Die manualmedizinische Untersuchung und Behandlung des Säuglings erfordern wie beim Erwachsenen das genaue Detektieren und Bestimmen der Lokalisation von Funktionsstörungen. Besonderheiten erschweren das Verfahren in den ersten 12 Lebensmonaten: die Kleinheit der anatomischen Verhältnisse, die Unruhe und mögliche Abwehrreaktionen des Kindes. Die segmentale Untersuchung ist beim Säugling in allen Abschnitten der Wirbelsäule schwierig, aber möglich. Sie ist Voraussetzung für eine gezielte Therapie, ganz besonders für jede Form der Manipulation, besonders an der Halswirbelsäule (HWS). Untersuchung und Behandlung, gleich welcher Art, müssen ohne erkennbares Risiko sein.

Um zu einem allgemeinen Konsens zu kommen, schlagen wir daher im Folgenden einen Ablauf der Säuglingsuntersuchung vor. Hierbei geht es nicht um den Untersuchungsgang des Kinderarztes, der in seiner Sprechstunde oftmals Säuglinge mit Infekten oder zur geplanten Impfung untersucht, sondern um das Vorgehen des Manualmediziners. Dieser orientiert sich nach den allgemeinen Gesichtspunkten der Manualmedizin: Von der allgemeinen globalen Untersuchung mit Inspektion und Palpation geht der Ablauf der Untersuchung auf die regionale, dann auf die gezielte segmentale Untersuchung über. Ein routinierter sorgfältig festgelegter Untersuchungsgang ist ratsam und sollte so zügig und rationell wie möglich erfolgen. Er besteht aus folgenden Schritten:

  1. 1.

    Erhebung der Anamnese

  2. 2.

    Allgemeine Untersuchung des Säuglings zur Einschätzung des Entwicklungsstandes und entsprechende differenzialdiagnostische Erwägungen

  3. 3.

    Allgemeine manualmedizinische Untersuchung des Säuglings

  4. 4.

    Regionale globale und orientierende Untersuchung, hier beschrieben die Kraniozervikalregion

  5. 5.

    Segmentale Untersuchung der Kraniozervikalregion

Über die ersten beiden Schritte, insbesondere die Notwendigkeit eines Ausschlusses neurologischer Störungen, bestehen in der Literatur keine Unstimmigkeiten [1, 2, 6, 7, 8, 16, 19, 20, 24, 25]. Daher wird hier nicht darauf eingegangen.

Der vorliegende Beitrag befasst sich vor allem mit der Kraniozervikalregion, die beim Säugling eine zentrale Bedeutung hat. Die Kopfgelenke (Wirbelgelenkkapsel, autochthone Muskulatur mit hoher Spindeldichte, myofasziales Gewebe) sind bereits zu Beginn des Lebens eine wichtige Region der propriozeptiven Bahnung und oft Ausgangspunkt von Bewegungsstörungen im Säuglingsalter [3, 4, 5]. Die genaue segmentale Untersuchung und Differenzierung der Störung sind daher für eine gezielte Behandlung unabdingbar.

Allgemeine manualmedizinische Untersuchung des Säuglings

Untersuchung in Rückenlage: Inspektion/Palpation

Bei der ersten Inspektion des Kindes beachtet der Untersucher alle Asymmetrien sowohl der Lage als auch der Spontanbewegung. Eine Asymmetrie der Schulterregion kann beispielsweise ein Hinweis auf eine geburtstraumatische Verletzung der Klavikula sein und zwingt den Untersucher zur genaueren Untersuchung dieser Region. Ein ständig adduziertes Beinchen weist den erfahrenen Beobachter auf eine Besonderheit des Hüftgelenks (z. B. Hüftdysplasie, Abb. 1), auf Funktionsstörungen im Iliosakralgelenk oder auch auf Muskeltonusdifferenzen hin.

Abb. 1
figure 1

Asymmetrische Haltung und Bewegung des Säuglings, hier Hüftdysplasie rechts

Es empfiehlt sich, bei der Betrachtung systematisch von kaudal nach kranial vorzugehen. Zuletzt wird das Köpfchen des Kindes untersucht:

  • Wie ist die Kopfform?

  • Spricht eine Deformierung für intrakranielle Spannungszustände?

  • Findet sich ein asymmetrischer Haarabriebfleck als Zeichen einer einseitigen Kopfauflage in Rückenlage?

  • Der Untersucher tastet die Beweglichkeit der Suturen im Bereich des Hirn- und Gesichtsschädels ab.

  • Als Nächstes wird der kraniosakrale Rhythmus untersucht.

  • Dann erfolgt die Untersuchung von Spannungszuständen im Schädel.

Die beiden letzten Untersuchungen werden von einer Person durchgeführt, die die kraniosakrale Untersuchungsmethodik beherrscht.

Untersuchung in Bauchlage: Inspektion/Palpation

Der Untersucher beobachtet die Auflagefläche auf der Unterlage sowie das Abstützen des Kindes mit den Unterarmen oder Händen. Er schaut, ob ein nicht altersgerechtes und damit pathologisches Verhalten vorliegt, z. B. gefaustete Hände des Säuglings als Stützfläche in Bauchlage oder ständig gestreckte Beine. Bestehen auffällige Asymmetrien? In Bauchlage ist der Grad der Vertikalisierung besonders gut sichtbar (Abb. 2). Funktionsstörungen – außer der Entwicklungsretardierung mit neurologischen Ursachen – können der Grund für eine nicht altersgemäße Vertikalisierung sein.

Abb. 2
figure 2

Säugling in Bauchlage, 3 Monate alt. Unzureichende Vertikalisierung. Differenzialdiagnose: Entwicklungsstörung durch neurologisches Defizit oder Funktionsstörung der Wirbelsäule?

Untersuchung der myofaszialen Spannungsphänomene

Ein wichtiger Schritt des Untersuchungsprogramms ist die myofasziale Untersuchung in Rückenlage, um Spannungen einer Region zu eruieren. Diese sog. „ten steps“, die von Greenman zum ersten Mal beschrieben wurden [11], sind beim Säugling anders als beim Erwachsenen durchzuführen: Alle Gelenke bleiben in säuglingsgerechter mittlerer Beugestellung, auch die Arme bleiben in Mittelstellung und werden nicht wie beim Erwachsenen oder beim größeren Kind eleviert. Nun induzieren wir von kaudal nach kranial fortschreitend eine kleine, kaum sichtbare Bewegung und nehmen dabei wahr, in welchem Ausmaß das Gewebe einen Widerstand leistet – eine Form der Spannungswahrnehmung. Die „ten steps“ sind im Einzelnen:

  1. 1.

    Umfassen beider Vorfüße, Induktion einer kleinen Supinations-Pronations-Bewegung.

  2. 2.

    Umfassen der Beine oberhalb der Kniegelenke, minimale Traktion der Beine in physiologischer Längsachse. Anschließend werden beide Fußsohlen in Supination zueinander gebracht und die Beine bis zum Erreichen eines Spannungsgefühls in Richtung Körpermitte geführt. Der Test ist geeignet, einseitige Spannungen im Becken-Bein-Bereich sichtbar zu machen (Abb. 3).

  3. 3.

    Rocking-Test Becken: Beide Daumen oder Daumenballen werden von ventral auf den Darmbeinkamm gelegt, sie üben eine leichte Schaukelbewegung nach dorsal aus. Ein vermehrtes Spannungsgefühl auf einer Seite weist auf eine Störung im Beckenbereich hin, intestinal oder parietal (Abb. 4 a).

  4. 4.

    Thorakal-transversaler Test: Beide Hände liegen seitlich am unteren Thorax und führen eine Transversalbewegung durch. Ein Spannungsgefühl einer Seite kann ein Hinweis auf eine Störung in dieser Region sein, parietal oder viszeral.

  5. 5.

    Thorakaler anterior-posteriorer Test: Beide Hände liegen locker links und rechts auf dem Thorax. Sie üben beiderseits eine federnde Bewegung in anterior-posteriorer Richtung aus. Eine Spannung weist auf eine parietale oder viszerale Störung der gleichen Seite hin (Rippen, Sternum, Brustwirbelsäule, Herz, Lunge, deren Faszien).

  6. 6.

    Testung der Unterarme: Supinations-, Pronationsbewegung. Eine Störung im Bereich der oberen Extremitäten ist wahrscheinlich.

  7. 7.

    Testung der Oberarme: Beide Arme werden oberhalb der Ellenbogengelenke umfasst. Der Untersucher übt einen Längszug beidseitig aus.

  8. 8.

    Testung der Schultergürtel: Rocking-Test analog der Untersuchung im Beckenbereich. Ein Spannungsgefühl einer Seite veranlasst den Untersucher, nach einer parietalen Störung (Schultergelenk, Klavikulafraktur, Rippenverletzung) oder einer viszeralen Störung (Lunge, Bronchien, Herz) zu suchen (Abb. 4 b).

  9. 9.

    Testung der Translationsbewegung HWS: Beide Hände des Untersuchers liegen rechts und links paravertebral der HWS. Mit einer in beide Richtungen ausgeführten Translationsbewegung in verschiedenen Höhen wird nach Spannungen gesucht. Liegen solche vor, kann dies als Hinweis auf Störungen der HWS oder Halsfaszien gewertet werden.

  10. 10.

    Subokzipitale Testung: Der Untersucher steht oder sitzt am Kopfende des Säuglings und palpiert mit sanften Fingerbeeren subokzipital, der Kopf ist mit flachen Händen unterlegt. Die Langfinger des Untersuchers üben eine dorsolaterale Traktionsbewegung aus. Spannungsunterschiede oder auch eine beidseitige Restriktion weisen auf Störungen dieser Ebene hin. Dabei kann es sich um eine Störung des Os occipitale, um Duraspannungen, um eine Funktionsstörung der Kopfgelenke oder der Temporomandibulargelenke handeln. Mit Störungen im kraniosakralen Rhythmus im Sinne der Prinzipien der osteopathischen Medizin ist zu rechnen, sog. Strains lassen sich diagnostizieren (Abb. 5).

Abb. 3
figure 3

Myofasziale Untersuchung in Rückenlage. a Symmetrische Beckenspannung, b verstärkte Spannung der rechten Beckenseite

Abb. 4
figure 4

Rocking-Test. a Becken, b Schultergürtel

Abb. 5
figure 5

Subokzipitale Untersuchung. a Am Schädelmodell, b am Kind

Deutliche regionale Spannungsauffälligkeiten sind Ausgangspunkt der weiteren gezielten Untersuchungen und Behandlungen. Die Methode unterliegt – wie alle Palpationsmethoden – einer gewissen Subjektivität, sie ist aber hilfreich, um sich nicht in Einzelbefunden zu verlieren. Der letzte der 10 Untersuchungsschritte ist beim Säugling der wichtigste. Hier finden sich die häufigsten Störungen im Sinne der Wertigkeit der Schlüsselregionen beim Säugling [23]. Nun untersuchen wir entsprechend der bisher erhobenen Befunde der myofaszialen Untersuchung die Region, die uns am Tag der Untersuchung relevant erscheint, im Sinne der von Gutmann [12] beschriebenen Aktualitätsdiagnose.

Regionale globale Untersuchung und orientierende Untersuchung der Kraniozervikalregion

Ausgehend vom letzten Schritt der myofaszialen Spannungstestung bleiben wir in dieser Untersuchungshaltung und palpieren sorgfältig die einzelnen subokzipitalen Schichten von der oberflächlichen bis in die tiefste Schicht: Haut, Subkutis, oberflächliche Faszie, mittlere Faszie, Muskulatur, tiefe Faszienschicht. Dabei ist es erforderlich, in der Schicht zu verweilen, in der eine Restriktion spürbar ist, und diese Schicht direkt oder indirekt zu behandeln. Danach ist es erst möglich, durch sanfte Verstärkung des Fingerdrucks die nächsttiefere Schicht zu erreichen [10]. Der dabei oftmals deutlichen Abwehrreaktion des Kindes ist nachzugehen und jeder Schmerz zu vermeiden. Am Ende dieser Schichtpalpation und -behandlung haben die Fingerbeeren Knochenkontakt, sie befinden sich in der Höhe des dorsalen Randes des Foramen occipitale magnum und können nun Spannungen an Okziput oder Dura deutlich spüren.

Als nächstes wird die Region der Kopfgelenke untersucht. Sie ist eine der wichtigsten Schlüsselregionen, d. h. Regionen von besonderer pathogenetischer Relevanz. Im Falle einer Störung werden sehr häufig und intensiv Fernwirkungen ausgelöst [23].

  1. 1.

    Begonnen wird mit dem Übersichtstest: Die passiv geführte Rotation des Kopfes beantwortet der gesunde Säugling mit einer meist minimalen Abweichung der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten zur entgegengesetzten Seite. Zu beachten ist, dass bei Säuglingen unter 3 Monaten der Halsstellreflex stören kann. Er ist leicht zu unterdrücken, indem man einen Finger auf die Schulter der Hinterhauptseite legt, um die Mitrotation des Rumpfes zu vermeiden (Abb. 6).

  2. 2.

    Die passiv geführte Seitneige des Kopfes beantwortet der gesunde Säugling mit dem meist minimalen Schwenken von Wirbelsäule und unteren Extremitäten zur gleichen Seite (Abb. 7). Beide Phänomene finden wie bereits erwähnt ihre Erklärung in der Auswirkung der tonischen Nackenreflexe auf die Rumpfmuskulatur [22].

  3. 3.

    Der dritte Test, die Seitkippreaktion, ist ein Labyrinthstellreflex und beurteilt sehr gut die Kopfkontrolle des Kindes. Sie kann entwicklungsbedingt erst ab dem 3. Lebensmonat durchgeführt werden. Der Untersucher hält das Kind frei mit beiden Händen am Thorax/Becken und kippt das Kind langsam zur Seite [6, 7]. Das gesunde Kind beantwortet diese veränderte Stellung des Rumpfes mit einer orthograden Einstellung in die Senkrechte, Augenachse und Mundachse sind horizontal. Ein schweres Kind kann man bei dieser Untersuchung auf dem Oberschenkel reiten lassen (Abb. 8).

Abb. 6
figure 6

Reaktion des Kindes (Alter 4 Monate) auf Rotation des Kopfes. a Nach links, b nach rechts

Abb. 7
figure 7

Reaktion des Kindes (Alter 4 Monate) auf Seitneige des Kopfes. a Nach rechts, b nach links

Abb. 8
figure 8

a,b Bei Schräghalten des Kindes (Alter 6 Monate) stellt sich der Kopf bei guter Kopfkontrolle in die Senkrechte

Zu beachten ist: Alle drei Tests fallen pathologisch aus, wenn die Propriozeption der kraniozervikalen Region gestört ist, sei es durch einseitigen Muskelhypertonus, Dysfunktion der Wirbelgelenke oder – und das ist das Wahrscheinlichste – als Komplexstörung aller Komponenten, was einer segmentalen Störung entspricht.

Segmentale Untersuchung der Kraniozervikalregion

Eine segmentale Untersuchung der Kopfgelenke ist bei Säuglingen möglich, obgleich die Gelenke noch flach ausgeprägt sind [4, 5, 13, 17, 18]. Sie orientiert sich am paravertebralen Palpationsbefund sowie am segmentalen Gelenkspiel sowohl in die freie als auch in die gestörte Bewegungsrichtung.

Untersuchung der Anteflexion O/C1

Ausgangsstellung des Patienten: Kind in Rückenlage.

Ausgangsstellung des Untersuchers: Der Untersucher sitzt am Kopfende.

Kontakt: Die linke Hand umfasst das Köpfchen des Kindes von dorsal, die Langfinger palpieren dabei den subokzipitalen Raum und stützen von kraniodorsal das Segment in Höhe des Atlasbogens ab. Die Langfinger der rechten führenden Hand liegen sanft auf der Stirn.

Ausführung: Die auf der Stirn des Kindes liegende Hand führt den Kopf in die Anteflexion (Vornicken), die zweite Hand des Behandlers unter dem Hinterhaupt des Kindes in Höhe des Atlasbogens tastet die ankommende Bewegung. Nach unserer Vorstellung bewegen sich die Okziputkondylen dabei auf dem Atlas nach dorsal. Die Bewegungsachse liegt in Atlashöhe. Man empfindet im ungestörten Fall ein weiches Endgefühl, im gestörten Fall mit einiger Übung einen harten Anschlag („hartes Endgefühl“). Das Kind darf bei dieser Untersuchung keinesfalls am Nuckel saugen, da es dann infolge der Synergien der Hals-, Kau- und Saugmuskulatur zur vermehrten muskulären Anspannung und dadurch zu Fehlschlüssen käme (Abb. 9).

Abb. 9
figure 9

Untersuchung der Anteflexion O/C1. a Am Skelett, b am Kind

Untersuchung der Retroflexion O/C1

Ausgangsstellung des Patienten: Kind in Rückenlage.

Ausgangsstellung des Untersuchers: Der Untersucher sitzt am Kopfende.

Kontakt: Die linke Hand umfasst das Köpfchen des Kindes, die Langfinger palpieren den subokzipitalen Raum und stützen von kraniodorsal den Raum in Höhe des Atlasbogens. Die rechte führende Hand liegt sanft auf der Stirn.

Ausführung: Der Untersucher stellt jetzt die dorsal gelegene Hand mit den palpierenden Fingerbeeren leicht auf, sodass die ventral gelegene Hand den Kopf sanft in die Retroflexion führen kann, die Bewegungsachse liegt in Höhe des Atlas. So gleiten die Okziputkondylen auf dem Atlas nach ventral. Die Diagnose ergibt sich nicht aus dem Bewegungsausschlag, sondern aus dem Endfederungsgefühl (Abb. 10)

Abb. 10
figure 10

Untersuchung der Retroflexion O/C1

Untersuchung der Seitnickbewegung O/C1 in Rotationsstellung

Ausgangsstellung ist die Verriegelung der Halswirbelsegmente in Rotationsstellung der HWS, um die Mitbewegung der kaudal gelegenen Segmente zu verhindern. Das Ausmaß dieser Rotation ist von dem Gefühl abhängig, wie weit diese Bewegung spannungsfrei empfunden wird.

Ausgangsstellung des Patienten: Kind in Rückenlage.

Ausgangsstellung des Untersuchers: Der Untersucher sitzt am Kopfende.

Kontakt: Für die Untersuchung der Seitnickbewegung nach rechts umfasst der Untersucher den Kopf des Kindes mit der linken Hand und führt ihn sanft in die Linksrotation. Das Ausmaß der Rotation ist erreicht, wenn ein Widerstand gerade zu spüren ist. Der Kopf wird jetzt minimal bis zur Spannungsfreiheit zurückgeführt. Die linke Hand bleibt unter der linken Schläfe des Kindes liegen, die Fingerbeeren liegen in Höhe der O/C1-Achse, unterhalb der Okzipitalschuppe im Segment O/C1. Das Mastoid ist in diesem Alter kein Anhaltspunkt, da es sich erst mit der Vertikalisierung des Kindes formt. Die rechte Hand des Untersuchers legt sich auf die rechte Schläfe des Kindes, die kaudal gerichteten Fingerbeeren erreichen die O/C1-Achse.

Ausführung: Der Untersucher führt nun in dieser Einstellung die Seitnickbewegung nach rechts synchron mit beiden Händen durch, die Bewegungsachse genau beachtend. Die Weichheit dieser Federung zeigt das ungestörte Gelenkspiel („joint play“) an, das harte Endgefühl die Funktionsstörung des Rechtsseitnickens im Segment O/C1.

Die Linksseitneige wird entsprechend in Rechtsrotation untersucht (Abb. 11).

Abb. 11
figure 11

Untersuchung des Seitnickens O/C1 in Linksrotation

Segmentale Untersuchung der Seitneige C1–C7 in Ante- und Retroflexion

Eine segmentale Lateralverschiebung in Ante- und Retroflexion ist trotz der Kleinheit ähnlich wie beim Erwachsenen möglich. Sie ist schwierig und muss mit sanften Fingerspitzen palpiert werden.

Ausgangsstellung des Patienten: Kind in Rückenlage.

Ausgangsstellung des Untersuchers: Der Untersucher sitzt am Kopfende.

Kontakt: Der Untersucher umfasst den leicht angehobenen Kopf mit beiden supinierten Händen. Die Langfinger zeigen in kaudaler Richtung, beide Zeigefingerbeeren liegen palpierend weich seitlich am oberen Partnerwirbel in Höhe der Quer- und Gelenkfortsätze.

Ausführung: In Anteflexion des Kopfes führen beide Zeigefinger eine Translationsbewegung in diesem Segment aus. Der Schub in die Linkstranslation entspricht der Untersuchung der Rechtsseitneige, der Schub in Richtung Rechtstranslation entspricht der Linksseitneige. Das Gefühl der harten Spannung am Bewegungsende zeigt die Funktionsstörung an. Die Tatsache, dass bei der Seitneigebewegung gleichzeitig die Wirbelkörper in Synkinese zur gleichen Seite rotieren [10, 14], lässt sich beim Säugling kaum ertasten. Von kranial nach kaudal wird so Segment für Segment untersucht. Die Weichheit dieser Federung zeigt das ungestörte Gelenkspiel an, das harte Endgefühl die Funktionsstörung. In manchen Fällen ist eine genaue Lokalisation und Benennung des Segments tatsächlich wegen der kleinen Verhältnisse nicht möglich. Hier ist es sinnvoll, bei einer getasteten Funktionsstörung gleich aus der Untersuchungsposition in die Behandlung überzugehen.

Die gleiche Untersuchung wird in leichter Retroflexion des Kopfes durchgeführt.

Untersuchung der Seitnickbewegung C1/2

Diese Untersuchung entspricht der oben beschriebenen Untersuchung der Seitneige, nur ist die Lage der palpierenden Fingerbeeren in Höhe des Atlasbogens anzulegen. Wegen der in diesem Alter besonders häufigen Befunde [22, 23, 26] wird die präzise Untersuchungshaltung gesondert beschrieben.

Ausgangsstellung des Patienten: Kind in Rückenlage.

Ausgangsstellung des Untersuchers: Der Untersucher sitzt am Kopfende.

Kontakt: Beide Hände umfassen den Kopf schalenförmig von der Unterlage her unter leichter Anteflexion des Kopfes. Jede Rotation ist zu vermeiden. Beide Zeigefinger ertasten seitlich die Weichteile in Höhe der Atlasbögen. Man orientiere sich am palpablen Dorn und Querfortsatz von C2.

Ausführung: Beide Zeigefinger führen das Segment in eine Translationsbewegung nach rechts, was der Linksseitneige entspricht, und ertasten dabei die Endspannung. Die harte Endspannung entspricht der Funktionsstörung des Linksseitnickens. Entsprechend wird die Translationsbewegung nach links durchgeführt, was dem Rechtsseitnicken entspricht. Die Weichheit dieser Federung zeigt das ungestörte Gelenkspiel an, das harte Endgefühl die Funktionsstörung (Abb. 12).

Abb. 12
figure 12

Untersuchung der Seitnickbewegung C1/2 nach rechts

Fazit für die Praxis

  • Im Praxisalltag der Säuglingssprechstunde stellt sich dem Manualmediziner bei jeder Untersuchung zunächst die Aufgabe, anamneseorientiert zu klären, ob eine morphologische Erkrankung vorliegt, denn Säuglingskrankheiten gehören in die Hände des Kinderarztes.

  • Danach ist der Entwicklungsstand des Kindes einzuschätzen, gefolgt von der Suche nach Funktionsstörungen.

  • Die Suche nach Funktionsstörungen beinhaltet die orientierende globale Untersuchung mit Inspektion und Spannungsuntersuchung, den anschließenden globalen Übersichtstest der einzelnen Regionen und die segmentalen Untersuchung.

  • Die segmentale Untersuchung umfasst die segmentale Palpation sowie die Untersuchung des Gelenkspiels, d. h. das Erkennen der gestörten und ungestörten Bewegungsrichtung bzw. das Gefühl des harten Bewegungsanschlags im Falle einer Störung.

  • Nur das systematische Vorgehen garantiert eine genaue Untersuchung.