Seit über 3 Jahrzehnten besteht Einvernehmen in der Psychiatrie, dass Versorgungsangebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen gemeindenah und damit möglichst dicht an der Lebenswirklichkeit angesiedelt sein sollten. In der Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer) war dieses Paradigma grundlegend für die Psychiatrie-Enquète [10], ebenso wie es in der DDR den Reformansatz der Rodewischer Thesen bestimmt hatte [1]. Es war verbunden mit der Orientierung an gesellschaftlicher Teilhabe, an Normalisierung und Gleichstellung psychisch Kranker sowie mit dem Ziel der Integration psychiatrischer Dienste in die Medizin. Seit den 1980er Jahren kamen weitere innovative Paradigmen hinzu. Die evidenzbasierte Medizin (EBM) hat eine empirische Fundierung therapeutischer Praxis gefordert und gleichzeitig Grundlagen für die Umsetzung dieser Forderung geschaffen. EBM bestimmt die klinische Praxis mit und wird für Steuerungsüberlegungen im Gesundheitssystem herangezogen. Daneben hat das Paradigma differenzierter Psychotherapie in der psychiatrischen Forschung und Praxis zahlreiche Innovationsimpulse gegeben. Das gemeindepsychiatrische Paradigma wurde in den letzten beiden Jahrzehnten beibehalten, die therapeutische Praxis soll aber darüber hinaus evidenzgestützt, störungsorientiert und spezialisiert erfolgen.

Vielen Empfehlungen zur Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung in Deutschland ist die Zielstellung einer sektorübergreifenden, integrierten Versorgung und Wahrung personeller Kontinuität gemeinsam. Vorbild ist u. a. das englische Versorgungssystem, in dem der psychiatrische Facharzt durchgehend und unabhängig vom Behandlungssetting für einen Patienten zuständig bleibt [12]. Diese Kontinuität ist in der Routineversorgung in Deutschland bisher unzureichend, Gründe sind u. a. die Vergütungsstrukturen und die organisatorische Trennung ambulanter und stationärer Behandlung [2].

Die therapeutische Kontinuität ist unzureichend

Wenn im Folgenden innovative Versorgungsstrukturen in der Behandlung von Menschen mit einer Schizophrenie beschrieben und diskutiert werden, muss geklärt werden, wo der Schwerpunkt einer Maßnahme oder eines Programms ist:

  • Innovationen bei einzelnen Therapiebestandteilen (wie z. B. Familieninterventionen, kognitive Verhaltenstherapie),

  • Einführung von Interventionen, die eine verfügbare Behandlung besser zum Tragen bringen (z. B. Compliance- oder Adherence-Therapie zur Verbesserung medikamentöser Therapietreue),

  • Prozessinnovationen, welche Schnittstellenprobleme überwinden sollen und eine Verbesserung der Koordination anstreben (z. B. Disease-Management oder Case-Management),

  • Schaffung einer innovativen, integrierten Versorgungsstruktur, die dem komplexen Versorgungsbedarf von Menschen mit Schizophrenie gerecht werden soll oder

  • Maßnahmen zur Schließung des so genannten „efficacy-effectiveness-gap“, also zur Verminderung der Diskrepanz zwischen „optimaler“ und tatsächlicher Behandlung, z. B. durch Modifikation systembedingter Anreizstrukturen und gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen.

Vor diesem Hintergrund werden im folgenden Text

  1. 1.

    innovative Module psychiatrischer Versorgung beschrieben,

  2. 2.

    strukturelle, organisatorische und Steuerungsaspekte der psychiatrischen Versorgung behandelt sowie

  3. 3.

    neue Paradigmen und Forschungsansätze diskutiert.

Auf die Impulse (und einzelnen Module) im Bereich moderner psychiatrischer Psychotherapie wird im vorliegenden Text nicht im Einzelnen eingegangen.

Innovative Versorgungsmodule

Case-Management

Case-Management (CM) dient dem Ziel der Steuerung der Inanspruchnahme des Versorgungssystems und der Koordination der einzelnen Komponenten der Behandlung. Die verschiedenen Formen von CM (Tab. 1) wurden als Antwort auf die Fragmentierung der psychiatrischen Versorgung im Anschluss an die Enthospitalisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und den Aufbau gemeindepsychiatrischer Strukturen entwickelt und dienten in Deutschland als Prototypen. Kernkomponenten von CM sind:

  • die Bedarfserhebung,

  • die Planung einer umfassenden Versorgung für einzelne Patienten,

  • optimale medikamentöse Behandlung,

  • die ambulante Pflege und Versorgung zu Hause,

  • die Kontrolle der einzelnen Dienste und der Inanspruchnahme,

  • psychoedukative Maßnamen und Training sozialer Kompetenz,

  • die Nachsorge und Aufrechterhaltung des Kontakts.

Tab. 1 Formen des Case-Managements

Von den verschiedenen CM-Modellen sind das „intensive case management“ (ICM), charakterisiert durch eine hohe Betreuungsintensität, und der „care programme approach“ (CPA), der insbesondere auf die bedarfsorientierte Koordination und Zuweisung spezialisierter psychiatrischer Versorgung sowie regelmäßige Feedback-Mechanismen zielt, am bekanntesten.

Systematische Übersichtsarbeiten randomisierter Studien [16, 18, 29] zeigen, dass die im Rahmen von CM betreuten Patienten eher im Kontakt mit dem psychiatrischen Hilfssystem bleiben und im Vergleich zur Standardbehandlung zufriedener sind. In einigen Studien wurde die Patienten-Compliance erhöht, die psychiatrische Symptomatik und das soziale Funktionsniveau werden wenig beeinflusst. Möglicherweise wird die Zahl der Krankenhausaufenthalte erhöht, die Verweildauer ist aber kürzer. Eine englische Studie fand bezüglich klinischer und sozialer Outcomes, hinsichtlich deliktischen Verhaltens und Lebensqualität kaum Vorteile einer Intensivierung des CM [8]. In Deutschland gibt es in den letzten Jahren eine intensive Diskussion darüber, wie die Anwendung von CM in der psychiatrischen Versorgung verbessert werden könnte, insbesondere in der integrierten Versorgung. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass ein CM-Ansatz, der allein darauf zielt, durch Koordination der Inanspruchnahme medizinischer, psychiatrischer und sozialer Dienste durch eine Bezugsperson Krankenhausaufnahmen zu vermeiden, der Komplexität der Erkrankung und den Bedürfnissen Betroffener nicht gerecht wird. Auch inwiefern eine Begrenzung des CM auf schwer Erkrankte klinisch und ökonomisch sinnvoll ist, wird kontrovers diskutiert. Insgesamt ist die wissenschaftliche Basis für nicht teambasiertes CM gemischt, so dass einige evidenzbasierte Leitlinien die Implementation von CM als reiner Behandlungskoordination bei Patienten mit Schizophrenie nicht empfehlen [19].

Kriseninterventionsdienst und „home treatment“

Als Kriseninterventionsdienst wird jede Art von krisenorientierter ambulanter Behandlung einer akuten psychiatrischen Episode durch ein besonders ausgebildetes Team bezeichnet. Ziel ist die Vermeidung einer Krankenhausbehandlung.

Fester Bestandteil der Arbeit von Kriseninterventionsteams sind Hausbesuche („home treatment“), die Integration ärztlich-psychiatrischer Kompetenz und die Verfügbarkeit rund um die Uhr.

Effektive Kriseninterventionsdienste müssen flexibel mit dem Patienten und seinem sozialen Netzwerk kommunizieren und auf deren Bedürfnisse eingehen können. Ebenfalls sollten die Möglichkeit der Gabe von Medikamenten und die Supervision der Medikamenteneinnahme zu Hause bestehen, was von den sozialpsychiatrischen Diensten in Deutschland meist nicht geleistet wird [3]. Von großer Bedeutung für die Wirksamkeit erscheint die kontinuierliche Betreuung bis zum Ende der Krise und die Gewährleistung kontinuierlicher Nachbetreuung [27].

Kriseninterventionsteams können die Wahrscheinlichkeit einer stationären Aufnahme und Kontaktabbrüche zum Versorgungssystem verringern. Insgesamt wurden im Durchschnitt stationäre Aufnahmen um mehr als 60 % reduziert [11]. Die Studien zeigten einen Trend zu einer Verkürzung der Dauer der stationären Aufnahmen, die Ergebnisse waren jedoch nicht konsistent. Einzelne Studien berichten, dass Familienangehörige eher bereit waren, die chronisch erkrankten Patienten zu Hause zu versorgen, wenn ein Kriseninterventionsteam verfügbar war. Auch die Zufriedenheit der Patienten war größer als bei Standardbehandlung. Auswirkungen auf Krankheitssymptome ergaben sich allerdings nicht.

Arbeitsrehabilitation und „supported employment“

In der Literatur werden Strategien beruflicher Rehabilitation in

  • das sog. „prevocational training“ mit Berufsvorbereitung und übergangsweise Beschäftigung vor Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt („train and place“) sowie

  • die berufsbegleitende Rehabilitation, das „supported employment“ („place and train“) unterteilt [14].

Die berufsbegleitende Rehabilitation („supported employment“, SE) findet an Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt als bezahlte, von spezialisierten Diensten unterstützte Arbeit statt. Insgesamt mehr als 18 randomisierte Studien erbrachten das robuste Ergebnis, dass für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, die arbeiten möchten, SE mit rascher Platzierung an einem Arbeitsplatz wirksamer ist als längere Berufsvorbereitung [9]. Deutlich mehr Erkrankte, die in SE-Programmen waren, arbeiteten nach einem Jahr auf dem ersten Arbeitsmarkt und verdienten mehr. Bei berufsvorbereitenden Rehabilitationsmaßnahmen verbesserte eine Bezahlung die beruflichen Ergebnisse. Fast alle relevanten Studien wurden in den USA durchgeführt, allerdings wurde jüngst eine große multizentrische randomisierte Studie unter Beteiligung eines deutschen Zentrums publiziert, die im Wesentlichen die US-amerikanischen Daten bestätigte [5] (s. Infobox 1).

Integration und Schnittstellen

Integrierte Versorgung

Im fraktionierten psychiatrischen Versorgungssystem in Deutschland haben insbesondere an einer Schizophrenie Erkrankte, bei denen ein intensivierter Behandlungsbedarf besteht, erhebliche Probleme, eine kontinuierliche angemessene und umfassende medizinische Versorgung zu finden [2]. Häufig wechseln sie den behandelnden Arzt und müssen zum Teil mehrfach im Jahr, teils über längere Zeit, klinisch behandelt werden, wenn krankheitsbedingt ein Zustand komplexen Hilfebedarfs gegeben ist. Die ambulanten Leistungserbringer sind in vielen Regionen nicht ausreichend ausgestattet und vernetzt, um ambulante Komplexleistungen für schwer psychisch Erkrankte anzubieten. Damit bleiben oft Qualitätsreserven im ambulanten Bereich sowie Synergien durch ein Zusammenwirken von ambulanten und stationären Leistungsanbietern ungenutzt. Daher werden in vielen Regionen neue Versorgungsmodelle und -bestandteile erprobt, die der Deckung des spezifischen Versorgungsbedarfs bei Menschen mit einer Schizophrenie dienen sollen. Sie bilden einerseits den organisatorischen Rahmen, in dem wichtige therapeutische Bausteine ja nach individuellem Bedarf zur Anwendung kommen, welche auf den Verlauf der Erkrankung Einfluss haben. Andererseits sollen sie eine therapeutische Kontinuität ermöglichen. Die meisten Beteiligten sind sich einig, dass eines der dringendsten Ziele der integrierten Versorgung die Überwindung der strukturellen Fragmentierung des deutschen Versorgungssystems und die patientenorientierte Gestaltung des Behandlungs- und Rehabilitationssystems ist [12]. Über den Vorrang gemeindenaher Behandlung besteht kein Dissens.

Die strukturelle Fragmentierung des Versorgungssystems muss überwunden werden

Wichtige Versorgungsprinzipien, die insbesondere für die Schizophrenie von Bedeutung sind, konnten vor allem aus den Studienergebnissen zur Evaluation multiprofessioneller gemeindepsychiatrischer Teams, von CM und ACT („assertive community treatment“) extrahiert werden:

In der integrierten Versorgung sollten evidenzbasierte psychosoziale Behandlungen angeboten werden, für die auch eine ausreichende Vergütung möglich ist. Bis von einigen Jahren war die Studienlage für viele psychosoziale Behandlungsmodule noch limitiert. In den letzten zwei Jahrzehnten wuchs die wissenschaftliche Evidenz, dass gemeindebasierte psychosoziale Interventionen das langfristige Behandlungsergebnis bei der Schizophrenie verbessern können, konstant an. Zu den am besten erforschten Interventionen gehören ACT, Familieninterventionen, SE, soziales Fertigkeitentraining und Krankheitsselbstmanagement sowie kognitive Interventionen (hier nicht diskutiert).

Dass es in Deutschland bisher kaum ambulante teambasierte psychiatrische Versorgung gibt, liegt u. a. daran, dass bei fehlender Gesamtverantwortung für definierte Patienten eines Versorgungsgebietes bisher keine Anreize vorhanden waren, diese Form aufsuchender Behandlung anzubieten. Sowohl die organisatorische Integration von klinisch tätigen, fachärztlich praktizierenden und in sozialpsychiatrischen Diensten angestellten Psychiatern im Sinne einer aufsuchenden wohnortnahen Versorgung als auch effektive Kriseninterventionsdienste, berufsbegleitende Rehabilitationsprogramme und integrierte Behandlungsmodelle bei Komorbidität mit Substanzmissbrauch und -abhängigkeit konnten bisher nicht ausreichend implementiert oder genutzt werden, da immer noch eine institutionszentrierte Sichtweise vorlag, die aus der starren Trennung von ambulantem und stationären Sektor resultiert [28].

Modellprojekte

Dennoch gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Modellprojekten zur integrierten Versorgung. Beispielhaft soll das Regionale Psychiatrie-Budget Itzehoe kurz dargestellt werden.

Regionales Psychiatrie-Budget Itzehoe

Das Regionale Psychiatrie-Budget Itzehoe war als umfassendes Konzept zur Neugestaltung der psychiatrischen Versorgung über finanzielle Anreize zur settingübergreifenden Arbeitsorganisation für das gesamte Spektrum psychiatrischer Erkrankungen geplant [23]. Ziel ist neben einer integrierten Versorgung vor allem auch der Einbezug nichtstationärer Ansätze der Akutbehandlung, um eine Begrenzung des Kostenanstiegs in der Psychiatrie und eine Reduktion des Drehtüreffekts zu erreichen. Die psychiatrischen Kliniken einer Region erhielten über 5 Jahre ein festes jährliches Budget und verpflichteten sich, die psychiatrische und psychotherapeutische Betreuung derjenigen Patienten einer Region sicherzustellen, die durch einen Vertragsarzt in eine Klinik eingewiesen, als Notfall aufgenommen wurden oder die Kriterien für eine Behandlung durch die Institutsambulanz einer Klinik erfüllten. Die Behandlungsmodalitäten und die Behandlungsorte (vollstationär, teilstationär, ambulant, zu Hause) können frei gewählt werden. Anreize zur Fallzahlausweitung (wie im DRG-System) oder zur Verweildauersteigerung (wie bei tagesgleichen Pflegesätzen) sind damit nicht mehr gegeben. Die Pauschalisierung sollte zu einer patientenbezogenen Betrachtungsweise führen.

Roick et al. [23] beschreiben die tief greifenden Umstrukturierungsprozesse, die für die praktische Umsetzung des regionalen Psychiatrie-Budgets erforderlich waren:

  • neue Verträge mit Kostenträgern,

  • eine neue Leistungserhebung und Patientenrechnung ohne Fallbezug,

  • eine neue Planung des Ressourceneinsatzes,

  • die Auflösung der bisherigen Stationsteams,

  • die Bildung von multiprofessionellen Behandlungsteams,

  • die Umstrukturierung der Patientenaufnahme- und Patientensteuerungsprozesse,

  • der Ausbau teilstationärer Behandlung und die Etablierung eines „home treatment“.

Die wissenschaftliche Begleitung im Rahmen eines kontrollierten Vorher-Nachher-Designs zeigte nach 1,5 Jahren, dass die Kosten stationär-psychiatrischer Versorgung insbesondere für die Schizophrenie im Vergleich zu einer Kontrollregion mit Routineversorgung deutlich reduziert werden konnten, ohne dass es zu einer Einschränkung der Versorgungsqualität, gemessen an der Psychopathologie, der Lebensqualität und dem sozialen Funktionsniveau, kam [24]. Vielmehr verbesserte sich das soziale Funktionsniveau in der Gruppe der Patienten mit Schizophrenie signifikant, was zum einen auf die Substitution stationärer durch teilstationäre oder institutionsambulante Versorgung, aber auch auf einen besseren Einsatz psychosozialer Interventionen über die Sektorgrenzen hinweg zurückgehen könnte. Dieses gesundheitsökonomische Ergebnis muss sicherlich auch vor dem Hintergrund der Pauschalisierung der Vergütung betrachtet werden. Ob ein positiver Einfluss auf den Langzeitverlauf und die Lebensqualität der Betroffenen eintrat, bleibt noch unklar.

Die Ergebnisse zahlreicher Kosteneffektivitätsstudien belegen, dass gemeindeintegrierte Versorgungsansätze über einen reduzierten stationären Behandlungsbedarf eine deutliche Senkung der Behandlungskosten, für einen Teil der akut Erkrankten bei mindestens gleicher Effektivität gegenüber der Klinikbehandlung bewirken können [4]. Allerdings werden dringend erforderliche Entwicklungen im außerstationären Bereich durch die intensive Kostendiskussion im deutschen Gesundheitswesen behindert, so dass Modelle Integrierter Versorgung entweder nur dann weiter von den Krankenkassen unterstützt werden, wenn eine ausreichende Menge an stationärer Behandlung eingespart wird, oder in dem das Kostenrisiko auf das Versorgungssystem im Sinne eines Psychiatrie-Budgets oder anderer Formen prospektiver Vergütung verlagert wird.

Planung und Finanzierung sollten in einer Hand liegen

Wenn man die systemische Sicht, dass die Summe an Verantwortung konstant bleibt, ernst nimmt, bedeutet dies, dass Planung und Finanzierung für die gesamte Versorgungsregion idealerweise in einer Hand liegen oder zumindest gut koordiniert sind. Heute sind wir in Europa meist weit davon entfernt. Tendenzen der Transinstitutionalisierung sind u. a. Folge einer schlecht koordinierten Versorgungsplanung [21]. Es ist vom Ansatz her vorstellbar, dass sich eine wirksame Gesamtverantwortung über Steuerungs- und Finanzierungsmodelle wie „regionales Globalbudget“ oder „integrierte Versorgung“ herstellen lässt.

Die streng sektoral (stationär und vertragsärztlich ambulant) gegliederte gesetzliche Krankenversicherung und die unterschiedlichen Kostenträgerschaften bei Prävention, Behandlung und Rehabilitation psychischer Erkrankungen in Deutschland erschweren eine integrierte Versorgung im Sinne einer an den Bedürfnissen der Betroffenen ausgerichteten Organisation der Behandlungs- und Versorgungskette. Die Beispiele des international gut evaluierten, in Deutschland jedoch kaum etablierten „home treatment“ und anderer Formen teambasierter aufsuchender Behandlung zeigen den Einfluss der Vergütungsstrukturen auf die psychiatrische Versorgung.

Forschungsansätze

Im Folgenden werden einige in diesem Zusammenhang relevante Forschungsansätze dargestellt.

Bedarfsorientierte Entlassplanung

In der randomisierten kontrollierten Multicenterstudie „NODPAM“ (s. http://www.uni-ulm.de/psychiatrieII/p_nodpam.htm, ISRCTN59603527, [22]) wird geprüft, ob eine bedarfsorientierte Entlassungsplanung für psychisch kranke Menschen mit hoher Inanspruchnahme des Versorgungssystems wirksam ist. Zentren sind die Universitätskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie in Düsseldorf, Greifswald, Regensburg, Weissenau, und Günzburg. Eingeschlossen wurden von April 2006 bis Juni 2007 stationär behandelte Patienten mit den Diagnosen Schizophrenie, bipolare Störung oder Depression sowie einer hohen Inanspruchnahme psychiatrischer Versorgung. Patienten in der Interventionsgruppe wurden zwei Sitzungen einer manualisierten Entlassungsplanungsintervention angeboten, die sich nach Prinzipien bedarfsorientierter Versorgung richtet und auf den Behandlungsprozess v. a. im Hinblick auf den kritischen Übergang von stationärer zu ambulanter Behandlung fokussiert. Erste Ergebnisse sprechen für eine hohe Akzeptanz von bedarfsorientierter Entlassplanung bei den Studienteilnehmern.

Ergebnismanagement

In der Cluster-randomisierten Studie „EMM“ (s. http://www.uni-ulm.de/psychiatrieII/p_emm.htm, ISRCTN93197945) wird untersucht, ob die Rückmeldung des Behandlungserfolges an Patienten und Behandler zu einer Verbesserung des Behandlungsergebnisses stationär psychiatrischer Behandlung beiträgt. Zwischen September 2005 und März 2007 wurden 294 Patienten in einer großen psychiatrischen Klinik der Regelversorgung (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm) eingeschlossen. Eine Randomisierung erfolgte auf der Ebene der Behandler (Ärzte und Psychologen). Das Behandlungsergebnis aus Patientensicht wurde mittels standardisierter Fragebögen in beiden Behandlungsgruppen computerisiert wöchentlich erhoben. Den Behandlern und Patienten der Interventionsgruppe wurde der so erfasste Behandlungsfortschritt kontinuierlich rückgemeldet. Erste Ergebnisse zeigten, dass Ergebnismanagement in der stationären psychiatrischen Versorgung praktikabel ist. Allerdings ließ sich kein genereller Effekt von Ergebnismanagement auf das Behandlungsergebnis während der stationär-psychiatrischen Behandlung nachweisen. Weitere Auswertungen werden sich u. a. mit der Kosteneffektivität und Prozessevaluation beschäftigen.

Berufliche Rehablitation

Die Multicenterstudie EQOLISE (s. http://www.uni-ulm.de/psychiatrieII/p_eqolise.html) wurde von Januar 2003 bis Dezember 2005 als RCT in 6 europäischen Versorgungsregionen durchgeführt (London, Ulm, Rimini, Zürich, Groningen und Sofia).

EQOLISE untersuchte die Wirksamkeit der Intervention „individual placement and support“ (IPS). IPS integriert Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen direkt in Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt und leistet zeitlich unbegrenzte, individuell auf die Klienten zugeschnittene psychosoziale Unterstützung. An der Studie nahmen 312 Personen teil – davon 52 im deutschen Studienzentrum. Die Ergebnisse sind im Abschnitt „Arbeitsrehabilitation und supported employment“ dargestellt.

Diskussion

Seit Jahren ist unstrittig, dass sich nicht nur die Auswahl von Einzelinterventionen, sondern auch die Gestaltung des Versorgungssystems auf wissenschaftliche Studienevidenz berufen muss. Das Paradigma der evidenzbasierten Medizin hat auch in die Politik hinein an Einfluss gewonnen. Über die Forderung nach mehr finanziellen Ressourcen hinaus sollte die Psychiatrie auch in Deutschland zunehmend wissenschaftliche Fragestellungen von Public-health-Bedeutung bearbeiten und verstärkt epidemiologische Daten in die Gestaltung des Versorgungssystems einbeziehen.

Die psychiatrische Versorgung sollte auf Gesundung ausgerichtet sein

Lange Zeit basierten die Modelle psychiatrischer Versorgung auf dem Prinzip des so genannten „chronic disease management“, welches die Maximierung der Qualität der Versorgung von als chronisch betrachteten Erkrankungen zum Ziel hatte. Viele Betroffene tun sich jedoch schwer damit, ihre Erkrankung als primär chronisch zu akzeptieren und bevorzugen ein soziales Modell von Erkrankung, welches Gesundung („recovery“) zumindest in Form einer Verbesserung der Lebensqualität, sinnvoller Arbeit und erfüllender sozialer Kontakte betont [15]. Die Herausforderung eines psychiatrischen Versorgungsmodells besteht darin, diese Ziele der Betroffenen abzubilden und gleichzeitig die biologische Vulnerabilität und die Krankheitssymptome und kognitiven Beeinträchtigungen der Betroffenen mit einer Schizophrenie zu berücksichtigen, die spezifische Interventionen erfordern. Auf Gesundung ausgerichtete Modelle psychiatrischer Versorgung können nur dann funktionieren, wenn therapeutischer Optimismus im Rahmen einer professionellen therapeutischen Beziehung auf eine aktive Rolle der Nutzer trifft, welche ihre Präferenzen vom Versorgungssystem als berücksichtigt wahrnehmen.

Unter diesem Aspekt können auch die aktuell diskutierten Modelle integrierter Versorgung beurteilt werden. Während einige Autoren die integrierte Versorgung in ihrer jetzigen Form aufgrund der Finanzierungsprobleme, der Schwierigkeit einer adäquaten Vergütung der beteiligten Einrichtungen und oft noch unzureichender sektorübergreifender Perspektive in der Vertragsgestaltung kritisieren und Verträge im Rahmen des Gemeindepsychiatrischen Verbundes (GPV) bevorzugen [26], bleibt die Notwendigkeit einer besseren Abstimmung und Integration der Behandlung der Schizophrenie unbestritten. In fast allen Modellen integrierter Versorgung ist eine verstärkte Einbindung psychosozialer Behandlungen für die Regelbehandlung vorgesehen. Zu den in einem verbindlichen Rahmen zusammenarbeitenden Versorgungssystem zählen insbesondere die niedergelassenen Fachärzte, die Kliniken mit regionalem Versorgungsauftrag und die Kliniken der Maximalversorgung (Universitätskliniken), Tageskliniken, betreute Wohnformen privater und gemeinnütziger Träger, andere Dienste komplementär-psychiatrischer Versorgung wie sozialpsychiatrischer Dienst, ambulante und stationäre Rehabilitationseinrichtungen, Soziotherapie und ambulante psychiatrische Pflege. Damit soll eine Situation erreicht werden, wie sie in etlichen europäischen Ländern wie England gegeben ist, wo ambulante multiprofessionelle gemeindepsychiatrische Teams die zentralen Behandlungseinheiten sind, die auch psychosoziale Therapien integrieren und den Zugang zu spezialisierten psychosozialen Modulen wie Rehabilitation, CM, ACT und Kriseninterventionsdiensten steuern [12].

Schlussfolgerung

Eine Herausforderung in der Gestaltung der Versorgungssysteme bei der Schizophrenie besteht in der Sicherstellung von bedarfsgerechter und kosteneffektiver Anwendung bestehender therapeutischer Verfahren im Sinne einer individuell angepassten Ressourcenallokation und im Rahmen eines auf Gesundung und therapeutischen Optimismus ausgerichteten Paradigmas. Insbesondere der weitere Ausbau teamorientierter gemeindebasierter Behandlung bei der Schizophrenie erscheint notwendig.

Ob die Öffnung bestimmter Versorgungsbereiche für eine Anbieterkonkurrenz langfristig sinnvoll ist, kann nicht abschließend beurteilt werden. In jedem Fall ist jedoch eine größere Transparenz des Leistungsgeschehens wünschenswert. Der Erfolg einer Umstrukturierung des Versorgungssystems sollte nicht von den Therapeuten oder den Kostenträgern alleine beurteilt werden, sondern von unabhängigen Wissenschaftlern in enger Kooperation mit allen Beteiligten einschließlich der Patienten. Dies würde dazu dienen, dass Behandlungsbedürftigen adäquate Informationen an die Hand gegeben werden, und es könnte dazu beitragen, das „Abschöpfen“ („creaming off“) der weniger beeinträchtigten und kostengünstiger zu behandelnden Patienten zu vermeiden.

Wünschenswert wäre ein Wettbewerb um die beste Behandlung bei Menschen mit anhaltender schwerer psychischer Erkrankung.

Die Behandlungspraxis für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen enthält in Deutschland einige Elemente einer optimalen Versorgung, indem Therapeuten unter den gegebenen Bedingungen die jeweils beste Option wählen. Es ist Aufgabe einer patientenzentrierten Forschung [13], diese Elemente zu identifizieren und darauf aufbauend nicht effektive Komponenten abzubauen und Erfolg versprechende zu implementieren sowie den Erfolg dieser Veränderungen fortwährend zu beobachten, um gegebenenfalls korrigierend einzugreifen. Die Möglichkeiten der integrierten Versorgung bieten hier eine große Chance, wobei es in einer so komplexen Versorgungslandschaft, wie sie gegenwärtig in Deutschland vorherrscht, kaum ein standardisiertes Versorgungsangebot geben kann. Entscheidend sind Vergütungsanreize. Unzureichende ambulante und teilstationäre Strukturen können beispielsweise Klinikwiederaufnahmen begünstigen, für die die Kliniken sicher keine Verantwortung übernehmen wollen. Wird ein zu enger Fokus auf die Wiederaufnahmeraten gelegt, kann es passieren, dass die verschiedenen Leistungserbringer nicht kooperieren, sondern gegeneinander arbeiten. Leitgedanke einer innovativen Versorgung sollte das Ziel für die Betroffenen sein, eine möglichst selbstbestimmte Lebensführung zu erreichen. Dies beinhaltet, dass die Betroffenen immer die Behandlung erhalten sollten, die bei gleicher Zielsetzung mit den wenigsten Einschränkungen für sie verbunden ist.