Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist die primäre Ursache für den Verlust des zentralen Sehens im höheren Lebensalter. Sie hat in den zurückliegenden Jahren große Aufmerksamkeit in der medizinischen Grundlagenforschung gefunden, jedoch sind die Therapiemöglichkeiten weiterhin deutlich begrenzt. Aus diesem Grunde spielt die psychosoziale Dimension im Sinne der psychischen Auswirkungen, des Disease-Managements und der kognitiv-emotionalen Unterstützung bei der AMD eine herausragende Rolle. In diesem Beitrag werden vor dem Hintergrund der allgemeinen psychologischen Forschung zu Seheinschränkungen im Alter die bisherigen Befunde zur Lebensqualitätsforschung bei AMD zusammengetragen und im Hinblick auf ihre Praxisimplikationen bewertet.

Allgemeiner Hintergrund

AMD ist die primäre Ursache für den Verlust des zentralen Sehens und betrifft v. a. ältere Menschen, und zwar etwa jede 5. Person im Alter zwischen 65 und 74 Jahren und jede 3. Person jenseits von 75 Jahren (z. B.[18]). Epidemiologische Feldstudien zur Verbreitung der AMD in Deutschland in der Gemeinde bzw. in Heimen sind uns nicht bekannt – ein leider weiterhin bestehender Forschungsmangel. Sie stellt wahrscheinlich auch in Alten- und Pflegeheimen die Hauptursache der dort in etwa 20% auftretenden bedeutsamen Seheinschränkungen dar [40]. Prognosen bis zum Jahr 2030 gehen davon aus, dass es in Deutschland im Vergleich zu heute etwa ein Drittel mehr blinde Menschen (mit Blindheit als schwerster Behinderung) geben wird [23]. Die Zahl der Neuerblindungen, die 2003 bei knapp 10.000 lag, wird für 2030 auf ca. 16.000 geschätzt, was einer Zunahme um 60% entspricht. Die meisten dieser Neuerblindungen (ca. 40%) werden voraussichtlich durch AMD verursacht werden.

Obgleich sich durch die jüngsten Erfolge der medizinischen Grundlagenforschung die Behandlungschancen der AMD deutlich verbessert haben, steht der größere Teil der betroffenen älteren Menschen vor der Aufgabe, mit der Krankheit leben zu lernen. Wie weiter unten noch in größerem Detail ausgeführt wird, geht dabei – ähnlich wie schwerwiegende Sehstörungen ganz allgemein – die AMD mit bedeutsamen Verlusten in der Alltagskompetenz und -gestaltung einher, die wiederum mit emotionalen Verlusten (erhöhte Depressivität, erniedrigtes subjektives Wohlbefinden, zumindest Teilverlust des Erlebens von „Lebenskontrolle“) verbunden sind (z. B. [10, 11]). So gehört es zu den Paradoxien der demographischen Veränderungen, dass auf der einen Seite der Anteil der Hochaltrigen stetig wächst, ja, Hochaltrige heute das am stärksten wachsende Bevölkerungssegment darstellen, auf der anderen Seite aber die „Verletzlichkeit des Alters“ durch den Anstieg von chronischen Erkrankungen wie AMD und der damit einher gehenden Lebensqualitätsverluste das schöne (bereits in den 1950er Jahren kreierte) Diktum der amerikanischen Gerontologischen Gesellschaft des „Add Life to Years, not just Years to Life“ deutlich relativieren. Auch muss man sehen, dass längst eine Generation von „neuen“ Älteren auf die gesellschaftliche Bühne getreten ist, deren Anspruch und verbliebene Fähigkeiten dahin gehen, im höheren Lebensalter noch einmal neue Interessen in den unterschiedlichsten Bereichen zu entwickeln und nicht zuletzt die heute gegebenen Mobilitätsmöglichkeiten so weit wie möglich auszuschöpfen. Die dazu zentralen Kompetenzen des Lesens und der allgemeinen Alltagsfunktionalität werden nun durch die AMD in Frage gestellt.

Psychosoziale Versorgungsangebote für AMD-Patienten in der Fläche fehlen

In der alltäglichen Therapie- und Rehabilitationssituation sind deshalb in ihrer emotionalen Anpassung bedrohte Ältere mit AMD sowie hilfesuchende Angehörige häufig anzutreffen, jedoch fehlt es an entsprechenden Versorgungsangeboten in der Fläche. Einiges spricht dafür, dass durch die bestehende psychosoziale Unterversorgung der AMD-Patienten/innen neue Kosten (z. B. Psychopharmaka, Drehtüreffekte) entstehen, die deutlich über den Kosten eines effizienten und professionellen psychosozialen Beratungsangebots liegen [16]. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die wesentliche Befunde zur Lebensqualität bei AMD sowie der bisherigen psychosozialen Interventionsforschung zusammengefasst werden.

Zum Konzept von Lebensqualität bei Sehbeeinträchtigung im Alter

Das Konzept der Lebensqualität hat in den zurückliegenden 2 Jahrzehnten eine bemerkenswerten Aufstieg auch im Bereich der somatischen und psychischen Erkrankungen erfahren, jedoch sind die Definitionen dessen, was als Lebensqualität zu verstehen ist, bislang höchst unterschiedlich. Aus diesem Grunde ist es wichtig, bei einem Rekurs auf das Konzept der Lebensqualität die eigene Sichtweise deutlich zu explizieren. Wir beziehen uns dabei auf ein Konzept des „guten Lebens im Alter“, das bereits im Jahre 1983 von dem amerikanischen Gerontologen M. Powell Lawton vorgeschlagen wurde (Abb. 1). Aus Sicht von Lawton [24] sind es insbesondere vier „Kreise“ von Bedingungen, die sich in dem Konzept von Lebensqualität bündeln: Zum Ersten geht es um das (nach AMD verbliebene) psychologische Wohlbefinden, wobei eine kognitive („Wie bewerte ich meine Befinden?“) und eine affektive („Wie fühle ich mich?“) Dimension zu unterscheiden sind. Diese Aspekte lassen sich heute mit international standardisierten Verfahren messen, und sie sind in diesem Sinne objektiv erfassbar. Zum Zweiten ist die subjektiv wahrgenommene Lebensqualität zu berücksichtigen. Hier stehen beispielsweise Bewertungen eines Krankheitsgeschehens (wie AMD) im Mittelpunkt, etwa im Sinne von „Jetzt ist mein Leben vorbei“ oder aber auch „Jetzt erst recht will ich gut leben“. Zum Dritten ist der umfassende Bereich der Verhaltenskompetenz zu thematisieren, der eine Reihe von Einzelaspekten anspricht, v. a. die (nach AMD verbliebenen) Alltagsfähigkeiten, die Freizeitgestaltung, aber in einem erweiterten Verständnis von Verhaltenskompetenz auch kognitive Leistungsfähigkeit, Sturzgefährdungen, das Erleben und die Ausübung von Kontrolle, das Erleben von Abhängigkeit/Unabhängigkeit sowie „Rollenkompetenzen“ (z. B. Ausübung der Großelternrolle).

Lebensqualität muss auch bei AMD-Patienten mehrdimensional betrachtet werden

Schließlich geht es viertens um die Rolle der objektiven Umweltbedingungen in Gestalt der vorhandenen sozialen Bezüge und Netzwerke und der Gegebenheiten der räumlich-infrastrukturellen Umwelt (z. B. Wohnbedingungen). Natürlich spielen all diese Aspekte in enger Weise zusammen, jedoch ist ihre Trennung ein analytisch hilfreiches Instrument, um Lebensqualität (auch) bei AMD besser verstehen zu können. Wir möchten nun diese Unterscheidung nutzen, um die zentralen Befunde der Literatur zu Lebensqualität bei AMD darzustellen.

Abb. 1
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Das Lebensqualitätsmodell von Lawton [24]

Lebensqualität bei altersabhängiger Makuladegeneration: Was wissen wir?

Die psychosozialen Auswirkungen von Seheinschränkungen im Alter ganz allgemein sowie von AMD im Besonderen haben in den letzten Jahren substanzielle Forschungsaufmerksamkeit v. a. in der Alternspsychologie, der Gerontologie, der wissenschaftlichen Ergotherapie sowie in der Disease-Management Forschung gefunden. Die vorhandene Evidenz ist zwischenzeitlich auch mehrfach im Überblick dargestellt worden, so in den Arbeiten von Burmedi et al. [10, 11] und in der aktuell wohl umfassendsten Weise von Mitchell und Bradley [26].

Psychologisches Wohlbefinden

Durch die Brille des Lebensqualitätskonzepts von Lawton [24] gesehen, steht in der bisherigen Forschung in Bezug auf das psychologische Wohlbefinden die mit AMD einhergehende Depressivität im Vordergrund. Recht konsistent ist in Querschnitts- und Longitudinalstudien gefunden worden, dass AMD-Patienten eine gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhte Depressivitätsrate aufweisen [4, 20]. AMD liegt dabei etwa in jener Depressivitätsratenmarge, wie sie auch bei anderen schwerwiegenden Erkrankungen wie Karzinom oder HIV beobachtet wurde. Die Erklärung für die deutlich erhöhte Depressivität bei AMD ist multifaktioriell zu sehen. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Konglomerat des Erlebens von verlorenen bzw. reduzierten Alltagskompetenzen (häufig v. a des Lesens), der unterminierten Zukunftshoffnungen („Ich wäre noch so gerne gereist“), der für das hohe Alter typischen Erfahrung der Multimorbidität („Nun auch noch das, als ob ich nicht schon genug hätte“), der enttäuschten Therapieerwartungen („Ich dachte, die kriegen das wieder hin, aber es hat alles nichts gebracht“) und der Erfahrung von Abhängigkeit, Autonomieverlust und Zweifel am eigenen Selbst („Ich bin kein leistungsfähiger Mensch mehr“). Wichtig ist ferner, dass Depressivität (auch) bei AMD vielfältige weitere Auswirkungen besitzt: Vernachlässigung der verbliebenen Handlungs- und Erlebensmöglichkeiten, Rückzug aus sozialen Kreisen, Erschwerung von Rehabilitationsmöglichkeiten und der effizienten Hilfsmittelnutzung und Erhöhung des Suizidrisikos [26]. Auch scheint sich Depression selbst wieder auf die Sehfähigkeit auszuwirken, denn Rovner et al. [31] fanden auch nach Kontrolle anderer Bedingungen noch einen eigenständigen Effekt von Depressivität auf die Sehleistung. Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass die überwiegende Zahl der AMD-Betroffenen es schafft, eine gute psychosoziale Anpassung und ein relativ hohes kognitiv-affektives Wohlbefinden zu bewahren. Dies führt zu der auch unter praktischen (z. B. Prävention) Gesichtspunkten relevanten Fragen der Risiko- und Schutzfaktoren für psychologisches Wohlbefinden bei AMD. Nach unseren Studien [42, 43] spielt in diesem Zusammenhang der Umgang mit Lebenszielen eine bedeutsame Rolle: Jene AMD-Patienten, welche in der Lage sind, die weiterhin erreichbaren Ziele (z. B. sich eine relativ hohe Selbständigkeit im Nahumfeld bewahren) nachhaltig zu verfolgen und sich gleichzeitig von nicht mehr oder nur mit größtem Aufwand erreichbaren Lebenszielen (z. B. weiterhin Fernreisen zu unternehmen) zu lösen, stehen in längsschnittlicher Betrachtung häufig psychosozial besser da, denn sie überfordern nicht sich selbst und ihre Angehörigen durch unrealistische Erwartungen. Auch optimale Rehabilitation und effiziente Hilfsmittelnutzung wirken sich positiv auf Depressivität aus [19], denn sie stärken das für die psychosoziale Anpassung bedeutsame Wissen über wiedererlangte Autonomie, das allgemein für Ältere von großer Bedeutung ist. Wir selbst haben ferner gefunden, dass die Dauer seit Diagnose eine bedeutsame Ressource für psychische Adaptation darstellt: Nachdem v. a. positive Affekte in den ersten Monaten nach der Diagnose „in den Keller gehen“, kommt es nach etwa 2 Jahren zu einem Erholungs- und Gewöhnungseffekt im Sinne der Wiedergewinnung positiven Erlebens [34]. Mit anderen Worten: Viele Ältere schaffen es nach einer emotional schwierigen ersten Phase nach Erhalt der Diagnose AMD durchaus, zu einer positive getönten Lebensqualität zurückzufinden.

AMD schränkt Lebensqualität auf unterschiedlichen Ebenen ein

Allerdings ist dadurch, dass es sich in der Regel um hochaltrige Personen handelt, das Eintreten zusätzlicher Belastungen durch andere Erkrankungen oder die Erfahrung von Verwitwung wahrscheinlich, was auf lange Sicht die zumindest teilweise wiedererlangte Lebensqualität erneut in Frage stellen kann. In diesem Zusammenhang sei schließlich auch auf die Bedeutung der Diagnosevermittlung von AMD als einer für die Betroffenen hoch bedeutsamen sozialen Situation hingewiesen. In einer englischen Studie mit über 1400 AMD-Patienten [27] hatten 54% den subjektiven Eindruck, ihr behandelnder Arzt habe kein Interesse an ihrer Person und 41% waren mit der diagnostischen Konsultation insgesamt unzufrieden.

Subjektiv wahrgenommene Lebensqualität

Hier ist der generell in der alternspsychologischen Sehschädigungsforschung immer wieder berichtete Befund von Bedeutung, dass der objektive Grad der Seheinschränkung (in der Regel operationalisiert anhand der Sehschärfe) nur geringfügig mit der kognitiv-emotionalen Anpassung korreliert ist [10, 11]. Wichtig ist hingegen die subjektiv erfahrene bzw. bewertete Sehleistung, die in vielen Studien relativ hoch mit dem subjektiven Wohlbefinden assoziiert ist (z. B. [35]). In der klinischen Praxis kommt es deshalb nicht selten vor, dass auch objektiv unter erheblichen Sehverlusten leidende Patienten subjektiv eine hohe Zufriedenheit berichten und z. B.l mit der Aussage „Da habe ich doch im Leben schon ganz anderes hinter mich gebracht“ imponieren. Subjektive Bewertungen haben sich allgemein in der psychologischen Bewältigungsforschung als ein entscheidender „Trigger“ dafür herausgestellt, welche Reaktionsweisen auf chronische Erkrankungen ins Auge gefasst bzw. dann auch umgesetzt werden [17]. Insgesamt scheint es so zu sein, dass jene Sehbeeinträchtigten, denen es gelingt, ein Erleben von Handlungsfähigkeit und Kontrolle zu bewahren, auch ihre Lebenssituation im Ganzen positiver erfahren [22]. Hier sind speziell jene Patienten gemeint, die im Sinne von Gewinnen auf das „noch“ oder – nach der ophthalmologischen Rehabilitation – „wieder“ Mögliche abheben und die Bedeutung der eingetretenen Verluste subjektiv eher niedrig gewichten. Auch scheint es eine bedeutsame Untergruppen von AMD-Patienten zu geben, bei denen Vermeidung und Nicht-wahrhaben-Wollen eine effektive Strategie darstellt, um ein relatives Höchstmaß an Lebensqualität zu sichern. Solche Befunde zeigen auch, dass die subjektiv wahrgenommene Lebensqualität bei AMD immer vor dem Hintergrund der bisherigen Biographie, von Persönlichkeitsfaktoren und lebenslang gewachsenen Wertmaßstäben zu sehen ist.

Verhaltenskompetenz

Ein deutlicher Verlust in unterschiedlichen Bereichen der Alltagsfunktionalität stellt wohl das anhand einer Vielfalt unterschiedlicher Instrumente am umfassendsten untersuchte und am besten bestätigte Ergebnis der psychosozialen AMD-Literatur dar [10, 11, 26]. Die Betroffenen leiden v. a. darunter, was ihnen nunmehr nicht mehr oder nur noch schwer möglich ist, jedoch ihr ganzes Leben selbstverständlich möglich war und, im sozialen Vergleich, auch vielen anderen Älteren weiterhin möglich ist. Die in Folge des Sehverlusts eintretenden Alltagskompetenzeinschränkungen sind dabei in stärkerem Maße in den komplexeren, sog. instrumentellen Aktivitäten des alltäglichen Lebens (z. B. Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Erledigung von Bankangelegenheiten) als in den basalen Aktivitäten (z. B. Mahlzeiteneinnahme) zu beobachten bzw. sie treten auch in diesen früher zutage [47]. In Abb. 2 wird gezeigt, dass während einer 1-jährigen Untersuchung von 90 AMD-Patienten im Durchschnittsalter von 79,5 Jahren zum ersten Messzeitpunkt mit Messungen der Alltagskompetenz nach 3, 6, 9 und 12 Monaten die Fähigkeit zur Ausübung speziell der instrumentellen Aktivitäten (IADL) um fast eine halbe Standardabweichung, jene der basalen Aktivitäten etwa um eine viertel Standardabweichung zurückgeht [44].

Abb. 2
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Verlauf von Alltagsfunktionalität bei 90 AMD-Patienten über 1 Jahr hinweg Verlauf von Alltagsfunktionalität bei 90 AMD-Patienten über 1 Jahr hinweg. (ADL: grundlegende Aktivitäten des täglichen Lebens; IADL: Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens. T1 und T2: Hauptmesszeitpunkte zu Beginn der Studie und nach einem Jahr. I1–I3: Interim-Messzeitpunkte alle 3 Monate. Z-Standardisierung mit Mittelwert 0 und Standardabweichung 1. Geringere Werte indizieren höhere Beeinträchtigung)

Weitere Befunde unterstreichen, dass Sehbeeinträchtigung im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen (z. B. Hörverlust, Diabetes) die alltagspraktischen Fertigkeiten in stärkerer Weise einschränkt [39, 47]. Ebenso kommt es zu Verlusten in der Freizeitgestaltung (z. B. [30]) und in der Ausübung von bedeutsamen Rollen wie der eines pflegenden Angehörigen für andere Personen [36]. So leiden Betroffene häufig sehr darunter, wenn sie ihr Streben nach Unterstützung eines hilfe- oder pflegebedürftigen Angehörigen nicht mehr adäquat umsetzen können und möglicherweise andere Hilfeformen organisieren müssen. Zusammenhänge zwischen AMD und kognitiven Leistungseinbußen sind bislang erst wenig untersucht worden, jedoch scheinen sie – ähnlich wie dies für Sehverluste generell gilt – im statistischen Assoziationssinn nur mäßig stark ausgeprägt zu sein [38]. Hier eröffnen sich allerdings faszinierende Möglichkeiten der Einsichtnahme in Alternsprozesse in einem umfassenden Sinne, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit zentralnervöse und an den Endorganen agierende alterskorrelierte Veränderungen in der visuellen Sensorik und zentralnervöse Prozesse mit Relevanz für Informationsverarbeitung ineinander verschränkt sind [1, 43].

Objektive Umweltbedingungen

Die Verfügbarkeit von familiärer und außerfamiliärer sozialer Unterstützung – insbesondere emotionaler Unterstützung durch Freunde – ist allgemein bedeutsam für die Bewältigung von Seheinschränkungen im Alter [29, 25]. Dieser Befund lässt sich wahrscheinlich auch gut auf AMD-Patienten übertragen. Dabei ist es vor dem Hintergrund des hohen Anteils an alleinlebenden Älteren wichtig zu erwähnen, dass in den Studien von Reinhardt et al. außerfamiliäre soziale Netzwerke einen eigenständigen Anteil an der Bewahrung von Lebensqualität aufwiesen. Familiäre Beziehungen besitzen hingegen häufig ein größeres Konfliktpotenzial und bisweilen ist bei familiären Bezugspersonen eine Tendenz zur Überfürsorglichkeit festzustellen, was auf Dauer möglicherweise durch die Übernahme eigentlich noch möglicher Handlungen zu unnötigen Kompetenzverlusten durch „non use“ bzw. fehlende Übung führen kann [41]. Mit anderen Worten: Auch außerfamiliäre, nicht nur familiäre soziale Netzwerke sind ein hilfreicher Faktor im Umgang mit der AMD, und diese außerfamiliären Kontakte unterstützen bisweilen die Aufrechterhaltung von Selbstständigkeit besser als manchmal zur Überversorgung neigende familiäre Bezugspersonen. Objektive Wohnbedingungen stellen eine weitere bedeutsame Kontextvariable dar: Ältere mit Sehverlust, die in ungeeigneten Wohnungen (z. B. schlechte Lichtverhältnisse, schwer nutzbare Küchen- und Badelemente) lebten, wiesen in der Studie von Wahl et al. [47] eine niedrigere Alltagskompetenz auf als vergleichbare Betroffene in gut angepassten Wohnungen, und die Verbesserung in ungünstigen Wohnmerkmalen (speziell den Lichtverhältnissen) führt nach der kontrollierten Interventionsstudie von Brunnström et al. [9] zu einer insgesamt höheren Lebensqualität. Damit sind wir bei der Frage angelangt, ob und wie systematische Verbesserungen der Lebensqualität von AMD-Patienten durch psychosoziale Interventionen erzielt werden können.

Gezielte Verbesserung der Lebensqualität bei AMD: Befunde von Studien mit psychosozialen Interventionskomponenten

Eine systematische Literaturanalyse mittels Google, PsychInfo, Pubmed und Scopus mit den Suchbegriffen Age-related Macular Degeneration, Psychosocial Intervention und Self-management, ergänzt durch eine manuelle Suche, erbringt insgesamt 15 Studien. Folgende Studienmerkmale verdienen Erwähnung (Tab. 1; wir beziehen noch weitere Studienmerkmale ein):

Tab. 1 Befunde zu psychosozialen Intervention bei Patienten mit altersabhängiger Makuladegeneration: Studienüberblick

  • Obgleich auf der einen Seite die Anzahl der bisherigen Studien nicht unerheblich ist, handelt es sich auf der anderen Seite bei etwa der Hälfte um kleine bzw. als pilotartig deklarierte Studien (mit n<70), was die vorliegende Evidenz einschränkt.

  • Die vorliegenden Studien entsprechen überwiegend dem Design von randomized controlled trials, was wiederum die Evidenz stärkt.

  • Die Studien sind bislang im Wesentlichen von 3 Arbeitsgruppen durchgeführt worden (Arbeitsgruppe um Brody in den USA, um Dahlin-Ivanoff/Eklund in Schweden und um Birk/Kämmerer/Wahl in Deutschland), was die Bandbreite der Evidenz etwas begrenzt.

  • Es wurden zumeist höheraltrige Gruppen von AMD-Patienten jenseits von im Mittel 78 Jahren einbezogen, was auch zeigt, dass solche Interventionen überhaupt möglich sind.

  • Die eingesetzten Interventionsprogramme basieren überwiegend auf Gruppenanwendungen mit 5–10 Teilnehmern pro Gruppe. Die Dauer variiert zwischen 3 und 8 Wochen mit in der Regel 1–2 Sitzungen von etwa 1–2 h pro Woche.

  • Bei den Trainern handelt es sich primär um trainierte Berater, Psychologen, Ergotherapeuten, Low-Vision-Experten und Laien von AMD-Vereinigungen.

    Psychosoziale Interventionen bei AMD-Patienten sind eine hilfreiche Ergänzung der opthalmologischen Behandlung.

Wir verzichten hier auf eine weitere Diskussion der Grenzen von Literatur-Reviews wie etwa das Filedrawer-Problem, d. h., nicht erfolgreiche Studien bleiben häufig in der Schublade und werden nicht publiziert. Die Befundlage ist insgesamt ermutigend, denn größere wie kleinere Studien haben relativ konsistent positive Effekte im Hinblick auf Lebensqualitätsindikatoren wie Depressivität, emotionalen Stress und Alltagsfunktionalität gefunden. Die Gruppensituation scheint aus verschiedenen Gründen besonders hilfreich zu sein (siehe auch qualitative Befunde [13]), so etwa im Sinne des Erlebens von „Ich habe nicht alleine Probleme mit der AMD“, im Sinne des Modell-Lernens und der Erfahrung von Wertschätzung und Zuwendung. Die positiven Effekte verschwanden in 2 Studien allerdings wieder bei Follow-ups, wobei einmal eine individualisierte Intervention zu Hause [32], zum anderen eine Kurzintervention [45] eingesetzt wurde. Insgesamt scheinen derzeit bei vorsichtiger Interpretation der vorhandenen Evidenz Gruppeninterventionen mit unterschiedlich ausgeprägten Lern-, Trainings- und Problemlösekomponenten von 5–8 Wochen Dauer mit 1 Sitzung von etwa 2 h pro Woche in etwa vergleichbar positive Wirkungen im Hinblick auf eine Verbesserung der Lebensqualität bzw. der Vermeidung ihrer Verschlechterung zu besitzen. Nicht übersehen werden darf allerdings bei diesen Interventionen die „Familiendynamik“ der Erfahrung einer AMD, d. h. auch die Beratung und Unterstützung von Familienangehörigen sollte Teil eines umfassenden psychosozialen Angebots für AMD-Patienten sein [37].

Schließlich gibt es erste gesundheitsökonomische Daten, welche die Kosteneffizienz derartiger Programme gegenüber der Standardbehandlung bzw. dem Fehlen eines psychosozialen Versorgungsangebots unterstützen [16].

Fazit für die Praxis

AMD ist eine chronische Erkrankung mit weitreichenden psychosozialen Anpassungsanforderungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Erhöhte Depressivität und Verluste in der Alltagsfunktionalität sind die „Leitsymptome“ einer bereits eingetretenen Lebensqualitätsminderung. Sie müssen frühzeitig erkannt werden und diese Sensibilität für die Lebensqualitätsbelange von AMD-Patienten muss bereits mit der Diagnosestellung einsetzen. Neben dem gut gesicherten Wissen zu den erheblichen psychosozialen Belastungen, die mit AMD einhergehen, existiert heute auch eine substanzielle Evidenz dahingehend, dass insbesondere Gruppeninterventionen ein hilfreiches Werkzeug sind, um die geminderte Lebensqualität wieder zu erhöhen bzw. zu stabilisieren. Hier besteht im Grunde kein wirkliches Erkenntnisproblem mehr, auch wenn zu fordern ist, dass wir in Deutschland die Evidenz mit 2–3 größeren randomisierten Studien verbessern müssen. Wohl aber besteht ein Umsetzungsproblem. Wo in Deutschland, an welchen Kliniken oder in welchen anderen Versorgungskontexten sind psychosozial orientierte AMD-Programme heute installiert und, falls existierend, in ihrer Finanzierung dauerhaft gesichert? Eines dürfte in jedem Fall klar sein: Eine psychosoziale Regelversorgung der AMD existiert praktisch nicht. Löbliche Ausnahmen bestätigen die Regel des Mangelzustands.