Beschäftigt man sich länger mit der Epidemiologie von Blasenfunktionsstörungen im Allgemeinen und der männlichen Harninkontinenz im vorliegenden Fall, so springt als erstes die Variabilität der publizierten Prävalenzen in Abhängigkeit von Kulturraum, Definitionen und Studienmethodologie ins Auge. Da auch die Internationale Kontinenzgesellschaft (ICS) sich bisweilen zur Änderung ihrer Terminologie entschließt [1, 2] und sich viele epidemiologische Untersuchungen zur Harninkontinenz nicht an ICS-Definitionen orientieren, fällt der Vergleich der Literatur ausgesprochen schwer, und sinnvolle Schlussfolgerungen sind praktisch unmöglich.

Die Tabuisierung der Harninkontinenz in bestimmten Kulturkreisen muss zwangsläufig zu einer Unterschätzung der Prävalenz in reinen Interviewstudien führen. Im Gegensatz dazu haben Inkontinenzdefinitionen ohne Berücksichtigung des Schweregrades oder Leidensdruckes regelmäßig überhöhte Prävalenzschätzungen zur Folge. Werden die in postalischen oder telephonischen Interviews erhobenen Daten durch körperliche Untersuchungen validiert, ist mit anderen Prävalenzen als bei reinen Fragebogenstudien zu rechnen [3].

Insbesondere beim Mann spielen zivilisatorische Einflüsse bei der Erhebung der Harninkontinenzhäufigkeit eine große Rolle, sind es doch bei der Belastungsinkontinenz v. a. wir Urologen, die durch unsere chirurgische Tätigkeit (radikale Prostatektomie, transurethrale Prostataresektion) maßgeblich zur Prävalenzsteigerung beitragen. In Gesellschaften mit geringerer Operationsfrequenz hat die männliche Belastungsinkontinenz dagegen Seltenheitswert. Allerdings ist zur Ehrenrettung der Urologie in diesem Zusammenhang anzumerken, dass das Vorkommen der männlichen Dranginkontinenz und anderer Inkontinenzformen (Überlaufinkontinenz, postmiktionelles Nachträufeln) durch Operationen (Deobstruktion) durchaus zu verringern ist ([4]; Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Symptomlinderung von Patienten mit benignem Prostatasyndrom (BPS) und Symptomen des unteren Harntraktes (LUTS) durch transurethrale Prostataresektion (TUR-P; [4])

Die fortgesetzte Überalterung der Gesellschaft ist schließlich für eine stetige Zunahme der Harninkontinenz auch beim Mann verantwortlich, da sowohl für die Drang- als auch für die Belastungsinkontinenz das Alter einen unabhängigen Risikofaktor darstellt. Unterschiedliche Therapieansätze der verschiedenen Inkontinenzformen zwingen jeden an risiko- und ressourcenadaptierter Behandlung interessierten Urologen zur Auseinandersetzung mit der Epidemiologie und Ätiologie der männlichen Harninkontinenz.

Definitionen

Die in einer epidemiologischen Erhebung zur Harninkontinenz verwendete Definition hat nachweislich einen unmittelbaren Einfluss auf das Prävalenzergebnis [5], weshalb die Beschäftigung mit der Variabilität der Inkontinenzdefinitionen und den Implikationen für die Häufigkeitsschätzung lohnend erscheint.

Grundsätzlich erhöht eine Inkontinenzdefinition ohne Berücksichtigung des Schweregrades oder Leidensdruckes in einer Befragung die Prävalenz. Ohne Informationen über den Leidensdruck der Betroffenen wird aber die Inkontinenzhäufigkeit nicht nur überschätzt, sondern zur Ermittlung der potentiell Therapiebedürftigen (und v. a. darum geht es den Gesundheitsfürsorgern und involvierten Gesundheitspolitikern) gänzlich ungeeignet. Gleichwohl kann es für Gesundheitslobbyisten sinnvoll sein, das jeweilige Problem epidemiologisch hochzuspielen, um im Konkurrenzkampf mit anderen Interessenverbänden (Kardiologie, Diabetologie, Onkologie) bei der Verteilung der immer knapper werdenden Mittel Gehör zu finden.

Vor einer unkritischen Übernahme epidemiologischer Studienergebnisse zur Einschätzung des Marktpotentials eines neu entwickelten oder gar neu zu entwickelnden Produktes durch die Pharmaindustrie muss gewarnt werden. Die völlig überzogenen Absatzerwartungen des balancierten Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers Duloxetin zur Therapie der (weiblichen) Belastungsinkontinenz fußten v. a. auf der Unkenntnis der Marketingexperten über den Zusammenhang von Definition und Prävalenz.

Tab. 1. gibt einen Überblick über einige gängige, aber beileibe nicht alle Definitionen der Harninkontinenz, welche in verschiedenen epidemiologischen Studien zur Anwendung kamen (Tab. 1).

Tab. 1 Exemplarische Harninkontinenzdefinitionen aus verschiedenen epidemiologischen Studien mit unterschiedlicher Berücksichtigung von Schweregrad, Leidensdruck und Objektivierbarkeit

Während die ersten beiden Definitionen das objektive Kriterium Inkontinenzhäufigkeit prüfen (bei Diokno et al. [18]: >0/Jahr, bei Thomas et al. [19]: >2/Monat), fokussieren die beiden ICS-Definitionen auf den subjektiven Leidensdruck des Patienten. Die 1976 von der Internationalen Kontinenzgesellschaft noch geforderte Objektivierbarkeit der Inkontinenz hätte jeder epidemiologischen Studie, die sich der ICS-Definition bediente, eine zusätzliche körperliche Untersuchung zur Validisierung und Objektivierung von Fragebogenergebnissen abverlangt, was zur Folge hatte, dass nur sehr wenige epidemiologische Studien die ICS-Definition verwendeten [3] und in der Terminologienovellierung der ICS im Jahr 2002 jeglicher beklagte (also mit Leidensdruck vergesellschaftete) Harnverlust ungeachtet von Frequenz oder Schweregrad als Inkontinenz definiert wurde.

Prävalenz der männlichen Harninkontinenz

Durch die im Vergleich zur weiblichen Harninkontinenz insgesamt niedrigere Prävalenz des männlichen unwillkürlichen Urinverlusts hielt sich das epidemiologische Interesse dieses augenscheinlich sozioökonomisch minderwichtigen Problems in Grenzen, was bis heute in einer weit weniger intensiven Beforschung dieses Krankheitsbildes seinen Niederschlag findet.

Epidemiologische Studien stehen vor dem Dilemma, repräsentative Bevölkerungsquerschnitte von ausreichender Größe und damit statistischer Macht (Power) für ihre Untersuchungen zu benötigen, ohne aus zeit- und personalökonomischen Gründen die aufwendigen objektiven Krankheitskriterien an jedem Individuum der Studienkohorte evaluieren zu können. Daher tendieren solche Studien zu Definitionen mit möglichst wenig objektiven oder objektivierbaren Kriterien, was aber in der Regel zu einer Überschätzung der tatsächlichen Prävalenzen führt (Abb. 2; [6]).

Abb. 2
figure 2

Prävalenzmittelwerte der männlichen Harninkontinenz in Abhängigkeit von der verwendeten Definition. (Metaanalyse von 8 Studien mit Diokno-Definition, 6 Studien mit Thomas-Definition und einer Studie mit neuer ICS-Definition von 2002; [3, 8])

Für einige Männer scheint der unwillkürliche Urinverlust mit einer Frequenz von ≥2/Monat weder mit einem sonderlichen Leidensdruck noch mit einem ausgeprägten Therapiewunsch vergesellschaftet zu sein (sonst wäre die Prävalenz nicht höher als die der ICS-Definition). Das mag in der realistischen Erwartungshaltung eines Postprostatektomieinkontinenten (s. unten) oder der fatalistischen Indolenz des Altersdementen begründet liegen, es zeigt aber auf jeden Fall, dass erst der Leidensdruck aus einem Symptom eine behandlungsbedürftige Erkrankung macht und Symptome viel häufiger als therapiebedürftige Krankheiten auftreten. Schon 1954 fanden Nemir u. Middleton [7] bei der Befragung von 1327 Collegestudentinnen (17- bis 24-jährige Nulliparae) eine Harninkontinenzprävalenz von 52% – sie hatten nach gelegentlichem unwillkürlichem Harnverlust ohne Berücksichtigung von Schweregrad und Leidensdruck gefragt. Solche Prävalenzdaten sind wenig geeignet, eine Goldgräberstimmung unter TVT-Implanteuren zu rechtfertigen.

Inkontinenztypen

Die Metaanalyse von 6 epidemiologischen Studien zur männlichen Harninkontinenz, welche eine Subtypenunterscheidung unter Zuhilfenahme urodynamischer Messungen vornahmen, ergab eine klare Prädominanz der Dranginkontinenz. Sei die männliche Dranginkontinenz auf dem Boden einer Detrusorinstabilität nun durch neurodegenerative Prozesse im Rahmen der Alterung oder obstruktionsbedingt durch eine BPH hervorgerufen, sie überwiegt die Belastungsinkontinenz und die Mischformen bei weitem (Abb. 3; [3]).

Abb. 3
figure 3

Relative Subtypenverteilung der männlichen Harninkontinenz auf der Basis einer Metaanalyse epidemiologischer Studien mit urodynamischer Validierung (links [3]) und der EPIC-Telefonbefragung unter konsequenter Berücksichtigung der ICS-Terminologie (rechts). (Nach [8])

Zwar ist man sich unter den mit Blasenfunktionsstörungen beschäftigten Urologen weitgehend einig, für Forschungsprojekte und Publikationen zur besseren Vergleichbarkeit die ICS-Nomenklatur und ihre Definitionen zu verwenden, die epidemiologische Datenbasis ist aber wegen der noch nicht einmal 10 Jahre alten Terminologienovellierung nach wie vor sehr schmal.

Zwischen April und Dezember 2005 wurde in Canada, Deutschland, Italien, Schweden und Großbritannien eine repräsentative Telephonumfrage zu Symptomen des unteren Harntraktes durchgeführt – die vielbeachtete EPIC-Studie. 19.165 Individuen >18 Jahre wurden in absoluter Übereinstimmung mit der aktuellen ICS-Nomenklatur befragt, eine körperliche Untersuchung zur Verifizierung der angegebenen Symptome unterblieb [8]. Die Datenauswertung erfolgte ebenfalls unter Zugrundelegung der ICS-Definitionen. Da sich eine Unterscheidung der Inkontinenztypen mittels Telefoninterview schwieriger und weniger valide als durch die urodynamische Untersuchung gestaltet, sind in die eher holzschnittartig erscheinende Verteilung der männlichen Inkontinenztypen der EPIC-Studie die oben genannten Limitationen einzukalkulieren (Abb. 3). Dennoch überwiegt auch in der rein symptomatisch orientierten Telephonbefragung bei der männlichen Inkontinenz eindeutig der Drangtypus.

Obstruktionsbedingte Inkontinenzformen wie das postmiktionelle Nachträufeln oder die chronische Harnretention mit Inkontinenz (früher: Überlaufinkontinenz) werden in der EPIC-Studie unter dem Oberbegriff „andere Inkontinenz“ subsummiert und mit erstaunlich hohen 2,9% angegeben [8], was auch einen Unsicherheitsfaktor bei der Zuordnung der Inkontinenzsymptome zu den einzelnen Subtypen bedeuten könnte.

Altersentwicklung, Inzidenz und Spontanremission

Da die Dranginkontinenz des Mannes als Extremform der überaktiven Blase (OAB) verstanden werden kann, nimmt es nicht Wunder, dass mit zunehmendem Lebensalter analog zur OAB-Prävalenzsteigerung auch die Dranginkontinenz häufiger wird. Allerdings wird diese Häufigkeitszunahme – wohl wegen der einsetzenden operativen Tätigkeit des Urologen – vom Prävalenzanstieg der Belastungsinkontinenz noch übertroffen. War das Verhältnis von Drang- zu Belastungsinkontinenz in der Altersgruppe der <40-Jährigen noch 4:1, so sinkt dieses Verhältnis in der Gruppe der >60-Jährigen auf weniger als 2:1 (Abb. 4, Abb. 5). Dennoch bleibt die Harninkontinenz ein vornehmliches Problem der Frau – die Prävalenz übersteigt die der Männer in jeder Altersgruppe um etwa das Doppelte. Die These von der iatrogen überproportionalen Steigerung der Belastungsinkontinenz des Mannes im höheren Lebensalter findet in der umgekehrten Beobachtung bei Frauen (bei denen die Belastungsinkontinenz als Operationsfolge keine Rolle spielt) ihre Bestätigung. Das Verhältnis von Drang- zu Belastungsinkontinenz steigt von 1:3,7 bei den <40-Jährigen auf 1:3,2 bei den >60-Jährigen [8].

Abb. 4
figure 4

Altersverlauf der absoluten Prävalenz der männlichen Harninkontinenz und der relativen Subtypenverteilung. (Nach [8])

Abb. 5
figure 5

Altersverlauf der absoluten Prävalenz der männlichen und weiblichen Harninkontinenz. (Nach [8])

Zur Inzidenz der männlichen Harninkontinenz existieren nur spärliche Daten. In der MESA-Studie von Herzog et al. [9] wurde bei 1956 älteren Männern (>60 Jahre) eine Inzidenz von 9% pro Jahr gefunden. Interessanterweise übertraf die Spontanremissionsrate der Männer (27%) die der Frauen (11%), was damit erklärt werden kann, dass die bei Männern prädominante Dranginkontinenz oft durch BPH, Harnweginfekte oder Darmdysfunktionen hervorgerufen wird, die allesamt gut auf Therapie ansprechen oder sich auch ohne Behandlung verbessern können.

Risikofaktoren

Alter, damit einhergehende Beeinträchtigung von Kognition und Mobilität, neurologische Erkrankungen (Apoplex, Morbus Parkinson, multiple Sklerose) und Prostataoperationen kristallisieren sich als Risikofaktoren der männlichen Harninkontinenz aus der geschlechtsspezifisch überschaubaren Literatur heraus [10]. Bei den Prostataoperationen wiederum prädisponieren 3 Faktoren für eine postoperative Harninkontinenz:

  1. 1.

    eine präoperativ bestehende Blasen- oder Sphinkterdysfunktion,

  2. 2.

    höheres Lebensalter,

  3. 3.

    Mangel an chirurgischer Expertise.

Glücklicherweise hat die Postprostatektomieinkontinenz eine bessere Prognose als die übrigen Inkontinenzformen des Mannes (Abb. 6; [11]).

Abb. 6
figure 6

Natürlicher Verlauf der postoperativen männlichen Belastungsinkontinenz nach TUR-P, offener Adenomenukleation und radikaler Prostatektomie. (Nach [11])

Ätiologie

Die Ätiologie der Dranginkontinenz des Mannes ist vielschichtig und altersabhängig. Mit zunehmendem Lebensalter kommt es zum Prostatawachstum und zur Erhöhung des subvesikalen Auslasswiderstands. Kompensatorisch werden sämtliche Expulsivkräfte des Detrusors rekrutiert, was zu einer erhöhten Irritabilität und mitunter auch zu einer Instabilität der Blase führt. Eine direkte und proportionale Beziehung zwischen Obstruktionsgrad und irritativen Beschwerden lässt sich jedoch nicht nachweisen [6].

Andere ätiologische Faktoren der Dranginkontinenz sind für Männer und Frauen identisch. Zu ihnen gehören v. a. strukturelle Veränderungen der alternden Blase (schleichende Denervierung, Bindegewebeveränderungen, Rezeptorveränderungen, gesteigerte physikochemische Interzellularverkoppelung, lokale Hormondefizite, Ischämie), welche als Ursachen – einzeln oder in Kombination – in Betracht kommen [12, 13].

Auch eine suffiziente inhibitorische Detrusorkontrolle des Großhirns kann bei überschießenden sensorischen Signalen afferenter Blasennerven im Rahmen einer Blasenirritation überfordert sein, woraus wiederum eine nicht neurogene Detrusorhyperaktivität – die klassische „Reizblase“ – entstehen kann. Akute Blasenentzündungen, Steine oder Tumoren sind typische irritative Faktoren, welche es im Rahmen einer Dranginkontinenzabklärung auszuschließen oder zu bestätigen gilt.

Eine inkomplette Rückenmarksläsion (nicht nur traumatisch, sondern auch im Rahmen einer degenerativen Neuropathie wie der Encephalomyelitis disseminata) sowie eine insuffiziente kortikal-inhibitorische Kontrolle sind mögliche Ursachen einer neurogen enthemmten Blase. Es wird zwar ein Harndrang verspürt, aber die Kontrolle der konsekutiven Detrusorkontraktion gelingt nicht. Eine komplette suprasakrale Rückenmarkläsion hat eine Reflexblase zur Folge, bei der die unwillkürlichen Detrusorkontraktionen vom Patienten unbemerkt ablaufen, also auch nicht mit Drang vergesellschaftet sind. Liegt die Rückenmarkläsion unterhalb des pontinen Miktionszentrums, so ist die reflektorische Blasenentleerung durch eine Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie gekennzeichnet, während bei einer Störung oberhalb des pontinen Miktionszentrums der Synergismus zwischen Schließmuskel und Detrusor erhalten bleibt [14].

Die chronische Harnretention mit Inkontinenz – früher plastischer als Überlaufinkontinenz bezeichnet – gehört mit dem postmiktionellen Nachträufeln zu den obstruktionsbedingten Inkontinenzformen, obgleich auch eine Detrusorhypokontraktilität im Rahmen einer myogenen Überdehnungsschädigung oder peripheren Neuropathie (z. B. diabetische Zystopathie) eine Überlaufinkontinenz verursachen kann [15].

Die Prostata privilegiert den Mann in ihrer Eigenschaft als kontinenzrelevantes Geschlechtsspezifikum gegenüber der viel häufiger unter Belastungsinkontinenz leidenden Frau. Sie vergrößert die funktionelle Harnröhrenlänge und generiert einen zusätzlichen Auslasswiderstand mit statischer (Drüsenvolumen) und dynamischer Komponente (glatte Muskulatur; Abb. 7). Sie prädisponiert aber auch in gleichem Maße durch ihre Tendenz zu Obstruktion und maligner Entartung zur ärztlichen Intervention am männlichen Blasenverschlussapparat. Die Folgen sind bekannt: Neurogene und posttraumatische Ursachen der männlichen Belastungsinkontinenz treten gegenüber iatrogenen Ursachen (radiogene Sphinkterschäden, Operationsfolgen) auch wegen der steigenden Operationsfrequenz insbesondere der radikalen Prostatektomie zunehmend in den Hintergrund.

Abb. 7
figure 7

Funktionalität des männlichen Blasenauslasses

Funktionelle Harnröhrenlänge und maximaler Verschlussdruck sind für den Mann die entscheidenden Parameter der Kontinenz (Abb. 8). Im Umkehrschluss besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Inkontinenzschweregrad und Verkürzung der funktionellen Harnröhrenlänge bzw. Senkung des maximalen Verschlussdruckes (Tab. 2). Als unterer Grenzwert einer ausreichenden funktionellen Harnröhrenlänge gelten 28 mm [16]. Sowohl die transurethrale Prostataresektion als auch die radikale Prostatektomie führen zwangsläufig zu einer Verkürzung der funktionellen Harnröhre, die Restlänge übersteigt aber in der Regel immer noch den Schwellenwert (Abb. 9). Im Übrigen ist der Sphincter externus meist in der Lage, durch physiotherapeutisch induzierte Hypertrophie den maximalen Verschlussdruck kompensatorisch zu erhöhen. Dieser Ruheverschlussdruck determiniert im Hagen-Poiseulle-Gesetz laminarer Strömungen den Minimalradius der Harnröhre und geht im Gegensatz zur funktionellen Länge in 4. Potenz in die Gleichung ein, ist also besonders kontinenzrelevant (Abb. 8).

Abb. 8
figure 8

Strömungsphysiologische Grundlagen der Kontinenz: Je höher der Auslasswiderstand, umso schwächer der Harnstrahl und umso suffizienter der Verschlussapparat (Ohm’sches Gesetz), der maximale Harnröhrenverschlussdruck determiniert den minimalen Auslassquerschnitt (r) und damit den Widerstand, aber auch die funktionelle Sphinkterlänge geht in das Gesetz von Hagen-Poiseulle zur laminaren Strömung ein (l). (Nach [20])

Tab. 2 Klinische Schweregradeinteilung von 25 Patienten mit Postprostatektomieinkontinenz und Assoziation mit der funktionellen Harnröhrenlänge und dem maximalen Verschlussdruck im Urethradruckprofil (eigene Daten)
Abb. 9
figure 9

Folgen für die funktionelle Harnröhrenlänge durch transurethrale Prostataresektion oder radikale Prostatektomie

Sphinkterläsionen im Rahmen einer TUR-P und Bestrahlungen des kleinen Beckens schädigen vor allem den maximalen Verschlussdruck des Schließmuskels. Die Datenlage zur Beeinflussung der postoperativen Kontinenz durch Schonung der neurovaskulären Bündel, Präservierung der puboprostatischen Ligamenta, Belassung der Samenblasenspitzen oder Rekonstruktion des M. rectourethralis im Rahmen der radikalen Prostatektomie ist uneinheitlich, basiert in der Regel auf Retrospektivanalysen einzelner Operateure oder Zentren und erlaubt keine abschließende Bewertung. Hier können nur prospektiv kontrollierte, multizentrische Vergleichsstudien Klarheit bringen, die aber sowohl ethisch problematisch, als auch wegen der unterschiedlichen Expertise der Operateure entweder undurchführbar oder unauswertbar sein dürften.

Tritt eine Sphinkterläsion im Rahmen einer TUR-P auf, so geschieht das meist in der ventralen, der Symphyse zugewandten Region (zwischen 10 und 2 Uhr; Abb. 10). Das liegt an der asymmetrischen Verteilung des Drüsenvolumens (ventral weniger als dorsal) und der dadurch schrägen Sphinkterlage im Bezug auf den Apex der Prostata. Dreht man den Resektionsschaft nach Resektion der parakollikulären Apexanteile nach ventral, ohne den Schaft weiter vorzuschieben, fährt die Resektionsschlinge automatisch durch den Schließmuskel und verursacht neben der Belastungsinkontinenz den typischen Zysturethroskopiebefund des „ventral starren Sphinkters“.

Abb. 10
figure 10

Gefährdete Sphinkterregion bei der TUR-P aufgrund der asymmetrischen Volumenverteilung und schrägen Sphinkterposition

Insgesamt ist die Pathophysiologie der männlichen Belastungsinkontinenz homogener als die der weiblichen. Es handelt sich praktisch ausschließlich um intrinische Sphinkterschäden (ISD), die aber nur bei etwa einem Drittel der belastungsinkontinenten Frauen vorliegt. Bei Frauen spielt die Blasenhalshypermobilität auf dem Boden einer Beckenbodeninsuffizienz mit konsekutiv ungenügender Drucktransmission bei noch erhaltener funktioneller Länge und Sphinkterkontraktilität eine größere ätiologische Rolle. Zwar wird eine operationsbedingte Urethralhypermobilität in Analogie zur weiblichen Blasenhalshypermobilität als Ursache der Postprostatektomieinkontinenz aktuell kontrovers diskutiert [17], dieses Konzept ist aber nicht in der Lage, eine Belastungsinkontinenz nach Bestrahlung, TUR-P oder radikaler Prostatektomie mit Rekonstruktion des urethralen Aufhängeapparats (Rektourethralisrekonstruktion) zu erklären und nimmt daher bestenfalls den Stellenwert einer pathophysiologischen Marginalie ein.

Fazit für die Praxis

Zunehmende Überalterung der Gesellschaft und häufigere Interventionen bei Prostataerkrankungen (TUR-P, Bestrahlung, radikale Prostatektomie) führen zu einer stetig steigenden Prävalenz der männlichen Harninkontinenz, einer im Vergleich zur weiblichen Harninkontinenz aber immer noch seltenen Entität der Blasenfunktionsstörungen. Die Ergebnisse epidemiologischer Studien hängen dabei entscheidend von den verwendeten Definitionen und Methoden ab. Obwohl die Dranginkontinenz in allen Altergruppen die höchste Subtypenprävalenz zeigt, verschiebt sich im höheren Lebensalter das Relativgewicht zugunsten der (vorwiegend iatrogenen) Belastungsinkontinenz. Unabhängige Risikofaktoren für die Entwicklung einer Harninkontinenz sind Alter, Immobilität, neurologische Erkrankungen und Prostataoperationen, welche wiederum besonders häufig zu einer Inkontinenz führen, wenn eine Blasen-/Sphinkterdysfunktion bereits präoperativ besteht, der Patient besonders alt und der Operateur besonders unerfahren ist. Da Prostataeingriffe alle anderen Ursachen der männlichen Belastungsinkontinenz marginalisieren, muss die Prävention eines Schließmuskelschadens durch maximal möglichen Erhalt von funktioneller Harnröhrenlänge und Sphinkterkontraktilität besondere Priorität genießen.