Die ärztliche Tätigkeit umfasst neben der Behandlung zum Ziele der direkten Hilfe durch Heilung oder Linderung von Krankheiten in zunehmendem Maße auch gutachtliche Aufgaben. Für diese gelten fest vorgeschriebene Regeln und Richtlinien, deren Nichtbeachtung juristische Konsequenzen auch für den Gutachter haben kann. Im Gegensatz zum „normalen“ Arzt-Patienten-Kontakt, der ganz wesentlich von einem Vertrauensverhältnis abhängig ist und eine positive Zuwendung des Arztes voraussetzt, ist dieser als Gutachter gehalten, alle Befunde neutral zu würdigen. Abgesehen von Fragen einer Eignung, bei denen der Antragsteller in der Regel richtige Angaben machen wird, um eine gewünschte Bescheinigung zu erhalten – häufigster Fall dürfte ein Führerscheingutachten sein, kommt es bei Fragen der Unfallversicherung, im sozialen Entschädigungsrecht oder nach dem Schwerbehindertengesetz auf die Feststellung einer Einschränkung an. Hier offenbaren sich nicht selten Schwierigkeiten des Arztes, die subjektiven Angaben kritisch zu hinterfragen und mit dem Befund in Einklang zu bringen. Sehr häufig werden solche Schwierigkeiten bei der Erstellung von Bescheinigungen zur Erlangung von Blindenhilfe deutlich, die typischerweise vom behandelnden Augenarzt für den eigenen Patienten erfolgen. Hierzu wird in den rechtsverbindlichen Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) ausgeführt: „Die Feststellung von Blindheit setzt einen Befund voraus, der aufgrund einer speziellen augenärztlichen Untersuchung unter Begutachtungsgrundsätzen erhoben worden ist“ [2].

Im Folgenden soll anhand von Schwierigkeiten bei der Beurteilung nach dem Schwerbehindertengesetz auf Probleme bei der Begutachtung eingegangen werden. Daneben werden anhand einer Auswertung von augenfachärztlichen Bescheinigungen zur Erlangung von Landesblindenhilfe typische und vermeidbare Fehler der Begutachtung dargestellt.

Befundmitteilungen an die Versorgungsämter sind häufig als kurze Befunde aus den Patientenunterlagen entnommen. Dies liegt vielleicht auch an der Honorierung für eine Befundmitteilung ohne gutachtliche Äußerung (Ziffer 200), die ganz unabhängig von der Qualität des Befunds gleich ist. Dabei ist das Datum der zugrunde liegenden Untersuchung häufig nicht ersichtlich, besonders wenn zusammenfassende Befunde mehrerer Untersuchungen mitgeteilt werden. Wenn solch ein Befund sich auf die Mitteilung „Untersuchung v. 9.3.04, Visus mit Korrektur R 0,3 L 1,0; Dg: Amblyopie R, Myopie“ beschränkt, ist eine sinnvolle Beurteilung nicht möglich und damit letztlich dem eigenen Patienten nicht gedient. Im Zuge der zunehmenden digitalen Archivierung erlauben zahlreiche Programme eine recht zeitökonomische Übernahme der wesentlichen augenärztlichen Befunde, die dann häufig mit einer Aufzählung aller dem entsprechenden Patienten jemals zugeordneten Diagnosen beginnen. Diese schon im klinischen Alltag oft störende „Unart“ erschwert die Beurteilung, welche der Krankheiten denn wesentlich zu einer Funktionseinschränkung beitragen. Als Beispiele seien erwähnt:

  • Diagnose(n): Hornhautbanddegeneration, Auge, Engwinkelglaukom bei Plateau-Iris-Konfiguration, Vorhandensein eines intraokularen Linsenimplantats; Vsc 0,2p, kein 0,05 FZ sicher VAA Cat++(+), HH-Narben, io-reizfrei T 16 20, Pap bei red Einblick vital Fd NH anl. Peripherie ordentlich einsehbar, keine hypertensiven Veränderungen PV;

  • 0/-0,25/148 –0,25/-0,5/165 Vsc 0,8 0,8 Motilität allseits frei, Cover-Test o.B., Schober, Worth, Stereo o.B. VAA bds. regelrecht, VK tief, Pup. spielt, Linse ae sehr feine kristalline Ablagerungen der HH diffus NC 19 15.

Gerade bei der Angabe deutlich reduzierter Sehschärfewerte, wie im ersten Beispiel mit „kein 0,05 am linken Auge“, treten auch für den Patienten als Antragsteller nach dem Sozialrecht Schwierigkeiten auf. Er hat den Nachweis des Vorliegens der Behinderungen zu Erbringen, unter 0,05 kann auch 0,02 sein – der Nachweis liegt damit zunächst noch nicht vor. Die zusätzliche Angabe FZ für Fingerzählen dokumentiert einen typischerweise unter 1/50 liegenden Visus, mangels Angabe einer Prüfentfernung ist dies jedoch grundsätzlich nur von begrenztem Wert. So konnten Gräf und Jornaa anlässlich einer Überprüfung gerade bei einer solchen Angabe feststellen, dass hierbei tatsächlich eine Sehschärfe von 0,04 oder 0,05 vorlag [3]. Anhand des Auflösungsvermögens ist auch klar, dass weit gestreckte Finger in 1 m Abstand durchaus einem Visus von 0,03 entsprechen können [7]. Grundsätzlich ist eine Prüfung mit Sehprobentafeln auch in einem geringeren Abstand als 1 m möglich. Wenn die für eine Sollentfernung von 35 m dargestellten Sehzeichen (bei Zahlentafeln oft 2 und 7) dann in 50 cm erkannt werden, beträgt der Visus 0,5/35. Diese Angabe ist dabei die einzig korrekte mit Angabe der Prüfentfernung im Zähler und der Sollentfernung im Nenner, denn eine Umrechnung auf 1/70 würde eine Prüfentfernung von 1 m vortäuschen. Da es keine entsprechenden Visustafeln gibt – die größten käuflich erhältlichen Prüfgrößen entsprechen einer Sollentfernung von 60 m, sind alle entsprechenden Angaben, so v. a. 1/100 anstelle von 0,5/50, nicht korrekt.

Schwierigkeiten bei statischer Perimetrie

Da in den Versorgungsämtern in der Regel keine Augenärzte arbeiten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bezüglich der vom Augenarzt mitgeteilten Befunde immer genügend Sachkenntnis vorhanden ist, diese richtig zu interpretieren. So werden statische Gesichtsfelduntersuchungen für die Einstufung des Grads der Behinderung (GdB) oder der Frage des Anspruchs auf Blindenhilfe berücksichtigt. In Abb. 1 wird ein solcher Befund gezeigt, der allein bei einer Sehschärfe von 0,5 an beiden Augen bei einem Antragsteller mit Retinitis pigmentosa seit 1993 zur Gewährung von Blindenhilfe führte. In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit ist eindeutig geregelt, dass zur Beurteilung von Gesichtsfeldausfällen ausschließlich Untersuchungen mittels manuell-kinetischer Perimetrie mit dem Goldmann-Perimeter zu berücksichtigen sind, und hierbei auch nur Prüfreize entsprechend Goldmann III/4e. Da ein wachsender Anteil der Augenärzte inzwischen nur noch über ein computergestütztes Perimeter verfügt, häufen sich Befunde, die lediglich eine statische Perimetrie beinhalten. In Abb. 2 werden am selben Tage erhobene Befunde des linken Auges einer Patientin mit fortgeschrittener glaukomatöser Schädigung am linken Auge gezeigt. Es wird deutlich, dass die beiden verschiedenen statischen Perimetrien, die zusätzlich nur den Bereich der zentralen 30° umfassen, eine erheblich schwerwiegendere Schädigung zeigen als die gutachtlich relevante Goldmann-Perimetrie. In dieser ist innerhalb von 30° (gelb unterlegt) nur ein kleines Areal ausgefallen, nach links ist das Gesichtsfeld völlig frei bis 70° erhalten, bei isolierter Schädigung dieses Auges und voller Sehschärfe liegt kein wesentlicher GdB vor. Der Augenarzt sollte deshalb ausschließlich aus Befunden einer statischen Perimetrie keine Behinderungen etc. begründen. Dies ist natürlich besonders bei der Frage der Blindheit wichtig, bei der Gesichtsfeldausfälle ohne manuell-kinetische Perimetrie nicht beurteilt werden können [2, 7]. Notfalls muss das Versorgungsamt auf den notwendigen Gesichtsfeldbefunden einer manuell-kinetischen Perimetrie bestehen und diese im Einzelfall in Auftrag geben.

Abb. 1
figure 1

Statische Gesichtsfelder mit Humphrey-Perimeter mit nur am linken Auge vereinzelt wahrgenommenen Lichtreizen (3 Punkte) bei Retinitis pigmentosa. Bei gleichzeitigem Visus von 0,5 wurde hiermit seit 1993 Blindenhilfe gewährt

Abb. 2
figure 2

Vergleich verschiedener am selben Tag durchgeführter Gesichtsfelder einer 45-jährigen Patientin mit fortgeschrittener glaukomatöser Schädigung des linken Auges. Die beiden oberen Reihen zeigen Befunde einer statischen Computerperimetrie, oben mit dem Humphrey Field Analyzer II, in der Mitte mit dem Octopus 101. Untersucht wurde lediglich der Bereich der zentralen 30°. Unten das dazugehörende Goldmann-Gesichtsfeld, in dem der entsprechende zentrale Bereich gelb unterlegt ist. Man erkennt für die identische Reizmarke (III/4, rot) ein nach links außen bis 70° reichendes Gesichtsfeld

Aber auch die Beurteilung von sachgerecht durchgeführten manuell-kinetischen Gesichtsfeldbefunden stellt häufig eine Schwierigkeit dar, die besonders bei der Frage der Blindheit offenbar wird und daher dort näher abgehandelt wird. Ähnliches gilt natürlich auch für die Visusangaben, aus denen nicht direkt ersichtlich ist, dass diese ebenfalls in den meisten Fällen nicht entsprechend den gutachtlichen Vorgaben der DIN 58220 erhoben wurden. Die auch von Seiten der Rechtskommission der DOG gegebene Empfehlung, entsprechende Befundmitteilungen mit dem Zusatz „nicht als Gutachten verwertbar“ zu versehen, ist dabei offensichtlich nicht wirklich ausreichend, gerade bei den Ergebnissen der Sehschärfeprüfung ist hier ein noch deutlicherer Hinweis sinnvoll.

Da die Befundmitteilungen an die Versorgungsämter nur selten gutachtlich überprüft werden, sind Fehlerquellen hier nicht immer offensichtlich. Eine Visusverschlechterung ohne wesentliche Befundänderung innerhalb kurzer Zeit, z. B. bei einer Kontrolle 2 Wochen nach Untersuchung in einer Augenklinik von 0,1 auf 0,02 bei einer trockenen Makuladegeneration, ist zunächst zweifelhaft.

Blindenhilfe/Blindengeld

Insgesamt 2265 dem zuständigen Landesarzt zur Prüfung vorgelegte Anträge auf Landesblindenhilfe in Baden aus den Jahren 1980–1999 wurden ausgewertet [8]. Hierbei bewegte sich die Anzahl außer in den ersten 3 Jahren recht konstant um 200–250 jährlich. Von diesen bereits beim Landeswohlfahrtsverband nicht eindeutig zuzuordnenden Anträgen wurden 33,3% abgelehnt (754 Anträge), obwohl in 99% die Anspruchsvoraussetzungen durch den bescheinigenden Augenarzt als erfüllt angesehen wurden [4]. Diese Anträge wiesen ein vergleichbares Spektrum der wesentlichen zur Erblindung führenden Erkrankungen auf, wie die genehmigten 1511 Anträge, mit Makuladegeneration in 26,1% an führender Stelle (gegenüber 23,1% bei den genehmigten Anträgen) [8]. Von den insgesamt 376 bescheinigenden Augenärzten hatten 18 mindestens 20 augenfachärztliche Bescheinigungen ausgestellt und dabei zwischen 13 und 57% fehlerhafte Beurteilungen abgegeben. Nur 3 der 150 Ärzte, bei denen sämtliche Bescheinigungen zur beantragten Gewährung von Landesblindenhilfe führten, hatten mehr als 10 Anträge eingereicht, 26 mehr als 3.

In den letzten Jahren hat sich der Anteil der nicht korrekt beurteilten augenärztlichen Bescheinigungen in Baden-Württemberg nochmals erhöht und liegt inzwischen bei über 50% der dem Landesarzt vorgelegten Fälle. Bei strittigen Befunden erfolgt häufig eine nochmalige Untersuchung, dabei zeigen sich insbesondere hinsichtlich der Visusangaben erhebliche Unterschiede zum Befund des Augenarztes. Auch wenn es für diesen hier manchmal schwierig ist, sich aus der Rolle des behandelnden Arztes zu lösen, handelt es sich doch um ein ärztliches Attest, von dem auch erhebliche finanzielle Folgen abhängen. Wie bei Beurteilungen im Schwerbehindertenrecht, so ist gerade bei den entsprechenden augenfachärztlichen Bescheinigungen fast regelmäßig zu beobachten, dass von der Möglichkeit, auf eine Diskrepanz zwischen dem vorliegenden Befund und den subjektiven Funktionsangaben hinzuweisen, nur in seltenen Fällen Gebrauch gemacht wird. Gräf et al. hatten anlässlich einer Überprüfung in Hessen ganz ähnliche Ergebnisse gefunden [3]. Damit erscheint der Hinweis falsch, dass die in den meisten Bundesländern fehlende finanzielle Hilfe bei hochgradiger Sehbehinderung (die es in Hessen gibt) eine Falschattestierung fördern würde [5].

Aber auch die Beurteilung durch die Gutachter der Versorgungsämter ist nicht immer nachvollziehbar. So wurde bei einer Reduktion der Sehschärfe auf 1/35 Blindheit anerkannt, da der Kollege meinte, dass „in diesem Bereich eine genaue Differenzierung nicht möglich (ist), daher ist auch bei 1/35 Blindheit anzunehmen“. Auch wenn der Unterschied zwischen einer Sehschärfe von 1/50 und 1/35 nicht sehr groß erscheint, ist dieser genauso groß wie derjenige zwischen 0,8 und 1,0, da die Wahrnehmung wie beim Hörvermögen nicht einer linearen, sondern einer logarithmischen Funktion folgt. Daher zeugt diese Aussage von einem fehlenden Verständnis.

Die in den verschiedenen Landesgesetzen festgelegten Kriterien der Blindheit, d. h. einer Visusminderung auf 1/50 gleichzuachtende Sehschädigungen, die im Wesentlichen immer noch den Empfehlungen der DOG aus dem Jahre 1975 entsprechen, sind bezüglich der Gesichtsfeldausfälle offensichtlich problematisch [1]. Neben Befunden, die sich ausschließlich auf hochgradige Gesichtsfeldausfälle bei statischer Perimetrie stützen (Abb. 1), werden immer wieder Untersuchungen vorgelegt, die nicht mit einem von der Gerätekommission der DOG zugelassenen manuell-kinetischen Gerät erhoben wurden. Zum jetzigen Zeitpunkt sind dies lediglich das Oculus Twinfield und das Octopus 101 mit der kinetischen Zusatzsoftware. Andere Perimeter erlauben keine zugelassene kinetische Perimetrie, so v. a. kein Humphrey-Perimeter (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Befund einer kinetischen Perimetrie mit dem Humphrey Field Analyzer II. Entgegen der Meinung des behandelnden Augenarztes ist diese Untersuchung trotz Verwendung eines Prüfreizes entsprechend Goldmann III/4 im Sozialrecht nicht zu berücksichtigen

Beurteilung bei kinetischer Perimetrie

Aber auch die Beurteilung korrekt erhobener Befunde selbst zeigt Probleme. Bei einer 25-jährigen Antragstellerin mit Optikusatrophie war am einzig sehenden rechten Auge bei einer Sehschärfe von 0,3 ein Ausfall der rechten Gesichtsfeldhälfte bis knapp 10° an die Mittellinie hin vorhanden (Abb. 4). Nachdem der Augenarzt fälschlich eine Einengung des Gesichtsfelds bis auf maximal 8° und gleichzeitig auch den Anspruch auf Landesblindenhilfe bescheinigt hatte, wurde dieses zwar durch den Landesarzt für Sehbehinderte und Blinde korrigiert, der beurteilende Arzt im Versorgungsamt gestand jedoch unabhängig das Merkzeichen Bl zu.

Abb. 4
figure 4

Goldmann-äquivalente Perimetrie manuell-kinetisch korrekt erhoben mit dem Oculus Twinfield am rechten Auges einer 25-jährigen Antragstellerin mit Optikusatrophie und gleichzeitiger Erblindung des linken Auges. Die Einengung bis auf 50° wurde fälschlich als bis maximal 8° beurteilt und sogar Blindheit attestiert

Die teilweise enormen Schwankungen der Gesichtsfeldgrenzen werden bei Nachuntersuchungen deutlich, wenn das Ergebnis durch die Erkrankung nicht erklärt ist. Das Beispiel in Abb. 5 zeigt zwei im Abstand von 6 Wochen durchgeführte Untersuchungen bei altersabhängiger Makuladegneration. Nur durch sachgerechte Untersuchung waren unauffällige Gesichtsfelder sowie kleinere Reizmarken nachzuweisen. Gesichtsfelduntersuchungen am Goldmann-Perimeter werden immer wieder mit anderen als den gutachtlich relevanten Einstellungen durchgeführt. So werden z. B. Reizmarke IV/3 oder III/1, die aufgrund der abweichenden Leuchtdichte und/oder Größe in der Regel nicht zur Beurteilung herangezogen werden können, benutzt. Wie auch in den AHP nachzulesen und in einer weiteren Arbeit zum Leitthema deutlich gemacht wird, ist bei einer Einengung von außen immer die noch am weitesten vom Fixierpunkt entfernte Wahrnehmung zu berücksichtigen [7]. Dies ist besonders bei einer Einengung wichtig, die sehr dezentriert einerseits bis nahe an den Fixierpunkt heranreicht, andererseits noch ein großes Restgesichtsfeld vorweist. Als Beispiel sind die Gesichtsfelder einer 88-jährigen Patientin mit einer Makuladegeneration sowie einer glaukomatösen Schädigung zu nennen, deren Visus 1/14 und 0,3 betrug. Der Augenarzt bescheinigte eine Einengung des Gesichtsfelds rechts auf 10° und links auf 50° (Abb. 6). Dabei hat er wohl einerseits fälschlich die Reizmarke V/4 berücksichtigt, sich andererseits mehr an der kleinsten Ausdehnung des Gesichtsfelds orientiert. Da dieses für III/4 am rechten Auge bis 55° temporal und am linken bis 35° reicht, liegt ohne wesentlichen zentralen Ausfall weder rechts noch links eine der Blindheit gleichzuachtende Sehschädigung vor.

Abb. 5
figure 5

Vergleich von 2 Untersuchungen in 6 Wochen Abstand bei AMD. Oben mit deutlicher konzentrischer Einengung, bei Wiederholung nahezu freie Außengrenzen. Jetzt wurde neben Reizmarke III/4 und I/4 auch I/2 erkannt (unten)

Abb. 6
figure 6

Goldmann-Perimetrie bei Glaukom, Einengung für III/4 auf rechts 55° und links 35° (jeweils temporal). Vom Augenarzt wurde Einengung auf rechts 10° und links 50° bescheinigt

Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen

Der im Sozialrecht notwendige Nachweis des Vorliegens eines Anspruchs durch den Antragsteller bedeutet weiterhin, dass die Angabe einer Visusminderung bzw. eines Gesichtsfelddefekts allein nicht ausreichend ist. Diese müssen durch die zugrunde liegende Augenerkrankung auch erklärt sein. So kommt es bei einer altersabhängigen Makuladegeneration niemals zu einer Gesichtsfeldeinengung von außen (Abb. 7). Demgegenüber ist hierbei aufgrund der zentralen Schädigung natürlich ein Zentralskotom vorhanden, welches zumindest mit kleineren oder dunkleren Prüfreizen nachweisbar sein sollte. Auch die bei hochgradiger Myopie immer wieder zu beobachtenden konzentrischen Einengungen sind nicht immer glaubhaft. Beim Vorliegen von unauffälligen Befunden aus früheren Untersuchungen ist dies leicht zu begründen, ansonsten kann ein Elektroretinogramm für gewisse Klarheit sorgen. Bei grundsätzlichen Zweifeln an den subjektiven Angaben ist also immer eine Objektivierung anzustreben, die aber im Grenzbereich von hochgradiger Sehbehinderung und Blindheit nicht einfach ist [9]. Eine Einengung des Gesichtsfelds auf unter 5° ist bei quasi normaler Lesefähigkeit ebenfalls nicht glaubhaft, da die Lesefähigkeit ein Gesichtsfeld von mehr als 5° voraussetzt, besonders wenn aufgrund reduzierter Sehschärfe gleichzeitig eine Vergrößerung der Texte notwendig ist [6].

Abb. 7
figure 7

Goldmann-Perimetrie bei AMD mit hochgradiger konzentrischer Einengung (Reizmarke III/4) beider Augen bei 80-jähriger Patientin (rechts rot, links blau)

Entscheidungen der Versorgungsämter sind bindend

Die Statusentscheidungen der Versorgungsämter sind nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.02.92 für in anderen Gesetzen geregelte Vergünstigungen bzw. Nachteilsausgleiche und somit auch für die Gewährung von (Landes-)Blindenhilfe bindend (AZ: 5 C 48.88). Daher ist zu überlegen, ob nicht grundsätzlich eine Entscheidung des Versorgungsamts als notwendige Voraussetzung eingeholt werden sollte, ehe von anderer Seite entsprechende Bescheide ergehen. In einigen Bundesländern ist dieses Vorgehen schon eingeführt. Allerdings sind die entsprechenden Bearbeiter der Landeswohlfahrtsverbände bezüglich der Einstufung der Seheinschränkung häufig sehr kompetent, und die Aberkennung eines vom Versorgungsamt fälschlich zuerkannten Merkzeichens ist nur schwer möglich. Wie oben dargestellt ist dadurch sicher auch das Problem gutachtlich verwertbarer Befunde nicht gelöst. Wie Gräf und Jornaa bereits 2004 vorschlugen, würde die Loslösung der gutachtlichen Äußerung des behandelnden Augenarztes und die Einrichtung von speziellen Gutachterstellen mehr Gerechtigkeit bringen und sich durch Einsparung nicht berechtigter Zahlungen auch unter Kostenaspekten selbst tragen können [3]. Auch für Anträge nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) wäre eine solche Lösung zu diskutieren.

Fazit für die Praxis

Bei der Befunderstellung nach dem Schwerbehindertengesetz und besonders im Antragsverfahren im Blindenrecht kommt es zu häufig zu inkorrekten Einschätzungen und Befundmitteilungen. Insgesamt sollte der Augenarzt daher nicht nur bei der Begutachtung, sondern auch bei der Herausgabe von Befunden oder ärztlichen Attesten die subjektiven Angaben hinterfragen und mit dem Befund in Einklang bringen, gerade weil die in der ärztlichen Tätigkeit typischen Funktionstestungen oft nicht gutachtlichen Standards entsprechen. Ein entsprechender Hinweis bezüglich der Befunderhebung wird daher angeraten, v. a., wenn keine Ergebnisse einer manuell-kinetischen Perimetrie oder einer Visusprüfung mit Landolt-Ringen und beidäugig erhobener Sehschärfe vorliegen.