Die Alkoholabhängigkeit ist eine schwere und chronisch rezidivierend verlaufende psychische Krankheit, deren große medizinische und sozioökonomische Bedeutung angesichts der vorliegenden epidemiologischen Befunde unbestritten ist: Etwa 1,6 Mio. Bundesbürger sind alkoholabhängig und 2,7 Millionen Erwachsene betreiben einen schädlichen Konsum [24].

Die traditionelle Auffassung eines einmalig zu durchlaufenden „therapeutischen Königsweges“, der über ambulante Beratung, stationäre Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung zur Abstinenz führt, entspricht nicht den Krankheitsverläufen und der Versorgungsrealität. Diese sind vielmehr von häufigen Wechseln zwischen stabileren Phasen und erneuten Rückfällen und Krisen, wechselnden Motivationslagen, komorbiden Störungen und repetitiver Inanspruchnahme unterschiedlicher Hilfsangebote gekennzeichnet. Dabei behindert die strikte sozialrechtliche Trennung von Entzugsbehandlung und Entwöhnung eine wohnortnahe und kontinuierliche Therapie. Ein großer Teil der Betroffenen wird von den bestehenden Beratungs- und Behandlungsangeboten überhaupt nicht erreicht. Viele hausärztliche Behandlungen oder stationäre Therapien in Allgemeinkrankenhäusern beschränken sich im Wesentlichen auf die sog. Entgiftung oder die Behandlung körperlicher Folgeerkrankungen [20]. Obwohl nur etwa 3% aller alkoholabhängigen Patienten in psychiatrischen Kliniken behandelt werden [26], machen Suchtkranke in psychiatrischen Krankenhäusern und Abteilungen gegenwärtig bis zur Hälfte aller Aufnahmen aus.

Die Akutbehandlung alkoholabhängiger Patienten in psychiatrischen Kliniken (auf die Problematik der üblichen, sozialrechtlich geprägten Begriffe wie „Entgiftung“ oder „Entzugsbehandlung“ soll hier nicht eingegangen werden) ist trotz ihrer großen quantitativen Bedeutung bisher nur wenig untersucht worden. Sie wird im Kanon der unterschiedlichen Behandlungsangebote offenbar kaum als etwas Eigenständiges wahrgenommen und ist bisher nur selten hinsichtlich ihrer Ergebnisse analysiert worden (Ausnahme: [45]). Sehr viel besser evaluiert und im traditionellen Verständnis als die „eigentliche“ Therapie angesehen sind die längerfristigen, meist stationär durchgeführten Entwöhnungsbehandlungen [23, 33], die in Deutschland allerdings nur von etwa 3% der Patienten in Anspruch genommen werden [26]. Hinsichtlich der Akutbehandlung befasst sich die Mehrzahl der Studien mit pharmakologischen Strategien im Rahmen des Alkoholentzugs (Übersicht u. a. in [48]). Darüber hinaus sind aus dem deutschen Sprachraum vor allem die Untersuchungen zur sog. „Qualifizierten Entzugsbehandlung“ (u. a. [10, 44, 42, 2] hervorzuheben. Diese Untersuchungen haben Vorteile länger andauernder Behandlungen nachgewiesen, die Elemente einer gezielten Motivationsförderung beinhalten. Wenige Studien liegen bisher zu ambulanten oder tagesklinischen Behandlungsprogrammen vor [41, 46, 35].

Diese Untersuchung evaluiert die stationäre Akutbehandlung alkoholabhängiger Patienten unter den gegenwärtigen Versorgungsbedingungen in 5 psychiatrischen Fachkrankenhäusern des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Die Studie verfolgte dabei mehrere Ziele:

  1. 1.

    eine Beschreibung der behandelten Klientel,

  2. 2.

    die Dokumentation der kurzfristigen Behandlungsergebnisse und

  3. 3.

    eine Analyse von Erfolgs- und Risikofaktoren.

Die stationäre Behandlung alkoholabhängiger Patienten im psychiatrischen Krankenhaus steht vielerorts unter einem zunehmenden Druck der Sozialleistungsträger, die den Behandlungsauftrag auf eine eng definierte körperliche Entgiftung reduzieren, die Behandlungsdauer drastisch limitieren und alle weitergehenden Behandlungen zu Lasten der für die Rehabilitation zuständigen Rentenversicherungen vorschlagen. Dies hat zu einer erheblichen Verkürzung der einzelnen Behandlungsepisoden und einer steigenden Wiederaufnahmerate geführt [37, 36]. Aus diesen Gründen soll der Faktor „Behandlungsdauer“ eine besondere Beachtung finden.

Methode

Es handelt sich um eine prospektive, multizentrische und naturalistische Evaluationsstudie. Der Katamnesezeitraum beträgt 3 Monate, so dass nur kurzfristige Veränderungen erfasst werden, die sich mit genügender Wahrscheinlichkeit als Effekte der Intervention interpretieren lassen. Die Untersuchung wurde in den Suchtabteilungen von 5 Fachkrankenhäusern mit Versorgungsauftrag in Trägerschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) durchgeführt, der Rekrutierungszeitraum betrug 3 Monate (Januar bis April 2001). Alle Abteilungen bieten ein vergleichbares Behandlungsprogramm, das psychiatrische und somatische Diagnostik, Pharmakotherapie des Entzugssyndroms, Diagnostik und Therapie komorbider psychischer Störungen, ärztliche bzw. psychologische Einzel- und Gruppentherapie, Infogruppen, Kontakte zu Selbsthilfegruppen, sozialarbeiterische Beratung, pflegerische Maßnahmen sowie soziotherapeutische Angebote umfasst. Die Ähnlichkeit der Behandlungsprogramme ergibt sich durch die für alle Abteilungen geltende Personalverordnung-Psychiatrie, welche die Berufsgruppen in der Behandlung vorgibt. Darüber hinaus wurden die bei den untersuchten Patienten tatsächlich durchgeführten Therapiemaßnahmen erhoben (s. Tabelle 2). Im Vergleich der Kliniken zeigte sich eine relativ große Homogenität in den applizierten Maßnahmen (Einzelheiten sind hier nicht dargestellt).

  • Erfolgskriterien

    Die Ergebnisse der stationären Therapie sollen daran bewertet werden, inwieweit nach drei Monaten eine positive Veränderung des Trinkverhaltens (Abstinenz, Reduktion der Trinkmenge, keine erneute alkoholbedingte Akutbehandlung) und eine bessere Einbindung in das Suchthilfesystem erreicht wurden.

  • Einschlusskriterien

    1. 1.

      Aufnahme in eine der beteiligten Suchtabteilungen innerhalb des 3-monatigen Rekrutierungszeitraumes,

    2. 2.

      Hauptdiagnose Alkoholabhängigkeit, ICD 10: F10.2x, dabei Ausschluss von Patienten mit einem primär politoxikomanem Konsummuster,

    3. 3.

      Lebensalter zwischen 18–60 Jahre,

    4. 4.

      Lebensmittelpunkt im Versorgungsgebiet der Klinik,

    5. 5.

      Mindestdauer der stationären Behandlung von 3 Tagen,

    6. 6.

      keine sprachlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen, die eine Teilnahme an der Studie unmöglich machen,

    7. 7.

      schriftliches Einverständnis zur Teilnahme (informed consent).

  • Untersuchungsablauf

    Die eingeschlossenen Patienten wurden zwischen dem 2. und 4. Tag nach Aufnahme durch freigestellte Mitarbeiter des ärztlichen, psychologischen und sozialarbeiterischen Dienstes der Suchtabteilungen bzw. durch eingearbeitete Studierende der Psychologie bzw. der Sozialarbeit untersucht. Ein Teil der Instrumente (SCL-90R, SOCRATES, SF-12) wurde in wöchentlichem Abstand erneut appliziert. Die katamnestische Befragung nach 3 Monaten erfolgte bei zwei Drittel der Patienten telefonisch, die übrigen wurden persönlich interviewt. Dabei wurden die Patienten von denselben Mitarbeitern befragt wie bei der Eingangsuntersuchung.

    Der Einsatz des Telefons in Untersuchungen zum Konsum von Alkohol ist ein gängiges Verfahren [34]. Weder aus methodischen Begleitstudien von Bevölkerungssurveys [17, 28] noch von Follow-up-Studien [6, 4] sind eindeutige empirische Ergebnisse bekannt, welche die Datenqualität von Telefonbefragungen in Frage stellen. Der Einsatz des Telefons in der Nachbefragung erscheint vielmehr als ein praktikabler Kompromiss, was auch von der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) in dieser Weise bewertet wird [7].

  • Untersuchungsinstrumente

    Soziodemographische Daten sowie Angaben zur Behandlungsvorgeschichte und zum sozialen Netz wurden in Anlehnung an die deutsche Version des Addiction Severity Index (ASI) [27, 18] erfasst. Zur Indexbehandlung wurden die Umstände der Aufnahme (Notfallaufnahme ja/nein, Rechtsgrundlage, Atemalkoholkonzentration bei Aufnahme etc.), alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie die Entlassungsmodalitäten und die Behandlungsdauer dokumentiert. An standardisierten Instrumenten kamen die deutschen Versionen des SOCRATES [30, 47], der Befindlichkeitsliste SCL-90R [14], des Lebensqualitätsinstruments SF-12 [38], der GAF [19] sowie der CGI [32] zum Einsatz.

Für die Diagnostik komorbider psychischer Störungen, die in allen Abteilungen nach den Kriterien der ICD-10 erfolgt, mussten die klinischen, von den zuständigen Oberärzten bestätigten Diagnosen herangezogen werden. Zum Trinkverhalten vor der Indexaufnahme bzw. vor der Katamneseuntersuchung wurde die jeweilige Anzahl der Trink- und der Rauschtage in den letzten vier Wochen erfragt. Bezüglich der letzten 7 Tage vor Aufnahme bzw. Nachuntersuchung wurde die Trinkmenge nach Getränken getrennt für jeden Tag gesondert erhoben und in konsumierte Gramm Alkohol umgerechnet. Darüber hinaus wurden zu beiden Untersuchungszeitpunkten die Einbindung in das (Sucht-)Hilfesystem (Kontakt zu Beratungsstellen, Besuch von Selbsthilfegruppen, Antritt einer Entwöhnungsbehandlung, Kontakt zu Haus- oder Fachärzten etc.) erfasst. Schließlich wurden erneute stationäre Krankenhausbehandlungen wegen der Alkoholproblematik im Katamnesezeitraum dokumentiert.

Stichprobe

Unter den genannten Einschlusskriterien wurden 479 Patienten in die Untersuchung einbezogen. Hundert Patienten lehnten die Teilnahme an der Studie ab. Drei Monate nach der Entlassung konnten 411 Patienten (85,8%) nachbefragt werden. Die 68 nicht wiederbefragten Patienten unterschieden sich in wesentlichen soziodemographischen und anamnestischen Merkmalen nicht signifikant von der übrigen Stichprobe. Allerdings wurden sie etwas häufiger gegen ärztlichen Rat entlassen, hatten weniger Kontakte zum Hilfesystem und partizipierten im Rahmen der stationären Behandlung weniger an den therapeutischen Angeboten.

Bei den 479 Patienten handelt es sich um 373 Männer (77,9%) und 106 Frauen (22,1%), die im Mittel 42,2 Jahre (± 8,6) alt sind. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht über wichtige soziodemographische und anamnestische Daten. Es finden sich überwiegend lange Krankheitsverläufe mit zahlreichen Vorbehandlungen und Komplikationen. Die Suchterkrankung hat zu erheblicher sozialer Desintegration geführt, die prämorbiden Voraussetzungen sind vielfach ungünstig. Bei 269 Patienten (56,2%) wurde von der behandelnden Abteilung mindestens eine komorbide psychische Störung diagnostiziert. Darunter waren 139 Patienten (29,0%) mit einer depressiven Störung, 68 Patienten (14,2%) mit einer Belastungsreaktion und 97 Patienten (20,3%) mit einer Persönlichkeitsstörung (Mehrfachnennungen). Zwischen den beteiligten Abteilungen finden sich im Hinblick auf die Klientel überraschend große Unterschiede, die an anderer Stelle dargestellt werden.

Tabelle 1. Soziodemographische und anamnestische Merkmale

Ergebnisse

Indexbehandlung

Relativ häufig (26,7%) sind notfallmäßige Aufnahmen ohne vorherige Absprachen. 72,9% der Untersuchten waren bei Aufnahme intoxikiert. Im Mittel lag die Atemalkoholkonzentration der alkoholisierten Patienten bei 1,92 Promille (±1,01), der Median lag bei 1,99 Promille. Im Durchschnitt betrug die Behandlungsdauer 13,7 Tage (±10,02), wobei zu berücksichtigen ist, dass nur Patienten mit einer Verweildauer von mindestens 3 Tagen eingeschlossen wurden. Die Spanne reichte von 3–81 Tagen, der Median lag bei 11 Tagen.

Bei 79% der Patienten erfolgte eine spezifische Pharmakotherapie des Entzugssyndroms, am häufigsten mit Clomethiazol (56%), Carbamazepin (45%) bzw. Benzodiazepinen (10%,) allein oder in Kombination. Die Patienten nahmen aktiv und mit einer hohen zeitlichen Konstanz an den Therapieangeboten teil. Tabelle 2 enthält Angaben zu den häufigsten therapeutischen Aktivitäten. Erwartungsgemäß korreliert die Verweildauer mit der Anzahl der wahrgenommenen therapeutischen Maßnahmen hoch (r=0,608, p<0,001, Pearson-Test).

Tabelle 2. Anzahl therapeutischer Maßnahmen während der Indexbehandlung

Im Verlauf der stationären Therapie lassen sich sowohl in der Fremd- wie in der subjektiven Selbsteinschätzung positive Veränderungen belegen. Aufgrund der entlassungsbedingt kleiner werdenden Stichproben werden hier nur die Daten dargestellt, die bei Erstuntersuchung und nach weiteren 7 Tagen erhoben wurden. Im Mittel stieg der Score der GAF von 44,2 Skalenpunkten (±13,6) auf 56,7 (±14,3, p<0,001, paarweiser T-Test). Parallel sank die globale Einschätzung der Krankheitsschwere (CGI) von 6,02 (±0,78) auf 4,6 (±1,32, p<0,001, paarweiser T-Test). Ebenso fand sich in allen Bereichen ein signifikanter Rückgang der subjektiv wahrgenommenen Symptome (SCL-90R), der bei den Subskalen Depressivität und Ängstlichkeit am deutlichsten ausfiel (Tabelle 3). Auch die mit dem SF-12 erhobene subjektive gesundheitsbezogene Lebensqualität verbesserte sich zwischen den beiden Messzeitpunkten signifikant im Bereich der psychischen und körperlichen Gesundheit. Die Motivationslage der Patienten, gemessen mit dem SOCRATES, verbesserte sich leicht, aber hochsignifikant im Bereich „Schritte zur Veränderung unternehmen“ (Taking Steps), allerdings nicht in der Anerkennung der Alkoholproblematik (Recognition). Die Subskala Ambivalenz zeigte einen leichten, aber signifikanten Rückgang.

Tabelle 3. Subjektive Befindlichkeit, subjektive gesundheitsbezogene Lebensqualität und Behandlungsmotivation nach Aufnahme (T1) und nach 7 Tagen (T2)

Katamnese

Drei Monate nach der Entlassung gaben 222 der wiederbefragten Patienten an, wieder mit Alkohol rückfällig geworden zu sein. Bei konservativer Betrachtung, also wenn alle nicht wieder Befragten als rückfällig gewertet werden, sind somit 60,5% (222+68 von 479 Patienten) rückfällig geworden. Betrachtet man nur die Nachuntersuchten sind es 54% (222 von 411). Die Abstinenzrate nach 3 Monaten liegt somit bei konservativer Betrachtung bei 39,5%, bezogen auf die Stichprobe der Nachuntersuchten bei 46%. Alle nachfolgenden Ergebnisse beziehen sich nur auf die Stichprobe der 411 wiederbefragten Patienten.

Auch die nicht abstinent gebliebenen Patienten profitierten von der Behandlung. Trinkmengen und Trinkhäufigkeit waren nach 3 Monaten geringer als im vergleichbaren Zeitraum vor der Aufnahme. Bei den rückfälligen Patienten verringerte sich die mittlere Anzahl der Trinktage in den vier Wochen vor Indexbehandlung bzw. Nachuntersuchung von 18,1 auf 9,7 Tage (Wilcoxon-Test: p<0,001). In einer ähnlichen Größenordnung verringerte sich auch die durchschnittliche Anzahl der Tage mit einem alkoholbedingten Rausch, nämlich von 9,7 auf 4,5 Tage (Wilcoxon-Test: p<0,001). Exakte Trinkmengenangaben für die letzten 7 Tage vor dem Katamneseinterview konnten für 100 Patienten erhoben werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle rückfälligen Patienten auch in den 7 Tagen vor dem Interview Alkohol konsumiert hatten. Im Vergleich verminderte sich die Menge des konsumierten reinen Alkohols von durchschnittlich 1344 g (±1133) in der Woche vor Aufnahme auf 967 g (±926, Wilcoxon-Test: p<0,001).

Im Katamnesezeitraum traten 115 Patienten (28,0%) eine stationäre Entwöhnungsbehandlung an. Erwartungsgemäß blieben diese Patienten häufiger abstinent (n=74, 64,3%). Demgegenüber wurden 109 Patienten (26,5%) wegen ihres Alkoholproblems erneut in stationäre Krankenhausbehandlung aufgenommen. Der Anteil der Patienten, die in den 4 Wochen vor Indexbehandlung bzw. vor Katamnese mindestens einmal eine Selbsthilfegruppe besucht hatten, stieg von 20,2% auf 38,2% (Mc-Nemar-Test: p<0,001).

Fasst man die Angaben zum Trinkverhalten und zur Inanspruchnahme von erneuter Krankenhausbehandlung zusammen, lassen sich drei Gruppen unterscheiden:

  • Gruppe 1

    189 Patienten (46,0%) blieben in den 3 Monaten abstinent.

  • Gruppe 2

    63 Patienten (15,3%) wurden rückfällig, allerdings konsumierten die Männern in den 7 Tagen vor der Nachbefragung weniger als 60 g reinen Alkohol und die Frauen weniger als 40 g pro Tag (riskanter Konsum nach den Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie [7]) und kein Patient wurde wegen des Alkoholproblems erneut stationär aufgenommen.

  • Gruppe 3

    159 Patienten (38,7%) gaben entweder einen riskanten Alkoholkonsum in den 7 Tagen vor der Nachuntersuchung an und/oder wurden erneut in stationäre Krankenhausbehandlung aufgenommen.

Prädiktoren

Im Folgenden werden 2 logistische Regressionsmodelle vorgestellt, welche Prädiktoren zentraler Ergebnisparameter berechnen. Ein Modell analysiert Einflussfaktoren für ein schlechtes Outcome am Ende des Katamnesezeitraums (Gruppe 3), ein 2. Modell untersucht Prädiktoren für eine erneute stationäre (Entzugs-)Behandlung.

Tabelle 4 zeigt die Faktoren, die ein schlechtes Ergebnis im Sinne der oben beschriebenen Gruppe 3 prädizieren. In das Modell wurden alle univariat signifikanten Items aufgenommen. Das Behandlungsergebnis wird von anamnestischen Merkmalen, von Merkmalen der Behandlungsepisode sowie von sozialen Faktoren beeinflusst: Häufige stationäre Vorbehandlungen in den letzten 6 Monaten vor der Indexbehandlung wirken sich negativ auf das Outcome nach 3 Monaten aus. Wer bei Aufnahme stark alkoholisiert und wenig motiviert ist, hat ebenso ein deutlich höheres Risiko für ein schlechtes Ergebnis, wie die Patienten mit einem niedrigen psychosozialen Funktionsniveau (GAF) bei Aufnahme. Einen weiteren Prädiktor stellt die Behandlungsdauer dar. Patienten, die innerhalb von 7 Tagen entlassen werden, haben im Vergleich zu denen, die 16 Tage und länger behandelt werden, ein knapp 3fach erhöhtes Risiko, in die Gruppe mit dem schlechten Behandlungsergebnis zu gehören. Auch Patienten mit einer Behandlungsdauer zwischen 8 und 15 Tagen haben immer noch ein erhöhtes Risiko. Hinsichtlich der sozialen Einflussfaktoren erwies sich, dass Patienten, die ihre Freizeit entweder allein oder überwiegend mit Personen verbringen, die ebenfalls Alkoholprobleme haben, ein deutlich höheres Risiko für einen schlechten Verlauf haben als diejenigen, deren soziales Netz mehrheitlich aus Personen ohne Alkoholprobleme besteht. Weiterhin ist schon allein die Anzahl der angegebenen Vertrauenspersonen von erheblicher Bedeutung. Mit zunehmender Größe eines sozialen Netzes von Vertrauenspersonen sinkt das Risiko für ein schlechtes Ergebnis signifikant.

Tabelle 4. Prädiktoren eines ungünstigen Behandlungsergebnisses (schwerer Rückfall und/oder erneute stationäre Behandlung), logistische Regression

Tabelle 5 gibt die Faktoren wieder, die eine kurzfristige stationäre Wiederaufnahme prädizieren. Stichprobe bei dieser Analyse sind die 222 rückfälligen Patienten. Wiederum wurden alle univariat signifikanten Variablen in das logistische Regressionsmodell aufgenommen. Häufige Vorbehandlungen prädizieren weitere stationäre Behandlungen. Patienten, die sich während der Indexaufnahme als unsicher erlebten (Subscore im SCL-90R) hatten ebenfalls eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit für die erneute stationäre Behandlung. Auch die Dauer der Indexbehandlung steht in einem Zusammenhang mit dem Risiko der erneuten Hospitalisierung. Während Patienten mit einer Behandlungsdauer von bis zu 7 Tagen 5-mal eher wieder in die Behandlung gehen als Patienten mit 16 und mehr Tagen, ist dieses Risiko bei einer Behandlungsdauer zwischen 8 und 15 Tagen immerhin noch um das 2,6fache bis 2,9fache erhöht. Auch Patienten, die eine Selbsthilfegruppe besuchten, wurden ebenfalls häufiger wieder in ein Krankenhaus aufgenommen, die Wahrscheinlichkeit hierfür ist um den Faktor 2,2 erhöht. Vermutlich ist dieses überraschende Ergebnis auf ein schnelleres Erkennen von Rückfällen durch Mitglieder der Selbsthilfegruppen und deren Unterstützung zur raschen Beendigung des Rückfalls zurückzuführen.

Tabelle 5. Prädiktoren einer erneuten stationären Behandlung (nur rückfällige Patienten; n= 222), logistische Regression

Diskussion

Diese Studie evaluiert die Akutbehandlung alkoholabhängiger Patienten in 5 psychiatrischen Fachkrankenhäusern. Um diese große und für die klinische Versorgungspraxis weitgehend repräsentative Stichprobe untersuchen zu können, waren methodische Einschränkungen hinzunehmen. So konnten nicht alle Patienten in einem persönlichen Interview nachuntersucht werden und auf zusätzliche Validierungen der Patientenangaben wie Fremdanamnese, Labor oder Trinktagebuch musste verzichtet werden. Der Aufwand solcher Prozeduren steht einer entsprechenden Untersuchung aus dem Projekt „MATCH“ zufolge allerdings in keiner positiven Relation zum Nutzen [1]. Die hohe Wiederbefragungsquote von fast 86% stärkt dagegen die Repräsentativität der Ergebnisse. Methodische Einschränkungen sind weiterhin im Hinblick auf die Diagnostik komorbider Störungen zu machen, die nicht in Form standardisierter diagnostischer Interviews ermittelt werden konnten. Vielmehr mussten wir auf klinische Diagnosen zurückgreifen, die zudem auf Grund der kurzen Verweildauer praktisch in der Entzugssituation gestellt wurden. Dadurch wird die diagnostische Sicherheit unabhängig von der Methode weiter eingeschränkt [22, 15, 9]. Es kann dabei sowohl zu einer Über- wie Unterschätzung der Komorbidität kommen. Dies gilt insbesondere für die Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen, hier unterschätzt unser Resultat sicherlich die tatsächliche Morbidität.

Hinsichtlich soziodemographischer und krankheitsbezogener Merkmale entspricht unser Klientel im Wesentlichen den Stichproben vergleichbarer deutscher Untersuchungen (z. B. [25, 39, 2]) aus psychiatrischen Versorgungskliniken. Trotz der genannten methodischen Einschränkungen gilt dies auch für das Ausmaß wichtiger komorbider psychischer Störungen. In der großen deutschen Multicenterstudie von Schneider et al. [39] fand sich eine 6-Monats-Prävalenz von 53% der Patienten mit einer Achse-I-Störung (erhoben mit dem Mini-DIPS nach mindestens 10 Tagen Abstinenz), während in unserer Stichprobe bei 56% mindestens eine komorbide psychische Störung diagnostiziert wurde. Auch die Rate depressiver Störungen lag mit 29% nur geringfügig höher als in der genannten Untersuchung von Schneider et al. [39], die 24% fanden. Eine deutlich niedrigere Rate affektiver Störungen mit 13% wurde dagegen von Driessen et al. [8] in einem stationären Sample gefunden. Allerdings waren bei dem untersuchten Patientenklientel besonders schwierige und chronische Verläufe ausgeschlossen worden.

Ein großer Teil der von uns untersuchten Patienten profitiert nachweislich von der stationären Intervention. Schon während der Behandlung sind sowohl in der Einschätzung der Therapeuten als auch in der Selbsteinschätzung der Patienten Verbesserungen des Gesundheitszustandes zu registrieren. Bei konservativer Betrachtung blieben knapp 40% der Patienten über die 3 Monate abstinent, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass 39% der Abstinenten in den 3 Monaten eine Entwöhnungsbehandlung antraten. Der Anteil abstinenter Patienten entspricht in etwa den Ergebnissen von deutschen Evaluationsstudien zum qualifizierten Entzug. So fanden Lange et al. [25] nach 4 Monaten eine Abstinenzrate von 34,5%. Bei einer anderen Stichprobe aus der Universitätsklinik Lübeck, bei der verschiedene Motivationsinterventionen (Einzelberatung vs. Gruppentherapie) evaluiert wurden, fanden John et al. [21] nach 6 Monaten bei konservativer Berechnung eine Abstinenzrate von 29%. Im Sinne der „harm reduction“ ist auch die Verminderung von Trinktagen und Trinkmengen bei den rückfälligen Patienten als Erfolg zu bewerten.

In einem bestimmten Umfang gelingt es, die Patienten zu weiteren Behandlungsschritten zu motivieren, wobei sicher nicht alle Ergebnisse ausschließlich auf die stationäre Intervention zurückzuführen sind. Knapp 30% der Untersuchten traten innerhalb der 3 Monate eine Entwöhnungsbehandlung an. Dies sind mehr als in einigen anderen deutschen Untersuchungen [21, 25] gefunden wurden. Stetter und Mann [42] berichten allerdings von einer Quote von 46% der Patienten, die eine Entwöhnung innerhalb von 8 Monaten nach einer qualifizierten Entzugsbehandlung angetreten haben. Weiterhin ist die deutliche Steigerung der Inanspruchnahme von Selbsthilfegruppen nach der Indexbehandlung positiv zu bewerten. Knapp 40% unserer Patienten hatten im Katamnesezeitraum eine Selbsthilfegruppe besucht. Dies ist etwas geringer als die Quote vom 46%, die Lange et al. [25] berichteten.

Die Ergebnisse müssen aber auch kritisch diskutiert werden. Über 60% der Behandelten haben schon nach 3 Monaten wieder Alkohol konsumiert. Dabei sind besonders die 40% der Nachuntersuchten hervorzuheben, die in der letzten Woche vor der Katamnese exzessiv konsumiert hatten und/oder erneut in stationäre Behandlung kamen. Wie in den multivariaten Analysen deutlich wird, handelt es sich hierbei überwiegend um chronisch Kranke mit häufigen Vorbehandlungen und einer Einengung der sozialen Kontakte zu ebenfalls Alkoholabhängigen. Für diese Patienten stellt die stationäre Akutbehandlung eine wichtige allgemein-medizinische und suchtmedizinische Notfallversorgung dar, die dazu beiträgt, körperliche und soziale Schäden zu begrenzen. Einen nachhaltigen Beitrag zu einer stabilen Verbesserung des Gesundheitsstatus dieser Patienten kann sie—zumindest kurzfristig—oft nicht leisten. Ergänzende ambulante Programme [12, 11] oder teilstationäre Angebote [35, 46] könnten bei entsprechender Unterstützung der Kostenträger hilfreich sein.

Unsere Resultate widersprechen im Weiteren der insbesondere in der angloamerikanischen Literatur häufig geäußerten Meinung, dass längere Behandlungen weder positive Effekte im Bereich der Entwöhnung [29] noch im Bereich der Entgiftung [13] haben. Diesen Befunden stehen aber auch amerikanische Studien gegenüber, welche sehr wohl entsprechende Effekte beschreiben [5, 16, 31]. Neuere deutsche Metaanalysen, welche den Zusammenhang von Behandlungsdauer und stationärer Entwöhnung untersucht haben, deuten ebenfalls auf einen positiven Effekt längerer Behandlungen hin [43, 40]. Auf der anderen Seite sind uns keine Hinweise für einen therapeutischen oder sozioökonomischen Vorteil wiederholter kurzer Behandlungen bekannt. Dagegen sprechen zudem die auf neurobiologischen Befunden fußenden Überlegungen zum „Kindling“, wonach häufige Entzüge den Krankheitsverlauf ebenso negativ beeinflussen [3, 26] sowie die psychologischen und v. a. sozialen Folgen wiederholter Trinkphasen.

Eine niederschwellig zugängliche, stationäre psychiatrische Akutbehandlung ist ein unverzichtbares Element in der regionalen Versorgung Suchtkranker. Es lassen sich positive Einflüsse auf das Trinkverhalten und eine verbesserte Inanspruchnahme weiterer Therapieangebote beschreiben. Gerade für chronisch Abhängige fehlt es jedoch an ergänzenden Angeboten, die über die notwendigen Kriseninterventionen hinaus in der Lage sind, den Kreislauf von Trinkphasen und kurzfristigen Wiederaufnahmen zu durchbrechen.