Die Behandlung von Menschen mit alkoholbezogenen Störungen (schädlicher Gebrauch, Abhängigkeit) ist in Deutschland gut etabliert, allerdings fehlt es oft an der nötigen Abstimmung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung. Hinzu kommen Unsicherheiten im Umgang mit Suchtpatienten. Therapeutischer Nihilismus ist verbreitet und wird mit jedem rückfälligen Patienten scheinbar bestätigt. Daher erstaunt es kaum, dass trotz flächendeckender Angebote nur rund 10–15 % der Betroffenen eine spezialisierte Behandlung in Anspruch nehmen. Zwischen dem ersten Auftreten der Symptome einer Abhängigkeit und der erstmaligen Behandlung vergehen im Durchschnitt zehn Jahre ungenutzt. Somit gibt es genügend Gründe, um im Rahmen einer breit basierten Entwicklung von S3-Leitlinien die Angebote in Screening, Diagnostik und Therapie kritisch zu prüfen.

Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die Behandlungsmöglichkeiten des Psychiaters und Psychotherapeuten und dabei besonders auf aktuelle Erweiterungen im Spektrum der ambulanten Therapiemöglichkeiten. Auf den Bereich der medizinischen Rehabilitation wird verwiesen. Er ist andernorts ausführlich dargestellt [50].

Häufigkeiten und Behandlungsprävalenzen

Deutschland zählt mit ca. 40 Mio. alkoholkonsumierenden Menschen zu den Hochkonsumländern [21], wobei 14,2 % der Konsumenten innerhalb der letzten 30 Tage einen „riskanten Gebrauch“ aufweisen. Etwa 1,61 Mio. Menschen (3,1 %) der deutschen Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren zeigen einen „schädlichen Gebrauch“ von Alkohol und ca. 1,77 Mio. (3,4 %) eine Alkoholabhängigkeit ([57]; Tab. 1).

Tab. 1 Kriterien des Alkoholabhängigkeitssyndroms (ICD-10: F10.2)

Für die gesamte Altersspanne muss mit rund 2 Mio. Abhängigen und weiteren 2 Mio. Menschen mit schädlichem Gebrauch (früher „Missbrauch“) gerechnet werden (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Alkoholbezogene Störungen in Deutschland

Alkoholbezogene Störungen gehen mit vielen somatischen und psychischen Begleit- und Folgeerkrankungen einher [69] und sind mit erheblichen sozialen und gesellschaftlichen Problemen assoziiert. So zeigen die Daten der Straßenverkehrsunfallstatistik, dass Alkoholeinfluss bei 5 % aller 299.637 Unfälle mit Personenschaden eine Unfallursache war [74].

Vollstationär wurden 2012 mehr als 345.000 Krankenhausbehandlungen wegen psychischer oder Verhaltensstörung durch Alkohol (alle ICD-10-F10-Diagnosen [ICD, International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems]) durchgeführt, davon rund 121.500 wegen Intoxikation (ICD-10: F10.0). Entgiftungs-/Entzugsbehandlungen in somatischen Kliniken betrafen ca. 160.000 Fälle, davon ca. 7000 als qualifizierter Entzug [75]. Die Zahlen zu Behandlungen in psychiatrischen Kliniken und Abteilungen liegen je nach Erhebung zwischen 200.000 und 270.000 [36]. Stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (v. a. Entwöhnungsbehandlungen in Fachkliniken für Suchtkranke) belaufen sich auf ca. 30.000 pro Jahr. Ambulant wurden im Jahr 2012 ca. 7865 Entwöhnungsbehandlungen durchgeführt (Abb. 2; [9, 17]).

Abb. 2
figure 2

Alkoholbezogene Behandlungen in Deutschland [17, 36, 75]

Laut Barmer GEK Arztreport 2014 wird der Anteil der bundesdeutschen Bevölkerung, der im kassenärztlichen Versorgungssystem durch den niedergelassenen Arzt wegen „Psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ (ICD-10: F10–F19) behandelt wird, mit 5,37 % (ca. 4,4 Mio.) angegeben [24]. In psychiatrischen Institutsambulanzen werden pro Jahr ca. 130.000 Behandlungen durchgeführt [36]. Neben dem medizinischen System spielen bei der Versorgung von Menschen mit alkoholbezogenen Störungen auch die Selbsthilfe sowie die Altenhilfe, die Jugendhilfe, die Wohnungslosenhilfe, das System der Arbeitslosenhilfen (z. B. Jobcenter, Agenturen für Arbeit) eine große Rolle. Maßnahmen zur Früherkennung fehlen vollständig und das Behandlungsangebot ist zu wenig auf suchtspezifische Hilfen und die Vermittlung in weiterführende Behandlungen ausgerichtet [6, 31, 83]. Lediglich zwischen 11 bis maximal 22 % der abhängigen Alkoholkonsumenten nehmen allgemeine oder spezialisierte Hilfen (Hausarzt, Psychotherapie, ambulante Suchtberatung, stationäre Entgiftung oder stationäre Rehabilitation) in Anspruch, d. h. ein Großteil der Betroffenen hat bisher keinen Kontakt zu behandlungsorientierten Hilfesystemen [23].

Empfehlung 1: umfassendes Screening

Vor diesem genannten Hintergrund und angesichts der vielfach nachgewiesenen Wirksamkeit fordert die S3-Leitlinie ein flächendeckendes Screening alkoholbezogener Störungen in Praxis und Klinik mittels des AUDIT- oder AUDIT-C-Fragebogens (10 bzw. 3 Fragen). Dieses Thema wird in den Leitlinien [8, 40] behandelt und ist nicht Gegenstand des vorliegenden Artikels.

Bewährte und neue Therapieziele

Die absolute, möglichst lebenslange Abstinenz ist das optimale Ziel der Behandlung von Abhängigen. Obwohl die Erfolge katamnestisch erhoben beträchtlich sind (ohne Kontrollgruppendesign 25–49 % nach einem Jahr [50]), wird dieser Weg leider nur von einer vergleichsweise kleinen Zahl von Betroffenen wahrgenommen (s. o.). Das mag mehrere Gründe haben. Neben der Akzeptanz der Diagnose einer Abhängigkeit mit der damit verbundenen „gefühlten“ Stigmatisierung der Abhängigen scheint das Ziel einer absoluten Abstinenz für viele Betroffene zumindest zu Beginn eine extrem hohe Hürde zu sein. Das belegen Daten aus einer bevölkerungsbezogenen Untersuchung in den USA. Neunundvierzig Prozent der Personen mit behandlungsbedürftigen Alkoholproblemen waren trotz eigener Einsicht in die Notwendigkeit nicht bereit, das Ziel der vollständigen Abstinenz zu akzeptieren [77]. Vor diesem Hintergrund kam die englische Therapieleitlinie [55] zu dem Schluss, auch die Reduktion der Trinkmengen als zumindest intermediäres Therapieziel für Alkoholabhängige anzuerkennen, ein Standpunkt, den auch die European Medicines Agency vertritt [20]. Nach intensiver Diskussion schloss sich die Konsensusgruppe der deutschen S3-Leitlinie „Alkohol“ einstimmig diesem Vorschlag an (siehe Empfehlung 2).

Empfehlung 2: Therapieziele in der Behandlung von alkoholbezogenen Störungen

Bei postakuten Interventionsformen ist Abstinenz bei Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10: F10.2) primäres Therapieziel. Ist die Erreichung von Abstinenz zz. nicht möglich oder liegt schädlicher bzw. riskanter Konsum vor, soll eine Reduktion des Konsums (Menge, Zeit, Frequenz) im Sinne einer Schadensminimierung angestrebt werden.

  • Gesamtabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: A

  • Evidenzgrad: 1a

Damit ist die Hoffnung verbunden, dass die Schwelle zum Eintritt in eine Behandlung erniedrigt wird und deutlich mehr Menschen Beratung und Behandlung aufsuchen. Könnte die Inanspruchnahme von psycho- und pharmakotherapeutischen Angeboten von bisher 10 % auf 40 % der Betroffenen erhöht werden, ließen sich nach einer aktuellen Modellrechnung pro Jahr rund 2000 Menschen in Deutschland retten [58].

Akutbehandlung der Alkoholabhängigkeit

In diesem Kapitel werden Intoxikation, qualifizierte Entzugsbehandlung und pharmakotherapeutische Strategien im Entzug behandelt.

Alkoholintoxikation

Eine Alkoholintoxikation und/oder ein Alkoholentzugssyndrom stellen eine häufige Komplikation der Grunderkrankung Alkoholabhängigkeit dar. Eine „körperliche Entgiftung“ hat zum Ziel, die Vitalfunktionen sicherzustellen, die vegetativen Entzugssymptome zu lindern und schwere Verläufe (z. B. epileptische Anfälle oder Delirium tremens) zu vermeiden. Die Rezidivraten liegen jedoch enorm hoch [66]. In der sog. „qualifizierten Entzugsbehandlung“ wird daher die Entgiftung durch psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen ergänzt mit dem Ziel der Weitervermittlung in eine längerfristige Behandlung (siehe Empfehlung 3 und Empfehlung 4).

Empfehlung 3

Eine stationäre Behandlung (Entgiftung oder besser qualifizierte Entzugsbehandlung [QE]) wird empfohlen bei:

  • einem Risiko eines alkoholbedingten Entzugsanfalles und/oder Entzugsdelirs (A; Evidenzgrad: 2),

  • Vorliegen gesundheitlicher bzw. psychosozialer Rahmenbedingungen, unter denen Alkoholabstinenz im ambulanten Setting nicht erreichbar erscheint (A; Evidenzgrad: 2),

  • (zu erwartenden) schweren Entzugssymptomen (klinischer Konsensuspunkt, KKP),

  • schweren und multiplen somatischen oder psychischen Begleit- oder Folgeerkrankungen (KKP),

  • Suizidalität (KKP),

  • fehlender sozialer Unterstützung (KKP),

  • Misserfolg bei ambulanter Entgiftung (KKP).

Abgesehen von der Anamnese von Entzugskomplikationen, wie generalisierter Anfall oder Delir, liegt bislang wenig sichere Evidenz zur Beurteilung vor, wie schwer ein Alkoholentzug voraussichtlich verlaufen wird. Somit unterliegt die individuelle Einschätzung unter Berücksichtigung bisheriger Entzugsverläufe, der Dauer und Menge des Alkoholkonsums ohne längere Unterbrechung und des somatopsychischen Allgemeinzustands einiger Unsicherheit.

Empfehlung 4

Eine ambulante Entzugsbehandlung kann erfolgreich sein, wenn eine stationäre Behandlung nicht oder nicht mehr erforderlich ist und der Patient

  • über die zur Inanspruchnahme der Behandlung notwendige physische und psychische Belastbarkeit verfügt,

  • ein soziales Umfeld mit stabilisierender/unterstützender Funktion hat,

  • über eine stabile Wohnsituation verfügt,

  • gute Compliance aufweist bzw. ausreichende Adhärenz besteht (KKP).

Unabdingbar sind engmaschige klinische Kontrolluntersuchungen inkl. Verhaltensbeobachtung und die organisatorische Sicherstellung einer 24‑h-Erreichbarkeit eines Notfalldienstes, insbesondere einer kurzfristigen Verfügbarkeit stationärer Weiterbehandlung bei Auftreten schwerer Entzugsverläufe bzw. -komplikationen. Im deutschen Versorgungssystem sollten hier die eventuell hinzugezogenen Notdienste (z. B. Kassenärztlicher Notdienst, Notärzte) über die Durchführung ambulanter Alkoholentzüge informiert sein (B; Evidenzgrad: 3) [3, 16, 54].

Qualifizierte Entzugsbehandlung

Während für die Akutbehandlung (z. B. körperliche Entgiftung, qualifizierte Entzugsbehandlung) die Krankenversicherungen die Kosten übernehmen, sind für die Maßnahmen der Postakutbehandlung (Rehabilitation) verschiedene Träger zuständig (Rentenversicherung, Sozialamt, Krankenkasse). Dies führt im Bereich der Entgiftungsbehandlung zur unbefriedigenden Situation, dass die von Leistungsträgerseite häufig geforderte Beschränkung auf die Akutbehandlung des körperlichen Entzugssyndroms weder eine ausreichende Behandlung der häufig länger als die körperlichen Symptome anhaltenden psychischen Entzugssymptome, wie Suchtdruck, Irritabilität, Konzentrationsstörung, innere Unruhe („Nervosität“), Dysphorie, Affektlabilität, Angst und Schlafstörungen, gestattet noch die Mitbehandlung der eigentlich zugrunde liegenden Erkrankung, nämlich der Alkoholabhängigkeit. Ferner drohen die in ihrer Motivationslage oft ambivalenten Patienten der Akutbehandlung auf dem Weg in weiterführende Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen an den zum Teil erheblichen administrativen Hürden und Wartezeiten zu scheitern. Hieraus ist in Deutschland das Konzept der qualifizierten Entzugsbehandlung entstanden [42], um eine stabilere weiterreichende Therapiemotivation entwickeln zu können und die bestehenden Schnittstellenhürden zu reduzieren.

Es liegen Hinweise auf eine bessere Wirksamkeit einer QE im Vergleich zu einer reinen körperlichen Entgiftung vor.

So wiesen Patienten nach einer QE eine höhere Abstinenzrate [18, 35, 38], eine höhere Rate von Vermittlungen in eine weiterführende Therapie, z. B. Postakutbehandlung (Rehabilitation) [76], einen besseren Therapieerfolg einer nachfolgenden Rehabilitationsbehandlung [10] und eine reduzierte Wiederaufnahmerate auf [59].

Empfehlung 5

Somit sollte eine QE statt einer reinen körperlichen Entgiftung angeboten werden, wenn verfügbar und insbesondere, wenn der Patient weiterführenden Behandlungsmaßnahmen ambivalent gegenübersteht. Die Behandlungsdauer der QE beträgt in der Regel bis zu drei Wochen, bei kompliziertem Verlauf der Detoxifikationsphase und in besonders gelagerten und begründeten Einzelfällen kann sie bis zu sechs Wochen dauern [60].

Trotz der im Vergleich längeren Behandlungsdauer war die QE bereits für die Kostenträger der Akutbehandlung kosteneffizient [18]. Unabhängig davon konnte gezeigt werden, dass sich eine längere Behandlungsdauer positiv auf den Behandlungserfolg auswirkt (Übersicht bei [70]) und u. a. die Wiederaufnahmerate reduziert [87]. Es gibt Hinweise, dass QE auch ambulant und teilstationär durchführbar ist [60]. Diese kann auch als Fortführung einer stationären Entgiftung erfolgen.

Pharmakotherapie im Entzug

Eine pharmakologische Behandlung dient in erster Linie dazu, die Schwere und Häufigkeit von Entzugserscheinungen bzw. Komplikationen wie Krampfanfälle und Delire zu reduzieren. Das Alkoholentzugssyndrom (AES) entsteht zumeist 6–8 h nach dem Trinkstopp und ist in seiner Ausprägung in den ersten 48 h nach Beendigung des Alkoholkonsums am Größten. Beim einfachen Alkoholentzugssyndrom dominieren Symptome wie Blutdruckerhöhung, Tachykardie, Hyperhidrosis, Tremor, Muskelkrämpfe, Magenbeschwerden, Übelkeit/Erbrechen, Diarrhö, Kopf- und Rückenschmerzen zusammen mit psychomotorischer Unruhe, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Affektlabilität, Angst und Konzentrationsstörungen. Das schwere Entzugssyndrom wird kompliziert durch das Auftreten deliranter Zustände, epileptischer Anfälle, Herzrhythmusstörungen, hypertensiver Krisen, Elektrolytstörungen, Hypothermie/Hyperthermie oder Rhabdomyolysen [29, 68, 73, 86]. Risikofaktoren für die Entwicklung schwerer Entzugssyndrome bzw. Komplikationen sind starke Entzugserscheinungen zum Aufnahmezeitpunkt, Benzodiazepin- bzw. Drogenbeigebrauch, vorausgegangene schwere Entzüge, Delirien in der Vorgeschichte, Entzugskrampfanfälle in der Vorgeschichte, hohe Alkoholtrinkmenge und hoher Blutalkohol, erhöhtes CDT („carbohydrate-deficient transferrin“), somatische Komorbidität, Leberwerterhöhungen und Elektrolytverschiebungen [33, 68].

Prinzipiell lässt sich aber das Auftreten entzugsbedingter Komplikationen nicht sicher vorhersagen, sodass es auch bei vermeintlich leichtem Entzugssyndrom aufgrund niedriger Tagesalkoholmengen zu Entzugskomplikationen wie epileptischen Anfällen oder Delirien kommen kann.

Empfehlung 6

Generell ist eine Pharmakotherapie des mittelschweren bis schweren Alkoholentzugssyndroms gegenüber einer Nichtbehandlung überlegen [48, 52]. Die stärksten Effekte finden sich für die Verhinderung schwerwiegender Komplikationen insbesondere entzugsbedingter epileptischer Krampfanfälle. Zur Bestimmung einer Entzugsschwere wird international insbesondere die CIWA-Ar-Skala (Clinical Institute Withdrawal Assessment of Alcohol Scale, Revised) herangezogen (leicht: ≤ 8 Punkte, mittelschwer: 9–14 Punkte und schwer: ≥ 15 Punkte; [78]), in Deutschland oft auch die Alkoholentzugssyndromskala (AES; [82]).

Eine symptomorientierte Entzugsbehandlung ist im Vergleich zu einem festen Dosierschema mit einem signifikant niedrigeren Medikationsverbrauch und einer kürzeren Behandlungsdauer assoziiert, ohne Zunahme der Entzugsschwere oder von Entzugskomplikationen [14, 54, 65, 81] sodass zumindest auf spezialisierten Stationen mit entsprechend geschultem Personal die Entzugsbehandlung symptomgesteuert durchgeführt werden sollte.

Verschiedenen Substanzen und Substanzgruppen werden zur Reduktion vegetativer Entzugssymptome und zur Prävention bzw. Behandlung von Entzugskomplikationen wie Entzugskrampfanfälle oder Delirien eingesetzt, deren Evidenzlage auf der Basis der S3-Leitlinien im Folgenden dargestellt werden soll.

Benzodiazepine.

Die Wirksamkeit der Benzodiazepine im Alkoholentzugssyndrom ist durch zahlreiche Studien und mehrere systematische Reviews im Vergleich zu Placebo, zu Clomethiazol, zu Anikonvulsiva und zu anderen Substanzen gut belegt [1, 2, 11, 48, 56]. Benzodiazepine werden weltweit am häufigsten zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms eingesetzt und in internationalen Leitlinien als primäre Therapieoption empfohlen [3, 7, 16, 54]. Am häufigsten wurden Chlordiazepoxid, Diazepam, Lorazepam und Oxazepam untersucht [1, 2], ohne dass sich gesicherte Unterschiede bezüglich der Wirksamkeit der Benzodiazepine untereinander ergeben hätten.

Benzodiazepine reduzieren effektiv die Schwere und Häufigkeit von Symptomen des Alkoholentzugssyndroms (Tremor, Unruhe, Schlafstörungen, Hypertonus etc.) sowie die Häufigkeit schwererer Entzugskomplikationen wie Delire und Entzugskrampfanfälle [48, 54, 56]. Für die Behandlung deliranter Syndrome mit Halluzinationen, Wahnsymptome und Agitation wird eine Kombination von Antipsychotika (z. B. Haloperidol) zusammen mit Benzodiazepinen (z. B. Diazepam 5–20 mg alle 2–4 h) empfohlen [7]. Die akute Gabe sollte oral oder intramuskulär erfolgen. Bei der intravenösen Gabe sollte eine engmaschige elektrokardiographische (EKG-)Überwachung zur Erkennung einer QT-Verlängerung bzw. maligner Herzrhythmusstörungen durchgeführt werden [30], die vermehrt während der intravenösen Haloperidol-Anwendung auftreten sollen, obwohl Haloperidol diesbezüglich nicht risikobehafteter als andere Antipsychotika sein soll [28].

Clomethiazol.

Clomethiazol ist im deutschsprachigen Raum neben Benzodiazepinen das Mittel der ersten Wahl zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms und des Alkoholentzugsdelirs. Durch den fehlenden globalen Einsatz sind Vergleichsstudien deutlich seltener als bei Benzodiazepinen. 2005 wurde zudem die Zulassung von Clomethiazol wegen des Abhängigkeits- oder Missbrauchspotenzials und einer geringen therapeutischen Breite im Fall von Mischintoxikationen mit Alkohol auf „kontrollierte stationäre Bedingungen“ eingeschränkt. Es existieren keine eigenen Metaanalysen zu Clomethiazol, das in den bestehenden Metaanalysen zumeist unter den antikonvulsiven Substanzen aufgeführt wurde [1, 2, 56].

Eine deutsche Übersichtsarbeit stellt die Datenlage und Evidenz als vergleichbar mit der der Benzodiazepine dar [11]. Im Vergleich zur Behandlung mit Benzodiazepinen unterscheidet sich Clomethiazol nicht bezüglich der Wirksamkeit auf Entzugssymptome, Mortalität, Nebenwirkungshäufigkeit und schweren Komplikationen sowie Abbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen [7]. Clomethiazol ist auch wirksam bei der Behandlung des Alkoholentzugsdelirs [49]. Aufgrund der möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen sollte die Anwendung von Clomethiazol auch bei einer stationären Alkoholentzugsbehandlung unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle erfolgen. In der S3-Leitlinie erfolgte gegenüber den Benzodiazepinen aufgrund des Nutzen-Risiko Profils und der schlechteren Datenlage trotz hoher Evidenz und umfangreicher klinischer Erfahrung eine leichte Abstufung des Empfehlungsgrades (Tab. 2). Bezüglich der Wirksamkeit wird Clomethiazol jedoch im Vergleich zu den Benzodiazepinen als gleichwertig angesehen.

Antikonvulsiva.

Verschiedene Substanzen aus der Gruppe der Antikonvulsiva wurden insbesondere von deutschen Forschergruppen in den letzten Jahren bezüglich ihrer Wirksamkeit in der Therapie des Alkoholentzugssyndroms und zur Verhinderung von Entzugskrampfanfällen hypothesengeleitet mit hochwertigen Studiendesigns untersucht. Dabei zeigten sich bisher sehr differenzielle Bilder bezüglich der Wirksamkeit unterschiedlicher Substanzen auf das Alkoholentzugssyndrom oder die Anwendbarkeit zur Behandlung oder Verhinderung entzugsbedingter Krampfanfälle, sodass die Antikonvulsiva nicht wie die Benzodiazepine als Gruppe, sondern einzeln bewertet werden sollten. Unter den Antikonvulsiva hat nur Carbamazepin eine Zulassung zur Anfallsverhütung beim Alkoholentzugssyndrom.

In der vorhandenen Literatur und insbesondere in den systematischen Reviews wurden verschiedene antikonvulsiv wirkende Substanzen noch als gemeinsame Gruppe zusammengefasst [49]. Antikonvulsiva und Benzodiazepine unterschieden sich dabei nicht bezüglich der Häufigkeit von Alkoholentzugskrampfanfällen. Für Antikonvulsiva als Substanzgruppe konnte dagegen keine eigene Wirkung auf vegetative Entzugssymptome belegt werden. Bezogen auf einzelne Antikonvulsiva unterschied sich Carbamazepin nicht von Benzodiazepinen bezüglich der Delirhäufigkeit, zeigt aber sogar bezüglich der Entzugssymptome am Therapieende Vorteile. In einer weiteren systematischen Übersicht unterschieden sich Benzodiazepine und Antikonvulsiva nicht bezüglich der Häufigkeit von Alkoholentzugskrampfanfälle, Alkoholentzugsdelirien und der vegetativen Symptome (CIWA-Werte) nach 48 h und am Behandlungsende [2]. Trotz bisheriger Empfehlungen von Carbamazepin und Valproinsäure zur Monotherapie bei leichten bis mäßigen Entzugssyndromen (insbesondere bei Patienten, bei denen Benzodiazepine oder Clomethiazol nicht eingesetzt werden sollen) sollten sie nicht als Monotherapie im Falle schwerer Alkoholentzugssyndrome oder bei erhöhtem Risiko für Delirien eingesetzt werden [48]. Die aktuelle S3-Leitlinie fand aufgrund einer weitergehenden systematischen Literaturrecherche nun auch ausreichend Evidenz dafür, dass neben Carbamazepin und Valproinsäure auch Gabapentin und Oxcarbazepin zur Therapie leicht- bis mittelgradiger Alkoholentzugssyndrome eingesetzt werden können (Tab. 2; [3, 5, 11, 13, 16, 39, 43, 46, 48, 49, 5254, 67]).

Im Einzelfall können Antikonvulsiva eine Alternative sein

Aktuell besitzt allerdings kein Antikonvulsivum eine Zulassung für die Behandlung des vegetativen Entzugssyndroms. Gerade bei schweren somatischen Komorbiditäten sowie schweren Entzugskomplikationen wie Krampfanfällen trotz akuter Intoxikationen kann der Einsatz einiger Antikonvulsiva im Einzelfall aus klinischer Sicht jedoch eine wichtige Alternative mit weniger Verträglichkeitsrisiken und toxischen Risiken als mit Benzodiazepinen oder Clomethiazol darstellen.

Andere Substanzen.

Neben den genannten Kernsubstanzen zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms und Komplikationen gibt es weitere Substanzen, die sich zur additiven Behandlung spezieller Entzugssymptome eignen und in der klinischen Praxis etabliert sind. Beta-Blocker und Clonidin reduzieren die Entzugsschwere, v. a. die erhöhte Erregbarkeit des autonomen Nervensystems [3, 16, 25, 61, 85, 88]. Beide Substanzen eignen sich aufgrund der fehlenden antikonvulsiven und antideliranten Wirkung nicht zu einer Monotherapie des Alkoholentzugssyndroms, können aber in Ergänzung zu Benzodiazepinen oder Antikonvulsiva zur Behandlung vegetativer Entzugserscheinungen eingesetzt werden. Tiapridex hat sich in Ergänzung mit Antikonvulsiva (aufgrund der fehlenden eigenen antiepileptischen Potenz) vor allem im ambulanten Alkoholentzug als wirksam und sicher zur Behandlung vegetativ-motorischer Entzugssymptome erwiesen [7, 44, 51, 71, 72].

Neurolepetika wie Haloperidol werden beim Alkoholdelir mit Wahn- oder Halluzinationen empfohlen und müssen aufgrund der fehlenden eigenen Wirkung auf vegetative Entzugssymptome mit z. B. Benzodiazepinen kombiniert werden. Delirsymptome (Halluzinationen, Wahnsymptome oder Agitation) können durch die Kombination von Antipsychotika vom Butyrophenon-Typ (z. B. Haloperidol) mit Benzodiazepinen behandelt werden [3, 15, 55]. Der Einsatz für Alkohol oral oder intravenös wird durch die Literatur nicht unterstützt und wird daher für eine medizinisch überwachte Alkoholentzugsbehandlung nicht empfohlen [16].

Generell zu beachten ist das Risiko einer Wernicke-Enzephalopatie als schwere Komplikation einer Alkoholabhängigkeit im Rahmen eines Thiaminmangels [22, 79]. Die Behandlung des Alkoholentzugssyndroms sollte daher an eine vorübergehende Substitution mit Thiamin gekoppelt sein (z. B. täglich 2 × 100 mg oral über 7–14 Tage), zumal der Vitamin-B1-Serumspiegel chronisch Alkoholkranker auch mit deren Kleinhirnmasse positiv korreliert erscheint [45] und Vitamin-B1-Defizite in mehreren Hirnregionen auch bei nicht kompliziert verlaufenden Alkoholerkrankungen gefunden wurden [47].

Tab. 2 Pharmakotherapie des Alkoholentzugssyndroms

Zu weiteren Empfehlungen (Baclofen und Gamma-Hydroxybuttersäure im Entzug, Komorbiditäten, Schwangerschaft usw.) siehe Tab. 2 und Leitlinien [8, 40].

Psychotherapie alkoholbezogener Störungen

Psychotherapeutische Interventionen sind in fast jedem Stadium einer Abhängigkeit wichtig und Erfolg versprechend. Das gilt z. B. für die Motivationsförderung u. a. in der ärztlichen Praxis, der qualifizierten Entzugsbehandlung oder als Teil der Komplexbehandlung in der Entwöhnung bzw. als eigenständige ambulante Behandlung im Postakutstadium. Dennoch soll zur besseren Übersichtlichkeit dieses Artikels das Thema der Psychotherapie hier zusammengefasst und kompakt behandelt werden. Eine ausführliche Darstellung aller evidenzbasierten, psychotherapeutischen Verfahren und die Behandlungsempfehlungen sind in der der S3-Leitlinie zu finden [50].

Um die Wirksamkeit verschiedener psychotherapeutischer bzw. psychosozialer Behandlungsformen bei Menschen mit alkoholbezogenen Störungen abschätzen zu können, wurde im Rahmen der S3-Leitlinienentwicklung eine systematische und hierarchische Recherche der internationalen Literatur für den Zeitraum von 2005 bis 2012 durchgeführt: Vier internationale Leitlinien [12, 16, 54, 55], drei nationale Leitlinien, drei systematische Reviews der Cochrane Library [27, 63, 64] und 34 (aus 168 recherchierten) in PubMed gefundene Studien und Publikationen, drei nationale Behandlungsleitlinien, systematische Reviews, Metaanalysen und randomisiert-kontrollierte Studien wurden dazu untersucht. Die Ergebnisse der Recherche belegen, dass es verschiedene, sehr wirksame Interventionen gibt.

Motivationsförderung.

Diese strukturierte Intervention (z. B. „motivierende Gesprächsführung“) hat zum Ziel, die innere Ambivalenz eines Menschen aufzudecken und zugunsten einer Verhaltensveränderung aufzulösen. Verschiedene Studien belegen die Wirksamkeit motivationaler Interventionen gegenüber Kontrollgruppen [55]. Beispielsweise konnten Rosenblum und Kollegen [62] zeigen, dass der Alkoholkonsum in einer Gruppe (n = 139), die Motivationsförderung (mit Rückfallprävention) erhielt, auch nach 5 Monaten noch stärker reduziert war (Standard Mean Difference [SMD] = −0,31, Konfidenzintervall [KI]: 95 % −0,64; 0,03) als in der Kontrollgruppe. Die Leitlinie empfiehlt, dass Motivationsförderung im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden soll (Empfehlungsgrad A; Evidenzgrad 1a).

Kognitive Verhaltenstherapie.

Dieser Behandlungsansatz umfasst eine große Bandbreite an Therapien, die aus der kognitiven Verhaltenstherapie für affektive Störungen abgeleitet wurden [55]. Patient und Therapeut entwickeln gemeinschaftlich einen Behandlungsplan, um spezifische Therapieziele zu erreichen.

Essenziell ist dabei, Zusammenhänge zwischen Gedanken, Verhalten und Gefühlen zu erkennen.

Um den problematischen Alkoholkonsum bewältigen zu können, werden individuelle Strategien entwickelt. Interventionsformen wie Rückfallprophylaxe, soziales Kompetenztraining oder Problemlösen zählen zu den klassisch verhaltenstherapeutischen Interventionen.

In der britischen Alkoholleitlinie [55] belegten drei randomisiert-kontrollierte Studien mit 450 inkludierten Patienten die Wirksamkeit für kognitive Verhaltenstherapie im Vergleich zur Kontrollgruppen oder „treatment as usual“ (6-Monats-Follow-up: SMD = 0,75, KI: 95 %). In 13 randomisiert-kontrollierten Studien mit 2956 inkludierten Patienten wurden kognitiv-behaviorale Therapien mit anderen aktiven Interventionen verglichen. Ihre Effekte zeigten sich auch noch 18 Monate nach der Behandlung (SMD = −0,74, KI: 95 %). In einem Vergleich von sechs randomisiert-kontrollierten Studien mit 771 inkludierten Patienten zeigten verschiedene Formate kognitiv-behavioraler Therapien auch 6 bis 18 Monate nach Ende der Behandlung klare Effekte bei einer individualisierten gegenüber einer standardisierten Vorgehensweise (SMDqw = 0,39, KI: 98 %). In der Nachbefragung nach 15 Monaten zeigte sich ebenfalls eine Überlegenheit der Einzel- gegenüber der Gruppenintervention (SMD = 0,37, KI: 95 %).

Aufgrund der hohen Evidenz für die Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie bei der Behandlung der alkoholbezogenen Störungen wurde in der S3-Leitlinie ein Empfehlungsgrad A (Evidenzgrad 1a) vergeben.

Verhaltenstherapie mit Kontingenzmanagement.

Hierunter verstehen wir den systematischen Einsatz von Belohnung für das Erreichen positiver Therapieziele (z. B. Gutscheine, Geld). Für diese Form von Verhaltenstherapie wurden in der britischen Alkoholleitlinie [55] mittlere bis starke Effektstärken berechnet (Follow-up-Zeitpunkte bis zu 15 Monate). Die Leitliniengruppe bewertete systematische Verstärkerpläne als „schwierig in die klinische Praxis zu implementieren“ ein. Deshalb wurde ein Empfehlungsgrad B für die Anwendung von Verhaltenstherapie mit Kontingenzmanagement vergeben (Evidenzgrad 2b).

Psychodynamische Kurzzeittherapie.

Das Ziel dieser Behandlungsform ist das Explorieren und Verstehen intrapsychischer Konflikte, die zur Abhängigkeitsentwicklung geführt haben. Eine einzige randomisiert-kontrollierte Studie älteren Datums [55] kam zum Schluss, dass die psychodynamische Kurzzeittherapie (Gruppentherapie) 15 Monate nach Interventionsende einer kognitiv-behavioralen Rückfallprävention hinsichtlich der erzielten Abstinenzraten überlegen war. Keine Unterschiede zeigten sich jedoch in der Konsummenge, der Schwere des Trinkens oder der Haltequote. Die Qualität der Evidenz dieser Studie wurde in der britischen Alkoholleitlinie [55] als „moderat“ eingeschätzt. Insgesamt waren die Effektstärken jedoch gering, sodass in der S3-Leitlinie ein Empfehlungsgrad B vergeben wurde (Evidenzgrad 1b).

Einbeziehen von Angehörigen.

Eine randomisiert-kontrollierte Studie [37] mit 210 inkludierten Patienten untersuchte die Effektivität einer Therapie, die eine Veränderung des sozialen Netzwerks (z. B. Eltern, Partner, Geschwister, Kinder, andere Angehörige) bzw. des Wohn- und Arbeitsumfelds von Betroffenen anstrebte. Die Intervention führte im kontrollierten Vergleich zu mittleren Effektstärken (6-Monats-Follow-up: SMD = −0,75, KI: 95 %; 9-Monats-Follow-up: SMD = −0,70, KI: 95 %; 12-Monats-Follow-up: SMD = −0,59, KI: 95 %; 15-Monats-Follow-up: SMD = −0,68, KI: 95 %; 24-Monats-Follow-up: SMD = −0,49, KI: 95 %). In zwei randomisiert-kontrollierten Studien mit 989 Teilnehmern [36, 77] wurde der Ansatz gegenüber aktiven Interventionen getestet und zeigte leicht positive, jedoch nicht signifikante Effekte. Die NICE-Leitlinie [55] konnte ebenfalls die Wirksamkeit von Paartherapie in der Behandlung alkoholbezogener Störungen nachweisen.

Angeleitete Patientengruppen.

Der professionell angeleitete Einsatz von Selbsthilfematerialien (z. B. Bibliotherapie oder therapeutische Hausaufgaben) ist ebenfalls wirksam. Im kontrollierten Vergleich mit der Anwendung von Selbsthilfematerialien ohne professionelle Unterstützung (n = 92 Teilnehmer) zeigten sich geringe Effektstärken [4]. Aufgrund der geringen Anzahl an vorhandenen Studien wurde von der Leitliniengruppe ein Empfehlungsgrad B vergeben (Evidenzgrad 2b; [50]).

Neurokognitives Training.

Unabhängig von der systematischen Literaturrecherche lagen der Leitliniengruppe zwei randomisiert-kontrollierte Studien vor, in denen die Wirksamkeit eines neurokognitiven Trainings getestet wurde [19, 84]. Für das dort beschriebene Alkoholablehnungstraining am Computer wurde mit klinischem Konsens eine Empfehlung ausgesprochen.

Multiprofessionelles Team.

Ferner bestand in der Leitliniengruppe klinischer Konsens (KKP) zur Wirksamkeit der Behandlung von Alkoholabhängigen durch ein multiprofessionelles Team sowie im Rahmen einer Komplexbehandlung mit mehreren therapeutischen Elementen, wie sie in Deutschland im Rahmen der stationären und der ganztägig ambulanten medizinischen Rehabilitation Sucht etabliert ist.

Empfehlung 7: psychotherapeutische Behandlung

Motivationale Interventionsformen sollen im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden.

  • Gesamtabstimmung: 96,7 %

  • Empfehlungsgrad: A

  • Evidenzgrad: 1a

Kognitive Verhaltenstherapie soll im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden.

  • Gesamtabstimmung: 96,8 %

  • Empfehlungsgrad: A

  • Evidenzgrad: 1a

Kontingenzmanagement sollte im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden.

  • Gesamtabstimmung: 84,8 %

  • Empfehlungsgrad: B

  • Evidenzgrad: 2b

Angehörigenarbeit soll im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden.

  • Gesamtabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: A

  • Evidenzgrad: 1b

Paartherapie soll im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden.

  • Gesamtabstimmung: 93,4 %

  • Empfehlungsgrad: A

  • Evidenzgrad: 1b

Psychodynamische Kurzzeittherapie sollte im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden.

  • Gesamtabstimmung: 97 %

  • Empfehlungsgrad: B

  • Evidenzgrad: 1b

Angeleitete Patientengruppen sollten im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden.

  • Gesamtabstimmung: 93,8 %

  • Empfehlungsgrad: B

  • Evidenzgrad: 2b

Neurokognitives Training (NKT) kann im Rahmen der Postakutbehandlung angeboten werden.

  • Gesamtabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: KKP

  • Evidenzgrad: nicht anwendbar

Bei Alkoholabhängigkeit soll eine Entwöhnung als Komplexbehandlung angeboten werden, die eine Kombination verschiedener Interventionen umfasst und durch ein multiprofessionelles Team durchgeführt wird.

  • Gesamtabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: KKP

  • Evidenzgrad: nicht anwendbar

Somit liegen Wirksamkeitsnachweise für die heute gängigen Psychotherapieverfahren vor, allerdings wurden in keiner der Studien unerwünschte Ereignisse berichtet oder systematisch erfasst. Daher wird die Durchführung weiterer Studien unter Erfassung unerwünschter Wirkungen empfohlen.

Pharmakotherapie in der Postakutbehandlung

In der NICE-Leitlinie [55] wurde die Effektivität verschiedener Arzneimittel in der Entwöhnungstherapie alkoholabhängiger Patienten (Ausschluss leichter Abhängigkeitsstörung aufgrund mangelnder Studienzahl) getestet.

Acamprosat.

Hinsichtlich der Wirksamkeit von Acamprosat finden sich 19 placebokontrollierte RCTs mit 4629 Patienten (stationär und ambulant) mit einer mittleren bis schweren Abhängigkeitserkrankung. Die Ergebnisse stellen sich wie folgt dar: Gefunden wurde ein signifikanter, aber kleiner Effekt von RR (relatives Risiko) = 0,83 bezüglich der Aufrechterhaltung der Abstinenz über einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten nach der Behandlung. Darüber hinaus fanden sich signifikante Effekte hinsichtlich der Rückkehr zum schweren Trinken nach 3 (RR = 0,95), 6 (RR = 0,81) bzw. 12 (RR = 0,96) Monaten. Insgesamt erwies sich Acamprosat insbesondere bei psychiatrisch unauffälligen, funktional konsumierenden Abhängigen als wirksam.

Naltrexon.

Die Substanz Naltrexon wurde in 27 RCTs (n = 4296) mit einem Placebo und in vier weiteren RCTs (n = 957) mit Acamprosat verglichen. Es zeigten sich signifikante, jedoch kleine Effekte bezüglich des Zeitraums bis zum ersten Rückfall (SMD = −0,28) sowie der Anzahl schwerer Trinktage (SMD = −0,43) zugunsten von Naltrexon. Bezüglich der Kombination von Naltrexon und Acamprosat ließ sich kein signifikanter Effekt gegenüber Naltrexon allein hinsichtlich der Rückkehr zum schweren Trinken nach 3 Monaten finden. Bei Betrachtung der Rückfallraten nach 6 Monaten konnte jedoch eine signifikante moderate Überlegenheit der Kombination von Naltrexon mit Acamprosat festgestellt werden (RR = 0,44).

Disulfiram.

Insgesamt sieben einfach verblindete Studien (keine Verblindung des Betreuers) untersuchen die Wirksamkeit von Disulfiram. In drei placebokontrollierten Studien mit 859 Teilnehmern ließen sich keine Effekte zugunsten Disulfirams finden. Eine Studie (n = 243), die die Wirksamkeit von Disulfiram gegenüber Acamprosat prüfte, konnte eine leichte Überlegenheit von Disulfiram sowohl bezüglich der Abstinenzdauer (SMD = −0,084) als auch der Menge des Konsums feststellen. Ähnliche Ergebnisse wurden in zwei Studien (n = 343) zum Vergleich von Disulfiram mit Naltrexon gefunden. Eine entsprechende Übersicht ist auch in dem Review von Krampe und Ehrenreich [34] zu finden. Trotz der nur sehr schwach belegten Evidenz für Disulfiram wünschen sehr schwer abhängige Patienten oft selbst eine Verordnung. Allerdings stellte die für den deutschen Bedarf produzierende Firma 2011 die Herstellung ein. Daher kann Disulfiram nur aus dem Ausland bezogen werden. Eine Verschreibung ist nur als „off label use“ möglich, die Kosten werden nicht mehr von den Krankenkassen erstattet. Für die Anwendung von Disulfiram („Antabus“) bei Alkoholabhängigen müssen die „Off-label-use“-Kriterien berücksichtigt werden: nachgewiesene Wirksamkeit, günstiges Nutzen-Risiko-Profil, fehlende Alternativen – Heilversuch.

Nalmefen.

Die Wirkung des Medikaments bei Alkoholabhängigen wurde in vier doppelt blind konzipierten RCT-Studien (insgesamt rund 2500 Patienten) belegt [26, 32, 41, 80]. Bei Betrachtung der Placebogruppe zeigt sich eine signifikante Reduktion der schweren Trinktage und des gesamten Alkoholkonsums über 6 bis 12 Monate. Vergleicht man die beiden Gruppen Nalmefen vs. Placebo, so konnte unter Gabe von Nalmefen die Anzahl schwerer Trinktage sowie die pro Trinktag konsumierte Menge im Vergleich zur Placebogruppe weiter reduziert werden. In diesen Studien war eine regelmäßige psychosoziale Beratung obligat. Da nur eine Publikation [32] in den Zeitraum der systematischen Recherche fiel (2005 bis 2012), wurde für die Behandlung mit Nalmefen auf Basis der mittels „Handrecherche“ gefundenen übrigen Publikationen eine Empfehlung auf dem Niveau KKP ausgesprochen.

Fazit für die Praxis

  • Neue Leitlinien ermöglichen ein früheres Erkennen und evidenzbasierte Interventionen.

  • Das eröffnet Psychiatern und Psychotherapeuten die Chance, deutlich mehr Patienten mit alkoholbezogenen Störungen als in der Vergangenheit zu helfen.