Zusammenfassung
Die sog. knöcherne Instabilität des Schultergelenks basierend auf glenoidalen Defekten hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. Glenoidrandläsionen können in akute Defekte vom Fragmenttyp (Typ I), chronische Defekte vom Fragmenttyp (Typ II) und glenoidale Substanzverluste ohne knöchernes Fragment (Typ III) unterteilt werden. Die Diagnostik und Einteilung erfolgt im Wesentlichen durch die Röntgeninstabilitätsserie und/oder Computertomographie (CT). Die Therapie wird vom klinischen Erscheinungsbild, Typ der Läsion, relevanten Begleitpathologien sowie dem Alter und Funktionsanspruch des Patienten beeinflusst. Bei manifester Instabilität besteht die Indikation zur operativen Versorgung. Läsionen vom Fragmenttyp ohne signifikante glenoidale Erosion können in der Mehrzahl der Fälle erfolgreich mit arthroskopischen oder offenen Rekonstruktionstechniken behandelt werden. Substanzdefekte ohne knöchernes Fragment können ebenso mit den klassischen Kapsel-Labrum-Refixationstechniken versorgt werden, sofern keine signifikante Defektsituation vorliegt.
Signifikante Knochenverluste erfordern einen knöchernen Aufbau entweder durch eine autologe Beckenkammspanplastik oder einen Korakoidtransfer. Die offenen Techniken zeigen in der Mehrzahl der Fälle zufrieden stellende Ergebnisse. Der Trend geht jedoch auch hier in Richtung arthroskopische Versorgung.
Abstract
Bony instability of the shoulder due to glenoid defects has recently received increasing attention. Glenoid defects can be divided into acute fragment-type lesions (type I), chronic fragment-type lesions (type II) and glenoid bone loss without a bony fragment (type III). The diagnosis and classification are mainly based on imaging methods including a radiographic instability series and/or computed tomography. The management of anterior glenoid rim lesions depends on many factors including the clinical presentation, type of lesion, concomitant pathology as well as age and functional demands of the patient. If bony-mediated instability is present, surgery is indicated. In the majority of cases fragment-type lesions can be successfully treated using either arthroscopic or open reconstruction techniques.
Small erosion-type lesions can also be managed via soft-tissue procedures, whereas large erosion-type lesions with significant bone loss may necessitate bone-grafting procedures (autologous iliac crest or coracoid transfer) to restore glenoid concavity and shoulder stability. Although glenoid bone grafting is usually performed via an open approach, recent clinical studies have shown that it can be successfully managed by advanced arthroscopic techniques.
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Die Bedeutung von anterioren Glenoiddefekten als Ursache für eine sog. knöcherne Instabilität der Schulter („bony shoulder instability“) wurde über viele Jahre unterschätzt. Das zunehmende Verständnis zur biomechanischen Bedeutung der knöchernen Stabilisatoren und gerade die Analyse der Fehlschläge nach arthroskopischen oder offenen Stabilisierungsverfahren haben dazu beigetragen, signifikante Glenoiddefekte als wesentlichen Risikofaktor für das Scheitern einer klassischen Kapsel-Labrum-Rekonstruktion zu identifizieren.
Prävalenzen von Glenoidranddefekten
Obwohl knöcherne Instabilitäten im Vergleich zu labroligamentär bedingten Luxationsformen insgesamt gesehen deutlich seltener auftreten, zeigen sich je nach Ausprägungsgrad der Instabilität unterschiedlich hohe Prävalenzen an Glenoidranddefekten. Computertomographisch wurden anteriore Glenoidrandläsionen nach Schultererstluxation in bis zu 41% und bei rezidivierender Schulterinstabilität in bis zu 90% nachgewiesen [25, 58]. Sugaya et al. [58] unterscheiden dabei Defekte vom Fragmenttyp und Defekte vom Erosionstyp (Abb. 1, Abb. 2). Während Defekte vom Fragmenttyp in 16% nach Schultererstluxation nachgewiesen werden konnten, zeigte sich in der Studie von Sugaya et al. [58] bei 100 Patienten mit rezidivierender anteroinferiorer Schulterinstabilität in 50% der Fälle ein knöchernes Fragment und in 40% der Fälle eine glenoidale Erosion. Nur 10 Patienten wiesen eine normale Glenoidkonfiguration auf.
Griffith et al. [25] konnten in ihrer Studie mittels bilateraler Computertomographie (CT) an 218 Patienten zudem zeigen, dass bei rezidivierender Schulterinstabilität insgesamt gesehen höhergradige Glenoidranddefekte vorliegen als nach Schultererstluxation. Die Anzahl der Rezidivluxationen korrelierte allerdings nur schwach mit dem Ausprägungsgrad des Glenoiddefekts. Gründe hierfür sind darin zu sehen, dass höhergradige Läsionen auch bei Patienten mit anamnestisch einer oder wenigen Luxationen gefunden wurden, während einige Patienten mit multiplen Luxationen nur einen geringgradigen Glenoiddefekt aufwiesen. Griffith et al. [25] weisen ebenso drauf hin, dass in der Mehrzahl der Fälle (51%) geringgradige Defekte (<10% Knochenverlust) vorlagen. In 37% der Fälle betrug der glenoidale Knochenverlust zwischen 10 und 20%, in 6% zwischen 20 und 25% und nur in 6% >25%. Der maximal beobachtete Knochenverlust lag bei 33%.
Biomechanische Grundlagen und klinische Konsequenz
Während aus biomechanischer Sicht bisher wenig über die Problematik der Läsionen vom Fragmenttyp bekannt ist, haben verschiedene Grundlagenarbeiten wie auch klinische Studien versucht, einen instabilitätsrelevanten glenoidalen Knochenverlust zu quantifizieren und therapeutische Empfehlungen aufzustellen. Itoi et al. [33] zeigten in einer experimentellen Untersuchung, dass ein Erosionsdefekt von >21% der Glenoidlänge die Stabilität der Schulter signifikant reduziert. Ebenso fand sich eine signifikante Außenrotationseinschränkung nach klassischer Bankart-Rekonstruktion. In einer weiterführenden Arbeit zeigte sich auf der Basis der CT, dass ein anteroinferiorer Defekt von 21% der Glenoidlänge einem Verlust von 50% der Glenoidbreite im kaudalen Viertel des Glenoids entspricht [32].
Große Glenoidranddefekte führen zum Bild einer auf dem Kopf stehenden Birne („inverted-pear glenoid“), bei welchem der Knochenverlust den normalerweise breiteren inferioren Teil des Glenoids schmaler als den superioren erscheinen lässt [6]. In Extremfällen resultiert daraus auch ein sog. „banana glenoid“ [7]. Burkhart u. deBeer [6] fanden nach arthroskopischem Bankart-Repair und vorliegendem „inverted-pear glenoid“ eine Rezidivrate von 67% im Vergleich zu 4% bei normaler Glenoidkonfiguration. Diese anfangs deskriptive Bewertung eines signifikanten Glenoiddefekts wurde kürzlich mit dem sog. Glenoidindex validiert [13]. Dieser basiert auf dem intraindividuellen Vergleich mit der gesunden Gegenseite und ist definiert als das Verhältnis von maximalem inferioren Durchmesser der Defektseite zu maximalem inferioren Durchmesser des gesunden Glenoids. Bei einem Glenoidindex von >0,75 reicht ein klassischer Bankart-Repair aus. Bei einem Index von <0,75, der einem Verlust der inferioren Glenoidbreite von 25% entspricht, entsteht ein „inverted-pear glenoid“ und der knöcherne Aufbau wird empfohlen. Gerber u. Nyfeller [21] quantifizierten einen Pfannenranddefekt durch Messung der Länge des Defekts. In einer biomechanischen Studie zeigte sich, dass bei einer Defektlänge die größer ist als die Hälfte des maximalen a.-p.-Durchmessers, der Dislokationswiderstand signifikant abnimmt und hier die Indikation zum Knochenaufbau gegeben ist.
Nicht nur das isolierte Auftreten von glenoidalen Läsionen sondern die Kombination aus knöchernem Glenoiddefekt und Hill-Sachs-Läsion kann entscheidend für die Entwicklung einer knöchernen Instabilität sein. Yamamoto et al. [66] zeigten, dass sich bei Elevation des maximal außenrotierten und horizontal extendierten Arms das Glenoid vom inferomedialen zum superolateralen Teil der Gelenkfläche des Humeruskopfes schiebt. Diese Kontaktzone zwischen Humeruskopf und Glenoid wurde als „glenoid track“ bezeichnet. Ohne einen knöchernen Defekt beträgt die Breite des „glenoid track“ 84% der Glenoidbreite. Bei Vorhandensein eines Defekts wird sie dementsprechend kleiner. Bleibt eine Hill-Sachs-Läsion innerhalb des „glenoid track“, so ist eine Luxation des Humeruskopfes über den Glenoidrand nicht möglich. Liegt sie außerhalb des „glenoid track“ oder ist dieser zusätzlich durch einen knöchernen Defekt verkleinert, besteht ein erhöhtes Luxationsrisiko. Somit ist nicht nur die Größe der Hill-Sachs-Läsion entscheidend für eine rezidivierende Instabilität, sondern auch ihre Lage. Dieses Konzept verdeutlicht, dass bei allen Überlegungen zu instabilitätsrelevanten Glenoiddefekten die Beteiligung des humeralen Defekts bei Entstehen einer Instabilität nicht außer Acht gelassen werden sollte.
Verkürzungen der glenoidalen Gelenkfläche erhöhen nicht nur die Instabilität des Gelenks, sondern führen zu Veränderungen der gesamten Biomechanik der Schulter. Greis et al. [24] konnten zeigen, dass sich bei einem Verlust von 30% der Glenoidoberfläche die Kontaktfläche um 41% vermindert und gleichzeitig der Anpressdruck auf die restliche Glenoidfläche um 100% erhöht. Dies könnte u. a. ein Erklärungsmodell dafür sein, warum ein Glenoidranddefekt als prognostisch negativer Faktor für die Entwicklung einer Instabilitätsarthrose angesehen wird [9].
Klassifikation von Glenoidranddefekten
Auf Bigliani et al. [4] geht die erste Klassifikation von Glenoidranddefekten zurück, die sowohl Fragment- als auch Erosionstypen mit einschließt, z. T. die Größe der Defekte mit berücksichtigt und Therapieempfehlungen aufstellt. Glenoidranddefekte werden dabei in 3 Typen unterteilt:
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Typ 1 besteht aus einer dislozierten knorplig-knöchernen Avulsionsläsion, welche mit Fadenankern rekonstruiert werden kann.
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Typ 2 bezeichnet einen Defekt mit medial disloziertem, in Fehlstellung konsolidiertem Fragment. Die Therapieempfehlung besteht in einer Reinsertion der Kapsel am Glenoid ohne das Fragment zu berücksichtigen.
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Der Erosionstyp wird als Glenoiddefekt ohne Fragment charakterisiert, wobei Typ 3a einen Defekt von <25% und Typ 3b >25% der Glenoidfläche kennzeichnet. Der Typ 3a kann ebenfalls mit einem Kapsel-Labrum-Repair versorgt werden. Für Erosionsdefekte >25% wird der Korakoidtransfer empfohlen.
Im eigenen Vorgehen wird eine Klassifikation verwendet, die auf der von Bigliani et al. [4] aufbaut, akute Glenoidrandfrakturen einschließt und die Erkenntnisse hinsichtlich Fragment- und Erosionstyp von Sugaya et al. [58, 59] bei chronischen Instabilitäten mit berücksichtigt (Tab. 1).
Typ-I-Läsionen beinhalten akute Glenoidranddefekte vom Fragmenttyp, die sowohl die knöcherne Bankart-Läsion (Typ Ia) sowie solitäre (Typ Ib) und mehrfragmentäre (Typ Ic) Glenoidrandfrakturen einschließen. Hinsichtlich der Pathogenese sollte unterschieden werden, ob eine Luxation oder ein direktes Kompressionstrauma für die Läsion verantwortlich ist. Sofern eine operative Versorgung indiziert ist, können Typ-Ia-Läsionen mit Fadenankern arthroskopisch oder offen rekonstruiert werden, während sich die offene und in jüngster Zeit auch zunehmend arthroskopische Schraubenosteosynthese für die Versorgung von Typ-Ib-Läsionen bewährt hat. Auch Fadenankertechniken sind hierfür beschrieben.
Bei mehrfragmentären Läsionen (Typ Ic) kommen verschiedene Techniken zur Anwendung. Bei kleinen Defekten ohne wesentlichen Substanzverlust kann eine partielle Resektion der Fragmente und Fadenankerrekonstruktion erfolgen. Bei soliden multiplen Fragmenten kann eine Rekonstruktion mit Fadenankern oder Schrauben durchgeführt werden. Nichtrekonstruierbare mehrfragmentäre Defektsituationen mit signifikantem Knochenverlust benötigen auch in der Akutsituation einen autologen Knochenaufbau.
Chronische Läsionen vom Fragmenttyp (Typ II) sind durch ein in extraanatomischer Position konsolidiertes oder pseudarthrotisches Fragment gekennzeichnet. Die Summe aus Fragmentgröße und defektem Glenoid spiegelt nicht die anatomischen Gegebenheiten der gesunden Gegenseite wider. Ursache dieser Defekte kann möglicherweise eine partielle Fragmentresorption oder eine zusätzlich durch rezidivierende Luxationen verursachte Erosion oder Kompression des Glenoidrandes sein.
In der Arbeit von Sugaya et al. [58] wurden die Fragmente überwiegend als kleine (<5%) und mittelgroße Fragmente (5–20%) klassifiziert. Nur in einem Fall lag die Fragmentgröße >25%. Bei kleinen Fragmenten ohne wesentlichen glenoidalen Knochenverlust kann eine Reinsertion des Kapsel-Labrum-Komplexes am Glenoid erfolgen. Solide Fragmente können mobilisiert oder osteotomiert und das Fragment mit dem daran anhaftenden Kapsel-Labrum-Komplex refixiert werden. Dies erscheint sinnvoll, da selbst bei chronischen Defekten vom Fragmenttyp histologisch vitale Knochensubstanz im Fragment nachgewiesen wurde [19]. Ein ausgeprägter glenoidaler Substanzverlust mit kleinem oder nicht rekonstruierbarem Fragment sollte einen Knochenaufbau erhalten.
Die Typ-III-Läsionen sind durch einen glenoidalen Substanzverlust ohne Fragment gekennzeichnet. Inwieweit an der Entstehung dieser Läsionen Kompressions-, Erosions- oder Resorptionsmechanismen beteiligt sind, ist bisher nicht ausreichend geklärt. In Anlehnung an die gegenwärtige Literatur erfolgt eine Kapsel-Labrum-Rekonstruktion bei Defekten <25% und eine knöcherne Augmentation bei Defekten >25% der Gelenkfläche. All diese Empfehlungen gelten bei begleitenden nicht instabilitätsrelevanten Hill-Sachs-Defekten und fehlenden Begleitverletzungen.
Diagnostik
Das klinische Erscheinungsbild bzw. die klinische Diagnostik von Glenoidranddefekten ist abhängig von der Akutheit der Verletzung. Bei Patienten, die einen akuten Glenoidranddefekt im Rahmen einer Schulterluxation oder eines direkten Traumas erleiden, überwiegen in der Akutphase die Schmerzen und der schmerzbedingte Funktionsverlust. Eine adäquate klinische Untersuchung ist auch nach erfolgreicher Reposition in der Akutphase nur selten möglich. Die instabilitätsspezifischen Tests werden in dieser Phase nicht durchgeführt. Die radiologische Diagnostik ist hier wegweisend.
Nach Bushnell et al. [11] zeigen Patienten mit rezidivierender anteroinferiorer Schulterinstabilität und begleitenden chronischen Glenoidranddefekten folgende anamnestische Charakteristika: Häufig werden multiple Luxationsereignisse (>50–100) erwähnt. Des Weiteren kommt es bereits bei mittelgradigen Bewegungsumfängen zu Subluxations- oder Luxationsereignissen, was auch als sog. „midrange of motion instability“ bezeichnet wird. Anamnestisch findet sich meist ein makrotraumatisches Ereignis, welches die initiale Luxation hervorgerufen hat und mit Fremdreposition einherging. Eine gescheiterte arthroskopische oder offene Kapsel-Labrum-Rekonstruktion ohne erneutes Trauma sollte ebenso den Verdacht auf einen signifikanten knöchernen Defekt lenken.
Die klinische Evaluation umfasst eine standardisierte Befunderhebung der Schulter im Seitenvergleich. Neben der aktiven und passiven Bewegungsumfangsprüfung wird im Rahmen der Funktionsprüfung der Rotatorenmanschette besonderes Augenmerk auf die klinische Funktion des M. subscapularis gelegt werden, insbesondere wenn eine oder mehrfache gescheiterte offene Stabilisierungsoperationen stattgefunden haben.
Postoperative Subskapularisdysfunktionen, bedingt durch muskulotendinöse Insuffizienzen, können je nach Schweregrad die Ergebnisse nach offenen Stabilisierungsverfahren in unterschiedlichem Maße beeinträchtigen und sollten für das weitere therapeutische Vorgehen Berücksichtigung finden [40, 45, 47, 51, 53]. Hyperlaxitäts- und instabilitätsspezifische Tests kommen insbesondere bei Patienten mit chronischen Defekten zur Anwendung. Der sog. „bony apprehension test“ soll eine hohe Sensitivität für eine knöchern bedingte Schulterinstabilität haben [10]. Per definitionem gibt der Patient dabei bereits bei 45° Abduktion und 45° Außenrotation ein Apprehension-Gefühl an.
Die Röntgendiagnostik steht am Anfang der bildgebenden Untersuchung. Im eigenen Vorgehen wird bei Patienten, die ein akutes Trauma erlitten, eine sog. „Traumaserie“ durchgeführt. Diese beinhaltet neben der True-a.-p.-Aufnahme, die Y-Aufnahme und falls möglich eine axiale Aufnahme. Lässt sich eine axiale Aufnahme nicht durchführen, stellt die Velpeau-Aufnahme eine geeignete Alternative dar [5, 28].
Eine sog. „Instabilitätsserie“ wird standardmäßig bei Patienten mit rezidvierender anteroinferiorer Schulterinstabilität eingesetzt und ermöglicht in nahezu allen Fällen den Nachweis eines glenoidalen Defekts. Diese beinhaltet neben der True-a.-p.-Aufnahme, die sog. „glenoid profile view“ oder Bernageau-Aufnahme im Seitenvergleich und eine „stryker notch“ bzw. „20/20° view“ [18, 34].
Auf der True-a.-p.-Aufnahme kann bereits ein knöchernes Fragment erkannt werden. Die Unterbrechung der subchondralen Sklerosezone weist ebenso auf das Vorliegen eines glenoidalen anteroinferioren Knochenverlusts hin ([20], Abb. 3). Die Bernageau-Aufnahme ermöglicht die Beurteilung des anterioren Glenoidrandes. Läsionen mit knöchernem Fragment wie auch Defektsituationen ohne Fragment können dargestellt werden. Diese zeigen sich im sog. „cliff sign“ bzw. „blunted angle sign“, wobei ersteres einen scharfkantigen und letzteres einen abgerundeten Defekt aufweist [17].
Die Magnetresonanztomographie (MRT) erlaubt in den meisten Fällen keine ausreichende Beurteilung des Glenoidranddefekts und wird daher primär für die Evaluation von Begleitläsionen (z. B. Rotatorenmanschettenrupturen, Labrumläsionen, HAGL-Läsionen) eingesetzt. Die CT bietet hingegen ein Verfahren mit einer hohen Sensitivität zur Diagnose von Glenoidrandläsionen [56]. Sie stellt im eigenen Vorgehen gegenwärtig das Standardverfahren zur Einteilung der Defekte dar. Gerade bei akuten Läsionen vom Fragmenttyp kann eine 3D-Darstellung des Glenoids mit Subtraktion des Oberarmkopfes wesentliche Informationen über die Lokalisation der Läsion, die Größe des Defekts und die Anzahl der Fragmente liefern. Zur präoperativen Planung bei Glenoidrandrekonstruktionen vom Erosionstyp wird im eigenen Vorgehen eine CT-basierte virtuelle Rekonstruktion des defekten Glenoids durch Überlagerung mit der gesunden kontralateralen Seite durchgeführt (Abb. 4, [15]). Hierdurch lässt sich der Knochendefekt in Breite, Länge, Fläche und Volumen ermitteln und kann anschließend mittels eines 3D-Druckers in einen Gipsabdruck umgewandelt werden. Dieser steht anschließend als Vorlage für die operative Rekonstruktion zur Verfügung.
Die diagnostische Arthroskopie soll es ebenso ermöglichen, einen Glenoidranddefekt zu quantifizieren. Grundlage dieser Methoden ist die Annahme, dass der inferiore Teil des Glenoids einen Kreis bildet, mit dem sog. „bare spot“, dem Punkt des dünnsten Knorpels in seinem Zentrum [8, 30]. Somit kann durch Vergleich des posterioren Radius mit dem anterioren Radius ein Glenoidranddefekt ermittelt werden.
Schwierig ist es, das tatsächliche Ausmaß des knöchernen Defekts zu bestimmen, da der Skapulahals weichteilig umgeben ist und dies eine Visualisierung erschwert [58]. Außerdem herrscht in der Literatur kein Konsens darüber, ob der „bare spot“ tatsächlich in der Mitte des inferioren Glenoidzirkels liegt [1, 8, 30, 35, 44]. Kralinger et al. [35] schlossen aus der variierenden Lage des „bare spot“, dass präoperative bilaterale CT-Scans besser zur exakten Quantifizierung von Knochendefekten geeignet seien. Somit lässt die Arthroskopie bei vorliegendem „bare spot“ eine orientierende Aussage über das Vorhandensein und die Größe eines Knochendefektes zu, erlaubt allerdings keine 3D-Abschätzung.
Therapie
Die Therapie von Glenoidranddefekten wird vom klinischen Erscheinungsbild, Typ der Läsion, Größe und Dislokation der Fragmente, relevanten Begleitpathologien sowie dem Alter und Funktionsanspruch des Patienten beeinflusst.
Die frühzeitige operative Versorgung von akuten Glenoidranddefekten vom Fragmenttyp wurde über viele Jahre mit dem Ziel propagiert, die glenoidale Konkavität wiederherzustellen, eine rezidivierende Instabilität zu verhindern und das Risiko der Entwicklung einer Sekundärarthrose zu reduzieren. Nach Goss [23] ist eine operative Versorgung von Glenoidrandfrakturen dann indiziert, wenn eine persistierende Subluxation des Oberarmkopfes aus der Fraktur resultiert. DePalma [14] erwähnt, dass dies bei einer Fragmentdislokation von ≥10mm und einer Defektgröße von ≥25% des Glenoids zu erwarten ist.
Maquieira et al. [39] berichteten kürzlich von 14 konsekutiven Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 53 Jahren, welche durch Erstluxation große (>5 mm), dislozierte anteroinferiore Glenoidfrakturen aufwiesen und konservativ therapiert wurden. Voraussetzung waren ein zentrierter Humeruskopf im a.-p.-Röntgenbild, kein Verlust der Konzentrizität und keine therapiebedürftigen Begleitverletzungen. Nach einem mittleren Follow-up von 5,6 Jahren berichteten alle Patienten von einer subjektiv stabilen Schulter. Im Nachuntersuchungszeitraum waren keine Rezidivluxationen aufgetreten noch wurde von Komplikationen berichtet. Der mittlere alters- und geschlechtsspezifische Constant-Score betrug 98% und der mittlere „subjective shoulder value“ wurde mit 97% angegeben. In der klinischen Untersuchung fanden sich keine schulterspezifischen Instabilitätszeichen. In der radiologischen Diagnostik wurde eine knöcherne Konsolidierung der Fragmente am Skapulahals in allen Fällen mit einer Dislokation von durchschnittlich 3 (0,5–11,0) mm nachgewiesen.
Arthrotische Veränderungen im Sinne einer Zunahme der osteophytären Anbauten am Humeruskopf zeigten sich bei 5 Patienten, wobei 2 diese Degeneration bereits zum Traumaereignis aufwiesen. In diesen konnte keine Progredienz der Arthrose beobachtet werden. Somit zeigt die konservative Therapie von großen anterioren Glenoidfrakturen bei zentriertem Oberarmkopf erstaunlich gute Ergebnisse, trotz teils grotesker Fehlstellung der Fragmente (Abb. 5). Inwieweit sich diese jedoch auf das Langzeitergebnis auswirken, bleibt abzuwarten. Ob eine frühzeitige Immobilisation der Schulter in Außenrotation, wie im Rahmen dieser Pathologie kürzlich beschrieben, generelle Vorteile hinsichtlich Fragmentreposition und klinischem Outcome erzielt, müssen zukünftige Studien zeigen [54].
Bei manifester knöcherner glenoidaler Instabilität besteht die Indikation zur operativen Versorgung. Glenoidranddefekte vom Fragmenttyp können in der Mehrzahl der Fälle offen oder arthroskopisch refixiert werden. Über viele Jahre galt die offene Rekonstruktion als der Goldstandard in der Versorgung von Glenoidranddefekten. In einer eigenen Untersuchung nach offener Rekonstruktion von Defekten vom Fragmenttyp <25% der Glenoidoberfläche mit Ankertechnik zeigte sich bei 15 Patienten nach 22 Monaten ein durchschnittlicher Constant-Score von 85,5 Punkten sowie ein Rowe-Score von 94 Punkten [49]. Radiologisch konnte allerdings nur in 3 Fällen eine anatomische Rekonstruktion des Glenoids erzielt werden. Die guten und sehr guten klinischen Ergebnisse nach offener Ankerfixation stehen den eher ungünstigen radiologischen Ergebnissen gegenüber.
In der gleichen Arbeit zeigte sich bei 10 Patienten mit großen Glenoidfrakturen nach offener Reposition und Osteosynthese mit kanülierten Schrauben nach 30 Monaten ein mittlerer Constant-Score von 81,9 Punkten und ein Rowe-Score von 90 Punkten nach einem mittleren Nachuntersuchungszeitraum von 30 Monaten. Das knöcherne Fragment war in 9 von 10 Fällen in anatomischer Stellung konsolidiert. Allerdings fanden sich bei 4 Patienten implantatbedingte, revisionsbedürftige Komplikationen (Schraubenimpingement bzw. -lockerung).
Gohlke et al. [22] berichteten ebenso von 28 Patienten mit Glenoidfrakturen, die in offener Technik mit kanülierten Titanschrauben versorgt wurden. In 13 Fällen lag eine isolierte Glenoidfraktur vor, während in 15 Fällen Begleitverletzungen (Rotatorenmanschettenrupturen und Tuberculum-majus-Frakturen) beobachtet wurden. In dieser Studie zeigten sich keine Implantatkomplikationen. Patienten mit Begleitverletzung wiesen funktionell signifikant schlechtere Ergebnisse auf.
Mit der Weiterentwicklung der minimal-invasiven Techniken wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Verfahren zur arthroskopischen Rekonstruktion beschrieben. Porcellini et al. [42] berichteten über die arthroskopische Fadenankerrekonstruktion von akuten Glenoidrandläsionen vom Typ I nach Bigliani bei Patienten nach traumatischer Schultererstluxation (Abb. 6). Bei 25 Patienten zeigte sich nach einem mittleren Follow-up von 36 Monaten in 92% der Fälle ein exzellentes klinisches Ergebnis ohne Rezidivinstabilität und knöcherner Konsolidierung des Fragments in 92% der Fälle. Nur in 2 Fällen war radiologisch noch ein persistierender Defekt zu erkennen.
Sugaya et al. [59] evaluierten 43 Patienten mit rezidivierender Instabilität und chronischen Glenoidranddefekten vom Fragmenttyp. Die mittlere Defektgröße lag bei 24,8%, die mittlere Fragmentgröße bei 9,2%. Das knöcherne Fragment mit dem daran anhaftenden Labrum-Ligament-Komplex wurde zunächst osteotomiert und anschließend in Fadenankertechnik refixiert (Abb. 7). Nach einem mittleren Follow-up von 34 Monaten zeigte sich ein signifikanter Anstieg des Rowe-Scores von präoperativ 33,6 Punkten auf postoperativ 94,3 Punkten und eine Reluxationsrate von 5%. Bei 12 Patienten erfolgte eine CT-Kontrolle, wobei in 2 Fällen eine exzellente Reposition, in 7 Fällen eine gute und in 2 Fällen eine schlechte Reposition erzielt wurde.
Porcellini et al. [43] verglichen in einer Folgestudie die Ergebnisse nach arthroskopischer Fadenankerrekonstruktion bei Patienten mit Läsionen vom Typ I und II nach Bigliani und fanden signifikant schlechtere Ergebnisse bei Patienten mit Bigliani-Typ-II-Läsionen. Die Autoren empfehlen deshalb eine frühe operative Versorgung (innerhalb der ersten 3 Monate nach Erstluxation). Mologne et al. [41] verglichen kürzlich die Ergebnisse nach arthroskopischer Rekonstruktion von chronischen Glenoidranddefekten vom Fragmenttyp mit Erosionsdefekten ohne Fragment. Es zeigten sich signifikant besser klinische Ergebnisse im Rowe-Score bei Defekten vom Fragmenttyp und eine geringere Rezidivrate.
Auch große Pfannenrandfrakturen werden zunehmend arthroskopisch adressiert. So berichtete Sugaya et al. [57] erstmalig über die arthroskopische Reposition und Osteosynthese mit Fadenankern. Die Fadenanker werden dabei kaudal und kranial des Fragments platziert und das Fragment im Sinne einer Labroligamentotaxie stabilisiert. Eigene Erfahrungen zeigen, dass diese Technik nur in Ausnahmefällen eine exakte anatomische und primärstabile Reposition erzielt. Des Weiteren findet sich bei großen Pfannenrandfrakturen oftmals eine Sprengung des labralen Ringes, was die Durchführung dieser Technik zusätzlich wesentlich erschwert bzw. unmöglich macht. Bei intaktem Labrum und axillärem Zwischenfragment, welches in den Defekt eingepasst werden kann, stellt die Technik nach Sugaya mit Platzierung der Fadenanker im kranialen Bereich allerdings eine geeignete Alternative zur Verwendung von Schrauben dar [52].
Von Cameron [12] wurde erstmalig die arthroskopische Reposition und Schraubenosteosynthese einer Glenoidfraktur publiziert. Tauber et al. [61] berichteten kürzlich über 10 Patienten, die eine traumatische Schulterluxation mit einem knöchernen Fragment mit einer mittleren Größe von 26,5% der Glenoidlänge erlitten und mit arthroskopischer Reposition und Schraubenosteosynthese versorgt wurden. Nach einem Nachuntersuchungszeitraum von 24 Monaten zeigte sich ein mittlerer Rowe-Score von 94 Punkten. Sieben Patienten erreichten ein exzellentes, 2 ein gutes und in einem Fall wurde ein schlechtes Resultat erzielt. Computertomographisch konnte eine Einheilung des Fragments in allen Fällen nachgewiesen werden. Ein Patient musste aufgrund eines Schraubenimpingements revidiert werden. Die arthroskopische Reposition und Osteosynthese mit resorbierbaren Kompressionsschrauben stellt womöglich eine Alternative dar, die oben erwähnten Komplikationen durch Metallimplantate zu vermeiden (Abb. 8).
Für die operative Versorgung von signifikanten glenoidalen Substanzdefekten ohne knöchernes Fragment wird gegenwärtig der autologe Knochenaufbau entweder mit extra- oder intraartikulär platziertem Beckenkammspan oder mit einem Korakoidtransfer empfohlen. Während die knöcherne Pfannenrandrekonstruktion mit intraartikulärer Spananlage und Rekonstruktion als anatomische Verfahren betrachtet werden, stellt der Korakoidtransfer ein extraanatomisches Verfahren dar, welches jedoch aufgrund des sog. „Triple-blocking-Effekts“ biomechanische Vorteile gegenüber der Beckenspanplastik hat [63, 65].
Die gegenwärtig propagierten Beckenspanplastiken basieren auf den von Eden 1918 [16] und Hybinette 1932 [31] beschriebenen Techniken, wobei anatomische Variationen dieser Techniken heutzutage zur Anwendung kommen. Die klinische Effektivität der anatomischen Pfannenrandrekonstruktion mit trikortikalem Beckenkammspan und Fixation mit kanülierten Schrauben zur Behandlung von signifikanten Erosionsdefekten wurde kürzlich in 2 klinischen Studien belegt (Abb. 9). Warner et al. [64] und Scheibel et al. [50] fanden bei 11 bzw. 10 Patienten nach einem mittleren Follow-up von 33 bzw. 37,9 Monaten eine deutliche Verbesserung der untersuchten klinischen Scores ohne Rezidivinstabilität. Computertomographisch zeigte sich eine Einheilung des Autografts in allen Fällen ohne Implantatkomplikationen. In der eigenen Studie fand sich bei 2 Patienten eine Grad-I- und in einem Fall eine Grad-II-Omarthrose nach Samilson u. Prieto [46] ohne Einfluss auf das klinische Resultat. Zudem wurde die Zugangsmorbidität des offenen Verfahrens in Hinblick auf strukturelle Veränderungen der muskulotendinösen Einheit des Subskapularis untersucht. Auch hier zeigte sich, wie bereits in anderen Studien erwähnt, dass in der Mehrheit der Patienten klinische Zeichen der Subskapularisinsuffizienz und kernspintomographisch gesicherte Verfettung und Atrophie des Muskelbauchs auftraten.
Auffarth et al. [3] publizierten kürzlich die ersten Ergebnisse der autologen J-Span-Plastik (Abb. 10). Bei 46 konsekutiven Patienten mit rezidivierender anteroinferiorer Schulterinstabilität aufgrund eines Glenoiddefekts von mindestens 5 mm Länge, zeigten sich nach durchschnittlich 7,5 Jahren keine Rezidivluxationen. In einem Fall wurde von einer traumatischen Spanfraktur nach generalisiertem Krampfanfall berichtet. Im mittleren Rowe-Score wurden 94,3 Punkte (gesunde Gegenseite 96,8 Punkte) erreicht. Der mittlere Constant-Score wurde mit 93,5 Punkten für die operierte Schulter bzw. 95 Punkte für die gesunde Schulter angegeben. Von 19 Patienten, die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung Zeichen einer Instabilitätsarthrose aufweisen, zeigten 11 bereits präoperativ osteoarthrotische Veränderungen. Der Vorteil der J-Span-Technik liegt in der Möglichkeit der implantatfreien Fixierung des Knochenspans. Lediglich in 6,4% der Fälle war bei ungenügender initialer Stabilität eine zusätzliche Fixierung mit kanülierter Schraube nötig.
Durch die Weiterentwicklung der minimal-invasiven Techniken ist es gegenwärtig auch möglich, die autologe Beckenspanplastik arthroskopisch durchzuführen und somit die Zugangsmorbidität zu reduzieren (Abb. 11, [48, 62]). Erste klinische und radiologische Ergebnisse dazu sind ermutigend (Abb. 12).
Als extraanatomisches Verfahren wurde der Korakoidtransfer 1954 von Latarjet [37] bzw. 1958 von Helfet (Bristow-Prozedur [27]) beschrieben und entwickelte sich in den folgenden Jahren insbesondere in Frankreich zu einer etablierten Technik zur Behandlung der ventralen Instabilität. Allerdings gibt es gegenwärtig nur wenige Daten, die den Nutzen dieses Verfahrens zur Therapie von signifikanten Glenoiddefekten beschreiben.
Burkhart et al. [7] führten in einem selektionierten Patientenkollektiv, welches aufgrund eines Glenoiddefekts im Sinne eines „Inverted-pear-Glenoids“ rezidivierende Schulterinstabilitäten erlitten, einen Korakoidtransfer nach Latarjet durch (Abb. 13). Nach einem durchschnittlichen Follow-up von 59 Monaten konnten 47 von 102 Patienten nachuntersucht werden. Im Constant-Score erreichten die Patienten 94,4 und im Walch-Duplay-Score 91,7 Punkte. Keiner der 47 Patienten hatte eine Rezidivluxation erlitten, allerdings hatte ein Patient ein positives Apprehension-Zeichen, was die Autoren auf eine persistierende Mikroinstabilität zurückführten. Im Gesamtkollektiv wurde eine Rezidivrate 4,9% ermittelt. Die Autoren folgerten, dass der Korakoidtransfer ein effizientes Verfahren zur Therapie signifikanter Glenoiddefekte darstellt.
Mittlerweile wurden einige Studien veröffentlich, die die Langzeitergebnisse nach Korakoidtransfer beschreiben [2, 28, 55]. Allerdings wurde in diesen Arbeiten der Korakoidtransfer zur Therapie der anteroinferioren Schulterinstabilität mit oder ohne Glenoiddefekt eingesetzt. In 2004 bzw. 2006 veröffentlichten Hovelius et al. [29] die Daten von 118 Patienten mit einem Follow-up von 15 Jahren und berichteten von einer hohen Patientenzufriedenheit bei geringer Rezidivrate von 3,4%. In etwa 17% der Fälle wurde ein positiver Apprehension-Test beobachtet. Ähnliche Daten wurden von Allain et al. [2] und Singer et al. [55] publiziert. Ein Voranschreiten der arthrotischen Veränderungen wurde in allen Langzeitstudien beobachtet. So berichten Hovelius et al. [29] in 40% der Patienten über degenerative Veränderungen in der konventionellen Röntgendiagnostik nach 15 Jahren. Nach einem Untersuchungszeitraum von 20 Jahren beobachteten Singer et al. [55] sogar in 71% der Fälle degenerative Veränderungen mit einer Instabilitätsarthrose Grad 3 nach Samilson u. Prieto [46] in etwa 22%. Lafosse et al. [36] befördern auch dieses Verfahren auf die Stufe der Arthroskopie.
Den niedrigen Reluxationsraten des Latarjet-Verfahrens stehen die Schwierigkeiten bei Revisionseingriffen gegenüber. So berichten Young et al. [67], dass nach Revisionen bei fehlgeschlagenen Korakoidtransfers lediglich 50% der Patienten gute Ergebnisse zeigten und warnten davor, diese Technik zur primären Therapie von anteroinferioren Schulterinstabilitäten anzuwenden. Im Gegensatz dazu beschreibt eine kürzlich publizierte Studie in 79% gute bis sehr gute Ergebnisse, in einem Kollektiv von 34 Patienten, die nach fehlgeschlagener Bristow-Latarjet-Prozedur mittels autologer Beckenkammspanplastik revidiert wurden [38]. Allerdings wurden in 4 Patienten (12%) Rezidivluxationen beobachtet. Ein Patient musste erneut revidiert werden und erhielt nach erfolgloser Derotationsosteotomie eine Arthrodese des Schultergelenks.
Fazit für die Praxis
Anteriore Glenoidranddefekte der Schulter erfordern eine differenzierte Betrachtungs- und Behandlungsweise. Der Stellenwert der konservativen Therapie ist dabei noch nicht abschließend geklärt. Eine manifeste knöcherne Instabilität bedarf einer operativen Versorgung. Mit den gegenwärtigen operativen Techniken lassen sich in der überwiegenden Zahl der Fälle gute Ergebnisse erzielen. Signifikante Substanzverluste benötigen eine knöcherne Augmentation. Offene Techniken sind dafür etabliert. Der Trend geht jedoch auch hier in Richtung arthroskopischer Versorgung.
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Scheibel, M., Kraus, N., Gerhardt, C. et al. Anteriore Glenoidranddefekte der Schulter. Orthopäde 38, 41–53 (2009). https://doi.org/10.1007/s00132-008-1354-x
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