Fallberichte über das Vorkommen silikathaltiger Harnsteine unterliegen aufgrund der Seltenheit dieser Steinspezies immer dem Verdacht, dass es bei der Steinasservierung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, es sich somit um ein Artefakt bestehend aus einem Quarzstein oder einem Sandkorn handelt. Neben diesem Umstand erschweren auch die früher gebräuchlichen und ungenügend sicheren Verfahren der chemischen Harnsteinanalyse definitive Angaben zur Inzidenz des Silikatsteinleidens. Nur die analytischen Methoden der Röntgendiffraktometrie oder Infrarotspektrometrie gestatten eine eindeutige Unterscheidung zwischen silikathaltigem Artefakt und Harnstein, wobei hierdurch jedes Sandkorn als Artefakt identifiziert werden kann.

Patienten mit nachgewiesener Silikatsteinbildung sind hinsichtlich einer Dauereinnahme von Magnesiumtrisilikat suspekt, obwohl diese Medikation offensichtlich keine Conditio sine qua non für die Steinentstehung darstellt [1, 2].

Wir berichten über einen 54-jährigen Patienten, bei dem nach ureteroskopischer Steinextraktion ein Mischstein mit 40%igem Silikatanteil nachgewiesen wurde. Neben der genauen Darstellung der Anamnese und des klinischen Verlaufs des Patienten wurde der Versuch unternommen, die internationale Datenlage zur Inzidenz, Diagnostik und Metaphylaxe des Silikatsteins konzise zu diskutieren.

Kasuistik

Ein 54-jähriger Patient einer ukrainischen Umsiedlerfamilie stellte sich in unserer Klinik mit seit 10 Tagen bestehenden linksseitigen Kolikbeschwerden und sonographisch imponierender zweitgradiger Harnstauungsniere vor. Der Patient befand sich 1986 in der unmittelbaren Umgebung des Kernkraftwerkunfalls von Tschernobyl und ist seitdem multimorbide. Im Jahre 1993 wurde ein Lymphosarkom der linken Axilla operiert und adjuvant bestrahlt. Seit 1986 besteht bei ihm eine instabile Angina pectoris, die mit Pentalong® (Pentaerythrityltetranitrat) in relativer Überdosierung (400 mg/Tag) therapiert wird. Vor 4 Monaten wurde bei ihm eine 2/3-Magenresektion aufgrund eines ebenfalls seit 1986 bestehenden Ulcus ventriculi durchgeführt. In den letzten 10 Jahren wies er gehäuft spontane Harnsteinabgänge auf, eine Harnsteinanalyse oder eine metabolische Abklärung erfolgten bisher nicht.

Alle relevanten laborchemischen Blutparameter einschließlich des Säuren-Basen-Status befanden sich im Normbereich, im Urin wurden 150 Erythrozyten/Gesichtsfeld, ein pH-Wert von 7 und Silikatkristalle festgestellt. In der Abdomenübersicht bestand der Verdacht auf ein ca. 5 mm großes und schwach schattengebendes Konkrement im mittleren Harnleiter, das Ausscheidungsurogramm dokumentierte eine stumme linke Niere bei kontralateraler Normalfunktion. Es wurde umgehend die Indikation zur Entlastung der linken Niere gestellt, wobei mittels Ureterorenoskopie (URS) eine problemlose Zangenextraktion dieses im Röntgenbild dargestellten Konkrements erreicht wurde. Es bestand darüber hinaus kein weiterer Steinanhalt in der URS und der Eingriff verlief ohne Harnleitertraumatisierung, sodass auf die Einlage eines Double-J-Katheters verzichtet wurde. Das braune und rundkonfigurierte Konkrement wurde umgehend der Harnsteinanalyse mittels Röntgendiffraktion zugeführt, die eine Zusammensetzung dieses Mischsteins aus 60%igem Whewellit- und 40%igem Silikatanteil ergab (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Röntgendiffraktogramm des Harnsteins (0,6 Molanteile Whewellit; 0,4 Molanteile Silikat)

Gegenwärtig war bei dem Patienten kein Silikatabusus festzustellen. Die eingehende Medikamentenanamnese ergab jedoch die 17-jährige Einnahme von Simagel® (Almasilat) in einer täglichen Überdosierung von 5 g, die erst nach der 2/3-Magenresektion unterbrochen wurde. Die röntgendiffraktometrische Untersuchung von Pentalong wies auch für dieses Medikament Bestandteile von Siliziumdioxid nach (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Röntgendiffraktogramm von Pentalong (Pentaerythrityltetranitrat), Silikatanteile wurden hierbei mit Pfeilen markiert

Der weitere postoperative Verlauf nach Steinextraktion war komplikationslos, hinsichtlich der Angina-pectoris-Medikation wurde der Patient auf ein silikatfreies Präparat eingestellt. Im Follow-up nach 6 Monaten war kein Steinrezidiv feststellbar, der Urin blieb wiederholt ohne polarisationsmikroskopischen Nachweis von Silikatkristallen.

Diskussion

Die Erstbeschreibung des Silikatsteins im menschlichen Harntrakt erfolgte durch Hammarsten im Jahre 1953 [3]. Tabelle 1 zeigt eine chronologische Auflistung über die wichtigsten bisher erschienenen Arbeiten zum Silikatharnstein. Seit dem Erstbericht konnte die Existenz von etwas mehr als 50 Silikatsteinen dargestellt werden [4, 5], obwohl in einigen Fällen aufgrund einer geringen Patientencompliance oder ungenügender Steinanalyseverfahren Zweifel an der Authentizität des Silikatsteins bestehen bleiben. Es ergibt sich aus der Erfahrung heraus der Verdacht, dass den Patienten beim Sammeln ihrer Harnsteine Missgeschicke unterlaufen sind, also auch aufgelesene Fremdkörper zur Analyse gelangen, die dann das Spektrenbild bestimmen. Somit ist zur definitiven Artdiagnose eines Silikatsteins die lückenlose Steinasservierung mit anschließender Harnsteinanalyse als Röntgendiffraktion oder Infrarotspektroskopie zu fordern.

Tabelle 1 Historische Daten zum Silikatharnstein

In dem beispielgebenden Harnsteinanalyseregister der ehemaligen DDR waren an 133.797 untersuchten Steinen 76 Silikatgemische festgestellt worden, wovon jedoch 55 als Artefakt identifiziert werden konnten. Die 21 verbliebenen Mischsilikatsteine repräsentieren somit einen Anteil von 0,016%, knapp 50% von ihnen (10/21) lagen in der Verbindung mit Whewellit vor. Eine lokale Bevorzugung der Silikatanreicherung im Steinkern oder der Hülle war hierbei nicht zu beobachten, sodass auch die Rolle des Siliziums als Auslöser der Harnsteinbildung unklar bleibt [6].

Gesichert ist der Zusammenhang zwischen der kontinuierlichen Zufuhr von Magnesiumtrisilikat, dem Wirkstoff diverser Antazida, und der Silikatharnsteinbildung. Gesunde Personen ohne Silikatabusus scheiden über den Urin ca. 10–16 mg Silikat am Tag aus, was ca. 5,2% des über die Nahrung (Gemüse, Körner und Meeresfisch) aufgenommenen Silikats entspricht. Steigert man die exogene Zufuhr auf 5 g Magnesiumtrisilikat/Tag erhöht sich die tägliche Urinsilikatausscheidung auf durchschnittlich 171 mg. Bereits 2 Tage nach Absetzen des Medikaments reduziert sich die Silikatausscheidung wieder auf das Ausgangsniveau [7].

Ungefähr 1,6% aller Harnsteine waren 1999 in Frankreich durch Medikamente induziert worden. Nach Indinavir (31,4%), Vitamin-D-Präparaten (15%), Triamteren (11,1%), Sulfonamiden (10,5%), Karboanhydrasehemmern (8%) nahm Magnesiumtrisilikat hierbei mit 4,5% den 6. Platz ein [8]. Inwieweit neben dem Magnesiumtrisilikat auch von dem Dimethylpolysiloxan, einem Medikament zur Therapie meteoristischer Beschwerden, eine Silikatsteinbildung ausgehen kann, bleibt momentan noch offen.

Obwohl die Silikatharnsteinbildung auch ohne silikathaltige Medikamente dokumentiert ist [1, 2], sollte immer eine exakte Medikamentenanamnese und -analyse erfolgen. Hierbei sind auch die Nebenbestandteile der Medikamente unter Nutzung der Herstellerangaben oder mit der Methodik der Röntgendiffraktion zu berücksichtigen. In unserem Fallbericht konnte dadurch auch in der seit 17 Jahren währenden Pentalong-Dauermedikation ein Silikatdioxidanteil identifiziert werden. Inwieweit hiervon eine Promotion der Silikatsteinbildung ausging, muss jedoch spekulativ bleiben.

Nach bisherigem Wissenstand bevorzugen Silikatharnsteine das männliche Geschlecht und treten durchschnittlich im 6. Lebensjahrzehnt auf [4, 5]. Als reine Silikatsteine besitzen sie meist eine hellbraune Farbe und weisen eine niedrige Röntgendichte auf. Veränderungen kann es hierbei naturgemäß bei den Silikatgemischen geben, die sich dann nach der Art und dem Anteil der anderen Steinkomponente richten [5]. Die Oberfläche von Silikatsteinen ist häufig weicher als bei anderen Harnsteinen, ihr Vorkommen im gesamten Harntrakt (Niere, Harnleiter, Harnblase) ist gesichert [4, 6]. Der Urin-pH-Wert von Patienten mit Silikatsteinen ist unspezifisch und variiert vom sauren bis in den alkalischen Bereich [5].

Da konkrete Leitlinienempfehlungen für die Therapie und Metaphylaxe des Silikatharnsteins weiterhin ausstehen, können die nachfolgend dargestellten Erkenntnisse Allgemeingültigkeit erlangen:

  • Die Akuttherapie bzw. interventionelle Therapie unterscheidet sich nicht von der anderer schwach schattengebender Harnsteine.

  • In der Rezidivprophylaxe ist es notwendig, das silikathaltige Medikament abzusetzen oder dieses gegen ein nichtsilikathaltiges Ersatzpräparat auszutauschen (Tabelle 2).

    Tabelle 2 Angabe der gebräuchlichsten silikathaltigen Medikamente mit Empfehlung eines silikatfreien Ersatzpräparats
  • Ansonsten gelten die Empfehlungen der allgemeinen Harnsteinmetaphylaxe [20].