Die Deformität Skoliose führt bei Nichterkennen oder zu spätem Ergreifen der richtigen Behandlungsschritte zu schweren Folgen für die Betroffenen. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist daher, in der Praxis tätigen Ärzten den derzeitigen Stand der Diagnostik und Therapie der Skoliose für die Patientenberatung nahe zu bringen.

Epidemiologie

Die Skolioseerkrankung ist eine strukturelle Deformität, die nicht aktiv aufrichtbar ist und durch Seitabweichung der Wirbel, deren Rotation im Segment und der Torsion des Gesamtorgans Wirbelsäule sowie Veränderung des seitlichen Profils gekennzeichnet ist. Als neuerer Aspekt tritt die Erkenntnis hinzu, dass eine Skoliose meist zu einer Abflachung des seitlichen Profils führt. Der frühere Begriff der Kyphoskoliose trifft nur selten zu und sollte nicht mehr verwendet werden.

Skoliosen mit über 10 Grad werden mit einer Häufigkeit von über 1 % angegeben (2,6 % bei Mädchen und 0,9 % bei Jungen) [40].

Der Spontanverlauf ist abhängig von Alter, Skelettreife, Geschlecht und Krümmungswinkel. Daraus kann man das Progredienzrisiko ableiten [47]. In Tab. 1 ist dieses nach Lonstein dargestellt. Daraus erkennt man das besondere Verschlechterungsrisiko von 68 % bei präpubertären Patienten mit einem Winkel nach Cobb zwischen 20 und 29°, woraus sich die konservative Behandlungsindikation ableitet. Neuerdings gibt es genetische Hinweise auf individuell abweichende Prognosen abhängig von der Disposition [47].

Tab. 1 Progredienzrisiko einer Skoliose nach Lonstein in Abhängigkeit von Cobb-Winkel und Reifegrad nach Risser

Ätiologie und Pathogenese

Die Ursache der Skolioseerkrankung ist noch unklar [42]. Daher wird die Skoliose mit der Bezeichnung idiopathisch beschrieben. Folgende multifaktorielle Einflüsse werden angegeben:

  • genetische Faktoren,

  • Veränderungen des Nervensystems,

  • hormonelle und metabolische Dysfunktionen,

  • Anomalien im Skelettwachstum,

  • biomechanische Faktoren,

  • Umwelt- und Lebensfaktoren als multifaktoriell beschrieben.

Ein einheitlicher Erbgang oder ein nachvollziehbarer genetischen Test konnten bisher nicht herausgearbeitet werden.

Pathogenetisch folgt man der Theorie von Hefti [15]: Es kommt dabei etwa im 10. Lebensjahr zu einer Imbalance des Wachstums von Wirbel und dorsalen Elementen. Damit müssen die Wirbel in ihrem Mehrwachstum nach seitlich drehend ausweichen. Gleichzeitig entsteht dabei auch die vermehrte Lordosierung der skoliotischen Wirbelsäule. Somit setzt sich die mehrdimensionale Deformität der Skoliose aus Seitabweichung, Rotation, Torsion und Lordosierung zusammen.

Klinische Diagnostik

Bereits in der Anamnese können familiäre Hinweise für eine Disposition ergründet werden. Des Weiteren sollten Entwicklungsverzögerungen, Wachstumsphasen, Zeichen der Geschlechtsreife (Menarche) und suspekte neurologische sowie Fehlbildungskriterien erfasst werden. Schmerzen spielen in der Pubertät eine untergeordnete Rolle.

Für die klinische Erfassung der Skoliosezeichen ist der Vorneigetest wichtig (Abb. 1). Dabei werden Rippenbuckel und -tal sowie Lendenwulst betrachtet und möglichst metrisch erfasst. Die Höhe des Rippenbuckels kann in Winkelgraden zur Horizontalen mit einem sog. Skoliometer gemessen werden. Bei etwa 7 Grad sollte ein Röntgenbild erfolgen [17].

Abb. 1
figure 1

Bestimmung des Rotationswinkels am Rippenbuckel mithilfe eines Skoliometers

Röntgendiagnostik

Schon bei der Erstdiagnose sollten Wirbelsäulengesamtaufnahmen im Stehen in 2 Ebenen erfolgen. Dabei wird der Cobb-Winkel der Krümmungen von End- zu Endwirbel gemessen. Ebenso ist das seitliche Profil der Wirbelsäule nach Cobb für Brustwirbelsäule (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS) zu messen. Ein Wirbelgleiten des lumbosakralen Übergangs und Missbildungen der Wirbel sollten ausgeschlossen werden. Im Verlauf der Behandlung genügt die Anterior-posterior-Aufnahme der Wirbelsäule im Korsett und bei Operationsentscheidung ohne Orthese. Bending-Aufnahmen gestatten bei konservativen Grenzentscheidungen oder vor der Operation eine Aussage über die Flexibilität der Krümmungen.

Klassifikation

Idiopathische Skoliosen werden altersbezogen eingeteilt in

  • infantile Skoliosen 1.–3. Lebensjahr,

  • juvenile Skoliosen 4.–5. Lebensjahr,

  • adoleszente Skoliose10.–15. Lebensjahr und nach der anatomischen Lage des Scheitelwirbels in

    • thorakale Skoliose,

    • thorakolumbale Skoliose,

    • lumbale Skoliose.

Die Gesamteinschätzung im Hinblick auf die operative Konsequenz einer Skoliose wird heute nicht mehr nach King sondern nach Lenke ausgeführt [23]. Dabei werden 6 Krümmungsformen, die Auslenkung des lumbalen Scheitels aus dem Lot und das sagittale Profil eingeschätzt (Abb. 2 aus [16]).

Abb. 2
figure 2

Skolioseklassifikation nach Lenke [23]: 6 Typen mit unterschiedlicher Verteilung der strukturellen Verkrümmungen (Aus [16])

Therapie

Konservative Therapie

Es gibt keine belastbaren Daten in der Literatur, dass eine bestimmte Form der Krankengymnastik das Outcome einer Korsettbehandlung im Langzeitergebnis beeinflusst.

Die kurzzeitigen Effekte einer intensiven Physiotherapie sind allerdings belegt [30, 45].

Eine Korsettbehandlung dient der Wachstumslenkung der Wirbelsäule mithilfe von Orthesen. Dazu bedarf es eines Behandlungsregimes, das garantiert, dass die Wirbelsäule mit dem Korsett korrigiert wird. Dies wird durch die sogenannte Primärkorrektur gemessen, die zeigt, dass die Orthese den Winkel nach Cobb um einen Mindestwert von 40 % korrigiert [21].

Das Korsett muss jedoch auch getragen werden, was von der Compliance des Patienten abhängt. Durch Thermosensoren konnte dieser Zusammenhang erstmals gemessen und als wesentlicher, positiv prädiktiver Faktor für den Erfolg gewertet werden [19]. Seifert et al. [37] zeigten, ebenso wie andere Autoren [21], dass auch eine strukturierte Complianceanamnese diesem gemessenen Wert nahe kommt.

Es wird weiterhin die Skoliosebehandlung mit Korsetten empfohlen

Nach den Empfehlungen der Scoliosis Research Society wird die Behandlung als Erfolg gewertet, wenn der Winkel nach Cobb 2 Jahre nach Ende der Behandlung mehr als 5° besser als vor der Behandlung oder ± 5°, also konstant ist [31]. In Studien sollte demnach auch die Quote der Patienten mit Cobb-Winkeln über 45° angegeben werden.

Nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin (EBM) gibt es nur 3 Studien, die mit geringer Qualität die Vorteile einer Korsettbehandlung gegenüber der beobachteten Kontrollgruppe zeigen. Die größte Studie aus dem Register von Nachemson zeigt, dass die Erfolgsquote 286 korsettbehandelter Patienten von 74 % einer Erfolgsrate von 34 % nichtkorsettbehandelter Patienten gegenübersteht [29]. Die Gruppe um Weinstein zeigte eine Erfolgsquote von 75 % unter Korsettbehandlung vs. 42 % in einer randomisierten Beobachtungsgruppe [44]. Demgegenüber steht die Tatsache, dass im Spontanverlauf von 68 % Verschlechterungswahrscheinlichkeit von Skoliosen mit Cobb-Winkeln zwischen 20 und 29° bei Risserzeichen 0–2 auszugehen ist [27]. Daher wird auch weiterhin die konservative Behandlung von Skoliosen mit Korsetten empfohlen. Dass hierbei eine 23-stündige Behandlungszeit optimal ist, wiesen Rowe et al. nach [32, 44].

Es müssen Korrekturkräfte nach dem Drei-Punkt-Prinzip in den deformierten Körper eingeleitet werden. Dabei werden die sich deformierenden Ringapophysen der Wirbel zu einem Mehrwachstum im Bereich der verkürzten Konkavität bzw. umgekehrt zu einem Minderwachstum in der Konvexität angeregt (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Dresdner Skolioseorthese modifiziert nach Cheneau mit Becken- und Schulterfassung des Rumpfs. Freiräume im Bereich der Konkavität und Druckzonen im Bereich der Konvexität

Entsprechend der Studienlage gibt es 2 Möglichkeiten der Korsettbehandlung: die langzeitige 20- bis 23-stündige Fulltime-Behandlung bei ausgeprägten Befunden von 25–40° und die nächtliche Parttime-Behandlung bei leichteren Befunden z. B. zwischen 20 und 25° [32, 37].

Ganztageskorsett

Hierzu wird ein Cheneau-Korsett nach den Regeln angefertigt [35]. Zumeist geschieht das durch Gipsabdruck vom deformierten Körper. In das entstandene Negativmodell des Körpers wird Gips gegossen und das entstandene Positivmodell durch Auf- und Abtragen von Material für die geplante Korrektur zugerichtet. Darüber wird letztlich erhitzter Kunststoff gezogen und das Korsett mit Streben, Verschlüssen sowie Polstern fertiggestellt. In einer Eingewöhnungsphase für den Patienten muss das Korsett immer länger und fester angelegt werden und frühestens 6–8 Wochen nach Anlage möglichst gemeinsam durch Arzt und Orthopädietechniker kontrolliert werden. Hierbei sollte eine Wirbelsäulengesamtaufnahme im Stehen angefertigt, die Cobb-Winkel gemessen und die Lage der markierten Korrekturpelotten festgestellt und gegebenenfalls korrigiert werden. Dabei erhält man durch Prozentangabe den Primärkorrekturwert aus dem Verhältnis des Cobb-Winkels vor der Behandlung zum Wert im Korsett (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Günstiger Behandlungsverlauf einer thorakolumbalen c‑förmigen Skoliose. Links Aufnahmen vor der Behandlung, Mitte Korrekturaufnahmen in verschiedenen Korsetten, rechts Aufnahme 2 Jahre nach Ablage

Die Anamnese erfasst die Compliance aus Trageanamnese, Termintreue, Hauttragespuren, Korsetttragespuren und Erfassen eines Abbruchs [21].

Daran schließt sich die Tragephase an, während der der Behandlungsverlauf bis zur Reife durch mindestens halbjährliche Kontrolltermine und mindestens jährliche Röntgenkontrollen im Korsett begleitet wird. Das Durchführen von Krankengymnastik hat dabei zumindest den Effekt der Complianceförderung. Eine Sportbefreiung ist nicht erforderlich.

Bei einem Risser-Stadium 4 der Beckenapophyse, etwa im 15. bzw. 16. Lebensjahr kann als Nebenprodukt der Wirbelsäulenaufnahme das Wachstumsende ermittelt werden. Bei dessen Erreichen wird das Korsett über etwa 6 Monate, stundenweise abfallend abgelegt. Eine Endkontrolle des Behandlungsergebnisses erfolgt 2 Jahre nach Korsettablage.

Nachtkorsett

Eine Variante der Korsettbehandlung ist das nächtlich umkrümmende „night-time bending brace“ [11, 36, 39]. Die zeitlich begrenzte Wirkung des Korsetts mit höherer Primärkorrektur setzt für dessen Erfolg geringere Winkel zur Indikationsstellung voraus. Wir empfehlen den Bereich 20–25°. Alle Ablaufschritte sind identisch. Die Akzeptanz und letztlich Compliance des Nachtkorsetts ist mit 92 % wesentlich höher als beim Ganztageskorsett 58 % [38]. Auch die psychischen Auswirkungen der nächtlichen Behandlung sind geringer [7].

Operative Therapie

Indikation

Die Indikationsstellung zur operativen Korrektur einer idiopathischen Skoliose am heranwachsenden Jugendlichen hat zum Ziel, eine aktuelle und zukünftige Verschlechterung aufzuhalten und die Wirbelsäule zu begradigen.

Man weiß aus Langzeitbeobachtungen über 50 Jahre, dass mit einer Progredienz des Cobb-Winkels von 1° pro Jahr zu rechnen ist, wenn die Kurven 40°–50° zum Zeitpunkt der Skelettreife erreichen [43]. Ein weiterer Faktor für eine Progredienz im Erwachsenenalter ist eine ausgeprägte lumbale Rotationskomponente. Gegenüber der Normalbevölkerung ist dann mit einer erhöhten Prävalenz (61 % vs. 35 %) chronischen Rückenschmerzes und bei thorakalen Kurven > 80° Cobb-Winkel auch mit einem erhöhten Risiko pulmonaler Einschränkung zu rechnen [43]. Unabhängig von diesen offensichtlichen medizinischen Indikationen ist inzwischen auch belegt, dass Kurvenausmaß und Rumpfasymmetrie zu einer negativ veränderten Körperwahrnehmung führen [3, 9]. Die hier beschriebenen Einschränkungen des Erwachsenen durch die in der Kindheit und Jugend durchgemachte Erkrankung Skoliose sind aber sehr variabel und die individuelle Situation durch Studien nicht zu erfassen. Es ist daher wichtig, sich ein Gesamtbild aus Lungenfunktion, Kurvenausmaß und -progredienz, gestörter Balance, Asymmetrie und Kosmetik zu verschaffen, um eine Entscheidung zur Operation beim Kind und Jugendlichen zu treffen [26].

Eine operative Skoliosekorrektur bei idiopathischen Skoliosen wird i. d. R. als versteifender Eingriff durchgeführt. Bei progredienter idiopathischer Skoliose öffnet sich ab 40° (lumbal) bzw. 50° (thorakal) Cobb-Winkel ein Indikationsfenster zur operativen Korrektur. Ziel sollte es sein, die Korrektur des frontalen und sagittalen Profils frühzeitig durchzuführen, um sowohl die Fusionsstrecke kurz, die Komplikationsrate niedrig sowie die Lebensqualität hoch zu halten. Wann immer möglich, sollte die definitive Fusionsoperation nach dem pubertären Wachstumsschub (Mädchen 12. Lebensjahr, Jungen 14. Lebensjahr) durchgeführt werden.

Planung

Eine genaue Analyse der Wirbelsäulendeformität hinsichtlich struktureller (operativ zu behebender) und funktioneller (kompensatorischer) Verkrümmungen ist essenziell für die Planung der operativen Korrektur.

Im Rahmen der präoperativen klinischen Untersuchung wird auf folgende Punkte besonders geachtet:

  • Schulterstand,

  • Lotabweichung,

  • Vorhandensein und Größe der Lendenwulst,

  • Beckenstand,

  • Hüftbeweglichkeit.

Die präoperative radiologische Diagnostik umfasst Röntgenaufnahmen der Ganzwirbelsäule im Stehen in 2 Ebenen und Anterior-posterior-Aufnahmen der ganzen Wirbelsäule in Umkrümmung im Liegen („bending“), gegebenenfalls erweitert durch Traktionsaufnahmen. Anhand dieser Informationen erfolgt eine Klassifikation der Skoliose nach Lenke ([23]; Abb. 2).

Ziel der Lenke-Klassifikation ist die Abgrenzung struktureller Krümmungen, die fusioniert werden müssen, von kompensatorischen Gegenkrümmungen, die nicht operativ angegangen werden müssen.

Die Definition des kaudal instrumentierten Wirbels (LIV) ist ebenfalls ein wesentlicher Planungsschritt und baut auf den bereits erwähnten Analysen auf. Durch moderne Pedikelschraubensysteme ist eine gewisse Manipulation des Wirbels möglich, sodass gegebenenfalls eine Kranialisierung des LIV möglich wird.

Biomechanische Grundlagen

Essenziell für alle Überlegungen zur Korrektur einer Wirbelsäulendeformität ist das Prinzip der gekoppelten Bewegung. Bei der idiopathischen Skoliose liegt immer eine Kombination aus rotatorischer und Seitbiegungskomponente vor. Die Adressierung der ventralen Säule ist der effektivste Weg zur Kontrolle der Rotation, da diese 90 % der rotatorischen Stabilität gewährleistet. Über eine Kombinationsbewegung aus Derotation und Seitbiegung lässt sich somit von ventral auf dem kürzesten Weg eine einfache Kurve begradigen. Aufgrund der Bandscheibenresektion hat dieses Vorgehen einen kompressiven, also kyphosierenden Effekt, sollten die Zwischenwirbelräume nicht mit Platzhaltern gefüllt werden [12].

Demgegenüber haben dorsale Verfahren aufgrund des Distraktionsmoments einen eher lordosierenden Effekt. Moderne pedikelschraubenbasierte Lösungen eröffnen hier jedoch Spielräume. Wichtige Innovationen liegen im Design der Schrauben (konischer Schaft, asymmetrisches Gewinde, poly- und biaxiale Schraubenköpfe, Langkopf-Tulpenschrauben), im Material der Stäbe (höhere Steifigkeit bei Cobalt-Chrom-Stahl gegenüber Titan) und in den darauf aufbauenden Korrekturtechniken, die im Abschnitt zur Operationstechnik näher erläutert werden.

Es gibt einen klaren Trend zu dorsalen Verfahren aufgrund einer universellen Einsetzbarkeit des Systems. Nichtsdestotrotz besitzt der ventrale Zugang bei lumbalen Kurven (Lenke-Typ 5), hochgradigen Skoliosen > 90° (Lenke-Typ 6, zusammen mit der dorsalen Korrektur) und in erfahrenen Händen bei rein thorakalen Skoliosen (Lenke-Typ 1) sein Indikationsgebiet.

Operationstechniken

Allgemeine Voraussetzungen

In Anbetracht der Größe des Eingriffs und der potenziellen Schädigungsmöglichkeiten sind folgende Dinge perioperativ zu beachten:

  • Optimales Wärme- und Blutungsmanagement (z. B. Cell-Saver);

  • Enge Kommunikation mit der Anästhesie während des gesamten Eingriffs;

  • Beiderseitiges Wissen um die kritischen Punkte während des Operationsablaufs;

  • Trainiertes Operationsteam;

  • Langjährige skoliosespezifische Erfahrung des Operateurs [2];

  • Postoperative Überwachung auf Intensivstation;

  • Elektrophysiologische Kontrolle, alternativ ein Aufwachtest [41];

  • Schmerztherapie durch Anlage eines Periduralkatheters (PDK) [28], die bei ventralen Verfahren präoperativ sicher platzierbar ist [46] und bei dorsalen Verfahren am Ende der Operation durch den Operateur erfolgt.

Alle nachfolgenden Instrumentierungs- und Spondylodesetechniken haben eine sofortige korsettfreie Vollmobilisierbarkeit zum Ziel.

Dorsale Korrekturspondylodese

Die Lagerung in Bauchlage sollte die gewünschte Einstellung des sagittalen Profils berücksichtigen. Unter Bildwandler werden die relevanten Landmarken (LIV, Neutralwirbel, Endwirbel) eingezeichnet. Die Präparation erfolgt über einen konventionellen Mittellinienzugang. Nach dem dorsalen Zugang zur Wirbelsäule im Fusionssektor werden alle Wirbelgelenke aufgemeißelt. Dadurch wird es möglich, in Freihandtechnik Pedikelschrauben zu platzieren.

Die Freihandtechnik ist eine wesentliche Voraussetzung für einen zügigen und sicheren Ablauf der Operation, besitzt aber eine flache Lernkurve [6, 20, 34]. Es ist nicht notwendig, alle Wirbel mit Schrauben zu besetzen. Die Verteilung der Korrekturkräfte auf viele Schrauben senkt jedoch deren Ausrissmoment und muss auf Pedikelgröße, Knochenqualität, und Rigidität der Deformität abgestimmt werden. Bei Problemen und sehr kleinen Pedikeln wird die Bildverstärkerunterstützung, alternativ eine Navigation genutzt, die die Sicherheit noch einmal erhöht [18].

Nach Implantation von stabilen Pedikelschrauben an strategischen Regionen (in den Neutralwirbeln und im Scheitel) erfolgt die Skoliosekorrektur mit folgenden Manövern:

  • Cotrel-Debusset-Prinzip (CD-Manöver; [8]; Abb. 5a): Ein entsprechend des gewünschten sagittalen Profils überkonturierter Stab wird konkavseitig eingelegt. Eine 90°-Rotation aus der Skoliosestellung führt zu einer Translation der Wirbelsäule und Korrektur des anterior-posterior projizierten Cobb-Winkels. Der Einfluss dieses Manövers auf die Rotation der Wirbelsäule und damit auf die Korrektur des Rippenbuckels ist jedoch begrenzt, z. T. auch konträr [10]. Eine aggressive Korrektur des anterior-posterioren Cobb-Winkels hat zudem einen (nicht erwünschten) thorakal entkyphosierenden Effekt [25].

  • Apikale Derotation des Krümmungsscheitels (DVR; [22]; Abb. 5b): Es existieren inzwischen mehrere technische Spielarten der apikalen Derotation, deren Effektivität im Einzelfall nicht abschließend geklärt ist. Nach Durchführung des CD-Manövers muss der konkavseitige Stab in der Korrekturposition gehalten werden. Über im konvexseitigen Scheitelbereich positionierte Monoaxialschrauben wird eine von posterior nach medial gerichtete Kraft, entgegen der Rotation des CD-Manövers, eingeleitet. Das DVR-Manöver ist mit einem gewissen Risiko des Schraubenausbrechens verbunden und erfordert diesbezüglich besondere Sorgfalt [5]. Dies schlägt sich in einem höheren Blutverlust und in einer Verlängerung der Operationszeit von etwa 30–60 min nieder [10]. Das Verfahren verspricht eine echte Derotation und damit Rippenbuckelkorrektur, den unerwünschten entkyphosierenden Effekt kann es aber nicht unterbinden [10]. Inwiefern sich die relativ neue Methode langfristig durchsetzen kann, muss beobachtet werden [33].

  • Cantilever-Manöver [4]: Nach Durchführung des CD-Manövers wird der unterkonturierte Stab auf der Konvexseite eingeführt und von kranial nach kaudal in die Tulpenköpfe reponiert. Dabei kommt es zum zusätzlichen Druck auf die rippenbuckelseitigen Schrauben. Die dabei entstehenden Kräfte können zum Ausreißen der kranialen Verankerungspunkte führen.

  • Harrington-Prinzip ([14]; Abb. 5c): Dieses älteste Prinzip der Skoliosekorrektur wird zur Feinabstimmung verwendet, insbesondere, um eine korrekte Loteinstellung herbeizuführen. Aufgrund des ohnehin distrahierenden Effekts der zuvor beschriebenen Manöver sollte bevorzugt eine konvexseitige Kompression und nur milde konkavseitige Distraktion erfolgen, um den Stress auf das Rückenmark so gering wie möglich zu halten.

Abb. 5
figure 5

Korrekturmanöver bei dorsaler Korrekturspondylodese. a Cotrel-Debusset-Prinzip, 90°-Rotation eines in Skoliose gebogenen Stabs in Kyphose bzw. Lordose; b apikale Derotation der rotierten Scheitelwirbel; c Harrington-Prinzip mit Kompression und Distraktion

Wichtige Komponenten der Eingriffe sind die

  • Wiederaufrichtung der Seitabweichung,

  • Horizontalisierung der Schultern am oberen Krümmungsende,

  • Remodellierung des seitlichen Profils durch gute Mobilisation der Wirbelsäule, Implantatverankerung und starre Crom-Cobalt-Stäbe (Abb. 6a),

  • Dekortikation der Wirbelsäule nach Risser zum Erreichen einer knöchernen Spondylodese.

Abb. 6
figure 6

Differenzialindikation ventrale vs. dorsale Skolioseaufrichtung. a Lenke-Typ 6C, in Bending-Aufnahmen verbleibt skoliotische Komponente, in klinischer Untersuchung besteht Rippenbuckel, Versorgung mithilfe dorsaler Korrekturspondylodese von Th5 bis L4; b Lenke-Typ 5C, ausreichende Aufrichtung der thorakalen Komponente in Bending-Aufnahmen, kein Rippenbuckel in klinischer Untersuchung, Versorgung durch ventrale Derotationsspondylodese von Th10 bis L3

Das Einbringen von Beckenkammspongiosa, Fremdknochen oder Osteoinduktoren ist nicht erforderlich.

Ventrale Derotationsspondylodese

Der Zugang besteht entweder bei Thorakalskoliose (Lenke-Typ 1) in einer Thorakotomie oder bei lumbalen und thorakolumbalen (Lenke-Typ 5 und teilweise -Typ 6) Indikationen in einer Thorakophrenolumbotomie. In der Regel wird die im Zugangsbereich liegende Rippe entfernt und als Spondylodesematerial verwendet. Nach konvexseitigem Freilegen der Wirbelsäule im Krümmungsbereich werden die Segmentgefäße ligiert und alle zu fusionierenden Bandscheiben entfernt. Die Bandscheibenresektion dient einerseits der Vorbereitung der Spondylodese, andererseits offeriert sie wesentliche Landmarken (Wirbelkörpergröße, Lage des Spinalkanals). Nach Plattenapplikation und Verschraubung wird mithilfe zweier Korrekturstäbe (bei kleineren Wirbeln mitunter auch nur ein Stab) eine Kompression der Konvexität und eine Derotation über einen zumeist vorgebogenen, dickeren Augmentationsstab appliziert. In die Intervertebralräume werden Rippenstücke oder Cages eingebracht, um eine Kyphosierung des lumbalen Anteils zu vermeiden. Wichtig ist die optimale, planmäßige Korrektur der Deformität in frontaler und seitlicher Ebene. Bei selektiven Fusionen von doppelbogigen Skoliosen sollte in den präoperativen Bending-Aufnahmen eine entsprechende Flexibilität der nicht adressierten Kurve nachgewiesen werden. In jedem Fall ist eine Überkorrektur zu vermeiden.

Nach kurzzeitiger Pleuradrainage ist die korsettfreie Sofortmobilisation unter voller Belastung möglich (bei Einstab-Systemen und/oder schlechter Knochenqualität ist mitunter noch ein Korsett erforderlich).

Risiken der Operation bestehen im Verletzen der inneren Organe (Lunge, Darm, Milz, Niere) und der großen Gefäße, in der Fehlplatzierung der Schrauben und dem theoretischen Risiko eines vaskulären Querschnitts bei Ligatur der A. radicularis magna.

Die Instrumentierung erfolgt i. d. R. von End-zu-Endwirbel (Abb. 6b). In der Originalbeschreibung des Zielke-Verfahrens wurden mitunter der rotierte Wirbel oberhalb der Endwirbel als LIV verwendet, was die enormen derotierenden Möglichkeiten des Verfahrens unterstreicht [48]. Die Weiterentwicklung des Verfahrens durch Halm – wie oben beschrieben – erzeugt eine primär stabile Spondylodese, sodass die Nachbehandlung korsettfrei erfolgen kann [13]. Die Korrekturwirkung liegt in der Frontalebene zwischen 60–70 %, in 10 % der Patienten kann es zu einem kaudalen Adding-on-Phänomen (neue Skoliose unterhalb der Fusion) kommen, die Pseudarthroserate ist trotz manchmal beobachteter Stab- oder Schraubenbrüche gering (0–2 %; [1, 13]).

Prinzipiell ist eine ventrale Skolioseoperation auch minimalinvasiv, unter Verwendung von thorakoskopischer Technik möglich. Hier ist aber mit einer deutlich längeren Operationszeit und einer noch flacheren Lernkurve zu rechnen.

Der Einfluss der Operateurerfahrung auf Fusionslänge, Operationszeit und Blutverlust ist für Skolioseoperationen im Allgemeinen nachgewiesen [2]. Dies unterstreicht die Forderung, sowohl Diagnostik als auch Therapie von Skoliosen speziellen Zentren vorzubehalten.

Fazit für die Praxis

  • Die idiopathische Skoliose ist eine dreidimensionale Deformität mit genetischer Disposition, die im präpubertären Wachstumsschub eskalieren kann.

  • Heranwachsende sollten bezüglich eines Rippenbuckels bzw. einer Lendenwulst im Vorneigetest geprüft werden. Auffällige Patienten gehören in orthopädische Kontrolle.

  • Eine frühe Korsettbehandlung ab einem Cobb-Winkel von 20–25° zeigt zufriedenstellende Ergebnisse.

  • Primärkorrektur und Compliance müssen als Prädiktoren eines guten Outcomes optimiert werden.

  • Die Grenze zur Operationsindikation liegt unverändert bei einem Cobb-Winkel von 40 bis 50°.

  • Das Operationsverfahren und die Fusionslänge wird anhand der Lenke-Klassifikation bestimmt.

  • Auch wenn der Trend zur dorsalen Korrekturspondylodese geht, gibt es gute Ergebnisse für die ventrale Operation bei einbogigen Krümmungen.

  • Viele perioperative Maßnahmen haben zur Reduktion der Morbidität und zur frühfunktionellen Belastung der Patienten geführt.

  • Es sollte nicht mehr zu spät operiert werden. Die Behandlung sollte durch Skoliosespezialisten erfolgen.