Hintergrund

Der Zugang zur medizinischen und psychosozialen Versorgung ist für die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund, zu denen Menschen mit Fluchterfahrung gehören, aufgrund institutioneller, struktureller, sprachlicher und kultureller Barrieren eingeschränkt [7, 13, 14, 18]. Diese Hindernisse rückten in den letzten drei Jahren aufgrund der Fluchtmigration und der damit steigenden Zahl der zuwandernden Menschen, die aufgrund von Krieg, politischen Krisen und Konflikten sowie Armut ihre Herkunftsländer verlassen und Schutz in Europa suchen mussten, stärker in den Fokus der Versorgungsstrukturen [8]. Die daraus resultierenden Herausforderungen für Einrichtungen der psychosozialen Regelversorgung wurden vielerorts mit neuen Versorgungsmodellen beantwortet [17].

Die nach Deutschland geflüchteten Menschen haben oft belastende oder potenziell traumatisierende Erfahrungen gemacht, einige haben psychiatrische Vorerkrankungen. Die administrativen, sprachlichen und kulturellen Barrieren in der Regelversorgung erschweren für diese Zielgruppe den Zugang zu einer adäquaten Behandlung. Das Fehlen zentraler Anlaufstellen für die psychiatrische Diagnostik, Einschätzung, Krisenintervention und Weitervermittlung in die zahlreichen ambulanten Angebote wurde im Zuge der Zunahme der Fluchtmigration nach Deutschland 2014 und 2015 besonders deutlich. Zudem bestand ein Mangel an niedrigschwelligen und kurzfristigen Möglichkeiten der Behandlung, die von den langjährig für diese Zielgruppe etablierten psychosozialen Zentren allein nicht gewährleistet werden konnten [1].

Vor diesem Hintergrund entstanden zahlreiche Initiativen für die Verbesserung der psychischen Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland. Im Folgenden werden drei ausgewählte Konzepte vorgestellt, wobei natürlich auch andere regionale Initiativen vorhanden sind.

Klinikum der Universität München

An der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums der Universität München entstand Mitte 2015 aus der 2012 gegründeten Migrationsambulanz die Initiative, ein überregionales Versorgungskonzept für Flüchtlinge mit psychischen Erkrankungen zu erarbeiten. Das Hauptziel bestand in der Verbesserung des dezentralen Angebots zur Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen bei Asylbewerbern und Menschen mit Fluchterfahrung. Die Verbesserung der Versorgung sollte nicht durch die Schaffung neuer medizinischer Strukturen erzielt werden, sondern durch die optimale Nutzung bereits vorhandener Ressourcen. Demnach sollten Behandlungsleistungen weniger an eine Institution, sondern vielmehr patientenzentriert und gemeindeorientiert gebunden sein und v. a. an die Bedürfnisse der speziellen Zielgruppe angepasst werden. Die Migrationsambulanz dient dabei als spezialisierte ambulante Einrichtung mit folgenden Schwerpunkten:

  • Akutbehandlung psychiatrischer Notfälle,

  • diagnostische Einordnung und Durchführung psychodiagnostischer Gespräche sowie

  • Vermittlung von Traumatherapie.

Die seit 2012 etablierte Struktur der Migrationsambulanz diente dabei als Ausgangspunkt für zahlreiche Initiativen seitens der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums der Universität München.

Um den komplexen Anforderungen der psychiatrischen Versorgung von Flüchtlingen gerecht zu werden, wurde von Mitarbeitern der Klinik die Bildung eines überregionalen Kooperationsnetzwerks diskutiert. Das Ziel war, die psychiatrische Versorgung für Flüchtlinge in allen Regionen des Bezirks Oberbayern zu vernetzen, um eine flächendeckende, wohnort- und einrichtungsnahe Behandlung zu gewährleisten. Durch ein dreistufiges Kooperationsnetzwerk sollten wesentliche Versorgungslücken geschlossen werden.

Kleinere Leistungserbringer werden in das Netzwerk eingebunden

Basierend auf den Erfahrungen nordeuropäischer Staaten sollte in einem ersten Schritt eine zentrale Koordinationsstelle durch den Bezirk eingerichtet werden. Diese sollte die Zusammenarbeit verschiedener an der Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern beteiligten Institutionen koordinieren, die Vorgehensweisen zu Kooperationsabläufen festlegen, aktuelle Angebote aus verschiedenen kulturellen, sozialen und medizinischen Bereichen bündeln, Netzwerktreffen organisieren sowie interdisziplinäre Kooperationen in die Wege leiten. Über die zentrale Koordinationsstelle sollten dann regionale Kooperationspartner miteinander in Kontakt treten. Dabei trat die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München (LMU) mit dem Zentrum für transkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (Migrationsambulanz) als wichtiger universitärer Kooperationspartner im überregionalen Netzwerk in Erscheinung. Flüchtlinge mit psychischen Erkrankungen sollten über örtliche Dienststellen der regionalen Kooperationspartner erreicht werden. Die Versorgung wird durch Krankenhäuser, gemeindepsychiatrische Netzwerke oder vom Ärzteverbund organisiert. Kleinere Leistungserbringer im Versorgungsgebiet können dabei ebenfalls in das Netzwerk eingebunden werden. Obwohl sie oftmals örtlich günstig gelegen sind, können sie keine umfangreichen Versorgungspflichten wahrnehmen. Deshalb kommt ihrer Anbindung und Kooperation mit den regionalen Partnern eine besondere Bedeutung zu.

Infolge des Flüchtlingszustroms wurde zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Versorgung im psychiatrischen und psychosozialen Bereich ein sog. 10-Punkte-Plan von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie erarbeitet. Neben der Verbesserung der Akutversorgung beinhaltet er u. a. Fort- und Weiterbildungsprograme sowie die Bereitstellung einer Wissensdatenbank zur Evaluierung und Prüfung von Projekten. Der 10-Punkte-Plan wurde im Herbst 2015 der bayrischen Staatsregierung und der nationalen Akademie der Wissenschaften vorgelegt (Tab. 1).

Tab. 1 „10-Punkte-Plan“

Mit der Umsetzung des 10-Punkte-Planes wurde lokal bereits als Teil des Programms der Migrationsambulanz begonnen (Notfallkontakte, Expertenkonferenzen, Weiterbildungsveranstaltungen), aber eine Ausweitung und volle Implementierung benötigt die Unterstützung seitens der Politik und der Kostenträger. Im Bereich der Akutversorgung von Flüchtlingen mit psychischen Erkrankungen existiert wie zuvor dargestellt seit 2012 die Migrationsambulanz, die in die Psychiatrische Institutsambulanz der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie integriert ist. Mit ihren niedrigschwelligen Angeboten und ihrem multimodalen Behandlungskonzept stellt die Migrationsambulanz eine der wichtigen psychiatrisch-psychosozialen Spezialangebote für Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund im Bezirk Oberbayern dar.

Grundlage sind Mehrsprachigkeit, soziokulturelle Offenheit sowie Multiprofessionalität

Die Migrationsambulanz bietet die Möglichkeit der ärztlichen Behandlung durch Fachkräfte mit muttersprachlichem Hintergrund. So können Flüchtlinge auch in der Akutphase optimal versorgt werden. Mehrsprachigkeit, soziokulturelle Offenheit sowie Multiprofessionalität der Behandlungsteams bilden die Grundlage, um Symptome psychischer Erkrankungen im Migrationskontext zu erkennen und gezielt zu behandeln. Die Anbindung der Migrationsambulanz an das Universitätsklinikum ermöglicht die Nutzung bereits vorhandener Strukturen; durch ambulant-stationäre ärztliche Kooperationen, wissenschaftliche Projekte und sozialpsychiatrische Netzwerke können Synergieeffekte erzielt werden, die die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit des Angebots gewährleisten.

Es wird ein großes Spektrum psychiatrischer Diagnostik und Therapie abgedeckt, das multimodale Behandlungsangebot umfasst klinische Diagnostik sowie laborchemische und neuroradiologische Untersuchungen. Nach Ausschluss somatischer Erkrankungen wird auf die möglichst frühzeitige Einleitung einer „migrationssensiblen“ psychiatrischen Behandlung Wert gelegt. Therapeutische Angebote reichen von medikamentöser Behandlung über psychotherapeutisch geleitete Gruppen bis hin zu Aufklärung, Beratung, Psychoedukation, Angehörigengespräche und sozialtherapeutischer Unterstützung.

Die Erfahrungen mit traumatisierten Flüchtlingen zeigen eine gute Akzeptanz der ambulanten Angebote; insbesondere die gruppentherapeutischen Behandlungseinheiten, die Bildung kulturspezifischer Selbsthilfegruppen sowie die Anbindung an weitere psychiatrische Versorgungsstrukturen werden positiv bewertet.

Charité Berlin

Anfang 2016 entstand im Rahmen der Initiative „Charité hilft“ eine überbezirkliche zentrale psychiatrische Clearingstelle für die psychiatrische Versorgung von Flüchtlingen in Berlin. Diese wird von den folgenden Kliniken der Charité – Universitätsmedizin Berlin betrieben:

  • Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Campus Virchow Klinikum,

  • Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Benjamin Franklin und

  • Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Charité Mitte.

Die Versorgung in der Clearingstelle wird mit Dolmetschern und in enger Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst der Caritas, mit den bezirklichen Krankenhäusern, den psychiatrischen Institutsambulanzen und den Spezialeinrichtungen Xenion und Zentrum Überleben gewährleistet.

Mittelfristiges Ziel ist, die psychiatrische Clearingfunktion in allen Bezirken Berlins zu etablieren, um eine wohnortnahe und einrichtungsnahe Diagnostik, Behandlung und Betreuung zu ermöglichen. Diese Aufgabe kommt in Berlin den psychiatrischen Institutsambulanzen zu. Neben den langjährig etablierten Spezialeinrichtungen im Bereich der psychosozialen Versorgung Geflüchteter in Berlin existiert bereits seit 2002 an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Charité Campus Mitte das Zentrum für interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP).

In der Akutsprechstunde stehen Dolmetscher für Arabisch und Farsi zur Verfügung

Das Team des ZIPP beschäftigt sich mit den psychosozialen Aspekten von Migration und Flucht in Versorgung, Forschung und Lehre. Im Bereich der Versorgung existiert eine psychiatrische/psychotherapeutische (verhaltenstherapeutische, tiefenpsychologische und psychoanalytische Zugänge) Ambulanz am ZIPP, die sich konzeptionell an ethnopsychiatrischen und ethnopsychoanalytischen Zugängen orientiert. Diese Ambulanz ist in die psychiatrische Institutsambulanz integriert und bereits 2013 zählten 45 % Flüchtlinge und Asylsuchende zur Klientel.

Um die steigenden Behandlungs- und Beratungsanfragen im Kontext der steigenden Anforderungen Geflüchteter adäquat zu beantworten, hat das ZIPP nicht nur seine Versorgungsangebote, sondern auch seine Netzwerkarbeit, Fortbildungsangebote und Forschungsaktivitäten entsprechend ausgedehnt. In Kooperation mit dem gesamten Klinikpersonal wurde in der Ambulanz eine wöchentliche psychiatrische Akutsprechstunde eingerichtet. Während der Sprechstunde stehen Dolmetscher für Arabisch und Farsi zur Verfügung. Neben der Möglichkeit der Einzeltherapie, bei der bei Bedarf Sprach- und sog. „Kulturmittler“ hinzugezogen werden können, bietet das ZIPP seit 2015 therapeutische Gesprächsgruppen für arabischsprachige Flüchtlinge an. Die multiprofessionellen Ressourcen der Institutsambulanz (enge Kooperation mit Sozialarbeitern, dem gemeindepsychiatrischen regionalen Netzwerk, Psychiatern, Psychologen und Sprach- und Kulturmittlern) stellen ein wesentliches Fundament der bedarfsangemessene psychosozialen Versorgung Geflüchteter dar [8].

Medizinisch-psychiatrische Zugänge allein greifen oft zu kurz

Die Transkulturalität des ZIPP-Teams, wozu die Mehrsprachigkeit sowie die soziokulturelle Vielfalt gehören, werden in der Versorgung genutzt, um differente Erklärungsmodelle zwischen Menschen mit Migrationshintergrund/Geflüchteter und Professionellen zu Entstehung, Symptomen und Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen einerseits in den Behandlungen zu verstehen und entsprechend modifizierte Behandlungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Das Team nutzt schwerpunktmäßig psychodynamische und ethnopsychiatrische Zugänge, um transkulturelle Konflikte, die sich im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen des Herkunfts- und Aufnahmekontexts ergeben, bearbeiten zu können [8]. Die Erfahrungen am ZIPP zeigen, dass gerade in der Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten medizinisch-psychiatrische Zugänge allein oft zu kurz greifen. Um die in den Behandlungen vielfach präsenten politischen und gesellschaftlichen Dimension psychischen Leids ebenso wie die Prozesshaftigkeit von Traumatisierungen zu berücksichtigen, arbeitet das ZIPP-Team mit einem erweiterten Traumabegriff. Um den aus der prekären Lebenssituation der Geflüchteten vielfach komplexen Bedarfen gerecht zu werden, ist zudem eine regelhaft verstärkte Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen sowie eine intensivierte Vernetzung mit den unterschiedlichen Akteuren im lokalen Hilfesystem notwendig [8].

Durch das im Dezember 2015 am ZIPP initiierte Netzwerk „Psychosoziale Versorgung Geflüchteter in Berlin Mitte“ wird diesen Anforderungen und den Bedarfen an Informationsaustausch, Wissensvermittlung, Schnittstellenoptimierung und Ressourcenbündelung durch die Einbeziehung der großen Vielfalt regionaler psychosozialer Einrichtungen, politischer und kultureller Akteure Folge geleistet.

Um eine flächendeckende qualitativ hochwertige Versorgung im psychiatrischen und psychosozialen Versorgungssystem zu gewährleisten, ist die Grundidee der Netzwerkarbeit, eine umfängliche Integration Geflüchteter in Berlin zu ermöglichen, da zu beobachten ist, dass Isolation, mangelnde Teilhabe und Partizipation psychische Belastungen und Erkrankungen verstärken [8].

Hier setzt auch die Initiative der Peer-to-Peer-Gruppenintervention an, die 2015 von Mitarbeitern der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte, in Kooperation mit weiteren Initiativen auf der Grundlage internationaler Erfahrungen entwickelt wurde ([10]; Tab. 2).

Tab. 2 „Peer-to-Peer-Gruppenintervention“

Die Auseinandersetzung mit den persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer wird dabei mit unterschiedlichen, aktivierenden Methoden in den Mittelpunkt gestellt. Die ausgebildeten psychosozialen Trainer nehmen bei diesem Ansatz im Wesentlichen eine Moderatorenrolle ein.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des ZIPP ist die angestrebte Sicherstellung einer hohen Qualität der Arbeit mit Sprach- und Kulturmittlern [9]. Hierzu wurden und werden für diese spezifische Weiterbildungen und Supervisionen angeboten.

Universität Konstanz

Seit 2002 existiert ein von der Universität Konstanz und dem gemeinnützigen Verein vivo international e. V. getragenes Kompetenzzentrum Psychotraumatologie (KPZ) (ehemals Psychologische Modell- und Forschungsambulanz für Flüchtlinge), das in enger Kooperation mit dem Zentrum für Psychiatrie Reichenau auf dessen Klinikgelände betrieben wird.

Die Arbeit des Kompetenzzentrums hatte von Anfang an zwei Standbeine:

  • die klinische und anwendungsbezogene sowie grundlagenwissenschaftliche Forschung zu Diagnostik, Neurobiologie und Psychotherapie traumatisierter Geflüchteter und Folteropfer [4, 11, 14] sowie

  • die Weitergabe evidenzbasierten Wissens und evidenzbasierter Standards an die im Versorgungssystem tätigen therapeutischen Berufsgruppen.

So wird z. B. das vom Zentrum entwickelte, evidenzbasierte Verfahren „narrative Expositionstherapie“ [15, 16] regelmäßig in (zertifizierten) Schulungen gelehrt. Von Beginn an war das Kompetenzzentrum Psychotraumatologie eng an die Arbeit des Vereins vivo international e. V. und an die universitären Forschungsprojekte in weltweiten Krisen- und Kriegsgebieten angebunden, z. B. in Bezug auf personellen und inhaltlichen Austausch. Wichtige Impulse für die Arbeit in Deutschland kamen beispielsweise aus Studien zu Täteranteilen bei Kindersoldaten [5], zur komorbiden psychiatrischen Belastung traumatisierter Gruppen [12] und zur transgenerationalen Weitergabe von Traumaerfahrungen [2]. Wichtige Grundprinzipien der Arbeit des KPZ sind ferner die Förderung der Teilhabe Betroffener, die (Weiter‑)Entwicklung von Standards und „good practice“ im Bereich der Psychotherapie und Psychodiagnostik bei traumatisierten Geflüchteten und die Evidenzbasierung.

Peers werden in die Weiterentwicklung von Versorgungskonzepten einbezogen

Seit 2015 stieg in der Region im psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgungssystem der Bedarf an adäquater Diagnostik und Therapie. Dies führte zu einer verstärkten Arbeit des KPZs an der Weiterentwicklung von Versorgungsmodellen. Dabei wurde der Fokus sowohl auf die Weiterqualifizierung des bestehenden Versorgungssystems gelegt, da die Akteure der Regelversorgung grundsätzlich bereit sind, an der Versorgung dieser Gruppe mitzuwirken (s. Initiative der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg zur Erstellung einer landesweiten Behandlerliste für traumatisierte Geflüchtete), als auch auf dessen konzeptuelle Weiterentwicklung zur Schaffung neuer Behandlungsressourcen, v. a. durch die Einbeziehung von Peers aus der Gruppe der Geflüchteten selbst [3]. Bei letzterem Aspekt konnte auf die Erfahrung der Arbeit mit Peers in verschiedenen Krisenregionen zurückgegriffen werden [11]. Erste Forschungsarbeiten zeigen, dass Laien mit geeigneten Instrumenten psychische Störungen bei Geflüchteten reliabel identifizieren können [6].

Aktuell bündeln sich diese Überlegungen u. a. in einem Modellprojekt, das in Kooperation mit dem Landkreis Konstanz, Kommunen, psychiatrischen Versorgungseinrichtungen und Psychotherapieausbildungsinstituten durchgeführt wird. In dem Modellprojekt werden einerseits die Zugangsbarrieren zum regulären psychotherapeutischen Versorgungssystem abgebaut und dessen Ressourcen durch gezielte Schulungen gestärkt (z. B. therapeutische Arbeit mit Sprachmittlern). Gleichzeitig werden Konzepte entwickelt hin zu „task shifting“ und „stepped care“. Dabei werden Personen aus der Flüchtlingspopulation selbst, unter Einbeziehung ihrer Kompetenzen, als Gesundheitslotsen ausgebildet und eingesetzt. Perspektivisch bietet sich die Möglichkeit, diese Gruppe weiter zu qualifizieren, sodass diese im Rahmen eines geeigneten Kaskaden- und Supervisionsmodells auch umschriebene beratende, psychodiagnostische oder therapeutische Funktionen übernehmen könnte. In einer Koordinierungsstelle und in regelmäßigen Netzwerktreffen werden zentral Möglichkeiten entwickelt, um spezifische Zugangsbarrieren abzubauen und Patienten effizient zu Therapeuten zu vermitteln sowie Therapeuten bei der Beantragung und Durchführung der Therapie zu unterstützen. Der bestehende Sprachmittlerpool des Kompetenzzentrums sowie dessen Ausbildungs- und Supervisionsaktivitäten werden im Rahmen des Modellprojektes ausgeweitet. Das Modellprojekt wird wissenschaftlich von der Universität Konstanz begleitet und evaluiert, sodass die in Konstanz gemachten Erfahrungen zur breiteren Modellentwicklung beitragen können.

Ausblick

Eine umfassende psychiatrische Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund und insbesondere mit Fluchterfahrung stellt mit den aktuell verfügbaren Ressourcen im Gesundheitssystem eine Herausforderung dar. Sie bedarf politischer Verantwortung, der Bereitstellung innovativer und nachhaltiger Konzepte sowie zusätzlicher finanzieller Mittel und geeigneter struktureller Rahmenbedingungen. Trotz der schwierigen Gesamtlage wurden erste Projekte zur Verbesserung der Versorgungssituation von Migranten und Asylsuchenden auf regionaler Ebene erfolgreich umgesetzt. Die wissenschaftliche Datenlage zur Erfassung der psychischen Erkrankungen bei dieser Zielgruppe ist derzeit noch äußerst begrenzt. Um bedarfsgerechte Versorgungsangebote weiter ausbauen zu können, sind bundesweite Verbundforschungsprojekte erforderlich. Die Bundesregierung hat im Zuge der Bewältigung der Flüchtlingskrise eine Ausschreibung für Kliniken und Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik gestartet, um gezielt Maßnahmen zur Verbesserung der Datenlage zu ergreifen.

Fazit für die Praxis

  • Erste regionale Projekte zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung für Menschen mit Migrationshintergrund werden schrittweise umgesetzt.

  • Peer-to-Peer-Gruppeninterventionen werden erfolgreich angewendet.

  • Bundesweite Forschungsprojekte sind zur Verbesserung der wissenschaftlichen Datenlage notwendig.