzuholen. Mithilfe der Teletherapie kann der Patient Therapiemaßnahmen an einem Ort seiner Wahl durchführen. Durch die Weiterleitung und Prüfung der Therapiedaten durch das betreuende Zentrum ist der Patient trotzdem eng an den Betreuer angebunden.

Die Telechirurgie und Telerobotik erweitern die Möglichkeiten der Telemedizin, indem die Behandlung des Patienten durch die ärztliche Fernsteuerung von medizinischen Instrumenten oder Geräten erfolgt.

4 Aufgaben des Telemonitorings

Eine besondere Bedeutung in der Betreuung und therapeutischen Steuerung chronisch kranker Patienten wird in Zukunft dem Telemonitoring zukommen. Chronische Erkrankungen begleiten betroffene Menschen – ca. 40 % der Deutschen – ein Leben lang. Chronische bzw. Langzeiterkrankungen verursachen ca. vier Fünftel der Gesamtausgaben im Gesundheitswesen [4] und dominieren die Betreuung durch medizinische Leistungserbringer. So werden ca. 80 % der Beratungen in Hausarztpraxen mit chronisch kranken Patienten geführt [5].

Der Gesundheitszustand eines chronisch Kranken variiert über die Zeit. Er ist gekennzeichnet durch Zeiten, in denen eine relative Stabilität der Symptome erreicht wird und Zeiten dynamischer Progression der Krankheit. Gelingt es, Dekompensationen frühzeitig zu erkennen, können medizinische Leistungen wie Krankenhauseinweisungen verkürzt und aufwändige medikamentöse Therapien vermieden werden. Zudem gehen drastische Verschlechterungen des Gesundheitszustandes häufig mit einer Verschlechterung der Lebensqualität einher und können letztlich zum Tod führen. Ein kontinuierliches Monitoring bietet das Potenzial, Veränderungen des Gesundheitszustandes frühzeitig zu identifizieren und durch die Anpassung der Diagnosen und/oder der Therapie angemessen zu reagieren. Darüber hinaus können mithilfe von Telemonitoring Maßnahmen zu notwendigen Verhaltensänderungen der Patienten (Ernährung, Adhärenz) initiiert werden.

Neueste technische Entwicklungen und entsprechende logistische Voraussetzungen bieten heute eine realistische Basis, Telemonitoring-Systeme als zentrales Service- und Informationstool zu implementieren und als Instrument zur Steuerung von Informations- und Datenfluss zwischen Patienten, Krankenhaus und niedergelassenem Arzt zu nutzen. Zentraler Bestandteil des Systems ist dabei die lückenlose Online-Erfassung unterschiedlicher und für die spezifische Grunderkrankung relevanter physiologischer Messparameter, um damit einen wesentlichen Teil der aufwändigen ärztlichen Grundversorgung in der Betreuung chronisch Kranker über Home-care-Geräte abzudecken. Diese Werte werden an ein zentrales Telemedizinisches Zentrum automatisch oder proaktiv übermittelt und dort von Fachärzten bzw. entsprechend ausgebildetem Assistenzpersonal analysiert, bewertet und in einer zentralen elektronischen Patientenakte gespeichert.

Trotz erheblicher medizinischer Fortschritte und einer folglich kontinuierlichen Abnahme der Sterblichkeit an der koronaren Herzkrankheit in den letzten Jahrzehnten führen die Erkrankungen des Kreislaufs mit fast 356.616 Todesfällen im Jahr 2015 (38,5 %) unverändert die Liste der Todesursachen in der BRD an [6]. Ein zunehmendes Problem ist dabei die in Deutschland, wie auch in anderen westlichen Industrieländern, stetig wachsende Zahl chronisch herzkranker Patienten. Laut dem Deutschen Herzbericht 2017 hat sich die Anzahl der chronisch herzinsuffizienten Patienten in den letzten 20 Jahren verdoppelt [7].

Bei der enormen medizinischen und gesundheitsökonomischen Bedeutung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist eine Fokussierung auf entsprechende kardiologische Krankheitsbilder zwangsläufig.

Sinnvolle Anwendungsgebiete auf dem Gebiet der Kardiologie sind Telemonitoring-Systeme bei Patienten mit:

  • Koronarer Herzkrankheit (KHK)

    • Zustand nach (Z. n.) Myokardinfarkt

    • Z. n. Katheter-Intervention (Dilatation[PTCA]/Stent-Implantation; elektrophysiologische Untersuchung)

    • Z. n. Herzchirurgie (auch Herztransplantation)

  • Rhythmusstörungen, speziell paroxysmale Tachykardien, Vorhofflimmern/-flattern

  • Chronischer Herzinsuffizienz in den Krankheitsstadien II–IV nach NYHA

  • Prävention bei Hochrisikoprofil (z. B. Diabetes, Identifizierung nach Procam-Score)

  • Patienten in Rehabilitation

Aus medizinischer Sicht ist dabei vorrangig, ohne zeitliche Verzögerung die klinische Situation zu beurteilen sowie notwendige therapeutische Maßnahmen zeitgerecht einzuleiten und im längerfristigen Verlauf in ihrer Effektivität zu kontrollieren. Darüber hinaus ist unter gesundheitsökonomischen Maximen zu prüfen, ob ein telemedizinisches Monitoring zur Kostensenkung im Gesundheitswesen beitragen kann. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Krankenhausreport 2003 (Tab. 1) machen deutlich, dass alle Anstrengungen berechtigt sind, Krankenhauseinweisungen zu reduzieren, unnötig lange Liegezeiten zu verkürzen und – statistisch nicht erfasst – insbesondere auch die Anzahl kostenintensiver, partiell nicht notwendiger Notarzteinsätze zu minimieren.

Tab. 1 Anzahl der Patienten ausgewählter Erkrankungen (ICD10) des Herz-Kreislauf-Systems (H-K-Erkrankungen) sowie Verweildauer laut Statistischem Bundesamt 2016

5 Telemonitoring bei akuten ischämischen Krankheitsbildern

Kardiologische Telemonitoring-Programme müssen eine konsequente Überwachung von Patienten mit akuter Gefährdung durch ischämische Ereignisse garantieren und eine optimierte Therapieführung und -steuerung ermöglichen. Valide Konzepte sehen vor, relevante klinische Patientendaten in einer elektronischen Akte zu erfassen, ein Basis-EKG zu registrieren und den Patienten in der Handhabung des Gerätes einzuweisen, das die transtelefonische Übertragung eines EKGs (1-Kanal, 3‑Kanal, 12-Kanal) ermöglicht. Danach kann der Patient entsprechende Daten online an ein zentrales, medizinisch geführtes Telemedizinisches Zentrum (365 T/J; 24 h) übermitteln. Fachärzte und kardiologisch ausgebildetes Fachpersonal analysieren dort das aktuelle Beschwerdebild, interpretieren das EKG und vergleichen die Daten mit den Vorbefunden. Im Notfall werden auf der Basis optimierter interkollegialer Kommunikation (Notarzt, kardiologische Einheit, Hausarzt) entsprechende therapeutische Maßnahmen eingeleitet. Das Betreuungsprogramm kann mit Schulungskomponenten und standardisierten Befragungen des Patienten kombiniert werden.

5.1 Validität transtelefonischer EKG-Übertragung

Eine zentrale Möglichkeit, den kardialen Gesundheitszustand eines Patienten festzustellen, bietet das EKG. Der Patient zeichnet ein EKG auf, dass dann mithilfe der gängigen Telefonverbindung an ein Telemedizinisches Zentrum übertragen wird. Die diagnostische Sensitivität und Spezifität von telefonisch übermittelten EKG-Aufzeichnungen bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt (AMI), sind bereits seit Langem detailliert beschrieben. Beispielsweise wurde bei insgesamt 50 Patienten (63 ± 12 Jahre), die aufgrund eines akuten Koronarsyndroms auf die Intensivstation der Universität Aachen aufgenommen werden mussten, ein 12-Kanal-EKG transtelefonisch an das Telemedizinische Zentrum übermittelt. Zusätzlich wurde bei jedem Patienten ein Standard-12-Kanal-EKG aufgezeichnet und jeder Kanal mit dem Tele-EKG in Bezug auf ST-Strecken-Veränderungen verglichen. Für die Diagnose eines ST-Hebungs-AMI mussten mindestens zwei benachbarte Ableitungen relevante ST-Strecken-Hebungen aufweisen. ST-Strecken-Hebungen der Standard-EKGs wurden im Tele-EKG in 96 % der Extremitäten- und in 89 % der Brustwandableitungen korrekt wiedergegeben. Ein ST-Hebungs-AMI wurde bei allen Patienten korrekt diagnostiziert (26/26 Patienten). Bei 24 Patienten ohne ST-Hebungs-AMI wurde anhand des Tele-EKGs keine falsch-positive Diagnose gestellt. Nicht auswertbar aufgrund unzureichender Signalqualität waren 3 % der Ableitungen [8]. Weitere Studien belegen die Validität der transtelefonischen EKG-Übertragung (z.  B. [9,10,11]).

5.2 Telemonitoring bei akutem Koronarsyndrom

Bei der besonderen Bedeutung der Komponente „Zeit“, speziell bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom, kommt der Minimierung des Zeitintervalls zwischen dem Beschwerdebeginn und der Anforderung medizinischer Hilfe ein zentraler Stellenwert zu [12]. Register, wie die des MONICA-Projekts aus der Region Augsburg zeigen eine trotz sinkender Infarktinzidenz und therapeutischer Fortschritte konstant hohe prähospitale Letalität [13]. Nach wie vor ereignen sich die meisten Todesfälle, bevor der Patient das Krankenhaus erreicht, sodass das größte Potenzial zur Senkung der Infarktsterblichkeit in der Prähospitalphase liegt. In einer Analyse, die gezielt den Therapiemöglichkeiten in der ersten „Golden Hour“ des Infarkts nachgeht, wird durch die Lyse in der ersten Stunde nach Symptombeginn ein Gewinn von 60–80 Leben/1000 Behandelte errechnet [14]. Auch später bedeutet jede Stunde Therapieverzögerung nach Hochrechnungen der FTT-Studiengruppe einen Verlust von 1,6 Menschenleben/1000 behandelte Personen [15].

Generell wird die Zeit zwischen dem Auftreten erster Symptome und dem definitiven Therapiebeginn in die Abschnitte Patientenentscheidungszeit, prähospitale Versorgungszeit und intrahospitale Verzögerung unterteilt (Abb. 1). Allein die Patientenentscheidungszeit, die das Intervall vom Beginn der Symptome bis zur Alarmierung des Rettungsdienstes umfasst, liegt in Deutschland zwischen 60 und 570 min.

Abb. 1
figure 1

Schematischer Ablauf eines Herzinfarktes. (Quelle: Deutsche Herzstiftung e. V.)

Patienten mit Infarkt, die sich primär an den Hausarzt wenden, weisen dabei die längsten Verzögerungszeiten auf und kommen häufig bereits zu spät für eine wirksame Reperfusionsbehandlung. Intrahospitale Verzögerungen resultieren aus einem fehlenden direkten Zugang zur Intensivstation für den Rettungsdienst, Kompetenzunsicherheit in der Notaufnahme, fehlenden klaren Richtlinien für das Vorgehen bei akutem Koronarsyndrom und Verzögerungen durch Verwaltungsvorgänge. Darüber hinaus spielen Fehldeutungen und Verdrängung eine wesentliche Rolle bei den Patienten, sodass die intensive Aufklärung von Risikopatienten und ihren Angehörigen durch die behandelnden Ärzte bleibt (Abb. 2; [16]).

Abb. 2
figure 2

Zeitkomponenten der Frühphase des akuten Herzinfarkts und Einflussfaktoren. (Quelle: [16])

Aufgrund der bislang vorliegenden Befunde im Bereich akuter ischämischer Ereignisse findet sich erste Evidenz für einen signifikant positiven Effekt eines Telemonitorings auf die Mortalität bei gleichzeitiger Reduzierung unnötiger Krankenhausaufenthalte und -einweisungen [17,18,19,20].

5.2.1 Synoptische Bewertung des Telemonitorings bei akutem Koronarsyndrom

Eine synoptische Bewertung der Befunde zeigt, dass durch Telemonitoring:

  • die unnötig hohe Letalität bei Myokardinfarkt durch eine Optimierung der Prähospitalphase reduziert werden kann,

  • die Sequenz konsekutiver Funktionseinbußen nach Myokardinfarkt, z. B. Herzinsuffizienz, durch rechtzeitigen therapeutischen Einsatz minimiert werden kann,

  • durch eine konsequente Verlaufsbeobachtung dem verunsicherten Patienten ohne Einschränkung seine Sicherheitsbedürfnisse, Lebensqualität, Mobilität und sein Selbstvertrauen zurückgegeben werden,

  • dem erhöhten Risiko bei Re-Infarzierung mit Erhöhung der Compliance wirksam begegnet werden kann,

  • die unnötig hohe Zahl von Krankenhauseinweisungen und Hospitalisierungen bei Koronarsyndrom und „Brustschmerz“ verringert wird und

  • erhebliche ökonomische Vorteile generierbar sind.

5.3 Telemonitoring bei akuten kardialen Rhythmusstörungen

Tachykarde Herzrhythmusstörungen, die unter den klinischen Leitsymptomen „Herzrasen“ und „Palpitationen“ wahrgenommen werden, gehen oft mit einem erheblichen Leidensdruck des Patienten einher, entziehen sich jedoch häufig der konventionellen Diagnostik mittels Ruhe- oder Langzeit-EKG. Die Ursachen derartiger Beschwerden sind vielfältig, prinzipiell kommen – je nach kardialer Grunderkrankung – sowohl supraventrikuläre als auch ventrikuläre Arrhythmien in Betracht. Für die Diagnosestellung ist eine EKG-Dokumentation unumgänglich, besonders erschwert ist die Dokumentation mit den herkömmlichen EKG-Verfahren jedoch, wenn die Episoden in unregelmäßigen Abständen auftreten und nur für kurze Zeit anhalten. Typischerweise wird in diesen Fällen die korrekte Diagnose als essenzielle Voraussetzung einer individuellen und zielgerichteten Therapie erst verzögert gestellt, eine längere Symptomdauer beim Patienten mit häufigen, oft frustranen Arztbesuchen und möglicherweise ineffektiven Behandlungsversuchen bleiben die Folge.

Beim Einsatz von telemedizinischen Systemen bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen ist hinsichtlich der Indikation zwischen Diagnostik und Dokumentation zu unterscheiden. So eignen sich implantierbare Event-Rekorder hervorragend zur Diagnostik von anderweitig nicht klärbaren Synkopen [21, 22], externe EKG-Rekorder bieten sich sowohl für die Diagnostik als auch zur Dokumentation von Herzrhythmusstörungen an. Im Rahmen der Vorhofflimmer-Studien PAFAC (Prevention of Atrial Fibrillation after Cardioversion) und SOPAT (Suppression of Paroxysmal Atrial Tachyarrhythmias) wurde z. B. mit gutem Erfolg ein scheckkartengroßes Gerät eingesetzt (Rhythmcard, Fa. Instromedix; [23, 24]). Im Zuge der Digitalisierung werden zudem Geräte als Übertragungsmedium getestet, die die Patienten im Alltag zur Verfügung haben. So wurden bereits vielversprechende Resultate mit der Übertragung von EKGs durch Smartphones erzielt [25].

Die Vorteile dieser Geräte sind die Verfügbarkeit beim Patienten über einen längeren Zeitraum sowie die zeitnahe Dokumentation von Ereignissen durch den Patienten selbst [26]. Die Qualität und Validität derartig abgeleiteter EKGs ist durch mehrere Studien belegt. Bei Mehrkanalgeräten ist eine differenzialdiagnostische Betrachtung vergleichbar einem Standard-EKG möglich (vgl. dazu Absatz 5.1). Trotz der zuverlässigen Funktion dieser Geräte ist ihr Stellenwert in der kardiologischen Diagnostik in Deutschland aktuell noch gering, obwohl sich in neueren Studien erhebliche Vorteile einer telemedizinischen Betreuung kardialer Patienten abzeichnen.

In der Dokumentation und Differenzialdiagnostik tachykarder Rhythmusstörungen sind telemedizinische Systeme außerordentlich effizient. In einem hohen Prozentsatz werden entsprechende Ereignisse im Überwachungszeitraum detektiert und analysiert. Darüber hinaus bietet der Anschluss und damit der unmittelbare persönliche Kontakt des Patienten zu einem Telemedizinischen Zentrum, das zeitgleich und rund um die Uhr eine medizinische Hilfestellung garantiert, besondere Vorteile [27]. Hierdurch wird zum einen die Korrelation von Beschwerdebild und EKG-Registrierung gewährleistet, zum anderen können medizinisch notwendige Maßnahmen unverzüglich unter Vermeidung unnötiger Notarzteinsätze und Klinikeinweisungen eingeleitet werden, ein Aspekt, der unter gesundheitsökonomischen Überlegungen im Rahmen der zunehmenden Kostendämpfung im Gesundheitswesen erhebliche Bedeutung gewinnen wird.

5.3.1 Synoptische Bewertung des Telemonitorings bei akuten kardialen Rhythmusstörungen

Die Befunde zeigen, dass durch Telemonitoring:

  • tachykarde Herzrhythmusstörungen unter den Leitsymptomen „Herzrasen und Palpitationen“ im Sinne von Dokumentation und Diagnostik effizient erfasst werden können und

  • über den direkten Patientenkontakt während der paroxysmalen Attacke eine eindeutigere Korrelation zwischen Beschwerden und EKG-Befund gegeben ist, sodass einerseits die diagnostische Sicherheit erhöht, gleichzeitig aber unnötige Notarzteinsätze und Arztkontakte vermieden werden können.

6 Telemonitoring bei chronisch kardialen Krankheitsbildern

Die stetig zunehmende Alterung der deutschen Bevölkerung geht einher mit einem stetigen Anstieg der altersassoziierten chronischen Herzinsuffizienz. Die chronische Herzinsuffizienz ist laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2016 die häufigste Diagnose vollstationärer Patienten im deutschen Gesundheitssystem. Zwischen 2015 und 2016 nahm die altersstandardisierte Hospitalisierungsrate von Patienten mit Herzinsuffizienz um 2 % zu – das bedeutet für 2016 einen Anstieg um 11.028 Patienten mehr als 2015 [7]. Kennzeichnend für die Erkrankung sind eine hohe Hospitalisierungsrate, eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität sowie eine hohe Wahrscheinlichkeit, an der Erkrankung zu versterben [28]. In den westlichen Industrieländern gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Todesursachen [29].

Die große Bedeutung der Herzinsuffizienz im deutschen Gesundheitssystem wird nicht nur durch medizinische, sondern auch gesundheitsökonomische Fakten unterstrichen [30]. Die direkten Kosten der medizinischen Versorgung der chronischen Herzinsuffizienz beinhalten Krankenhauskosten, Kosten der Pharmakotherapie und Kosten der ambulanten medizinischen Versorgung. Sie werden in den westlichen Ländern auf ca. 1,42 % [31] bis 2 % der gesamten Gesundheitsausgaben geschätzt [32], in Deutschland auf 1,1 % [33]. Der Hauptanteil dieser Kosten entfällt dabei nicht auf Medikamente oder teure Interventionen wie Schrittmacher/Defibrillatoren oder Herztransplantation. Beispielsweise entfielen im Jahr 2006 45 % der Kosten – 1,3 Mrd. Euro – auf Hospitalisierungen, die u. a. durch die zahlreichen Dekompensationen dieser Patienten nötig waren, weitere 15 % der direkten Kosten auf teilstationäre Leistungen [33]. Mangelndes Wissen der Patienten über die Erkrankung, fehlende Adhärenz sowohl mit Blick auf die Therapie als auch auf Verhaltensänderungen und eine unzureichende medikamentöse Substitution im Kontext mit einer inadäquaten und lückenhaften Erfassung gesundheitsrelevanter physiologischer Messparameter führen zu einer überdurchschnittlich häufigen Rehospitalisierung dieser Patienten [34, 35]. Dem stehen Ergebnisse gegenüber, dass durch telemedizinische Lösungsansätze lange stationäre Behandlungen vermieden werden können und eine Therapiesteuerung im Zusammenspiel mit adäquater Aufklärung, Kenntnis und Adhärenz der betroffenen Patienten möglich ist (z. B. [36,37,38]).

Aus medizinischer Sicht ist es daher essenziell, unter besonderer Berücksichtigung der Krankheit des Patienten und ohne zeitliche Verzögerung die (Akut‑)Situation zu beurteilen sowie notwendige therapeutische Maßnahmen zeitgerecht einzuleiten und im längerfristigen Verlauf in ihrer Effektivität zu kontrollieren. Dabei sollten ggf. kontinuierlich, in definierten Zeitabständen oder in einer Akutsituation physiologische Messparameter, z. B. Blutdruck, Herzfrequenz und EKG, über Funknetze von einem individuellen Patienten an ein Telemedizinisches Zentrum zur Analyse und konsequenten medizinischen Beratung, eventuell mit Therapieempfehlung und Einleitung notfalltherapeutischer Maßnahmen, übermittelt werden. Der Gebrauch des telemedizinischen Systems sollte den Patienten zu einem selbstverantwortlicheren Umgang mit seiner Krankheitssituation befähigen. Gleichzeitig sollte sein Sicherheitsbedürfnis erhöht und seine Lebensqualität und Mobilität gesteigert werden. Idealerweise führt das telemedizinische Monitoring mittelfristig zur Kostensenkung im Gesundheitswesen, da die Zahl kostenintensiver Notarzteinsätze und Krankenhauseinweisungen reduziert und unnötig lange Liegezeiten verkürzt werden können.

6.1 Methodischer Ansatz und Betreuungsprogramm

Ziel von kardiologischen Telemonitoring-Programmen für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz ist eine optimierte Therapieführung und -steuerung. Dazu muss eine konsequente Überwachung des Patienten im Stadium II–IV nach NYHA erfolgen, indem engmaschig und lückenlos gesundheitsrelevante Daten erfasst werden.

Die Erfassung kann einerseits im Sinne einer telemedizinischen Funktionsanalyse bei Patienten mit Herzrhythmusimplantaten (Herzschrittmacher, Ereignisrekorder, implantierbare Defibrillatoren: ICD, Resynchronisationssysteme: CRT-P/CRT-D) erfolgen. Daten, die bei einer Nachsorge in der Ambulanz oder Praxis erhoben werden, sind zumeist auch nach telemedizinischer Übertragung über einen geschützten Internetserver verfügbar. Die Übertragung erfolgt automatisch, ohne dass der Patient aktiv werden muss. Alle Hersteller von Herzrhythmusimplantaten bieten Übertragungssysteme und dazugehörige digitale Fallakten an. Laut den aktuell gültigen Leitlinien [39,40,41] sollen neben den telemedizinischen Nachkontrollen auch direkte Vor-Ort-Kontrollen zu definierten Zeiten (2–12 Wochen nach Implantation, mindestens 1‑mal/Jahr und bei klinischer Notwendigkeit) durchgeführt werden. Die Vorgaben für diese Telenachsorgen orientieren sich an den Erfordernissen der Vor-Ort-Kontrollen.

Neben der beschriebenen Telenachsorge ist auch ein Telemonitoring des klinischen Zustandes eines Patienten mithilfe von Herzrhythmusimplantaten möglich. Darüber hinaus sind implantierbare, transkutan ansteuerbare Sensoren zur Messung des Pulmonalarteriendruckes verfügbar (CardioMems®), mit denen sich in der Steuerung der Herzinsuffizienztherapie ein signifikanter Prognosevorteil erreichen lässt [42]. Die Übertragung der Daten reicht jedoch nicht aus. Diese müssen durch die beteiligten Akteure sinnvoll genutzt werden und in Handlungen münden. Ein strukturiertes Programm, das die Datenübertragung von kardialen Implantaten beinhaltet und Ziele, Verantwortlichkeiten, Zeit- und Handlungsstrukturen definiert, verbessert die Prognose der Patienten [36, 43]. Beispielsweise kann das rein technische Monitoring der Daten durch strukturierte „Nurse Call“ erweitert werden.

Neben implantierten Devices können externe Geräte, wie EKG, Körperwaage oder Akzelerometer, wertvolle Daten für das Patientenmonitoring liefern. Dadurch können auch Patienten mit Herzinsuffizienz ohne kardiales Implantat von einem Telemonitoring und damit der Digitalisierung in der Medizin profitieren. Mithilfe eines Übertragungsgerätes, das einem Smart-Phone ähnelt, übermittelt der Patient die vorgegebenen Parameter (z. B. Gewicht, Blutdruck, Sauerstoffsättigung) an die elektronische Fallakte in einem Telemedizinischen Zentrum. Werden dabei individuell festgelegte Grenzwerte unter- bzw. überschritten, wird ein Alarm ausgelöst, sodass umgehend therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden können. Unabhängig von Alarmreaktionen wird der Patient darüber hinaus proaktiv kontaktiert und in standardisierter Form zu Lebensqualität, Medikation, klinischer Symptomatik und zur Häufigkeit von Arztbesuchen und Klinikaufenthalten befragt. Das Ziel ist dabei, die Adhärenz zu fördern und möglichst frühzeitig hinweisende Veränderungen im Gesundheitszustand des Patienten zu erkennen. Schulungsmaßnahmen zu Ernährung, Bewegung und Pharmakotherapie komplettieren das Programm und stärken den Patienten im selbstverantwortlichen Umgang mit sich und seiner Erkrankung. Das durch die Schulungsmaßnahmen geförderte Patienten-Empowerment trägt dazu bei, die Patienten stärker in den eigenen Versorgungsprozess einzubeziehen und begünstigt die Entwicklung einer professionellen Partnerschaft mit selbstverantwortlichen Patienten. Das Telemedizinische Zentrum sollte ganzjährig rund um die Uhr für den Patienten erreichbar sein.

6.2 Synoptische Bewertung des Telemonitorings bei chronischer Herzinsuffizienz

Die Ergebnisse der internationalen Literatur machen die offensichtlichen Vorteile eines telemedizinischen Monitorings im Sinne einer Effizienzsteigerung der medizinischen Versorgung bei gleichzeitiger Kostendämpfung evident. Eine synoptische Bewertung ausgewählter Studien aus England, den USA, Australien und Schweden zur Effektivität des Telemonitorings unter klinischen und ökonomischen Aspekten zeigt überzeugend, dass die Hospitalisierungsrate, die Liegedauer, die Häufigkeit wiederholter Dekompensationen mit Intensivpflichtigkeit sowie insbesondere auch die Wiederaufnahmerate bei multipel hospitalisierten Patienten signifikant abnehmen und damit zu einer erheblichen Kostenersparnis durch vermiedene Klinik- und Intensivstationsaufenthalte führen [44,45,46,47,48].

Auch zeigen aktuelle deutsche Studienergebnisse deutlich, dass die Länge der Krankenhausaufenthalte und die Gesamtmortalität der Patienten durch ein strukturiertes Telemonitoring mit externen Geräten verringert werden kann [37].

Eine synoptische Bewertung der Befunde zeigt, dass Telemonitoring bei chronischer Herzinsuffizienz:

  • die Zahl der Notarzteinsätze, Klinikeinweisungen und Arztbesuche senkt sowie die Länge des Krankenhausaufenthaltes hochsignifikant reduziert,

  • aus gesundheitsökonomischer Sicht – trotz der zunächst zusätzlichen Therapiekosten – eine eindeutig kosteneffektivere Behandlungsstrategie darstellt,

  • besonders effektiv ist, wenn die Betreuungsprogramme strukturierte Ziele, Zeit- und Handlungsstrukturen etablieren,

  • die Patienten mit Schulungsmaßnahmen über ein verbessertes Krankheitsverständnis zu einer signifikanten Zunahme der Adhärenz mit einer Stabilisierung in niedrigeren NYHA-Klassen führen kann und

  • die Lebensqualität der Patienten signifikant erhöht; nach Subpopulationsanalysen von Patienten in NYHA Stadien III und IV ist eine Steigerung der Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig erhöhter individueller Sicherheit evident.

7 Herausforderungen und offene Fragen

Meinungsbildner und Entscheider aus den unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitswesens diskutieren intensiv über Implikationen und Problemkonstellationen, die der Einsatz digitaler I&K Technologien im Gesundheitswesen bei räumlicher Trennung zwischen Arzt und Patient zwangsläufig mit sich bringen muss. Darüber hinaus werden durch Telemedizin die Organisationsstrukturen im Gesundheitswesen in hohem Maße verändert: hierarchische Strukturen werden aufgebrochen, das Arzt-Patienten-Verhältnis verliert seine Abhängigkeit von Zeit und Raum, der Patient ist informiert und wird partiell zum Dokumentator seiner eigenen Krankenakte, der Arzt ist in kommunikative Strukturen eingebunden, komplexe Technologien reagieren und agieren auf Sprache, Ton und Signale und zwingen zur Umstrukturierung und zu Umdenkungsprozessen.

In diesem Kontext werden immer neue Fragen gestellt, die dringliche Antworten fordern:

  • Ist tatsächlich voraussetzbar, dass neuartige Technologien von Patienten und Ärzten in zunehmendem Maße als selbstverständlicher Bestandteil der eigenen Existenz begriffen werden, oder werden nur Ängste, Misstrauen und Widerstände geweckt? Was tut und muss die Industrie, Politik und Gesellschaft noch tun, um die „feindlich“ besetzte Dualität von Mensch und Maschine aufzuheben?

  • Wird der Patient als Manager seiner Gesundheit überfordert? Wie organisieren wir ein lebenslanges Lernen im Fach „Gesundheit“ und wie gestalten wir den Lernprozess?

  • Welche zusätzlichen Qualifikationen benötigt der Arzt, um seine neue Rolle zu finden?

  • Ist es richtig, dass die persönliche Medizin auf Distanz jede Nähe als Grundvoraussetzung einer Interaktion zwischen Arzt und Patient vermissen lässt? Was muss getan werden, um ein sowohl als auch zu realisieren?

  • Können wir das alles bezahlen? Schaffen Technologien eine Zwei-Klassen-Medizin? Welche Modelle brauchen wir, um eine optimale, aber gleichzeitig auch bezahlbare Medizin anzubieten?

Diese Fragen zu Sinn, Zweck und Nutzen moderner Technologien bilden gleichzeitig einen Komplex von Aufgaben, dem sich nicht nur Mediziner, sondern auch Philosophen, Politiker, Wirtschaftsvertreter und Publizisten zu stellen haben, um für die vielfältig anstehenden Konflikte einer digitalen Medizin unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten für die Gegenwart und Zukunft zu thematisieren.

Die in die Telemedizin gesetzten Erwartungen bei der Betreuung chronisch Kranker sind enorm. Allerdings wird der Einsatz der Telemedizin für Patienten, Ärzteschaft und andere Leistungsanbieter und -erbringer im Gesundheitswesen tiefgehende, möglicherweise sogar radikale Veränderungen mit sich bringen. Das Interesse in der medizinischen Fachwelt ist groß: Gerade deshalb aber müssen Schwachpunkte identifiziert und beseitigt sowie Vorbehalte seriös und wissenschaftlich fundiert ausgeräumt werden. Datenschutz, operationelle und rechtliche Verantwortung vernetzt arbeitender Leistungsanbieter sowie eine gerechte Verteilung des Angebots sind gebührend zu berücksichtigen. Standesorganisationen, Kostenträger und Behörden sind gefordert und müssen Schritt halten. Richtlinien für Diagnostik, Therapie und Dokumentation müssen in vielen Bereichen neu definiert und geeignete Normen festgesetzt werden. Die Anwendungen müssen zuverlässig und ohne jede Gefährdung des Patienten funktionieren und setzen zeitgemäße Qualitätskontrollsysteme voraus, die sich auf festgelegte Arbeitsabläufe und vorbestimmte Prozesse stützen.

Fest steht, dass Telemedizin nur dann von Patienten, Leistungserbringern und Kostenträgern als sinnvolle und notwendige technische Neuerung akzeptiert werden wird, wenn die immanenten Möglichkeiten des Systems voll ausgeschöpft werden, sodass die Vorteile allen Beteiligten transparent werden. Diese Vorteile reichen von einer verbesserten Lebensqualität des Patienten, über Möglichkeiten zur Therapiesteuerung und -kontrolle für den behandelnden Arzt bis hin zur Möglichkeit der Kostenträger, Patienten für Disease-Management-Programme zu rekrutieren. Diese Akzeptanz ist jedoch keineswegs selbstverständlich: Das Eindringen digitaler I&K-Technologien in das Leben der Patienten und in die tägliche Arbeit der Ärzte wird zu beträchtlichen Strukturveränderungen in gewohnten Ablauf- und Verhaltensmustern führen, die ernstzunehmende Ängste bis hin zu ablehnendem Misstrauen auslösen könnten.

Eine wesentliche Aufgabe der Telemedizin wird sein, diese Widerstände durch ständige Information, durch Aus- und Weiterbildung und nicht zuletzt durch transparentes und zielstrebiges Handeln zu überwinden und in der Kooperation mit den medizinischen Partnern die Vorteile des Systems im Sinne einer erhöhten Lebensqualität bei gleichzeitig verbesserter medizinischer Versorgung und Kosteneffizienz evident zu machen.

8 Fazit und Ausblick

Telemedizin eröffnet der Kardiologie die Chance, durch Erkennung und Behandlung zeitkritischer Befunde, durch die breit verfügbare Bereitstellung von hoch spezialisierten medizinischen Ressourcen sowie die Schulung und den aktiven Einbezug der Patienten, die Versorgung der Patienten nachhaltig zu sichern und zu verbessern. Trotz der aufgezeigten Potenziale konnte sich Telemonitoring jedoch auf dem deutschen Gesundheitsmarkt bisher nicht etablieren. Um die Chancen des digitalen Wandels für das Gesundheitswesen nutzen zu können, müssen Hürden überwunden werden. Es gilt, sowohl die Infrastrukturbedingungen für den Telematikeinsatz zu verbessern und eine Interoperabilität zwischen Anwendungen sicherzustellen als auch wichtige Schlüsselanwendungen integrativen Charakters, wie das elektronische Rezept und der elektronische Gesundheitspass, zu forcieren. Das sog. E‑Health-Gesetz (Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen) hat hier bereits einen ersten Schritt gemacht. Bis 2018 sollten alle Arztpraxen und Krankenhäuser an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen sein. Darüber hinaus sollten bisherige Insellösungen in einer Telematik-Plattform integriert werden, um sie in einen interoperablen Kommunikationszusammenhang zu bringen. Es muss eine Umgebung geschaffen werden, in der ein sicherer Umgang mit den sensiblen Gesundheitsdaten erfolgt. Neben dem Austausch der Daten müssen digitale Lösungen, wie Big-Data-Anwendungen und Technologien mit künstlicher Intelligenz diese Daten verantwortungsvoll nutzen können. Die Rechts- und Organisationsrahmen müssen systematisiert sowie Abrechnungsregeln geschaffen werden. Das Disease-Management-Programm (DMP) „Chronische Herzinsuffizienz“ könnte den Rahmen schaffen, um strukturierte Behandlungsprogramme zu etablieren und eine angemessene Finanzierung der Leistungen sicherzustellen. Nur mit einer angemessenen Vergütung für die beteiligten Akteure, die Fehlanreize vermeidet, wird die Telemedizin eine Chance haben, sich in der Versorgungspraxis zu etablieren.

Darüber hinaus müssen verbindliche Zertifizierungsmechanismen geschaffen werden, um die Qualität telemedizinischer Angebote objektiv zu prüfen und langfristig sicherzustellen. Ein Weg der Zertifizierung für Telemedizinzentren wurde von der Arbeitsgruppe Telemonitoring der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie gemeinsam mit der DQS Medizinprodukte GmbH als „notified body“ etabliert.

Managed-care-Ansätze, die durch gezielte Steuerung der Angebote und Bedarfe vorhandene Über‑, Unter- und Fehlkapazitäten ausgleichen, werden zukünftig an Bedeutung gewinnen. Diese brauchen eine gemeinsame Datenbasis. Ein koordinierter, multidisziplinärer Ansatz unter Einbeziehung aller beteiligten Akteure, insbesondere von Klinik, niedergelassenem Facharzt und Hausarzt, dürfte sich als besonders erfolgversprechend erweisen. Der Telemedizin wird dabei eine entscheidende Funktion als zentrales Service- und Informationsinstrument zukommen, das den Informations- und Datenfluss zwischen Patienten, Krankenhaus und niedergelassenem Arzt steuert und optimiert.