Epidemiologische Daten zeigen, dass die Inzidenz der Schlaganfälle die Inzidenz der Herzinfarkte mittlerweile überholt hat [13]. In Deutschland erleiden bis zu 200.000 Menschen jährlich einen Schlaganfall [9]. Damit geht eine kontinuierlich zunehmende sozioökonomische Belastung der westlichen Zivilisationen durch die Erkrankung Schlaganfall einher. Etwa 40% der Überlebenden bleiben auf dauerhafte Pflege angewiesen. Somit ist der Schlaganfall die häufigste Ursache für erworbene, dauerhafte Behinderung im Erwachsenenalter [16]. Die kausale Akutbehandlung ischämischer Insulte zielt auf die sofortige Wiedereröffnung der verschlossenen Arterie ab und ist somit zeitkritisch. Die intravenöse Thrombolysetherapie ist nur innerhalb eines eng begrenzten Zeitfensters von bis zu 4,5 h nach Symptombeginn anwendbar und kann daher nur bei einem geringen Teil der Patienten eingesetzt werden [5]. Aus diesem Grund ist eine rasche Zuweisung der Patienten in eine Klinik, in der diese Therapie angeboten wird, durch den Rettungsdienst erforderlich.

Das deutsche Rettungswesen umfasst den Bereich des nichtdringlichen Krankentransportes mittels Krankentransportwagen (KTW) und den der Notfallrettung, der die Verwendung von Sonderrechten im Straßenverkehr und das Erreichen von Einsatzorten unter Einhaltung gesetzlicher Höchstzeiten vorsieht. Der Schlaganfall lässt sich eindeutig der Notfallrettung zuordnen. Der Bereich der Notfallrettung besteht aus dem nichtärztlichen Anteil im Rettungswagen (RTW), in dem die Versorgung ausschließlich durch Rettungsfachpersonal, in der Regel Rettungsassistenten, erfolgt. Bei besonderer Schwere der Erkrankung oder Verletzung wird zusätzlich ein Notarzt, in der Regel mittels Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) oder Rettungshubschrauber (RTH), entsendet. Die Entscheidung zur Disposition des RTW mit oder ohne die zusätzliche Entsendung eines Notarztes treffen Leitstellendisponenten, i. d. R. Rettungsassistenten mit mehrjähriger Erfahrung. Grundlage dieser Entscheidung sind sog. Notarztindikationskataloge, die von den verantwortlichen Trägern des Rettungsdienstes erstellt werden.

In den vergangenen Jahren hat das Bewusstsein für den Schlaganfall als ein akuter und zeitkritischer Notfall zugenommen. Jedoch erhält noch immer die Mehrheit der Schlaganfallpatienten keine adäquate Akuttherapie, weil sie nicht rasch genug das geeignete Krankenhaus erreicht [10]. Die fehlende Kenntnis von typischen Schlaganfallsymptomen in der Bevölkerung und das Hinzuziehen des Hausarztes verzögern allzu oft die Aufnahme in das Krankenhaus [4, 8]. Als relevanter Prädiktor für eine schnelle Klinikeinweisung hat sich der Erstkontakt zum Rettungsdienst über die Notrufnummer erwiesen [12]. Das Wissen, dass bei den Symptomen eines Schlaganfalls der Rettungsdienst unter der europaweiten Notrufnummer 112 zu rufen ist, ist in breiten Teilen der Bevölkerung immer noch nicht vorhanden.

Die Europäische Schlaganfall Organisation (European Stroke Organisation, ESO) hat zuletzt im Jahr 2008 zur Behandlung des ischämischen Schlaganfalls Leitlinien erstellt „Guidelines for Management of Ischaemic Stroke and Transient Ischaemic Attack 2008“ [14]. Die Empfehlung für eine erfolgreiche Versorgung von Schlaganfallpatienten beruht demnach auf einer 4-gliedrigen Kette:

  1. 1.

    rasches Erkennen von und Reagieren auf die Schlaganfallsymptome,

  2. 2.

    umgehende Information des Rettungsdienstes,

  3. 3.

    rettungsdienstliche Diagnostik, Versorgung und Transport mit Sonderrechten unter Voranmeldung am Zielkrankenhaus,

  4. 4.

    rasche zielgerichtete Diagnose im Krankenhaus.

Häufig sind jedoch Rettungsdiensteinsätze für akute Schlaganfälle nicht durch strukturierte Verfahrungsanweisungen geregelt und können das angestrebte Ziel einer schnellen Zuweisung der Patienten in das nächstgelegene geeignete Krankenhaus nicht erfüllen.

In dem hier vorliegenden Artikel stellen wir das „Münsteraner Zuweisungskonzept – Akuter Schlaganfall“ und dessen Evaluation vor. Ziel dieser Arbeit war, die Qualität der Schlaganfallerstdiagnosen in einem Zuweisungskonzept eines städtischen Milieus zu analysieren.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

In der Stadt Münster (Westfalen) leben ca. 280.000 Menschen. Es gibt zwei neurologische Kliniken, die Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Münster mit, während des Untersuchungszeitraumes, 8 zertifizierten überregionalen Stroke-Unit-Betten und die Klinik für Neurologie des Herz-Jesu-Krankenhauses Münster-Hiltrup mit 4 zertifizierten regionalen Stroke-Unit-Betten. Nach Absprache mit den Kliniken im Stadtgebiet wurde festgelegt, dass der Rettungsdienst der Stadt Münster die Patienten mit Schlaganfallverdacht gemäß der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) 2008 (www.DGN.org) ohne Verzögerung in ein Zentrum transportiert, das eine Stroke-Unit aufweist. Es wurde ein bestehender Algorithmus zu einer Verfahrensanweisung [11] weiterentwickelt und ein Zuweisungskonzept etabliert (Abb. 1). Bestandteil dieses Konzeptes sind quartalsweise Treffen des sog. „NeuroNetzwerkes“, bestehend aus dem Ärztlichen Leiter Rettungsdienst der Stadt Münster sowie Vertretern der beiden neurologischen Kliniken.

Abb. 1
figure 1

Das „Münsteraner Zuweisungskonzept“ beinhaltet den sog. Face-Arm-Speech-Test zur Identifikation akuter Schlaganfallsymptome und steuert die Einweisung geeigneter Patienten in die Stroke-Units

Die Erkennung des Schlaganfalls durch die Rettungsdienste basiert primär auf dem sog. Face-Arm-Speech-Test (FAST) [6]. Dieser Test prüft den Parameter „faziale Parese“ (F), indem der Patient aufgefordert wird, zu grimassieren. Die Kraft der Arme (A) wird untersucht, indem der Patient die Arme im Liegen um 45%, im Sitzen um 90% ausgestreckt vorhalten soll. Der Test beurteilt Sprach- oder Sprechstörungen (S) durch Überprüfung von Benennstörungen und Veränderungen der Aussprache. Wenn einer der drei Parameter faziale Parese, Armparese oder Sprach- bzw. Sprechstörung als sicher pathologisch identifiziert wird, ist der Test positiv. Für das Zuweisungskonzept wurde dieser Test, falls negativ, um die weiteren drei Parameter Sensibilitätsstörung, Sehstörung und ungeklärte Bewusstlosigkeit ergänzt. Ist der Face-Arm-Speech-Test positiv oder ist einer der drei zusätzlichen Parameter positiv, liegt die Verdachtsdiagnose eines akuten Schlaganfalls vor. Auf dieser begründete sich die Einweisungsdiagnose Schlaganfall in die dem Einsatzort nächstgelegene der zwei Stroke-Units.

Über einen Zeitraum von 27 Monaten (10/2008 bis 12/2010) wurde für jeden Patienten, der unter der Einsatzdiagnose Schlaganfall durch den Rettungsdienst zugewiesen wurde, ein Rückmeldebogen angelegt. Die Zuweisungsdiagnosen des Rettungsdienstes wurden mit den abschließenden klinischen Diagnosen verglichen. Für die Patienten, bei denen der Schlaganfall durch die Klinikärzte bestätigt werden konnte, wurde dieser näher differenziert. Für den Fall, dass eine Schlaganfalldiagnose des Rettungsdienstes nicht bestätigt werden konnte, wurde die nach abschließender Beurteilung zugrunde liegende Erkrankungsursache erfasst.

Zudem wurden ebenso alle Patienten in den Notaufnahmen und Stroke-Units erfasst, die vom Rettungsdienst der Stadt Münster ohne Einweisungsdiagnose Schlaganfall gebracht wurden und bei denen die jeweiligen Klinikärzte die Erstdiagnose Schlaganfall stellten. Diese Patienten wurden als „falsch-negative“ Fälle klassifiziert und es wurde ebenso ein Rückmeldebogen angelegt. Für diese Patienten wurden die tatsächliche Schlaganfalldiagnose erfasst und das initiale Symptom festgehalten. Darüber hinaus wurde für die „falsch-negativen“ Fälle das eingesetzte Rettungsmittel (nichtarztbesetztes Rettungsmittel vs. Notarzteinsatz) analysiert. Die Rückmeldebögen wurden anonymisiert an den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst der Stadt Münster geleitet. Es wurden nur die Patienten analysiert, die durch den Rettungsdienst der Stadt Münster zugewiesen wurden. Patienten, die durch andere Rettungsdienste der umgebenden Kreise eingeliefert wurden, und solche, die auf anderen Wegen kamen (z. B. Direkteinweisung durch niedergelassene Ärzte, Selbsteinweisungen), wurden in dieser Studie nicht berücksichtigt. Aufgrund dessen ist die analysierte Fallzahl geringer, als die bundesdurchschnittliche Anzahl von Schlaganfallpatienten bezogen auf die Einwohnerzahl der Stadt erwarten lässt. Darüber hinaus konnten die Patienten, die unter einer „falsch-negativen“ Diagnose vom Rettungsdienst der Stadt Münster in andere Krankenhäuser transportiert wurden, nicht in die Untersuchung aufgenommen werden. Ein sonstiger Vergleich der Patientenkollektive der beiden Stroke-Units wurde nicht durchgeführt.

Ergebnisse

Aus dem untersuchten Zeitraum liegen Daten für 742 Patienten vor. Es wurden zunächst die Diagnosen des Rettungsdienstes untersucht. In der Stadt Münster wurden vom Rettungsdienst 615 Patienten unter der Einsatzdiagnose Schlaganfall in die beiden Stroke-Units der Stadt gebracht.

In 561 Fällen (91%) konnte von den Stroke-Units der beiden Kliniken die Einsatzdiagnose Schlaganfall bestätigt werden. Bei 54 Patienten (9%) ließ sich die Verdachtsdiagnose des Rettungsdienstes nicht bestätigen und war somit falsch-positiv (Abb. 2). In einer weiteren Analyse wurden diese falsch-positiven Fälle überprüft. Die größte Gruppe bildeten die epileptischen Anfälle mit 39% (n = 21) der Fälle. Weitere neurologische Krankheitsbilder stellten mit 37% (n = 20) die zweitgrößte Gruppe dar. Darunter waren unterschiedliche Erkrankungen wie Migräne, Enzephalitis, periphere Fazialisparese, akinetische Krise oder dekompensierte Demenz. Internistische Erkrankungen waren mit 24% der falsch-positiven Schlaganfalldiagnosen vertreten. Die häufigste Diagnose in dieser Patientengruppe war die Synkope (n = 4; Abb. 3).

Abb. 2
figure 2

Darstellung der korrekten bzw. falsch-positiven Einsatzdiagnosen Schlaganfall des Rettungsdienstes

Abb. 3
figure 3

Analyse der falsch-positiven Rettungsdienstdiagnosen

Bedeutsam sind darüber hinaus die vom Rettungsdienst verpassten Schlaganfälle. Das sind die Patienten, die vom Rettungsdienst nicht unter der Einsatzdiagnose Schlaganfall in die Kliniken transportiert wurden, sondern bei denen erst von den jeweiligen Klinikärzten ein Schlaganfall diagnostiziert wurde. Es handelte sich hierbei um 127 Patienten, das bedeutet 18% aller Klinikdiagnosen Schlaganfall bezogen auf alle vom Rettungsdienst in die Notaufnahmen beider Kliniken gebrachten Fälle (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Darstellung der korrekten und falsch-negativen Rettungsdienstdiagnosen nach Analyse aller Schlaganfalldiagnosen in den neurologischen Kliniken, bezogen auf die vom Rettungsdienst eingelieferten Patienten

Die Leitstelle der Berufsfeuerwehr Münster entsendete bei Hinweisen auf einen Schlaganfall einen Notarzt mit dem NEF. Allerdings liegen den Disponenten nicht immer valide Hinweise bez. der genauen Situation am Einsatzort vor. Daher kam es häufig dazu, dass RTW/KTW zu Einsätzen disponiert wurden, die sich als Schlaganfälle erwiesen. Um den Einfluss des Notarztes auf die Qualität der Diagnosesicherheit zu prüfen, wurde das Einsatzmittel analysiert und zwischen Patienten, die durch nichtärztliches Rettungsfachpersonal versorgt wurden (RTW und KTW), und solchen, die von Notärzten versorgt wurden, differenziert. In 24% dieser Fälle (30 Patienten) wurde die Schlaganfalldiagnose durch den eingesetzten Notarzt nicht gestellt. Das sind 4% aller vom Rettungsdienst in die Kliniken gebrachten Patienten, bei denen die Diagnose Schlaganfall gestellt wurde. Die übrigen Einsätze (76% bzw. 97 Patienten) wurden ohne Notarztbeteiligung durchgeführt und die „falsch-negative“ Einsatzdiagnose somit nichtärztlich durch Rettungsfachpersonal gestellt (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Analyse der falsch-negativen Schlaganfalldiagnosen differenziert nach Diagnosestellung durch den Notarzt oder das Rettungsfachpersonal

Eine Analyse der von den Notärzten nicht erkannten Schlaganfälle wurde auf Fallebene vorgenommen. Hieraus ergab sich, dass in 4 Fällen (23%) trotz typischer Symptome nicht die Rettungsdienstdiagnose Schlaganfall gestellt wurde. Die übrigen 77% (13 Fälle) verteilten sich auf die primäre Bewusstlosigkeit als Erstsymptom (18%; 3 Patienten), Symptome des hinteren zerebralen Stromgebietes bzw. des Hirnstamms (23%; 4 Patienten), epileptische Anfälle als Erstsymptom (18%; 3 Fälle) und nichtschlaganfalltypische Symptome (18%; 3 Fälle) wie z. B. Übelkeit und Erbrechen (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Differenzierung der Erstsymptome der falsch-negativen Schlaganfalldiagnosen. Es lässt sich kein spezielles Muster für die nicht korrekte Erstdiagnosestellung erkennen

Diskussion

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfiehlt in ihren aktuellen Leitlinien (www.dgn.org), den Schlaganfall als medizinischen Notfall anzusehen. Patienten, bei denen der Verdacht auf einen Schlaganfall besteht, sollten ohne Verzögerung in ein Zentrum transportiert werden, das eine Stroke-Unit aufweist. In den Empfehlungen wird auf ein hierfür erforderliches „Versorgungs- und Behandlungsnetzwerk“ hingewiesen. In vielen deutschen Städten sind seit der Publikation dieser Empfehlungen derartige Strukturen entstanden. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass ein längerer Anfahrtsweg oder der Transport mit dem Rettungshubschrauber unter notärztlicher Begleitung in Kauf genommen werden kann, um eine Klinik mit einer Schlaganfallstation zu erreichen. Die individuellen Gegebenheiten können zu unterschiedlichen Lösungsansätzen führen. Mittlerweile sind verschiedene Modelle zur Verbesserung der neurologischen Notfallversorgung von Schlaganfallpatienten entstanden. Diese reichen von Videokonferenzen mit Datenübertragung zwischen Rettungswagen und Klinik [17] über den Einsatz sog. „mobiler Stroke-Units“ [15] bis zu telemedizinischen Konzepten zwischen überregionalen Schlaganfallzentren und den lokalen Krankenhäusern niedrigerer Versorgungsstufen [3].

In der städtischen Versorgung akuter Schlaganfallpatienten sehen sich die behandelnden neurologischen Kliniken nicht weniger großen Herausforderungen gegenübergestellt als in ländlichen Regionen. Nicht zuletzt ökonomische Interessen und die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung lang bestehender Zuweisungsgewohnheiten müssen auf den Prüfstand gestellt werden, um eine moderne Therapie des akuten Schlaganfalls zu ermöglichen. Durch die neurologischen Kliniken in der Stadt Münster wurde zusammen mit dem in der Trägerschaft der städtischen Berufsfeuerwehr liegenden Rettungsdienst ein gemeinsames „NeuroNetzwerk“ als Basis dieser Tätigkeit gegründet. Die Rahmenbedingungen hinsichtlich Einsatztaktik, Ausbildung und Disposition in der Leitstelle wurden durch den Träger des Rettungsdienstes festgelegt. Die medizinische Verantwortung für die rettungsdienstliche Versorgung liegt beim Ärztlichen Leiter Rettungsdienst. Für die erfolgreiche Umsetzung des Konzeptes war eine professionelle und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Rettungsdienst und den neurologischen Akutkliniken wünschenswert und notwendig, um die bekannten präklinischen Hindernisse in der Akuttherapie des Schlaganfalls inkl. der Anwendung der Thrombolysetherapie zu überwinden [10].

In dem hier vorgestellten Projekt fand über die Weiterentwicklung eines bereits erarbeiteten Zuweisungskonzeptes und die Etablierung eines standardisierten Notrufabfragealgorithmus hinaus [7, 11] eine Qualitätssicherung mittels eines Rückmeldebogens statt. Dieses Instrument ermöglicht die kritische Evaluation und gezielte Verbesserung an der Schnittstelle Rettungsdienst/Notarzt und Klinik. Die Verbesserung der Kommunikation und die gegenseitige Rückmeldung erhöhen das Verständnis für Probleme und ermöglichen letztendlich die Optimierung der Versorgung. Ein Projekt mit Einsatz mobiler Computing-Systeme in der präklinischen Schlaganfallversorgung (die Stroke-Angel-Initiative) konnte an der Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und Krankenhaus eine hohe Akzeptanz für ein solches System nachweisen. Die Einführung dieses Systems ergab darüber hinaus eine zeitliche Optimierung der innerklinischen Abläufe und eine deutliche Steigerung der Thrombolyserate [18].

Die Auswertung der unter dem Einsatzstichwort Schlaganfall eingewiesenen Patienten ergab, dass ein hoher Anteil von 91% unter der korrekten Diagnose vorgestellt wurde. Dennoch ergab sich ein Anteil von 9% „falsch-positiver“ und 18% „falsch-negativer“ Schlaganfälle. In beiden Gruppen stellen epileptische Anfälle einen hohen Anteil der nicht korrekt gestellten Rettungsdienstdiagnosen dar, 39% bzw. 18%. „Falsch positive“ Schlaganfalldiagnosen erscheinen aus dem Blickwinkel des Klinikarztes weniger beunruhigend als „falsch-negative“ Diagnosen.

Bei der detaillierten Analyse der „falsch-negativen“ Fälle fällt auf, dass es sich größtenteils um Verdachtsdiagnosen des nichtärztlichen Rettungsfachpersonals handelt. Die Rettungsassistenten des Rettungsdienstes der Berufsfeuerwehr Münster wurden bereits auf das Erkennen von Schlaganfällen mittels des sog. Face-Arm-Speech-Tests (FAST) besonders geschult [2], wie es von den Leitlinien der European Stroke Organisation (ESO) gefordert wird. Die DGN empfiehlt in ihren Leitlinien, bei akutem Schlaganfall einen Rettungswagen, bei einem schweren Schlaganfall mit Bewusstseinsstörung oder bei Patienten mit kardiorespiratorischen Störungen zusätzlich einen Notarzt einzusetzen (www.dgn.org). Dem entgegen steht der Indikationskatalog für den Notarzteinsatz der Bundesärztekammer, der bei plötzlichen Lähmungen (halbseitig) ausnahmslos den Einsatz des Notarztes fordert (www.bundesaerztekammer.de). Ergebnisse einer von uns durchgeführten Untersuchung unterstützen das Vorgehen, einen Notarzt einzusetzen, sobald aufgrund der standardisierten Notrufabfrage innerhalb des Zuweisungskonzeptes der Face-Arm-Speech-Test das Einsatzstichwort Schlaganfall auslöst [7], denn der Grad der vitalen Bedrohung der Schlaganfallpatienten war in dieser Untersuchung dem des Gesamtkollektivs aller notärztlich versorgten Patienten vergleichbar.

Die Daten der hier vorgelegten Studie unterstützen den Einsatz von Notärzten, da diese die Diagnosesicherheit erhöhen können. Die Anzahl „falsch-negativer“ Diagnosen war erheblich niedriger als in nichtärztlich geführten Einsätzen (24% vs. 76%). Es ist festzustellen, dass das Erkennen des Schlaganfalls die Grundlage einer modernen Versorgung darstellt. Bleibt der Schlaganfall unerkannt, erreicht der Patient regelhaft das ungeeignete Krankenhaus und muss unter hohem Zeit- und Kostenaufwand verlegt werden. In den meisten Fällen ist dann der Einsatz der zeitkritischen Akuttherapien nicht mehr möglich. Wir schließen daraus, dass der Notarzteinsatz beim akuten Schlaganfall die Versorgungsqualität verbessert.

Bei der Entscheidung für oder gegen den Notarzteinsatz sind die kurzen Anfahrtswege in einem städtischen Rettungsdienst zu berücksichtigen. Von zeitlichen Verzögerungen durch den Notarzteinsatz ist somit nicht auszugehen. Ebenso besteht die Möglichkeit, den Patienten nach einer Untersuchung und Versorgung durch den Notarzt mit dem Rettungswagen in eine Klinik mit Stroke-Unit transportieren zu lassen, der Notarzt selbst stünde dann mit seinem Notarzteinsatzfahrzeug wieder für Folgeeinsätze bereit. Sollte es zu einem verzögerten Eintreffen des Notarztes bei vital stabilem Patienten kommen, sieht eine Verfahrensanweisung für die Besatzung der Rettungswagen der Stadt Münster vor, den Patienten ohne Notarztbegleitung in die nächstgelegene Stroke-Unit zu transportieren.

Eine Untersuchung der Einweisungszeiten akuter Schlaganfälle in Bern [1] erkannte insbesondere zeitliche Vorteile der direkten Einweisung durch geschultes Rettungsdienstpersonal. Die Differenzierung ärztlicher und nichtärztlicher Rettungsdienstdiagnosen und die Anzahl und Einweisungszeiten „falsch-negativer“ Schlaganfalldiagnosen waren nicht Bestandteil dieser Untersuchung. Darüber hinaus sind strukturelle und regionale Unterschiede zu berücksichtigen.

Des Weiteren birgt die primäre Bewusstlosigkeit ebenso wie die korrekte Zuordnung von Hirnstammsymptomen Schwierigkeiten in der ätiologischen Zuordnung zu einem akuten Schlaganfall. Dieses wurde in der Analyse von Agyeman et al. [1] ebenso festgestellt. Ein hoher Schweregrad, gemessen mittels National Institute of Health Stroke Scale (NIHSS), und die Präsentation typischer Schlaganfallsymptome (vorderes zerebrales Stromgebiet) führten zu signifikant schnelleren Einweisungszeiten als z. B. lakunäre Schlaganfallsyndrome. Der große Unterschied in der Gruppe der „falsch-negativen“ Schlaganfalldiagnosen zwischen nichtärztlichem Rettungsfachpersonal (76%) und Notärzten (24%) unterstützt zudem den Einsatz moderner Kommunikationsmedien in den Rettungsmitteln, insbesondere dort, wo kein schneller, regelhafter, primärer Notarzteinsatz bei der Verdachtsdiagnose „Akuter Schlaganfall“ möglich ist.

Im Falle einer durch nichtärztliches Rettungsfachpersonal gestellten Verdachtsdiagnose Schlaganfall sollte bei transportfähigem Patienten das Eintreffen des Notarztes nicht abgewartet werden, sondern vielmehr der Transport zur nächstgelegenen Stroke-Unit begonnen werden. Das in Deutschland etablierte „Rendez-vous-System“, bei dem das Notarzteinsatzfahrzeug jederzeit, auch auf dem Transport ins Krankenhaus, ein Zusammentreffen mit dem Patienten ermöglicht, erweist sich hier als Stärke.

Weiterhin stellt der Krankentransport einen Bereich dar, der die Gefahr einer verzögerten oder fehlerhaften Klinikzuweisung birgt. Die Konsultation des Hausarztes bzw. des ärztlichen Notdienstes konnte als verzögernder Faktor für die Versorgung identifiziert werden [8] und muss daher durch die direkte Anforderung des Rettungsdienstes ersetzt werden.

Zudem führen Einsatzanforderungen eines „Krankentransportes“ durch niedergelassene Ärzte regelhaft zu einer verzögerten Ankunft des Rettungsfachpersonals beim Patienten, da Krankentransporte niedrig priorisiert und ohne Verwendung von Sonderrechten erfolgen. Ebenfalls problematisch sind Transportanforderungen ohne Hinweis auf das Krankheitsbild sowie ohne Informationen für das Rettungsfachpersonal (Einweisungspapiere im verschlossenen Umschlag). Rettungsfachpersonal muss im Sinne des Patienten befähigt und ermutigt werden, sich im Falle eines Schlaganfallverdachtes auch über eine ärztliche Diagnose und Transportverordnung hinwegzusetzen und den Patienten schnellstmöglich in eine geeignete Klinik zu transportieren.

Sicherlich können die hier beschriebenen Ergebnisse nicht unkritisch auf jede Stadt oder Region in Deutschland übertragen werden. Limitierend ist zu erwähnen, dass der Einfluss des vom nichtärztlichen Disponenten des Rettungsdiensteinsatzes festgelegten Einsatzstichwortes Schlaganfall auf die Diagnosestellung nicht überprüft werden kann. Darüber hinaus konnte der Anteil der „falsch-negativen“ Schlaganfallpatienten, die unter anderen Diagnosen nicht in die zwei teilnehmenden Kliniken gebracht wurden, nicht in die Analyse einbezogen werden. Es ist aber davon auszugehen, dass dieses nicht zu relevanten Veränderungen der prozentuellen Anteile ärztlich vs. nichtärztlich verpasster Schlaganfalldiagnosen führt. Die Absolutzahl der von Notärzten und Rettungsdienst „verpassten“ Schlaganfälle könnte jedoch höher sein.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend ist der Aufbau regionaler Zuweisungskonzepte unter Einbeziehung der Rettungsdienste bedeutsam, um eindeutige Strukturen für eine erfolgreiche prästationäre rettungsdienstliche Schlaganfallversorgung zu gewährleisten. Die Ergebnisse zeigen, dass es auch für einen geschulten Rettungsdienst nicht einfach ist, eine korrekte Schlaganfalldiagnose zu stellen. Insbesondere die primäre Bewusstlosigkeit, Symptome des hinteren zerebralen Stromgebietes und epileptische Anfälle bereiten diagnostische Schwierigkeiten. Der Einsatz von Notärzten, auch bei nicht vital bedrohten Patienten, erhöht die diagnostische Sicherheit. Ein Zusammenrücken von Kliniken und Rettungsdienst kann den Prozess der Zuweisung messbar machen und damit die Versorgungsqualität verbessern.