Mindestens 10% aller neuen Patienten einer Praxis weisen Symptome einer kraniomandibulären Dysfunktion (CMD) auf [16, 29]. Chronische Schmerzsyndrome, wie chronische Kopfschmerzen, Schmerzen im Kopf-, Gesichts- und Wirbelsäulenbereich, atypischer Gesichtsschmerz bis hin zu Dysfunktionen im Beckenboden sind vielfach kombiniert mit Fehlfunktionen und/oder Schmerzen im Kiefergelenk [11, 22]. Da durch den Einsatz zahnärztlicher Hilfsmittel allein nur selten ein Therapieerfolg zu erreichen ist, sollte die Behandlung häufig im Therapeutenteam erfolgen. Die gewebespezifische Diagnostik und Therapie [2, 6, 8, 32] zeigt Wege auf, das Kiefergelenk und die Kaumuskulatur im engeren Sinne zu therapieren. Die Erfahrung lehrt einerseits, dass nach gewebespezifischer Therapie in vielen Fällen immer noch mit einer Instabilität im kraniomandibulären System zu rechnen ist, die nicht mehr ausschließlich auf die mit dem Kiefergelenk direkt verbundenen Gewebe zurückgeführt werden kann [21], andererseits findet der Orthopäde in seinem Patientengut nicht wenige Fälle, die trotz konsequent durchgeführter Therapie nicht dauerhaft stabil sind [22]. Embryologisch und funktionell eng verbunden mit dem Kiefergelenk sind die Kopfgelenke, besonders unter dem Gesichtspunkt, dass die Muskulatur bis zum Schultergürtel im weiteren Sinne als Kaumuskulatur betrachtet werden muss.

Aus diesem Grunde wird die interdisziplinäre Diagnostik und Therapie bei funktionell bedingten Beschwerden im Bewegungssystem empfohlen [111, 21]. Die beschriebenen Befunde und Symptome und die daraus abgeleiteten Zusammenhänge sind dem klinisch Tätigen bekannt [7, 9, 11, 12, 15, 17, 18, 21, 22, 23, 24, 27, 28]. Der objektive Nachweis der Beeinflussung der dreidimensionalen Lage des Unterkiefers durch manualmedizinische Techniken an den Kopfgelenken konnte, obwohl seit vielen Jahren empirisch bekannt—nur lückenhaft erbracht werden. Aus diesem Grunde wird im Rahmen der vorgelegten Untersuchung ein Verfahren zur dreidimensionalen Messung der Unterkieferlage relativ zum Oberkiefer vor und nach Atlasimpulstherapie beschrieben und die Ergebnisse werden dargestellt.

Material und Methoden

Patienten der Praxis des orthopädischen Koautors wurden mit klinisch manuellen (manuelle Funktionsanalyse) und instrumentellen (Modellanalyse im Artikulator, 3D-Bewegungsaufzeichnung) Verfahren untersucht.

Als Einschlusskriterium für die vorliegende Studie diente eine durch manuelle Verfahren gesicherte kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD) und das gleichzeitige Vorliegen einer kraniozervikalen Dysfunktion (CCD).

Die Registrate wurden im Rahmen der interdisziplinären Therapie jeweils im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der manuellen Behandlung der Halswirbelsäule mittels Atlasimpulstherapie (n=12) vorgenommen. Die Vergleichgruppe bestand aus 7 Probanden—ohne Atlasimpulstherapie. Die Untersuchungen wurden zunächst unmittelbar vor der manuellen Therapie und zudem direkt nach deren Abschluss durchgeführt.

Der erste Teil der zahnärztlich instrumentellen Analyse umfasste die Montage des Oberkiefermodells im halbjustierbaren Artikulator (GIRRBACH-SL, Girrbach-Dental, Pforzheim) nach arbiträrer Gesichtsbogenübertragung (Abb. 1). Als nächster Arbeitsschritt erfolgte ein Registrat der zentrischen Relation (Abb. 2). Die zentrische Relation ist definiert als die Kondylenposition, in der 1. kein Zahnkontakt besteht, 2. die Kondylen nicht verschoben und 3. alle Gewebe entspannt sind. In dieser Position wird das Unterkiefermodell dem Oberkiefermodell dreidimensional zugeordnet. Die Analyse der statischen und dynamischen Okklusion erfolgte durch eine umfassende Analyse [15].

Abb. 1
figure 1

Modellmontage im Artikulator

Abb. 2
figure 2

Registrat der zentrischen Relation

Parallel zur Untersuchung der Modelle im Artikulator wurde eine dreidimensionale Bewegungsanalyse durchgeführt (Abb. 3, Abb. 4). Im Rahmen dieser Untersuchung kam zunächst das Scharnierachsschreibsystem SAS (Fa. SAS, D-8000 München) nach Meyer und dal Ri zum Einsatz. Später wurde das 3D-Analysesystem JMA (Jaw Motion Analyser, V. 10.3.10, Zebris Medizintechnik, Isny/Allgäu) eingesetzt. Dabei wird die dreidimensionale Unterkieferlage vor, während und nach manueller Therapie registriert. Ziel dieses Vorgehens war die Bewertung der Veränderung der Bewegungsparameter im direkten Zusammenhang mit funktioneller Behandlung der Halswirbelsäule mittels Atlasimpulstherapie.

Abb. 3
figure 3

JMA (Jaw Motion Analyser, Fa. Zebris, Isny/Allgäu). 3D-Bewegungsnalysesystem auf Ultraschallbasis

Abb. 4
figure 4

Untersuchungsprotokoll einer JMA-Analyse

Ein Registriervorgang zur dreidimensionalen Erfassung der Lageveränderung beider Kondylen des Unterkiefers wurde auf maximal 45 s festgelegt. Erfasst werden die X-, Y- und Z-Koordinaten eines jeden Kondylus (Abb. 5) getrennt im zeitlichen Intervall von jeweils 24 ms.

Abb. 5
figure 5

Schematische Darstellung des Unterkiefers mit den eingezeichneten Analyseebenen

Grundsätzlich wird mit einem paraokklusalen Löffel zur Fixierung der Registrierapparatur an den Unterkieferfrontzähnen gearbeitet, um während der Registrierphase jederzeit Beziehungen zur Okklusion herstellen zu können.

Weitere Voraussetzung für den gesamten Vorgang der Bewegungsregistrierung des Unterkiefers und der Atlasimpulstherapie war eine maximale Dauer von 10 min, um die Fehlerquote durch Ermüdung der Kaumuskulatur minimal zu halten. Zunächst wurde der mit Kunststoff individualisierte paraokklusale Löffel an den Unterkieferzähnen mittels Gewebekleber befestigt. Während der Abbindephase konnte das Registriersystem am knöchernen Schädel des Patienten angelegt werden. Nach kurzem Zeitverzug wurde der zweite Teil des Registriersystems am paraokklusalen Löffel fixiert. Bis zu diesem Schritt waren in der Regel 3 min seit Beginn der Arbeiten am Patienten verstrichen.

Der aufrecht auf einem Hocker ohne Lehne sitzende Patient—beide Fußsohlen berühren den Boden flächig, Oberschenkel zu Unterschenkel sind ca. 90° angewinkelt—wurde aufgefordert, den Mund in seiner „Ruheschwebe“ zu halten. In dieser Position erfolgt die dreidimensionale Festlegung der Ausgangsposition und deren Speicherung im Computer. In aufrechter Haltung wurde im Folgenden die sich physiologisch verändernde Lage des Unterkiefers für beide Kondylen getrennt dreidimensional erfasst. Der zweite Registriervorgang erfolgte am stehenden, der dritte am liegenden Patienten. Diese Registrierphasen waren etwa 9 min nach Beginn der Arbeit am Patienten abgeschlossen.

Ergebnisse

Die mit den folgenden Grafiken dargestellten Ergebnisse belegen, dass bei Patienten mit kraniomandibulärer und kraniozervikaler Dysfunktion nicht ausschließlich durch klinische Empirie ein Zusammenhang zwischen „Kopfgelenken“ und „Kausystem“ hergeleitet werden kann.

Bei der Messung der relativen Lage des Unterkiefers zum Oberkiefer—nur der Unterkiefer ist aufgrund seiner physiologischen Situation in der Lage sich zu bewegen—wurden alle Raumkoordinaten beider Kondylen (Abb. 5) über die Zeit gemessen.

Unterkieferposition in Ruhe—im Sitzen

Abbildung 6 zeigt die Lageveränderung des Unterkiefers in horizontaler Richtung, wenn der Patient in entspannter Position sitzt. Nach anfänglicher Bewegung in der Größenordnung von 0,3 mm stabilisiert sich der Bewegungsraum um ±0,1 mm um die Ruheschwebe. Der Unterkiefer des Patienten bewegt sich in transversaler Richtung demzufolge nur in einem sehr kleinen Raum.

Abb. 6
figure 6

Lageveränderung des Kondylus in horizontaler Ebene. Der Patient sitzt entspannt auf dem Behandlungsstuhl

In vertikaler Richtung streut die Lageveränderung etwa in demselben Ausmaß. In Abbildung 7 sind während der Registrierzeit 8 und 13 Auslenkungen im Bereich von 0,2 mm festzustellen. Diese Auslenkungen können auf kleine Kopfbewegungen während der Registrierphase zurückgeführt werden.

Abb. 7
figure 7

Lageveränderung des Kondylus in vertikaler Ebene. Der Patient sitzt entspannt auf dem Behandlungsstuhl

Die Lageveränderung in sagittaler Ebene zeigt Abbildung 8. Man erkennt deutlich eine gewisse Unregelmäßigkeit im Verlauf der kondylären Position im Ablauf der Messzeit. Die Bewegungen sind—verglichen mit der horizontalen und der vertikalen Ebene—im Durchschnitt größer (zwischen 0,1 und 0,2 mm). Die Grafik zeigt in diesem Fall, einen Kurvenverlauf im positiven Bereich. Das bedeutet, dass sich der Kondylus in Ruheschwebe ein wenig nach anterior verlagert.

Abb. 8
figure 8

Lageveränderung des Kondylus in sagittaler Ebene. Der Patient sitzt entspannt auf dem Behandlungsstuhl

Unterkieferposition nach Atlasimpulstherapie—Fallbeispiel

Um die Veränderungen der dreidimensionaler Lage des Unterkiefers nach Atlasimpulstherapie zu verdeutlichen, wurde das Beispiel eines 28-jährigen Patienten mit kraniomandibulärer und kraniozervikaler Dysfunktion gewählt. Er klagt über Kopfschmerz. Bei der Analyse der Okklusion im Artikulator finden sich bei der Bewertung der statischen Okklusion Vorkontakte im Molarenbereich. Die „Basisuntersuchung“ gibt Zeichen und Befunde einer kraniomandibulären Dysfunktion.

Die folgenden Abbildungen verdeutlichen exemplarisch die Lageveränderung des linken Kondylus vor, während und nach Atlasimpulstherapie nach Arlen. In Abb. 9 wird der zeitliche Verlauf der Lageveränderung in der horizontalen Ebene, in Abb. 10 in der sagittalen Ebene und in Abb. 11 in der vertikalen Ebene dargestellt.

Abb. 9
figure 9

Lageveränderung des Kondylus in vertikaler Ebene während und nach der Atlasimpulstherapie nach Arlen. Der Patient sitzt auf dem Behandlungshocker

Abb. 10
figure 10

Lageveränderung des Kondylus in sagittaler Ebene während und nach der Atlasimpulstherapie nach Arlen. Der Patient sitzt

Abb. 11
figure 11

Lageveränderung des Kondylus in horizontaler Ebene während und nach der Atlasimpulstherapie nach Arlen. Der Patient sitzt auf dem Behandlungshocker

Auffällig in Abb. 9 ist die geringe Streuung der Werte sowohl vor der Impulstherapie, als auch während der gesamten anschließenden Registrierperiode. Die Lageveränderung bei t=3 s ist direkt auf den Atlasimpuls zurückzuführen. Die Auffälligkeiten bei Sekunde 9 und 32 können nicht näher verifiziert werden, da Videoaufzeichnen der Registrierung zu diesem Zeitpunkt noch nicht angefertigt wurden. Die Lageveränderungen (in horizontaler Ebene) bewegen sich im Bereich von maximal 0,2 mm.

Abbildung 10 stellt die Lageveränderung des Unterkiefers in sagittaler Richtung dar. Vor der Manipulation, d. h. beim aufrecht sitzenden Patienten, bewegt sich der linke Kondylus im Bereich von 0,2–0,5 mm in positiver Richtung. Positive Richtung in sagittaler Ebene bedeutet nach rostral, also in Richtung der Nase.

Während des Atlasimpulses wird der Unterkiefer um ca. 1 mm nach rostral bewegt, um sich in einem Zeitintervall von nur einer halben Sekunde auf negative Werte um konstant 0,3 mm einzupendeln. Das bedeutet, dass sich der Unterkiefer im Vergleich zur Phase vor dem Impuls um etwa 0,6–0,7 mm nach dorsal bewegt hat und sich dort während der gesamten folgenden Registrierphase verhält.

Die Lageveränderung in vertikaler Richtung ist in Abb. 11 dargestellt. Wieder bewegt sich der linke Kondylus vor der Manipulation beim aufrecht sitzenden Patienten im Bereich von 0,2–0,5 mm in positiver Richtung. Positive Bewegungsrichtung in vertikaler Ebene heißt relativ zur registrierten „Ruheposition“ (Ruheschwebe) ein Bewegungsfeld nach kaudal. Während der Impuls gesetzt wird, ändert sich im Vergleich zur Sagittalebene nur wenig. Innerhalb eines sehr kurzen Intervalls von maximal 0,5 s danach, vergleichbar mit der Lageveränderung in sagittaler Richtung bewegt sich der Kondylus aber um 1 mm nach kranial (negative Registrierwerte), um sich nach 5 s auf einem Niveau 0,7–0,8 mm kranial zur Ruheposition einzupendeln.

Um diesen gemessenen Befund klinisch zu verifizieren wird der Patient aufgefordert, vorsichtig den Mund zu schließen bis er irgendwo einen Zahnkontakt bemerkt. Er gibt an, einen Vorkontakt im Molarenbereich zu bemerken. Dieser Okklusionsbefund wurde während der klinischen zahnärztlichen Untersuchung am Beginn des Untersuchungsganges noch nicht bemerkt. Er konnte aber im Rahmen der Analyse der Okklusion im Artikulator zweifelsfrei nachgewiesen werden.

Unterkieferposition nach Atlasimpulstherapie—Gesamtgruppe (n=12)

Nach manueller Behandlung der Halswirbelsäule mittels Atlasimpulstherapie verändert sich die Lage des Unterkiefers dreidimensional. Im Mittel kam es zu einer Verlagerung von der Kondylen um 0,43 mm in x-Richtung, 0,52 mm in z-Richtung und 0,38 mm in y-Richtung (Abb. 12).

Abb. 12
figure 12

Lageveränderung der Kondylen in der Gesamtgruppe (n = 12) nach Atlasimpulstherapie nach Arlen

Analyse der Modelle im Artikulator

Durch die Verlagerung des Unterkiefers bei allen Patienten (n=12) konnte im Rahmen der Modellanalyse im Artikulator in keinem Fall ein Übereinstimmung des maximalen Zusammenbisses der Zähne mit der zentrischen Relation diagnostiziert werden. Bei 11 Patienten bewegte sich der Unterkiefer nach der funktionellen Behandlung nach kaudal und rostral. Die Bewegung in der Transversalen (y-Richtung) war indifferent. Nur in einem einzigen Fall kam es nach der Behandlung zur Verlagerung der Kondylen nach retral.

Diskussion

Die dargestellten Phänomene sind für den aufmerksamen Kliniker in den allermeisten Fällen auch ohne aufwendige Diagnostik und dreidimensionale Bewegungsaufzeichnung zu erkennen [4, 16, 20, 25, 29]. Werden diese Zusammenhänge nicht erkannt, entwickeln sich unter dem Vektor Zeit aus einfach funktionell zu behandelnden Patienten Fälle mit vermeintlich therapieresistenten chronischen „Schmerz-Dysfunktions-Syndromen“ [17, 21, 22].

Oft kann bei Patienten mit geschultem Blick eine funktionelle Störung erkannt und mit aufwendiger Okklusionsanalyse im Artikulator objektiviert werden [13, 14]. In vielen Fällen wird der Patient seine Dysfunktion nicht als solche erkennen. Das kann darin begründet sein, dass die Muskulatur „Wege“ (Muster) gefunden hat [21], Zahnkontakte ohne „störenden“ Vorkontakt zu ermöglichen, indem ein „Umfahrungsmechanismus“ benutzt wird. Die Behandlung der Kopfgelenke (letztendlich aus der Indikationsstellung „kraniozervikale Dysfunktion“ heraus) demaskiert aber die Ursache der Dysfunktion, sodass es durch die Impulstherapie zur Einstellung des Unterkiefers in einer neuen Position—vielleicht der „Normalposition“ des Patienten—ohne Einfluss der Zahnkontakte kommt. Versucht der Patient nach Atlasimpulstherapie Zahnkontakt herzustellen, bemerkt er einen veränderten Zusammenbiss der Zähne [14]. Wenn der Patient—und der Manualmediziner—über die funktionellen Zusammenhänge zwischen der Funktion der Wirbelsäule und dem Zusammenbiss der Zähne nicht informiert ist, wird er dem Phänomen auch keine Bedeutung zumessen—die notwendige interdisziplinäre Therapie unterbleibt [22, 29].

Wenn man das Funktionieren des menschlichen Organismus auf einer Vielzahl biologischer Regelkreise beruhend auffasst, ist die kraniozervikale Dysfunktion, weshalb der Patient wahrscheinlich den Orthopäden aufgesucht hat, dauerhaft nur durch die Korrektur der Vorkontakte im kraniomandibulären System—in der Okklusion—stabil zu therapieren [11, 22, 25, 26]. Die Impulstherapie „hilft“ dem Patienten für eine gewisse Zeit. Das neuromuskuläre System aktiviert aber bei jedem Zahnkontakt nach der Manipulation wieder die muskulären Umfahrungsmechanismen, die zur Störung geführt haben [16, 26, 28]. Es kommt wieder zur Fehllage des Kondylus und nach einem gewissen Zeitraum wieder zu den eingangs geschilderten Beschwerden im kraniozervikalen System. Der Patient sucht wieder den Orthopäden auf. Der Kreislauf wiederholt sich.

Die „Schuldfrage“ kann aber nicht alleine beim Orthopäden, der einen greifbaren Befund behandelt, gesucht werden. Die tägliche Praxis des Zahnarztes verbietet aber genauso das Suchen nach entsprechenden Befunden, da die Analyse der Modelle im Artikulator neben 20–30 min Behandlungszeit am Zahnarztstuhl noch 10–15 min Analysezeit im Labor durch den Zahnarzt selbst fordert. Die Forderung routinemäßig instrumentelle Okklusionsanalyse durchzuführen scheitert an wirtschaftlichen Überlegungen. Zu fordern bleibt aber die exakte instrumentelle Okklusionsanalyse und „manuelle Funktionsanalyse“ bei allen Patienten mit Schmerzen im Kopf-, Gesichts- und Wirbelsäulenbereich.

Erfolgt eine systematische—meist synchrone—interdisziplinäre Behandlung der Funktionsstörungen des Bewegungssystems auf der Basis der dargestellten kondylären Verlagerung, treten die beklagten Beschwerden in den Hintergrund [23, 27, 29]. Das erreichte Behandlungsergebnis ist über viele Jahre stabil [3].

Obwohl in der Literatur die Rolle der Okklusion als möglicher ätiologischer Faktor für das Auftreten von Zeichen und Symptomen im CMS aktuell noch umstritten ist [5, 10, 19, 30] konnte im Rahmen der vorgestellten Untersuchung ein direkter Zusammenhang zwischen einer neurophysiologisch orientierten Behandlung der Wirbelsäule durch Atlasimpulstherapie und dem Zusammenbiss der Zähne bzw. der Lage des Unterkiefers nachgewiesen werden. Damit können Hinweise auf die Bedeutung der oberen Kopfgelenke bei der Ätiologie von Schmerzen und Dysfunktionen im Kopf-, Hals-, Nackenbereich [1, 8, 11, 16, 17, 18, 28, 31, 33] bestätigt werden.

Fazit für die Praxis

Eine Änderung des Funktionszustandes der Wirbelsäule beeinflusst die dreidimensionale Lage des Unterkiefers—relativ zum Oberkiefer. Aus diesem Grunde ist es empfehlenswert, alle Patienten einer zahnärztlichen bzw. orthopädischen Praxis unter Zuhilfenahme eines—manuell orientierten—Screeningverfahrens zu untersuchen. Dieser Untersuchungsgang sollte eine klare Aussage darüber treffen können, ob eine kraniomandibuläre, kraniozervikale oder kraniosakrale Dysfunktion vorliegt. Sind Zeichen und/oder Befunde einer funktionellen Störungen in diesen Bereichen zu objektivieren, sollte sich eine zahnärztliche instrumentelle Diagnostik und Therapie anschließen. Im Rahmen eines interdisziplinären Therapieschemas sollten dann der Zahnarzt, der Physiotherapeut und der Orthopäde—zeitlich koordiniert—einen interdisziplinären Therapiezyklus verfolgen.

Da der Funktionszustand der Wirbelsäule direkten Einfluss auf die dreidimensionale Lage des Unterkiefers hat, ist damit zu rechnen, dass sich nach jeder physiotherapeutischen und/oder orthopädischen Behandlung die Unterkieferlage und damit der Zusammenbiss der Zähne verändert. Deshalb ist es in diesem Fällen zwingend notwendig, diese Veränderungen beim Zusammenbiss der Zähne durch manualmedizinische Behandlung synchron zahnärztlich durch geeignetes Adjustieren zu korrigieren. Da nicht in allen Raumrichtungen mit eindeutigen Veränderungen zu rechnen ist, sollte bis zum Erreichen der kondylären Stabilität auf das Einschleifen der Zähne verzichtet werden. Das Mittel der Wahl stellt dann ein aus Kunststoff gefertigter individueller Aufbissbehelf (Aufbissschiene) dar, der ohne Zahnhartsubstanz zu verletzen der neuen Unterkieferlage angepasst werden kann. Ist die Funktionsstörung im Bewegungssystem dauerhaft stabil behandelt (stabile Kondylenposition), kann der Zahnarzt die auf der Schiene eingestellte neue Unterkieferlage in eine definitive Versorgung, ggf. unter Einschluss einer kieferorthopädischen Therapie, vornehmen.