Hintergrund

Terrorassoziierte Anschläge und Amoktaten können unter dem Begriff besondere oder lebensbedrohliche Einsatzlage (LebEL) subsumiert werden und stellen nicht nur Einsatzkräfte der polizeilichen und der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr vor extreme Herausforderungen. Auch die Krankenhäuser sind mit außergewöhnlichen Anforderungen hinsichtlich Verletzungsmuster, Anzahl und unvermitteltem Aufkommen der zu versorgenden Verletzten konfrontiert [16, 26, 27].

Bei diesen Bedrohungslagen kommt es je nach Art des Anschlags in vielen Fällen zu einem Massenanfall von Verletzten (MANV/TerrorMANV), der die Versorgungskapazität des Krankenhauses akut überlasten kann [4, 10].

Durch das Vorliegen der speziellen Verletzungsmuster mit einem im Vergleich zum konventionellen MANV überproportionalen Anteil von perforierenden und penetrierenden Verletzungen mit hämodynamisch wirksamen, nicht vor Ort stillbaren Körperhöhlenblutungen wird die Dynamik der Lage beim TerrorMANV neben der quantitativen Herausforderung auch qualitativ weiterverschärft [1, 9, 10].

Darüber hinaus hat jede Lage durch den zeitlichen und situativen Kontext, die Anzahl der betroffenen und verletzten Opfer, die je nach Lage zum Ort des Anschlags mittelbare oder unmittelbare Betroffenheit des Krankenhauses und die Art der verwendeten Waffen ihre eigene Dynamik, die zu einem Ressourcenmangel des einzelnen Krankenhauses führen kann.

Das Weißbuch Schwerverletztenversorgung der DGU [6] fokussierte bisher auf die Versorgung des einzelnen Unfallverletzten und ist Grundlage verschiedener qualitätsverbessernder Maßnahmen wie Schulung der an der Schockraumversorgung beteiligten Ärzte und Aufbau der TraumaNetzwerke DGU® (TNW).

Seit dem ersten deutschen ATLS®-Kurs im Jahre 2006 hat sich durch die Forderung im Weißbuch der DGU nach einem standardisierten Algorithmus der Schockraumversorgung, ATLS® (Advanced Trauma Life Support) als ein Standard der Schwerstverletztenversorgung, zusammen mit anderen Kursformaten (z. B. European Trauma Course, ETC®) in Deutschland durchgesetzt.

Bisher wurden in 16 Jahren über 13.000 Teilnehmer durch die Akademie der Unfallchirurgie (AUC) der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) in ATLS®-Kursen geschult. Über 1900 ATLS®-Provider haben bereits den nach 4 Jahren notwendigen Refresher-Kurs durchlaufen.

Die Grundprinzipien und die Prioritäten des ATLS® – die gemeinsame Sprache der Traumaversorgung – hat sich auch in anderen „Buchstaben-Kursen“ der medizinischen Notfallversorgung (Pre-Hospital Trauma Life Support [PHTLS], Basic Life Support [BLS], ACLS, ATCN, ETC etc.) durchgesetzt.

Für die Bewältigung von besonderen, terrorassoziierten Schadenslagen mit einem resultierenden TerrorMANV hat es mit dem TDSC®-Kurs bezüglich der chirurgischen Behandlungsprinzipien und Entscheidungsfindung eine maßgebliche Weiterentwicklung gegeben, die sich mit der Frage auseinandersetzt, wie bei einem TerrorMANV viele Patienten bestmöglich versorgt werden können.

Aufgrund der geänderten Bedrohungslage mit einer latenten Terrorbedrohung ist zu diskutieren, wie sich etablierte Standards und Prozesse der individualisierten Schwerstverletztenversorgung in einer Mangelsituation durch einen TerrorMANV aufrechterhalten bzw. organisieren lässt.

Ziel dieses Beitrags ist es, eine Antwort auf diese Frage zu geben und erstmalig eine Behandlungskonzeption vorzustellen, die, basierend auf dem schon weitläufig etablierten ATLS®-Algorithmus und den Prinzipen der Terror and Disaster Surgical Care (TDSC®), die besonderen Herausforderungen dieser Situation berücksichtigt, dabei jedoch den einzelnen Verletzten nicht aus dem Auge verliert, sodass abschließend eine in verschiedenen Aspekten optimierte Versorgung resultiert. Die vorliegende Arbeit will Lösungsansätze aufzeigen, wie jedes Krankenhaus für sich die Notfallversorgung der Verletzten in einer temporären Mangelsituation strukturieren und organisieren kann.

Advanced Trauma Life Support – Hintergrund und Prinzipien

Der prioritätenorientierte Algorithmus des ATLS® wurde entwickelt, um insbesondere die Frühmortalität von Schwerstverletzten zu verbessern und die Gesamtsterblichkeit des Traumapatienten zu reduzieren.

Er fokussiert auf den einzelnen Patienten, auf das Erkennen und Behandeln von unmittelbar lebensbedrohlichen Komplikationen nach Trauma, die Reduktion des Gesamtblutverlusts und die zeitnahe Therapie des hämorrhagischen Schocks, mit ggf. direkter Indikationsstellung zur notfallchirurgischen operativen Versorgung.

Orientiert am A, B, C, D, E werden mit einfachen Untersuchungen und Maßnahmen der Atemweg gesichert (A – „airway and cervical spine protection“), die Belüftung der Lungen (B – „breathing“) sicher- oder wiederhergestellt, ein Kreislaufproblem (C – „circulation“) ausgeschlossen oder therapiert, eine Einschränkung der Bewusstseinslage oder eine andere neurologische Funktionsstörung (D – „disability“) erfasst und weitere nachteilige Unfallfolgen durch Umwelt- oder Umgebungseinflüsse (E – „environment“) verhindert [2].

Es gilt das Prinzip des „treat first what kills first“! Das Vorgehen zielt auf das bestmögliche Outcome des individuellen Verletzten – beginnend mit den initialen Behandlungsschritten und perspektivisch ausgerichtet auf das Langzeitergebnis.

Nach der Übergabe des Verletzten im Schockraum gliedert sich das Vorgehen in einen „primary“ und einen „secondary survey“. Die klinische Untersuchung wird hierbei durch „adjuncts“, ergänzende diagnostische Maßnahmen, erweitert.

Dient der Primary survey dem Erkennen und der Therapie der unmittelbaren lebensbedrohlichen Unfallfolgen und Komplikationen, beinhaltet der Secondary survey die Untersuchung des gesamten Verletzten, nachdem lebensbedrohliche Komplikationen ausgeschlossen oder erfolgreich therapiert wurden und der Verletzte hämodynamisch stabil ist.

Es wird deutlich, dass der Secondary survey bei einem hämodynamisch instabilen Verletzten auch zeitverzögert, nach der ersten Stabilisierung, ggf. auch durch einen notfallchirurgischen Eingriff, erfolgen kann. Ziel des Secondary survey ist es, alle Diagnosen und Verletzungen umfänglich zu erfassen.

Exemplarisch und schematisch zeigt Abb. 1 das individualmedizinische Vorgehen nach den ATLS®-Prinzipien (adaptiert aus der 10th edn. ATLS®).

Abb. 1
figure 1

Schematische Übersicht über die individualisierte Traumaversorgung nach dem ATLS®‐Konzept. e‑FAST „extended focussed assessment with sonography in trauma“, BGA Blutgasanalyse, Rö-Thx Thoraxröntgen, Rö-BÜS Beckenübersichtsröntgen, GCS Glasgow Coma Scale, Temp. Temperatur. (Logo mit freundlicher Genehmigung der AUC/BikMed)

Terror and Disaster Surgical Care – Hintergrund und Prinzipien

Unter der Annahme, dass bei einem TerrorMANV spezielle Verletzungsmuster vorliegen, eine eskalierende Dynamik der Lage und das Aufkommen vieler Betroffener und nichtvorbehandelter hämodynamisch instabiler Verletzter mit lebensbedrohlichen Blutungen ein Krankenhaus in eine akute Mangelsituation bringen können, wurde der TDSC®-Kurs entwickelt.

Er vermittelt taktisch-strategische Kenntnisse zum Vorgehen beim TerrorMANV, medizinisches Fachwissen zu den besonderen Verletzungsmustern, insbesondere nach Schuss- und Explosionsverletzungen, und schult v. a. erfahrene Klinikärzte in einem interaktiv angelegten Entscheidungstraining, welche Handlungsoptionen in dieser Ausnahmesituation zielführend sind.

Grundsätzlich richtet sich der Kurs an alle ärztlichen Kollegen, insbesondere erfahrene Chirurgen, die potenziell innerklinisch als Entscheidungsträger in der Bewältigung einer Schadenslage (MANV oder TerrorMANV) eingesetzt werden können und damit dann die Funktion des zentralen operativen Notfallkoordinators (ZONK) wahrnehmen (s. unten).

Die dabei vorgestellten und vermittelten Prinzipien der Versorgung eignen sich ebenfalls zur Bewältigung konventioneller Schadenslagen, wenn bei diesen eine Mangelsituation droht (MANV).

Der Kurs stellt den fokussierten Einsatz von Ressourcen, Diagnostik sowie interventionellen und operativen Maßnahmen in den Vordergrund, um das Überleben möglichst vieler im Sinne eines „the must for the most“ zu ermöglichen bzw. zu sichern.

Anders als bei der individualmedizinischen Schockraumversorgung (ATLS® oder ETC® im Teamansatz) und operativen Therapie nach den Prinzipien von „early total care“ (ETC) und „damage control surgery“ (DCS) erfolgt hier bis zur Aufhebung der vorübergehenden Mangelsituation ggf. eine Ressourcenverteilung nach den Prinzipien der „tactical abbreviated surgical care“ (TASC) [7].

Während es sich beim Damage-control(DC)-Konzept um eine individualmedizinische Gesamtbewertung des Verletzten handelt, welche (operativen) Maßnahmen bezüglich des Outcome (Überleben und Funktion) zielführend ist und dem Patienten zugemutet werden kann, ändert sich bei TASC die Perspektive.

Die Lage bestimmt hier das Vorgehen und das Ausmaß der notwendigen initialen diagnostischen/operativen Versorgung, um das unmittelbare Überleben zu sichern. Erfordert es die Lage, muss die individualmedizinische Versorgung jedes einzelnen Patienten dem Ziel, das Überleben möglichst vieler zu sichern, temporär untergeordnet werden.

Eine klinische Sichtung ist in einer solchen Lage unabdingbar, da sie eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Priorisierung der verfügbaren Ressourcen in der Mangelsituation darstellt und zudem zu erwarten ist, dass nichtgesichtete Verletzte unkoordiniert in eine Klinik kommen. Hierzu werden die Verletzten initial an der Klinik am Sichtungsplatz gesichtet und entsprechend den Sichtungsklassen kategorisiert (KATEGORISIEREN).

Der für diesen Bereich verantwortlich eingesetzte sog. LArS (leitender Arzt der Sichtung) sollte mit dem Thema Sichtung vertraut und im verwendeten Algorithmus geschult sein. Erfahrungen in der präklinischen Sichtung z. B. durch die Tätigkeit als leitender Notarzt (LNA) können hier hilfreich sein.

Dann erfolgt die Priorisierung durch einen verantwortlichen Chirurgen, den sog. ZONK, bezüglich der Indikationsstellung und operativen Versorgung (PRIORISIEREN). Hämodynamisch instabile Patienten, die einer unmittelbaren operativen Maßnahme zur Stabilisierung bedürfen, werden direkt identifiziert. Ausschließlich essenzielle Maßnahmen/Diagnostik zur Sicherstellung des Überlebens werden disponiert und der Umfang der zu realisierenden Maßnahme vom ZONK festgelegt (DISPONIEREN). Dann erfolgen das Verbringen in den OP und die Realisierung der vorher festgelegten (Art und geplanter Umfang: Wer operiert …, wen, was, wann, wo …) operativen Versorgung (REALISIEREN).

Nicht das beste funktionelle Outcome des Einzelnen steht initial in dieser Ausnahmesituation im Vordergrund, sondern das Überleben möglichst vieler. Rasche, gezielte und effiziente Entscheidungsfindung nach einfachen Kriterien und ein stringentes Führungsverhalten mit direkter Kommunikation sind gefordert.

Die schnellstmögliche Identifikation der Verletzten, welche durch eine hämodynamisch relevante, nichtstillbare Blutung unmittelbar vital bedroht sind, und die Organisation und Realisierung der unmittelbaren operativen Versorgung ohne Zeitverzug unter Bereitstellung der essenziellen Ressourcen, sind die vordringlichen Ziele aller Maßnahmen und Anstrengungen.

Neben dem Algorithmus: KATEGORISIEREN – PRIORISIEREN – DISPONIEREN – REALISIEREN und der auf das Sicherstellen des Überlebens fokussierten, lageorientierten taktischen operativen Versorgung (DCS und TASC) vermittelt das Kurskonzept Lösungsansätze zur kalkulierten Substitution von Gerinnungs- und Blutprodukten und für erweiterte organisatorische Maßnahmen zur Dehnung der vorhandenen Ressourcen, Personaldisposition, Raumordnung, Materialvorhaltung und -regeneration.

Integrierte Traumaversorgung in der temporären Mangelsituation

Vom interdisziplinären Schockraumteam zum Skill-kompetenten „TASC force team“

Beim Vorgehen nach ATLS® und gemäß der aktuellen S3-Leitlinie Polytraumversorgung/Schwerstverletztenversorgung [5] konzentrieren sich die Teamzusammensetzung, Diagnostik und das erforderliche Material in einem voll ausgerüsteten Schockraum.

Die Versorgung nach dem „Best-care“-Prinzip erfolgt angepasst an den Verletzten, den Verletzungsmechanismus und das vermeintliche Verletzungsmuster, immer unter der Prämisse einer individualmedizinischen Versorgung. In einer Mangelsituation ändert sich in der Vorbereitung und Organisation der Versorgung nach dem TDSC®-Prinzip die Perspektive. Redundanzen, Kompetenzen und alternative Behandlungsmöglichkeiten sind Ausnahmen vorbehalten.

Der Verletzte beim MANV/TerrorMANV wird nach der Sichtung an der Klinik in die für die Sichtungskategorie vorgesehenen Behandlungsbereiche gebracht. Dort wird er im Sinne des Primary survey gesehen und mit dem Therapieziel „Überleben“ behandelt – von denen, die dort eingesetzt sind und es durchführen können. Können heißt hier, dass die unmittelbar im Primary survey des ATLS® erforderlichen Skills/Maßnahmen (z. B. Narkoseeinleitung und Intubation, chirurgischer Atemweg, Entlastungspunktion und Anlage einer Thoraxdrainage, Perikardpunktion und eFAST, Druckverband, Wundtamponade, Tourniquet, Anlage eines Beckengurts) beherrscht werden müssen.

Individuell sind kleine schlagkräftige Teams (TASC force teams) zusammenzustellen, die gemeinsam diese Skills/Maßnahmen beherrschen und diese unter taktischen Gesichtspunkten durchführen. Die Aufgabenverteilung an diese Teams erfolgt in enger Kooperation und Rücksprache mit dem ZONK. Diese Behandlungsteams arbeiten also unabhängig von Platz oder Raum für den jeweiligen Verletzten.

Entsprechend der fachlichen Bewertung des Gesamtzustands des Verletzten und unter Berücksichtigung der Lageentwicklung erfolgen durch den ZONK dann die Indikationsstellung zur operativen Versorgung sowie die Festlegung von Art und Umfang der Diagnostik, des geplanten Vorgehens und die Reihung der Patienten für den OP.

Von „best care“ zum „must care for“

Neben den Geräten zur Unterstützung dieser Maßnahmen (z. B. Absaugung, Beatmung, Sonographie, Monitoring) und dem erforderlichen Material in einfachster Ausführung ist hierfür nur ein Skill-kompetentes Kernteam (TASC force team) von z. B. Facharzt (z. B. Anästhesie oder Chirurgie), Weiterbildungsassistent (Chirurgie oder Anästhesie), Fachpflegekraft (ZNA) erforderlich. Hierbei richtet sich die Zusammensetzung der Teams nach dem Beherrschen der notwendigen Skills und der fachlich klinischen Erfahrung, nicht nach der Fachdisziplin.

Nicht der Schockraum als Ort und das interdisziplinäre Expertenteam als ein Behandler sind gefordert (wie bei der „best care“), sondern das patientenfokussierte innerklinische Behandlungsteam. Dieses bietet die Möglichkeit, das personell und materiell zum Überleben minimal Notwendige („must care for“) – ggf. ortsunabhängig – sicherzustellen.

Setzt man voraus, dass Verletzte der Sichtungskategorie I/rot (SK I) per definitionem unmittelbar vital bedroht sind, benötigt jeder SK-I-Patient im Behandlungsbereich Rot ein TASC force team.

Je nach Personalverfügbarkeit und Ressourcen ist es eine Handlungsoption, das VerhältnisBehandlungsteam : Patient im Behandlungsbereich Gelb initial z. B. auf 1:5 festzulegen und im Behandlungsbereich Grün auf 1:10.

Wächst der Personalkörper durch die Maßnahmen des aktivierten Krankenhausalarm- und Einsatzplans im Verlauf der Lage zeitnah an, können weitere TASC force teams zusammengestellt werden. Diese ersetzen dann sukzessive die Teams im Behandlungsbereich Rot, die ggf. ihren Patienten z. B. in den OP oder zur Diagnostik begleiten (das vermeidet Informationsverluste an Schnittstellen) oder zusätzlich z. B. im Behandlungsbereich Gelb eingesetzt werden.

Mit Wenig vielen Gutes tun – die Bedeutung der Sichtung

All dies geschieht unter der Prämisse, initial das Überleben möglichst vieler sicherzustellen und die etablierten Strukturen und Kenntnisse der individualmedizinischen Traumaversorgung so zu nutzen, dass mit einem geringeren Ressourcenansatz (Anpassung des Vorgehens an die TASC-Prinzipien) entsprechend den Sichtungskategorien effizient umgegangen wird.

Dies stellt hohe Anforderungen an die Sichtung und Kategorisierung. Sie muss sicherstellen, dass vital bedrohte Verletzte schnellstmöglich erkannt und dann für den Primary survey in die Behandlungsbereiche verbracht werden. Gleichzeitig verhindert eine exakte, standardisierte Sichtung in der Mangelsituation, dass innerklinisch Ressourcen oder Verletzte fehlgeleitet werden.

Dieses Vorgehen empfiehlt sich, bis die Lage beendet ist, das Ausmaß der Lage vollumfänglich bekannt ist, der Zustrom an Verletzten kontrolliert oder begrenzt/beendet ist, die Sichtung prä- und innerklinisch beendet ist und abschließend die Mangelsituation aufgehoben werden kann (Rückkehr zu den Behandlungskonzeptionen der DCS und des ETC).

ATLS® und TDSC® „Hand in Hand“

Es wird offensichtlich, dass die lebensrettenden Maßnahmen und Skills des Primary survey, wie sie im ATLS®-Kurs, aber auch z. B. im ETC®-Kurs vermittelt werden und das taktische und strategische Wissen aus dem TDSC®-Konzept unabdingbar aufeinander aufbauen bzw. ineinandergreifen. Sie ergänzen sich und ermöglichen das Bestehen in einer temporären Mangelsituation nach einem Massenanfall von Verletzten im Rahmen einer lebensbedrohlichen Lage (TerrorMANV).

Die wesentlichen Elemente beider Vorgehensweisen stellt Abb. 2 dar.

Abb. 2
figure 2

Gegenüberstellung und Reihung der wesentlichen Inhalte des TDSC®- und ATLS®-Konzepts nach zeitlichen, taktischen und strategischen Gesichtspunkten zur Verdeutlichung der unterschiedlichen Zielsetzung bei der taktischen, lageabhängigen (oben) und individualmedizinischen Versorgung. DCS „damage control surgery“, TASC „tactical abbreviated surgical care“. (Logos mit freundlicher Genehmigung der AUC/BikMed)

Eine schematische Übersicht, wie sich die etablierten Inhalte aus ATLS® und TDSC® zeitlich, örtlich und personell organisieren lassen, gibt Abb. 3. Beispielhaft sind an einem Behandlungsteam die Inhalte des Primary survey im roten Behandlungsbereich dargestellt. Hier ist vorgesehen, dass ein Behandlungsteam einen roten Patienten versorgt (1:1).

Abb. 3
figure 3

Konzept der integrierten Versorgung nach taktischen Gesichtspunkten unter Gewährleistung der initialen Inhalte des Primary survey zur Behandlung der unmittelbar lebensbedrohlichen Folgen der Verletzung durch die Skill-kompetenten TASC force teams und weitere Disposition und Realisierung der operativen Versorgung. Vorschlag bezüglich einer risikoadaptierten Betreuungsstärke in den einzelnen Behandlungsbereichen. SK Sichtungskategorie, DCS „damage control surgery“, TASC „tactical abbreviated surgical care“, PoC „point of care“, BG Blutgruppen

Risikoadaptiert ist diese Behandlungsstärke initial in den Behandlungsbereichen Gelb (z. B. 1:5) und Grün (z. B. 1:10) geringer.

Kategorisieren, priorisieren, disponieren, realisieren

Für die schnellstmögliche und auf das Überleben fokussierte Behandlung ist die Sichtung an der Klinik durch den LArS nach innerklinischen Gesichtspunkten für die Kategorisierung, die Verteilung auf die entsprechenden Behandlungsbereiche und damit für die Festlegung der weiteren Diagnostik und Therapie entscheidend. Sowohl Unter- als auch Übertriage wirken sich nachteilig auf Überleben oder Ressourcenverteilung aus [8].

Die innerklinische Sichtung sollte standardisiert, durchgängig einheitlich und nachvollziehbar dokumentiert, algorithmusbasiert und auf das vorherrschende Krankheitsbild bzw. Verletzungsmuster adaptiert sein. Um Zeitverluste zu vermeiden, ist das Personal entsprechend auszubilden und zu schulen. Entsprechend sind organisatorische Abläufe regelmäßig zu beüben. Die Sichtung erlaubt dann in der Folge die weitere Behandlung nach Sichtungskategorie [3, 12, 18].

Nach der raschen Sichtung an der Klinik erlaubt die Durchführung von e‑FAST und Primary survey durch das Behandlungsteam im entsprechenden Behandlungsbereich in der Klinik die Feststellung der Gesamtverletzungsschwere und die Priorisierung der weiteren Behandlung der hämodynamisch instabilen Verletzten durch den ZONK [7].

Nur eine korrekt durchgeführte, räumlich fest vor Zutritt zum Krankenhaus verortete sowie konsequent durchgängig vorbereitete und dokumentierte Sichtung und nachfolgende Priorisierung erlauben eine strukturierte und fokussierte Bewältigung einer Schadenslage mit einem MANV oder TerrorMANV im Rahmen einer LebEL.

Fokussierte Labordiagnostik

Auch in einer temporären Mangelsituation sind das Erkennen der Ausprägung und Schwere eines hämorrhagischen Schocks, der traumaassoziierten Koagulopathie und das Abschätzen des Transfusionsbedarfes für die initiale Stabilisierung (Ressourcenplanung), den Erfolg der nachfolgenden operativen Versorgung und die Gesamtmortalität entscheidend.

Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass z. B. die Schocktiefe, anhand des Blutdrucks, pH und „base excess“ abgeschätzt, mit dem Transfusionsbedarf korreliert [11, 19, 25]. Diese Werte lassen sich mit den Standardergebnissen einer BGA als „Bedside“- oder „Point-of-care“(PoC)-Diagnostik ermitteln [22].

Auch gibt es Hinweise, dass eine – anhand des Surrogatparameters „Hb bei Aufnahme“ abgeschätzter Blutverlust – kalkulierte Substitution von Gerinnungsprodukten erfolgreich ist [13,14,15]. Die Bestimmung des Quick-Werts oder der International Normalized Ratio (INR) ist ebenfalls als Parameter zur Abschätzung einer Verdünnungskoagulopathie diskutiert und in der Routinetherapie mit Antikoagulanzien als PoC etabliert worden.

Gleichzeitig sind die Gerinnungsdiagnostik und Substitution anhand der Rotationsthrombelastometrie (ROTEM) als „Bedside“- und PoC-Diagnostik in vielen Zentren standardisiert eingeführt [17, 20, 21].

Alle diese Diagnostika sind zwar schneller verfügbar als eine Routinenotfalldiagnostik, aber trotzdem personal- und materialgebunden und erfordern einen gewissen Zeitansatz und Kompetenz und damit Ausbildung.

Essenziell für die Therapie des hämorrhagischen Schocks und zur Vermeidung von Organdysfunktionen und -komplikationen ist die Gabe von Blutprodukten im Verlauf, auch wenn initial bei fehlenden Kontraindikationen eine permissive Hypotonie und bei jungen Patienten ohne bekannte Neben- oder Vorerkrankungen eine erniedrigter Gesamt-Hb (permissive Anämie) toleriert werden können [23, 24].

Alle diagnostischen Maßnahmen und die Bereitstellung von Blutprodukten müssen in der initialen Phase des temporären Mangels auf die Verletzten fokussiert werden, die durch eine Blutung hämodynamisch instabil (SK I ++ – hämodynamisch instabil oder unmittelbare Op.) sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit einer direkten operativen Versorgung zu Blutstillung und Sicherung des Überlebens bedürfen.

Ziel ist, beim TerrorMANV im Rahmen einer LebEL das Routinelabor durch diese Maßnahmen zu entlasten, um Ressourcen für z. B. die Bereitstellung von Blutprodukten und die Durchführung der Blutgruppenserologie zu schaffen, da davon ausgegangen werden muss, dass der Vorrat z. B. an universell einsetzbaren Blutkonserven (0, Rh-neg.) schnell erschöpft sein wird.

Wie die Labordiagnostik entsprechend den Sichtungskategorien fokussiert werden kann, um die zeit- und personalaufwendige Diagnostik risikoadaptiert einzusetzen, zeigt Abb. 4.

Abb. 4
figure 4

Vorschlag für eine risikoadaptierte Diagnostik nach Sichtungskategorien in der initialen Phase der Versorgung. SK Sichtungskategorie, PoC „point of care“, BGA Blutgasanalyse, ROTEM Rotationsthrombelastometrie, BB Blutbild, Hb Hämoglobin, THR Thrombozytenzahl, PTZ Prothrombinzeit, PTT aktivierte partielle Thromboplastinzeit

Hierbei hat beispielsweise die Durchführung einer BGA bei der SK II z. B. das Ziel, okkulte Blutverluste zu erkennen. Die kapazitätsabhängige Durchführung der BGA bei SK-III-Patienten dient dem Screening auf eine respiratorische Insuffizienz bei klinisch auffälligen Verletzten z. B. dem Ausschluss einer „blast injury“ der Lunge.

Den gleichen Prinzipien folgend kann dann auch die Substitution von Gerinnungsprodukten (Abb. 5) in der Zielsetzung und Indikationsstellung an die Sichtungskategorien und Priorisierung zur unmittelbaren operativen Versorgung in der Initialphase angepasst werden:

Abb. 5
figure 5

Einordnung des Konzepts der fokussierten Diagnostik in das Gesamtkonzept des Versorgungsspektrums nach dem Konzept des TDSC®-Kurse. Hb Hämoglobin, BGA Blutgasanalyse, ETC „early total care“, DCS „damage control surgery“, TASC „tactical abbreviated surgical care“

Patienten-Flow in einer temporären Mangelsituation

Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der initialen klinischen Sichtung bei Aufnahme, Organisation der lebensrettenden Sofortmaßnahmen nach ATLS® und der taktisch-strategischen Grundsätze des TDSC® ist der in Abb. 6 dargestellte „Patienten-Flow“ eine Möglichkeit zur innerklinischen Organisation der Versorgung.

Abb. 6
figure 6

Synopsis des Patientenbehandlungsganges im Versorgungskonzept nach dem TDSC®-Konzept. LArS leitender Arzt Sichtung, ZONK zentraler operativer Notfallkoordinator, ZNA zentrale Notaufnahme, SK Sichtungskategorie, e‑FAST „extended focussed assessment with sonography in trauma“, BGA Blutgasanalyse, DCS „damage control surgery“, TASC „tactical abbreviated surgical care“, PoC „point of care“, ICU „intensive care unit“ (Intensivstation), IMC „intermediate care“, NST Normalstation

Es wird deutlich, dass die SK-I-Verletzten (rot) nach der Kategorisierung vordringlich dem Primary survey einer Behandlungseinheit mit dem TASC force team (Team mit Skill-Kompetenz) zugeführt werden müssen.

Entsprechend den Sichtungskategorien und der Dringlichkeit der erforderlichen operativen Versorgung erhalten die Verletzten dann lageabhängig ihre weitere Diagnostik.

Durch den ZONK werden das weitere Prozedere und ggf. die Reihung zur Operation/Diagnostik festgelegt und entschieden, welche zusätzliche erweiterte Diagnostik (Labor und Bildgebung) das Überleben und den Erfolg der operativen Stabilisierung ermöglicht (DISPONIEREN).

Die Labordiagnostik wird als fokussierte PoC-Diagnostik risikoadaptiert organisiert (Abb. 6). Im Anschluss erfolgt die schnellstmögliche Realisierung der Maßnahmen durch das TASC force team oder das Operationsteam.

Stabilisierte Patienten aus dem OP werden dann z. B. auf die Intensivstation (ICU) verbracht. Patienten, die auf der ICU trotz aller Maßnahmen hämodynamisch instabil werden, müssen nach Rücksprache mit dem ZONK zu Diagnostik oder Therapie erneut priorisiert und disponiert werden.

Verletzte der SK II (gelb) werden in den dafür vorgesehenen Behandlungsbereichen überwacht und von den dort eingesetzten Behandlungsteams therapiert oder kapazitätsabhängig dem Primary survey durch die Behandlungsteams im Behandlungsbereich rot zugeführt, wenn z. B. die SK-I-Patienten dort abgearbeitet sind.

Entwickelt ein Verletzter (SK II und SK III) eine vital bedrohliche Verletzungsfolge oder wird durch einen Arzt die Sichtungskategorie hochgestuft, kann er jederzeit (aber unter Berücksichtigung der Kapazität und nach Rücksprache mit dem ZONK) in den Primary survey durch die dort eingesetzten Behandlungsteams oder in den nächst höheren Behandlungsbereich eingeschleust werden.

Werden durch Alarmierungsmaßnahmen im Verlauf zusätzlich Skill-kompetentes Personal und Material für TASC force teams verfügbar, können auch in anderen Behandlungsbereichen (SK II und III) zusätzliche Behandlungsteams eingerichtet werden, um frühestmöglich alle Verletzten einer strukturierten und standardisierten Untersuchung (Primary survey) zuzuführen.

Der fokussierte Einsatz dieses zusätzlichen Personals sollte in Rücksprache mit dem ZONK erfolgen, um sicherzustellen, dass nach fachlich medizinischen Gesichtspunkten und lageabhängig z. B. die OP-Teams verstärkt werden, zusätzliche OP in Betrieb gebracht werden oder zusätzlich TASC force teams in den Behandlungsbereichen eingerichtet werden.

Teamzusammenstellung – TASC force team und OP-Team

Neben der Besetzung und Wahrnehmung der Aufgaben des LArS und des ZONK in der Organisation, dem schnellstmöglichen fokussierten Bereitstellen von Funktionspersonal für die Behandlungsbereiche (z. B. rot, OP, gelb, grün, Labor, Röntgenabteilung, IMC, ICU) ist die Skill-bezogene Zusammensetzung der Behandlungsteams (TASC force team) und der OP-Teams für die erfolgreiche operative Versorgung der Verletzten entscheidend.

Während die LArS- und ZONK-Funktionen (TDSC®-Kurs) geschult werden müssen und die „Skill-Kompetenz“ der TASC force teams durch eine ausreichende Anzahl von ATLS®-Providern oder in vergleichbaren Kursformaten geschulten Ärzten in der Vorbereitung sichergestellt werden kann, sind die Zusammensetzung der OP-Teams und die Bereitstellung ausreichender Mengen von OP-Sterilgut, OP-Sieben und ggf. Einmalinstrumenten eine organisatorische Herausforderung.

Durch die zunehmende Spezialisierung der einzelnen Fachdisziplinen und der inhaltlichen Entwicklung der Weiterbildungsordnung kann die flächendeckende Kompetenz der einzelnen chirurgischen Fachärzte für die Versorgung von perforierenden und penetrierenden Verletzungen, die Blutstillung in den Körperhöhlen und für die Prinzipien von DCS und TASC nicht mehr grundsätzlich vorausgesetzt werden.

Die Zusammenstellung „höhlenkompetenter Teams“ stellt bei einem TerrorMANV eine wesentliche Herausforderung dar. Eine Möglichkeit, im Vorfeld die Zusammensetzung der Teams zu strukturieren und notwendigen Fort- und Weiterbildungsbedarf zu definieren, ist die Erstellung einer Fähigkeitsmatrix.

Man definiert die erforderlichen Inhalte („Skills“) und befragt den Weiterbildungsbeauftragten (Klinik- oder Abteilungsleiter) und den jeweilig operativ Tätigen, welche Skills beherrscht werden, bekannt sind oder er sich/man ihm in einer Notfallsituation zutraut.

Die hierbei dokumentierten Defizite zwischen Anforderung und Können/Sichzutrauen stellen die z. B. durch Fort- und Weiterbildungsinhalte, Kurse und Organisationsmaßnahmen zu schließende Fähigkeitslücke dar.

Entsprechend den Ergebnissen können dann Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen (z. B. Teilnahme DSTC, CAMIN-Kurs, Gefäßtraumakurs) organisiert und für einen Schadensfall mit temporärer Mangelsituation mögliche Teamkombinationen im Vorfeld festgelegt und beübt werden.

Auch die Verstärkung einzelner OP-Teams mit ungebundenen Spezialisten aus z. B. Gefäß- und Viszeralchirurgie des eigenen Krankenhauses oder der Umgebung (Operateure und Instrumenteure) für einzelne spezielle Operationsschritte in einer Schadenslage ist denkbar.

Fazit für die Praxis

  • In einer innerklinischen Mangelsituation bei einem terrorassoziierten Massenanfall von Verletzten (TerrorMANV) durch eine lebensbedrohliche Einsatzlage (LebEL) ist die taktisch-strategische und lageabhängige Versorgung der Verletzten nach den TDSC®-Prinzipien „KATEGORISIEREN – PRIORISIEREN – DISPONIEREN – REALISIEREN“ eine sehr gute Möglichkeit zur Bewältigung einer dynamischen Schadenslage.

  • Durch eine integrative Berücksichtigung der Kursinhalte von Advanced Trauma Life Support® und Terror Disaster and Surgical Care® und ein Vorgehen nach lageabhängigen, taktischen Gesichtspunkten lässt sich eine auf das Überleben möglichst vieler Verletzter fokussierte medizinische Behandlung umsetzen. Dies ermöglicht den fokussierten Ressourceneinsatz in der temporären Mangelsituation bei einem TerrorMANV, die auch bei einem konventionellen MANV in einer Mangelsituation zielführend sein können.

  • Nach der Kategorisierung erfolgt zunächst der Primary survey der roten (SK-I-)Patienten mit dem Ziel, die instabilen, kritisch in die Körperhöhlen blutenden Verletzten frühestmöglich zu identifizieren. Diese werden für die operative notfallmedizinische Behandlung priorisiert, dann disponiert und erhalten Diagnostik und ergänzende Maßnahmen, um den Erfolg der Operation sicherzustellen, ohne diese zu verzögern.

  • Kapazitätsabhängig werden im weiteren Verlauf alle Verletzten der verschiedenen Behandlungsbereiche (rot vor gelb vor grün) den Behandlungsteams zugeführt und erhalten durch die TASC force teams (Tactical Abbreviated Surgical Care) ihren Primary survey nach ATLS®-Prinzipien.

  • Nur durch die Kombination von strukturierter Sichtung und Primary survey gelingt eine fokussierte Verteilung der vorhandenen Ressourcen. Grundvoraussetzung ist eine eingeübte, gut vorbereitete und standardisiert durchgeführte innerklinische ärztliche Sichtung durch den leitenden Arzt der Sichtung (LArS).

  • Die hier erstmalig zusammengefasst dargestellten Konzepte und Lösungsmöglichkeiten sind ein Vorschlag für die individuelle Vorbereitung und Adaptation der bereits etablierten Standards in der jeweiligen Klinik, um sich erfolgreich auf eine temporäre Mangelsituation bei einem TerrorMANV durch eine LebEL (Terroranschlag, Amoklage etc.) vorzubereiten.