Nachfolgend wird der Versuch unternommen, das Erleben und die psychische Verarbeitung der Implantation eines ICD durch die betroffenen Patient(inn)en und ihre Partner(innen) darzustellen. Hieraus ergeben sich Hinweise für die behandelnden Ärzte zum Umgang und zur Gestaltung des Gesprächs und der Arzt-Patient-Beziehung.

Es wird in diesem Praxisleitfaden zugunsten der Lesbarkeit und der Praxistauglichkeit darauf verzichtet, die wissenschaftliche Literatur darzustellen und an der jeweiligen Stelle zu zitieren. In diesem Sonderheft sind Arbeiten zu finden, welche die entsprechende Literatur detailliert referieren. Am Ende dieses Leitfadens findet sich eine kleine Literaturliste, die die wichtigsten Übersichtsreferate zum Thema enthält.

Die ICD-Implantation

Aus der Sicht der Betroffenen und ihrer Angehörigen ist die Erstimplantation eines ICD meist ein Vorgang, der mit großer Überraschung und Plötzlichkeit ins Leben tritt. Die Patienten haben aus ihrer Sicht sehr wenig Zeit, sich mit der Entscheidung auseinander zu setzen und haben auch den Eindruck, dass sie keine Alternative zu dem ärztlichen Vorschlag der Implantation haben. Aus der Sicht der Betroffenen und ihrer Angehörigen ist die Darstellung der behandelnden Ärzte meist so überzeugend und unumgänglich einleuchtend, dass sie keinen Raum für Widerspruch sehen. Selbst die Überlegungen, dass es eine bestimmte Bedenkzeit braucht, dass man sich mit nahestehenden Menschen beraten oder eine Zweitmeinung einholen möchte, erscheinen absurd angesichts der ärztlich geschilderten Bedrohungsszenarien. Sie erhalten beispielsweise die Information, dass sie ohne einen ICD Gefahr laufen, an einem plötzlichen Herztod zu sterben und deshalb nach internationalen Leitlinien die ICD-Implantation heute als alternativlos angesehen wird.

Insofern haben die Patienten subjektiv nur eine eingeschränkte Wahl- und Willensfreiheit. Es scheint zuweilen auch vorzukommen, dass Patienten bei negativer Entscheidung regelrecht bedrängt werden und man dann auch Angehörige involviert mit der Bitte, den Betroffenen „doch zur Raison zu bringen“.

Dies führt dazu, dass die Handlungsspielräume reduziert erlebt werden und damit auch die Informationsverarbeitung erschwert ist. Denn bei eingeschränkter Entscheidungsfreiheit reduziert sich auch die Notwendigkeit der persönlichen Auseinandersetzung mit den ärztlich vorgetragenen Argumenten. Man fühlt sich unfrei, bedrängt und steht unter Zeitdruck. So wird die Entscheidung oft als eine Nichtentscheidung erlebt, als unveränderbare Notwendigkeit ohne eigenen Spielraum. Für manche Menschen ist dies eine schwierige innere Erlebniskonstellation: Ausgeliefert sein, abhängig sein von der Einschätzung eines meist unbekannten Experten, die Unbestimmtheit der Zukunft, die Herausgerissenheit aus alltäglichen Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen sowie der Zeitdruck rufen zahlreiche biografische Kontexte in Erinnerung, die Konflikte und Ambivalenzen mobilisieren. Frühere Entscheidungen hinsichtlich medizinischer Maßnahmen, Behandlungserfahrungen, unglückliche Krankheitsverläufe und Todesfälle nach medizinischen Eingriffen von nahestehenden Menschen werden erinnert und „kontaminieren“ die psychische Verarbeitung. Es bleibt schließlich nur die Hoffnung darauf, dass man ein gutes Krankenhaus gewählt hat und dass die Implantationsentscheidung richtig war. Genau an dieser Stelle wird deutlich, wie wichtig das einfühlsame und partnerschaftliche Verhalten des betreuenden ärztlichen Personals ist.

Die Plötzlichkeit und der Zeitdruck der Entscheidungsnotwendigkeit, sowie die Bedrohlichkeit der in Aussicht gestellten möglicherweise eintretenden Rhythmusstörung führen zu einer psychisch sehr komplizierten Situation, in der sowohl die Rettung als auch die Bedrohung in ein und derselben Empfindensqualität vorhanden ist. Die Erlebniszustände der Patienten sind neben der Angst gekennzeichnet durch das Gefühl der Unbestimmtheit des weiteren Krankheitsverlaufs und sogar der eingeschränkten Lebenserwartung.

Wir haben es mit einer paradoxen, weil sich wechselseitig ausschließenden Empfindensqualität zu tun, in der aus der Sicht der Betroffenen die Implantation eines lebensrettenden Geräts unmittelbar auch die Konfrontation mit dem eigentlich jederzeit möglichen Tod in sich birgt. Ein Gerät, das das Leben rettet, erinnert immer zugleich auch daran, dass das eigene Leben in höchster Gefahr war oder ist. Oft ist es das erste Mal, dass man so deutlich und unausweichlich mit der Endlichkeit des eigenen Lebens konfrontiert wird. Todesangst ist also mit der Implantation eines ICD immer präsent, sowohl bei den Patienten als auch bei ihren Familien und Freunden. Hieran sollten die Betreuenden im weiteren Verlauf immer denken.

Und dennoch ist die Auseinandersetzung mit der Todesthematik auch wiederum verkürzt und durch die Handlungskontexte behindert. Viele Betroffene und ihre Angehörigen fangen erst viele Wochen später an, sich die Konsequenzen der Funktionsweise des Defis zu verdeutlichen. Erst Wochen später werden vorsichtige Gespräche, zum Beispiel über die Frage des Ablaufs des eigenen Todes, möglich. Die Patienten fragen dann „Kann man denn dann noch eines natürlichen Todes sterben“ oder „Schockt der Defi am Ende kurz vor dem Tod bis die Batterie leer ist“. Diese Fragen sind meist tabuisiert und werden von Betroffenen wie Behandelnden nicht offen vor der Implantation besprochen. Es gibt in den meisten Rhythmusabteilungen hierzu keinen umsetzbaren Praxisleitfaden, obwohl die Deaktivierung ein zentrales Thema sein müsste (vgl. den Beitrag von Ladwig et al. in diesem Heft).

Die Implantation nach Herzstillstand

Bei der Erstimplantation nach einem Herzstillstand und Reanimationen muss aus psychokardiologischer Sicht besonderes Augenmerk auf die psychische Verfassung der Betroffenen gerichtet werden.

Wir wissen aus der Literatur, dass eine Reanimation bei einem Prozentsatz von 27 bis 37% der Betroffenen zu traumatischen Erlebniszuständen führen kann. Aus psychokardiologischer Sicht ist daher dringend zu empfehlen, dass alle Patienten, die eine Reanimation hinter sich haben, in einem Zeitfenster von 4–8 Wochen einem psychokardiologischen Konsiliarius vorgestellt werden. Dieser hat zu prüfen, ob die Reanimation und die Implantation des Defibrillators bei den Betroffenen eine akute Belastungsreaktion oder eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst hat (s. unten). Eine solche Störung remittiert im Allgemeinen sehr selten und ist daher in jedem Fall behandlungsbedürftig. Neuere Untersuchungen zeigen, dass das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bei Patienten mit ICD zu einem schlechteren Krankheitsverlauf und zu einer erhöhten Mortalität führt.

Schlussfolgerungen für die Praxis

Wichtig ist bei aller Zeitnot im Krankenhaus, dass bei der Informationsvermittlung ausreichend Zeit für Zweifel, Ängste und Fragen nach Alternativen gelassen wird.

Man sollte sich immer wieder rückversichern, ob alles verstanden wurde.

Die Informationsverarbeitung unmittelbar nach dem Eingriff

Wir wissen aus der klinischen Erfahrung und der Forschung, dass Menschen, die unter Angst stehen und in der Plötzlichkeit einer Entscheidungssituation sich für die Implantation aussprechen, in dieser Situation nur eine begrenzte Kapazität zur Informationsaufnahme und Verarbeitung haben. Angst und Unsicherheit blockieren die systematische und detaillierte Informationsaufnahme und man muss damit rechnen, dass 6–8 Wochen nach der Implantation nur noch 40% der Informationen bei den Patienten abrufbar sind. Es ist daher sehr sinnvoll, bei den weiteren Kontakten immer wieder die Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen.

Es ist für behandelnde Kardiologen auch wichtig daran zu denken, dass die Patienten eine erhebliche Scheu und Rücksichtnahme gegenüber ihrem behandelnden Kardiologen empfinden und dass sie im Allgemeinen sehr genau spüren, wenn ihr Gegenüber in Eile ist. Sie verzichten dann oft („netterweise“) auch aus Dankbarkeit für die Behandlung darauf, weitere Fragen zu stellen.

Fazit für die Praxis

Da etwa 20% der Patienten und der Partner/Innen in den ersten 12 Monaten nach der Implantation doch erheblich ängstlich und auch depressiv sind, ist es immer wieder wichtig, in den Beratungen und bei den Routineterminen den Patienten Gesprächsraum zu eröffnen. Nur so können die behandelnden Kardiologen erkennen, ob die Patienten in einem erheblichen Ausmaß psychisch belastet sind.

Das zweite Fazit könnte nach der derzeitigen Forschungslage darin bestehen, dass man am Ende der Behandlung vor der Entlassung ein Screening auf Angst und Depression durchführt (z. B. HADS) und einen Fragebogen zur Informiertheit und zu offenen Fragen verteilt. Dies gäbe einen Anhaltspunkt für eine gezielte Gesprächsführung während der Folgetermine im ersten Jahr. Diese sich aus der Literatur ergebende Konsequenz ist sehr plausibel, müsste aber – bevor sie in Leitlinien Eingang findet – noch einer weiteren empirischen Evaluation unterzogen werden. Auch sind die Praktikabilität und die Kostenfrage zu diskutieren.

Da ein Screeningfragebogen zu Angst, Depression und Informiertheit aufwändig und daher oft unrealistisch ist, hier einige Formulierungsvorschläge für das Gespräch:

Zur Depression:

  • Fühlen Sie sich übermäßig niedergeschlagen oder hoffnungslos?

  • Empfinden Sie weniger Interesse und Freude in Ihrem Leben?

  • Haben sie sich in den letzten Monaten traurig, entmutigt oder hoffnungslos gefühlt?

Zur Angst:

  • Denken Sie, dass Ihre Ängste hinsichtlich der Rhythmusstörung oder des Defi übermäßig groß sind?

  • Leiden Sie sehr unter Ihrer Angst?

Zur Informiertheit:

  • Haben Sie im Moment den Eindruck, dass Sie alles fragen konnten, was für Ihre Entscheidung wichtig ist?

  • Gibt es noch offene Fragen für Sie, deren Beantwortung für die Entscheidung bedeutsam ist?

Die ersten Monate mit dem ICD

Die wissenschaftliche Literatur wie auch die langjährige Erfahrung der Autoren zeigen, dass die Implantation eines ICD von den meisten Betroffenen und ihren Angehörigen zunächst einmal psychisch sehr gut verarbeitet wird. Wenn die erste schwierige Entscheidungsphase überstanden ist und das Gerät implantiert wurde, empfinden die meisten den Defi nun auch als eine große Hilfe angesichts der Bedrohung und der erlebten Verängstigung. Es stehen in der ersten Phase die Wundschmerzen und die körperlichen Bewegungseinschränkungen im Vordergrund. Somit ist für die meisten mit der Implantation durchaus eine basale Sicherheit gebende Situation geschaffen. Die meisten Menschen erleben eine Erhöhung ihrer Lebensqualität und eine deutliche Vergrößerung der Freiheitsgrade. Insofern muss man immer wieder hervorheben, dass 80% der Betroffenen und auch fast ebenso viele der Angehörigen und Ehepartner eine gute kognitive Akzeptanz zeigen und mit der Situation recht gut zurechtkommen. Im Allgemeinen ist es so, dass erst nach 4–6 Wochen einige Fragen wieder in Erinnerung kommen und Patienten merken, dass sie bisher vieles nicht verstanden oder vergessen haben und noch einmal nachfragen müssen.

Fazit für die Praxis

Offene Nachfragen bei den Folgeterminen.

Schulungsprogramme nach Erstimplantation

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es nur sehr wenige Berichte über systematische Schulungen oder Informationsangebote nach der Implantation. So gibt es, wie auch das vorliegende Heft zeigt, Internetangebote und die Internetseiten der herstellenden Firmen. Es gibt Publikationen, die eine Reihe von Modellen und Empfehlungen geben, wie die Kompetenz der Defiträger erhöht und die Anpassung an das Leben mit dem Gerät verbessert werden kann. Es werden Empfehlungen für das Einzelgespräch zusammengetragen und Gruppenangebote in verschiedenen Formaten dargestellt und evaluiert. Insgesamt befinden wir uns am Beginn der Forschung und wirklich ausreichend evaluierte Modelle, die Grundlage für Empfehlungen sein könnten, gibt es noch nicht.

Hinzuweisen ist natürlich auf die bundesweit aufgestellte Defiselbsthilfegruppe, die mit Informationen und Hilfe zur Verfügung steht. An vielen Orten haben sich auch lokale Selbsthilfegruppen gebildet, die sich 2- bis 3-mal im Jahr treffen und Gelegenheit geben zum Austausch von Erfahrungen und Information.

Wir haben in Bad Nauheim die Erfahrung gemacht, dass ein systematisches Angebot von den Patienten sehr gerne angenommen wird (s. den Beitrag von Ginzburg et al. in diesem Heft).

Fazit für die Praxis

Informationsangebote in jeder Form sind wichtig und hilfreich. Hierbei sind unterschiedliche Formate parallel durchaus wünschenswert: Informationsbroschüren, Internetangebote, ärztliches Einzelgespräch, Telefonsprechstunde, Informationsabende und Schulungskurse.

Wenngleich es derzeit keine empirischen Befunde gibt, würde sich aus heutiger Sicht anbieten, dass man Schulungsgruppen evtl. in zwei Settings aufgliedert. Sofern ein vorheriges psychosoziales Screening unmittelbar nach Implantation durchführbar ist, könnte es sinnvoll sein, für diejenigen Patienten, die erheblich ängstlich und/oder depressiv sind, ein gesondertes Schulungsprogramm anzubieten, um auf diese Erlebniszustände spezifisch eingehen zu können. Dies sind aber Forschungsdesiderate.

Die Angst vor dem ersten Schock

Die Erfahrung zeigt, und einige Studien weisen ebenfalls darauf hin, dass die Patienten nach der Erstimplantation gewisse Phantasien über den ersten Schock haben. Die meisten können sich überhaupt nicht vorstellen, wie es sich anfühlt und würden viel dafür geben, wenn sie hierüber bessere Informationen hätten. Einige Patienten wünschen durchaus auch einen Schock bei Bewusstsein erleben zu dürfen, damit sie sich besser vorbereitet fühlen. Hier ist im Moment eine große Diskussion im Gange und viele Veränderungen machen die Situation kompliziert. So ist einerseits die große Sicherheit der Geräte Anlass dazu, nach der Implantation keinen Probeschock mehr zu geben. Es gibt aber auch einige Orte in Deutschland, in denen die Patienten nach der Implantation gefragt werden, ob sie den Probeschock bei Bewusstsein erleben wollen und es zeigt sich immer wieder, dass die Patienten damit durchaus gut umgehen können.

Fazit für die Praxis

Es ist sehr wichtig, mit den Betroffenen einfühlsam über die verschiedenen Möglichkeiten zu reden. Eine naheliegende Alternative zu einem Probeschock bei Bewusstsein ist das in unserem Schulungsprogramm praktizierte Vorgehen: Man stellt den Kontakt zu einem langjährigen Defipatienten her, der schon mindestens einen Schock erhalten hat und der hierüber in einer entängstigenden Weise offen sprechen kann. Unter Umständen kann man auch ein solches Gespräch aufzeichnen und die Betroffenen die Aufnahme sehen lassen.

Die Defikontrollen

Aus psychologischer Sicht sind die Defikontrollen sehr wichtige Momente im Leben der Betroffenen. Alle Defiträger kennen ihren nächsten Auslesetermin und haben im Allgemeinen eine Reihe von Fragen, die sie unbedingt loswerden wollen. Meistens kommen sie aber nach dem Termin nach Hause und stellen fest, dass sie wieder nicht gefragt oder dass sie die Antworten nicht verstanden haben. Ängstlichkeit und Schüchternheit dem ärztlichen Personal gegenüber sind sehr weit verbreitet.

Aus psychokardiologischer Sicht empfehlen wir, dass die Patienten am Besten immer in Begleitung ihrer Partner oder Partnerinnen kommen, damit diese ebenfalls die Informationen aufnehmen können und vielleicht auch mutiger sind, nachzufragen. Die Defikontrollen sollten unbedingt zur Kommunikation genutzt werden. Es sollte nicht nur darum gehen, ob es bisher Schocks gab oder nicht und was das Auslesen ergibt. Hier besteht die Möglichkeit, Fragen zuzulassen und sich ein Bild darüber zu machen, wie die Patienten das Gerät adaptiert haben.

Was ist eine gute Kommunikation im Rahmen der Kontrollen

Natürlich ist eine gute Kommunikation gebunden an die zur Verfügung stehende Zeit und es ist den Autoren dieser Zeilen selbstverständlich klar, dass genau hier ein wesentliches Problem in unserem Gesundheitssystem zu sehen ist.

Es gilt Fragen zuzulassen und es gilt auch die Patienten aktiv zu fragen, ob sie den Defi gespürt haben, wie es ihnen ergangen ist und ob Fragen aufgetaucht sind. Immer wieder ist es wichtig, ermutigend öffnende Fragen zu stellen, die es den Betroffenen erlauben, ihre Unsicherheit und ihre Gefühle zu thematisieren.

Absolutes muss in dieser Situation ist, dass die Patienten explizit darüber informiert werden, wenn der Arzt bzw. die Ärztin eine Frequenzänderung des Herzens mittels Defi vornehmen. Eine unangekündigte Beschleunigung oder Verlangsamung der Herzfrequenz wird von den meisten Menschen als sehr bedrohlich und erschreckend erlebt. Hier muss also im Vorfeld angekündigt und kommuniziert werden.

Fazit für die Praxis

Klare Fragen, aber auch öffnende ermutigende Äußerungen sind wichtig, damit diese Gelegenheit der Kommunikation genutzt wird. Zeitdruck und Hektik sind zwar heute ständige Grundbedingung der Arbeit in den Ambulanzen, aber natürlich kontraproduktiv.

Patienten, die bereits mehrere Schocks erlebten

Zunächst beschäftigt diejenigen, die im Verlauf der Monate und Jahre mehrere Schocks erlebt haben immer die Frage, ob es sich um adäquate oder inadäquate Schocks handelte. Die Patienten schlussfolgern hieraus unterschiedliche Dinge, über die man sprechen sollte. Aus psychokardiologischer Sicht ist es wichtig, hier außerordentlich detailliert und v. a. aufrichtig mit dem Patienten zu sprechen. Ungereimtheiten und Widersprüche in den Aussagen eines oder mehrerer Betreuenden werden sehr genau registriert und schaffen Verunsicherung. Nur durch klare und aufrichtige Information kann Beruhigung, Sicherheit und gute Informiertheit als Basis einer adäquaten Krankheitsverarbeitung entstehen.

Viele Patienten haben große Angst vor dem Schock. Sie fürchten sich vor der Stärke des Schmerzes und der Situation der Schockabgabe, in der manche vom Stuhl fallen, vom Bett rollen oder laute Schreie ausstoßen.

Viele Patienten befürchten auch, vor dem Schock bewusstlos zu werden und sich dann irgendwo beim Hinfallen zu verletzen. Hier muss unbedingt mit den Patienten ausführlich gesprochen werden und sie müssen auch darüber informiert werden, wie das Gerät bei ihnen programmiert ist. Viele Patienten entwickeln allmählich auch Befürchtungen darüber, wie es wohl aussehen wird, wenn sie einmal alt sind und ob sie mit diesem Gerät überhaupt ruhig sterben können oder ob der Defi dann immer weiter schockt, bis die Batterie leer ist. All dies gilt es bei den ICD-Kontrollterminen zu besprechen.

Der Electrical Storm

Zunächst ist es aus psychokardiologischer Sicht wichtig, die verschiedenen Arten des Electrical Storms auseinanderzuhalten. Wenn ein Mensch 3 Schocks innerhalb von 24 Stunden mit viel Zeitabstand zwischen den einzelnen Schocks erlebt, so ist dies etwas anderes, als ob die Mehrfachschocks in unmittelbarer Folge in ein und derselben Episode auftreten. Wir haben im Rahmen der klinischen Betreuung Patienten kennengelernt, die 40 und mehr Schocks unmittelbar hintereinander, d. h. im Abstand von 50 Sekunden erhielten und dadurch massiv traumatisiert waren. Nach der gängigen Literatur kann man davon ausgehen, dass nach Mehrfachschocks 20–50% der Patienten posttraumatische Belastungsstörungen davontragen.

Diese müssen unbedingt erkannt und behandelt werden. Deshalb schlagen wir vor, dass alle Patienten, die mehr als 5 Schocks in 12 Monaten oder mehr als 3 Schocks in ein und derselben Episode erlebt haben, einem psychokardiologischen Konsiliarius vorgestellt werden, damit geprüft werden kann, ob es posttraumatische Störungen gibt. Diese müssen unbedingt behandelt werden, da sie im Allgemeinen nicht spontan remittieren. Die Patienten sollten nicht nur getröstet und beruhigt werden, auch helfen Äußerungen wie etwa: „Na ja, dann haben Sie doch Glück, nun haben Sie zweimal im Jahr Geburtstag“, nicht wirklich weiter. Die Dramatik von Mehrfachschocks kann gar nicht überschätzt werden. Viele Patienten, die wir in den letzten Jahren sahen, hatten ihre Lebensqualität vollständig verloren. Wir haben Patienten kennen gelernt, die selbst 5 bis 7 Jahre nach Mehrfachschocks sich nicht wieder erholt haben, nicht mehr arbeiten gehen konnten, kein soziales Leben mehr hatten und sich von einer Panikattacke in die nächste retteten.

Fazit für die Praxis

Ganz zentral ist in diesem Kontext die Identifikation behandlungsbedürftiger Patienten. Man kann davon ausgehen, dass ärztliches Personal dies lernen und die notwendige Kompetenz erwerben kann (vgl. die Beispielfragen im nächsten Abschnitt).

Da dies aber derzeit selten realisierbar ist, sollten im Rahmen von psychokardiologischen Kooperationen, alle Betroffenen mit mehr als 5 Schocks in den letzten 12 Monaten bzw. alle Personen mit Mehrfachschocks in einer Episode zur Beratung einem psychosomatischen Konsiliarius vorgestellt werden.

Die Behandlung solcher Patienten ist nach derzeitigem Wissen eine sehr komplexe multimodale Traumatherapie (vgl. Jordan et al. in diesem Heft).

Wie erkennt man eine posttraumatische Störung nach ICD-Mehrfachschocks

Beispiele für relevante Fragen an die Patienten:

  • Wie oft denken Sie an die Mehrfachschocks?

  • Wie oft fühlen Sie sich von Angst überflutet?

  • Haben Sie hin und wieder Panikattacken?

  • Gibt es Dinge, die Sie seit den Mehrfachschocks nicht mehr tun?

  • Haben Sie seitdem Schlafstörungen?

  • Haben Sie vermehrt Albträume?

  • Ziehen Sie sich seitdem sehr zurück?

  • Meiden Sie soziale Kontakte?

  • Fühlen Sie sich niedergeschlagen, hoffnungslos oder entmutigt?

Zur Psychologie der posttraumatischen Störung nach ICD-Mehrfachschocks

Durchgängigstes Symptom ist die bei den Patienten vorliegende, im Alltag immer wieder auftretende, Todesangst. Diese Todesangst zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben und die Patienten haben eine große Zahl von Auslösesituationen, über die sie berichten können. Weiterhin haben die Patienten eine sehr starke Abhängigkeitsproblematik. Sie fühlen sich vom Gerät abhängig, sie fühlen sich abhängig von nahestehenden Personen, ohne die sie das Haus nicht mehr verlassen und irgendeine Aktivität übernehmen können.

Weiterhin liegt eine große Hilf- und Hoffnungslosigkeit vor, die bei den Patienten den Eindruck hinterlässt, dass sie nie wieder aus dieser Situation herauskommen werden. Weitere Folge ist ein sehr starkes Vermeidungsverhalten, das immer weitere Gebiete des Alltags betrifft und zu einem ganz massiven und für die Krankheit außerordentlich schlechten sozialen Rückzug führt.

Weiterhin haben die Patienten aufgrund der Mehrfachschocks eine sehr starke hypochondrische Selbstbeobachtung. Sie sind den ganzen Tag damit beschäftigt, ihre Körperfunktion zu überwachen und sie neigen dazu, jede Veränderung, jede Übelkeit, jede Muskelverspannung und jedes Stechen als Anzeichen für einen erneut bevorstehenden Elektroschock zu sehen. In diesem Sinne können alle Körperbeschwerden des Menschen als Auslöser für sog. Flashbacks, im Rahmen einer posttraumatischen Störung sein.

Weiterhin ist zu beachten, dass ein Elektroschock aus der Sicht der Betroffenen eine ganz massive klassische Konditionierungssituation ist. Elektroschocks gelten in der Lerntheorie als die wirksamsten aversiven Instrumente. Für die Patienten ist jeder Elektroschock ein sich massiv ins Bewusstsein eingrabendes Erlebnis. Sie vergessen keinen einzigen Schock, können die Umgebungsbedingungen schildern, die vorausgehenden Bedingungen und die dann nachfolgenden Reaktionen anderer Menschen. Noch nach Jahren können sie über die einzelnen Schocks berichten und sehr viele Details und v. a. die Affekte darstellen. Für die Patienten ist es außerordentlich schwierig, weil das Erlebnis eines Elektroschocks in einer bestimmten Situation zu einer solchen Konditionierung führt und alle weiteren Erlebnisse, in denen in derselben Situation kein Schock eintritt, nicht zu einer Löschung des Primärerlebnisses führen kann. Dieser Konditionierungsvorgang, der sehr stark an die pawlowsche Konditionierung erinnert, ist eine tragische Konstellation für diese Patienten, weil sie durch hunderte von positiven Erfahrungen dennoch nicht angstfrei werden können. Hierzu trägt auch bei, dass die Patienten bemüht sind, eine Kausalattribuierung für sich zu finden.

Sie versuchen, ähnlich wie andere chronisch Kranke (Neurodermitis, Asthma, entzündliches Rheuma etc.), vorausgehende Bedingungen zu identifizieren, die in ihrer Theorie zum Elektroschock geführt haben könnten. Hier kommen dann nicht nur Situationen in Betracht, sondern auch emotionale Belastungen und Konflikte, heftige Gefühle wie Ärger und Enttäuschung oder auch Körpergefühle wie Übelkeit oder Muskelschmerzen. Entsprechend der Theorie, dass diese Bedingungen oder Körpersignale als Vorboten des Schocks anzusehen sind, wird sehr genau beobachtet und es kommt zu einer Art hypochondrischer Selbstbeobachtung und wieder in der Folge hiervon zu einem oft umfassenden Vermeidungsverhalten. So vermeiden sie dann diese phantasierten vorausgehenden Bedingungen, glauben, dass der Ärger schuld gewesen sein könnte, ein Magnetfeld in der U-Bahn oder irgendetwas anderes.

Es kommt darauf an, dass die Patienten lernen, dass diese zufälligen Begleiterscheinungen eben nicht im Sinne der Kausalität gesehen werden dürfen und dass daher das Vermeidungsverhalten dysfunktional ist. Die Patienten können viele hundert Male eine solche Situation wieder erleben, ohne einen Schock zu erleiden und dennoch werden sie an ihrer Theorie festhalten.

Insgesamt muss man allerdings sagen, dass die Entwicklung von psychischen Störungen nach ICD-Mehrfachschocks die Betreuung durch die behandelnden Kardiologen bei weitem überfordert. Hier ist professionelle psychokardiologische Hilfe notwendig und deshalb sollte jedes kardiologische Zentrum, das Patienten mit ICDs betreut oder solche implantiert, eine systematische Kooperation mit psychokardiologisch ausgebildeten Personen haben.