Zusammenfassung
Hintergrund
Für die perkutane interne Fixation von Beckenfrakturen, die sich zunehmender Beliebtheit erfreut, werden verschiedene neue Techniken beschrieben.
Ziel der Arbeit
Im vorliegenden Beitrag werden die bildgebende Diagnostik, Indikation, Planung, apparative Ausstattung, chirurgische Technik und Komplikationen dieser Verfahren dargestellt.
Methoden
Neben einem Überblick über die Literatur werden die Techniken für die anteriore und posteriore Beckenstabilisierung erörtert.
Ergebnisse
Hochwertige präoperative Computertomographie(CT)-Aufnahmen sind für dieses Verfahren essenziell. Der anteriore Fixateur interne („InFix“) ist eine wirkungsvolle Technik zur Stabilisierung des vorderen Beckenrings und sollte gewöhnlich zusammen mit einer posterioren Fixation eingesetzt werden. Bei guter Technik lassen sich neurovaskuläre Verletzungen vermeiden, welche eine äußerst folgenreiche Komplikation darstellen können. Die „retrograde anterior column screw“ (RACS, retrograde anteriore Hüftbeinschraube) ist ein Verfahren, das bei den meisten Patienten angewendet werden kann; bei kleineren Patienten sind aber möglicherweise kleinere Schraubendurchmesser erforderlich. Die Insertion der Schraube erfolgt bei Frauen weiter lateral als bei Männern. Iliosakralschrauben (ISS) stellen eine wirkungsvolle Methode der posterioren Stabilisierung dar und können unter Verwendung der 2‑D- oder der 3‑D-Durchleuchtung, der Computer- oder CT-Navigation platziert werden.
Schlussfolgerung
Die perkutane Fixation von Beckenfrakturen erfordert eine Bildgebung hoher Qualität und kann durch Computernavigation unterstützt werden. Die sicheren Verfahren sind reproduzierbar; allerdings können nicht alle Patienten und Frakturmuster mit diesen Verfahren behandelt werden.
Abstract
Background
Percutaneous internal fixation of pelvic fractures is increasing in popularity with multiple new techniques reported.
Objectives
The purpose of this article is to outline the imaging, indication, planning, equipment, surgical technique and complications of these methods.
Methods
A review of the literature is provided and the techniques for anterior and posterior pelvic stabilization are discussed.
Results
High-quality preoperative CT scans are essential in planning for this technique. The anterior internal fixator (“InFix”) is an effective method for stabilizing the anterior ring and should be usually used in conjunction with posterior fixation. Good technique avoids neurovascular injury, which can be a devastating complication. The retrograde anterior column screw (RACS) is a technique that can be used in most patients, although in smaller patients smaller screw diameters may be needed. The entry point for the screw is more lateral in women than men. Iliosacral screws (ISS) are an effective method of posterior stabilization and can be placed using 2D or 3D fluoroscopy, computer navigation or CT navigation.
Conclusion
Percutaneous fixation of pelvic fractures requires high-quality imaging and can be aided by computer navigation. Safe techniques are reproducible; however, not all patients and fracture patterns can be treated using these techniques.
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Hintergrund
Verletzungen des Beckenrings sind häufig Folge eines hochenergetischen Traumas und gewöhnlich mit Begleitverletzungen assoziiert [1–3]. Zudem nimmt die Zahl an niedrigenergetischen Beckenfrakturen im hohen Alter zu [4].
Obwohl es sich in beiden Fällen um epidemiologisch unterschiedliche Populationen handelt, besteht eine vergleichbare Sterberate mit Blutung als Haupttodesursache [3].
Die Behandlung von Beckenfrakturen hat sich im vergangenen Jahrzehnt rasch weiterentwickelt. CT-Aufnahmen werden routinemäßig zur Diagnostik nach Trauma eingesetzt und erleichtern die Charakterisierung von Beckenverletzungen.
Die Fortschritte der prä- und intraoperativen Bildgebung ermöglichen eine einfachere Planung und Durchführung perkutaner Fixierungen, was zu sichereren und reproduzierbareren Ergebnissen führt.
Die größten Vorteile der perkutanen Fixierung sind die reduzierte Zugangsmorbidität, die reduzierte Blutung und die hierdurch beschleunigte Genesung der Patienten.
Ziel dieses Reviews ist eine Zusammenfassung der verschiedenen Möglichkeiten zur perkutanen internen Versorgung von Beckenringverletzungen.
Indikation zur Fixierung
Die primäre Indikation für Fixierung des Beckens ist die Instabilität des Beckenrings. Dennoch sollten auch andere Indikationen in Erwägung gezogen werden (Tab. 3). Die späte Fixierung von Beckenfrakturen sowie von Pseudarthrosen ist anspruchsvoll und resultiert häufig in schlechten Ergebnissen [7].
Perkutane Fixierungstechniken
Die perkutane Fixierung des Beckens kann in die vordere und hintere Fixierung unterteilt werden. In Tile-B-Frakturen muss nur der vordere Beckenring fixiert werden, um bei APC-Verletzungen (anteroposteriore Kompression) das „Buch zu schließen“, bzw. LC-Verletzungen (laterale Kompression) zu derotieren und zu reponieren [5]. In einer Studie wurde beschrieben, dass bei Tile-B-Frakturen allein die hintere Fixierung suffizient sein könne, um Rotationsstabilität zu erreichen [8], wobei dies kritisch hinterfragt werden muss. Bei Tile-C-Verletzungen sind die vordere und hintere Fixierung erforderlich, um vertikale und Rotationselemente zu kontrollieren.
Die perkutane Fixierung soll nur dann erfolgen, wenn eine geschlossene Reposition des Beckens erreicht werden kann. Die Reposition jedes Teils des Beckens ist essenziell, bevor mit der Fixierung begonnen werden kann, da eine unvollständige Reposition des vorderen oder hinteren Beckenrings die Reposition des jeweils anderen verhindert. Es sollte beachtet werden, dass nicht alle Beckenringverletzungen zur perkutanen Fixierung geeignet sind.
Perkutane Fixierung des vorderen Pfeilers
Techniken zur perkutanen Fixierung des vorderen Pfeilers (VP) sind:
-
perkutane Fixierung der Symphyse [18].
Vorderer-Pfeiler-Schrauben
Diese Technik wurde erstmals vor über 20 Jahren beschrieben [19]. Anatomische Studien [11, 12, 20–24] und klinische Studien [9, 10, 25–27] wurden veröffentlicht. Die Vorderer-Pfeiler-Schraube gewährleistet eine vergleichbare Stabilität des vorderen Beckens wie die Verplattung des oberen Schambeinastes [28].
Die retrograde Vorderer-Pfeiler-Schraube (RACS [9, 10, 28, 29]) wird häufiger verwendet als die antegrade Methode [30].
RACS werden vom anteromedialen Anteil des oberen Schambeinastes durch den oberen Schambeinast geführt, um oberhalb des Azetabulums zum Liegen zu kommen. Kürzere Schrauben erzielten im Leichenmodell eine vergleichbare Festigkeit wie die längeren (80 × 4,5 mm vs. 130 × 4,5 mm [28]).
RACS können mithilfe der 2‑D-Durchleuchtung platziert [10, 25] oder bildverstärkergestützt computernavigiert werden [9, 23].
Studien untersuchten den „sicheren Korridor“ für diese Schrauben unter Berücksichtigung anatomischer Unterschiede zwischen Männern und Frauen [11, 22]. In einer wurde gezeigt, dass der mittlere maximale Durchmesser des VP 6,4 mm beträgt; die Autoren raten von einer Verwendung größerer Implantate ab [31]. In einer 3‑D-CT-Studie mit 260 Becken definierten die Autoren die Eintrittsstelle für die Schraube lateral des Tuberculum pubis auf Höhe der superiormedialen Margo des Foramen obturatorium bei Männern und eine signifikant weiter lateral gelegene Stelle, nahe der kranialen Margo des oberen Schambeinastes bei Frauen [11]. In einer weiteren 3‑D-Studie wurde gezeigt, dass Frauen einen signifikant engeren Korridor aufweisen als Männer. Zusammenfassend könnten 6,5-mm-Schrauben sicher bei allen Männern, jedoch nur bei 80 % der Frauen verwendet werden [12].
Das originale klinische Kollektiv von RACS einer weiteren Studie ist eine heterogene Gruppe von 26 Patienten (Alter 6 bis 78 Jahre [10]). In dieser Studie wurden ein oszillierender 2,5-mm-Bohrer und 3,5- bzw. 4,5-mm-Schrauben unter 2‑D-Durchleuchtung eingesetzt. Drei Patienten erhielten RACS sowie eine symphysäre Plattenosteosynthese. Im Follow-up (mindestens 6 Monate) zeigten sich keine Schraubenbrüche, keine Pseudarthrosen, keine verzögerten Frakturheilungen und keine Infektionen. In 2 Fällen wanderten die Schrauben außerhalb des Knochens (im postoperativen CT erkannt), hiermit assoziierte Komplikationen wurden jedoch nicht verzeichnet.
In einer weiteren klinischen Studie mit 6 Patienten konnten keine operativen Komplikationen aufgrund von RACS bei signifikanter Schmerzreduktion nachgewiesen werden [25]. In einer Studie mit 26 Patienten, denen durch computerassistierte Chirurgie navigierte RACS implantiert wurden, zeigten sich keine kortikalen Perforationen bei Verwendung von 6,5-mm-Schrauben mit Teilgewinde [9]. In einer weiteren klinischen Studie wurde der kleinstmögliche Durchmesser für RACS mit 5,9 ± 1,6 mm beschrieben [32].
Technik der Autoren
Der Patient wird in Rückenlage auf einem strahlendurchlässigen Tisch gelagert, ein Harnblasenkatheter wird gelegt. Eine intravenöse Antibiose wird verabreicht. Das Becken wird abgewaschen und steril abgedeckt, Nabel, Mons pubis/Penisbasis, ASIS (Spina iliaca anterior superior) und Beckenkämme bleiben zugänglich.
Der Bildverstärker (BV) wird auf der Seite der zu platzierenden Schraube aufgebaut und steril bezogen (Abb. 1). Anhand von Inlet(Inlet-Ala)- und Outlet(Outlet-Obturator)-Projektionen (Abb. 2) werden Eintrittspunkt und -winkel eines 430 × 2,8 mm-Führungsdrahts mit der Bohrspitze ermittelt. Die Schnittführung verläuft über dem kontralateralen Schambeinast und es erfolgt eine stumpfe Präparation auf den Knochen. Eine Bohrhülse dient dem Weichteilschutz sowie als Führungshilfe für den Draht. Gebohrt wird oszillierend, um ein mögliches Aufwickeln von Weichteilen zu vermeiden. Der Führungsdraht wird unter regulärer 2‑D-Bildgebung vorgebohrt, wobei zwischen den beiden Projektionen gewechselt wird.
Falls die Fraktur nicht komplett reponiert ist oder der Führungsdraht besser geführt werden muss, wird ein 4,5-mm-kanülierter Bohrer über den einliegenden Führungsdraht bis zur Fraktur vorgebohrt (Abb. 3). Die Maschine wird vom Bohrer getrennt und der Führungsdraht nun unter Zuhilfenahme des kanülierten Bohrers unter Reposition über die Fraktur hinaus platziert (mit der gleichen Technik wurde ebenfalls die Platzierung einer Schraube beschrieben [29]). Der Führungsdraht wird bis zur Verankerung an der äußeren Kortikalis des Beckens vorgebohrt. Ein weiterer Draht der gleichen Länge dient zum Ausmessen der erforderlichen Schraubenlänge. Es wurden 6,5-mm-kanülierte Schrauben mit Teilgewinde verwendet. Bei bilateraler Versorgung mit RACS kann es erforderlich sein, den Schraubenkopf zu versenken, um den Eintrittswinkel der zweiten Schraube nicht zu blockieren (Abb. 4).
Komplikationen
Kortikale Perforation.
Um das Risiko einer Perforation zu minimieren, ist eine sorgfältige prä- und intraoperative Planung der Schraubenpositionierung erforderlich. Der minimale Durchmesser des „sicheren Korridors“ sollte anhand des CT ausgemessen werden, um die geplante Schraubengröße zu beurteilen. Eine unzureichende Frakturreposition erhöht das Risiko einer Perforation. Die individuelle Beckenanatomie (wie z. B. enge intraossäre Korridore oder geschwungene Schambeinäste) kann ebenfalls prädisponierend für eine Penetration der Schraube sein und von vornherein die Technik der RACS ausschließen.
Schrauben mit Teilgewinde reduzieren das Risiko einer Weichteilirritation bei kortikaler Perforation, insbesondere im Psoaslager.
Gelenkpenetration.
In einigen Fällen ist es aufgrund der Anatomie nicht möglich, die Schraube oberhalb des Azetabulums zu platzieren; in diesen Fällen sollten kürzere Schrauben, die vor dem Gelenk enden, eingesetzt werden.
Samenstrang-/neurovaskuläre Verletzungen.
Der Samenstrang liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Verlauf der RACS. Er liegt dem Operationsgebiet am nächsten auf Höhe der Inzision über dem kontralateralen Schambeinast und liegt im Durchschnitt 18 mm (Range 11–30 mm) von hier entfernt [33]. Um eine Verletzung zu vermeiden, sollte die primäre Inzision oberflächlich und die Präparation auf den Knochen stumpf durchgeführt werden. Der Führungsdraht sollte dann dem Knochen aufgesetzt und eine Gewebeschutzhülse über diesen geschoben werden.
Schlussbemerkung
Die Fixierung mit RACS ist technisch anspruchsvoll. Eine präoperative Planung ist essenziell, um Schraubengröße, Eintrittspunkt und -winkel zu bestimmen. Die Stabilisierung des hinteren Beckenrings ist Voraussetzung für die Platzierung einer RACS. Eine 6,5-mm-RACS wird in einigen Fällen aufgrund der weiblichen Anatomie nicht implantierbar sein, wohl aber bei der Mehrzahl der männlichen Patienten. Der Eintrittspunkt liegt bei weiblichen Patienten weiter lateral als bei männlichen. Der Gewebeschutz wird durch die Verwendung einer Schutzhülse und ein oszillierendes Bohren erhöht.
Anteriorer subkutaner interner Fixateur
In den letzten 10 Jahren hat eine rasche Verbreitung des erstmalig von Kuttner [13] beschriebenen anterioren internen Fixateurs (INFIX) stattgefunden, welcher durch den Erstbeschreiber seit 2003 eingesetzt wird. In dieser Fallserie wurden 19 Patienten mit bilateralen supraazetabulären polyaxialen Schrauben, welche mit einem vorgebogenen, subkutan getunnelten Metallstab verbunden wurden, versorgt. Beim Follow-up nach über 2 Jahren wiesen 95 % der Patienten exzellente, durchschnittliche oder moderate Ergebnisse auf.
Weitere Studien zeigten ebenfalls gute Ergebnisse nach dieser Technik [14, 16]. Die Technik wird in diesen Veröffentlichungen ausführlich beschrieben und erfordert einen Mini-open-Zugang im proximalen Bereich des Smith-Petersen-Zugangs. Es ist darauf zu achten, den N. cutaneus femoris lateralis nicht zu verletzen. Die Obturatorprojektion kann dazu verwendet werden, den Hautschnitt zu bestimmen und die „Tränenfigur“ darzustellen, die den optimalen Eintrittspunkt markiert. Mit der Ahle oder dem Bohrer wird der Knochen proximal des M.-rectus-femoris-Ansatzes eröffnet. Unter 2‑D-Durchleuchtung wird der Bohrer vorgebohrt, wobei sich anhand der Alaprojektion versichert werden muss, dass der Eintrittspunkt auf Höhe der Spina iliaca anterior inferior (AIIS) und der Verlauf außerhalb des Hüftgelenks und oberhalb der Ischiadikusnotch liegen. Eine weitere Obturatoraufnahme kontrolliert die intraossäre Lage des Implantats zwischen der inneren und äußeren Kortikalis des Beckens. Pedikelschraubenlängen von 5, 7, 7,5 und 8 mm wurden beschrieben [13, 14, 16] und eine intraossäre Tiefe von >60 mm empfohlen [14], wobei dies nicht immer umsetzbar ist. Die Schrauben werden mit einem Metallstab (Titan, Stahl oder Kobalt-Chrom) in verschiedenen Durchmessern (5–7 mm) verbunden.
Wichtig ist die epifasziale Lage der polyaxialen Schraubenköpfe, um nach Verbindung mit dem Metallstab eine Kompression des M. sartorius und der femoralen Gefäße und Nerven zu vermeiden. Der Stab wird dem Habitus des Patienten angepasst und vorgebogen, er wird subkutan auf Höhe der Gürtelfalte vorgeschoben.
Über die Inzisionen zur Schraubenplatzierung und bei weiterhin auf dem Schraubenkopf sitzender Maschine kann eine weitere Reposition erfolgen. Des Weiteren ist eine Derotation dislozierter Frakturen mithilfe komprimierender oder spreizender, auf das freie Ende des einseitig befestigten Stabes aufgesetzter Instrumente möglich.
Die Fixierung einer vertikalen Dislokation des hinteren Beckenrings sollte vor der definitiven Fixierung des vorderen Beckenrings durchgeführt werden.
In den meisten Studien werden polyaxiale Schrauben verwendet, obwohl eine experimentelle biomechanische Studie zeigte, dass monoaxiale Schrauben im Vergleich zu den polyaxialen eine signifikant höhere Festigkeit aufweisen. Die klinische Bedeutung ist jedoch nicht untersucht [34].
Technik der Autoren
Wir verweisen auf die Schritte wie oben beschrieben und erwähnen, dass der Eintrittspunkt der Schraube häufig knapp lateral der AIIS liegt, was eine gute Erreichbarkeit der „Tränenfigur“ ermöglicht. Es wurde ein 4,5-mm-oszillierender Bohrer (der Ahle vorzuziehen) verwendet und eine 10 × 100 mm-polyaxiale Pedikelschraube platziert. Der Fixateur wird gewöhnlich nach 3 Monaten entfernt, falls keine Kontraindikationen vorliegen (Abb. 5).
Komplikationen
Verletzung des N. cutaneus femoris lateralis (LCFN).
Dies ist die häufigste Komplikation mit einer beschriebenen Wahrscheinlichkeit an bleibenden Gefühlsstörungen von 8–31 % [13, 14, 16]. Das Risiko der Verletzung kann durch die offene Technik, stumpfe Präparation in die Tiefe und eine angemessene Retraktion der Wundränder minimiert werden. Eine Technik mit Weichteildilatoren bei 5 Patienten zeigte keine LCFN-Gefühlsstörungen [35]. Eine Gewebeschutzhülse und oszillierendes Bohren können das Risiko reduzieren. Auch bei sorgfältiger Technik kann eine Schädigung des Nervs sekundär aufgrund der Retraktion oder Irritation durch das Implantat auftreten. Häufig ist der Schaden rückläufig oder im Falle einer Persistenz von niedrigem Krankheitswert [13, 14, 16].
Lähmung durch Verletzung des N. femoralis.
Dies ist eine verheerende Komplikation, welche durch einen zu tief, unter die Faszie eingebrachten Schraubenkopf bedingt sein kann. Infolge dessen wird der Nerv beim Befestigen des Stabs komprimiert. Es ist obligat, den Schraubenkopf epifaszial zu belassen, um dies zu vermeiden. In einer Gruppe von 6 Patienten, die an dieser Komplikation litten (8 Nerven), heilte nur eine aus [36].
Heterotope Ossifikation (HO).
Die Ausbildung von HO im Bereich des Schraubenkopfs ist mit einer Rate von 25 % beschrieben [16], wobei in dieser Studie nur einer von 6 betroffenen Patienten Symptome zeigte. Dies könnte möglicherweise durch eine sorgfältige Gewebeschonung und durch Entfernung jeglicher knöcherner Rückstände bei der Schraubenplatzierung durch eine suffiziente Spülung reduziert werden (Abb. 5b).
Kortikale Perforation/Gelenkpenetration.
Der regelrechte Einsatz der Durchleuchtung sollte die korrekte Platzierung sicherstellen.
Schlussbemerkung
Die anteriore interne Fixierung stellt eine effektive Methode dar, um Stabilität des vorderen Beckenrings zu erreichen. Dennoch können bei falscher Technik verheerende Komplikationen drohen. Eine Vertrautheit mit der Technik ist Voraussetzung; diese wird meistens im Zusammenhang mit der posterioren Stabilisierung durchgeführt (wie z. B. iliosakral).
Perkutaner „Pelvic-bridge-Fixateur“ des vorderen Beckenrings
Eine weitere Innovation der perkutanen Fixierung des vorderen Beckenrings stützt sich auf das Konzept des anterioren internen Fixateurs. Diese Technik wurde in einer Studie beschrieben, die anhand von 48 Patienten die perkutane überbrückende Verplattung (n = 24) mit der externen Fixierung (n = 24) verglich [15]. Eine kleinfragmentwinkelstabile Reko-Platte (14–18 Loch) wird vorgebogen, um entlang der Beckenschaufel bis über die Symphyse hinaus, jederzeit oberhalb der Abdominalfaszie, zu liegen zu kommen. Die Schnittführung verläuft über dem anterioren Anteil des Beckenkamms (3,5 cm dorsal der ASIS) bzw. transversal über der Symphyse. Die Platte wird subkutan oberhalb der Abdominalfaszie tunneliert und an beiden Enden fixiert.
In der Studie wies die Gruppe mit überbrückender Platte signifikant weniger Komplikationen und signifikant weniger Frakturdislokation auf als die Fixateur-externe-Gruppe.
Eine weitere Studie dieser Arbeitsgruppe beschreibt eine Variante, bei der eine Platten-Stab-Konstruktion (entwickelt für die okzipitozervikale Fusion) an Stelle der Platte zum Einsatz kommt [17]. Der Plattenteil des Implantats wird am Beckenkamm, der Stab mit 4,5-mm-Pedikelschrauben an der Symphyse bzw. am oberen Schambeinast befestigt.
Relevante Vorteile dieser Technik sind die Reduktion auf die einseitige Instrumentierung bei einseitigen Verletzungen sowie bei bilateralen anterioren Frakturen die Möglichkeit weiterer Schraubenplatzierungen in einem mittleren „Schmetterlingsfragment“, um das Fragment besser retinieren zu können.
Wie bei INFIX weisen die Autoren darauf hin, dass der hintere Beckenring vor der Anwendung dieser Technik stabilisiert sein muss.
Schlussbemerkung
Diese Alternative der anterioren Stabilisierung ist nicht weit verbreitet und sollte daher den mit ihr vertrauten Chirurgen vorbehalten bleiben.
Perkutane Fixierung des hinteren Beckenrings
Die Fixierung des hinteren Beckenrings ist ein essenzieller Bestandteil der Stabilisierung des verletzten Beckens. Frakturen des hinteren Beckenrings beinhalten Sakrumfrakturen, Verletzungen des Iliosakralgelenks sowie Beckenschaufelfrakturen. Die mit offenen Zugängen zum hinteren Beckenring einhergehende Morbidität führte zur Verbreitung der perkutanen Fixierung [19, 37].
Iliosakralschrauben (ISS)
Perkutane ISS wurden anhand zahlreicher klinischer Studien als sichere Technik beschrieben [2, 9, 19, 37–47]. Ihre Verwendung reduzierte das Risiko für Blutungen und Infektionen im Vergleich zu offenen Verfahren [19, 37]. Außerdem zeigten sich ein verbessertes funktionelles Outcome, niedrigerer Schmerzscore und weniger Frakturdislokation des Beckens [43, 46]. Die mittlere Genauigkeit der ISS ist mit einer Fehlplatzierungsrate von etwa 2,5 % gut [48].
Die ISS-Versorgung beinhaltet eine geschlossene Reposition, das perkutane Einbringen eines Führungsdrahts sowie einer kanülierten Schraube über den Draht.
Unter Durchleuchtung wird der Draht durch den posterosuperioren Anteil der Beckenschaufel, durch den sakralen Flügel in den sakralen Körper geführt. Hierzu dienen die Inlet-, Outlet- und lateralen Projektionen.
Die präoperativen CT-Aufnahmen spielen bei der Darstellung von Fraktur und knöchernen Anatomie zur Planung der Schraubenplatzierung eine bedeutende Rolle [49, 50]. Die aktuellen Möglichkeiten der 3‑D-CT-Rekonstruktion haben das anatomische Verständnis des hinteren Beckenrings verbessert [51–54].
Die 2‑D- und 3‑D-durchleuchtungsgestützte Computernavigation bei der Versorgung mit ISS hat sich als sicher und genau erwiesen [9, 55]. In einer Studie des Deutschen Becken-Trauma-Registers konnte kein Unterschied bzgl. aller Komplikationen zwischen der konventionellen und der navigierten ISS-Operationstechnik nachgewiesen werden [56], wobei sich eine signifikant höhere Rate an Nervenverletzungen in der navigierten Gruppe zeigte, was schwer erklärbar ist. CT-gestützte und CT-navigierte Schrauben wurden ebenfalls in einigen Zentren verwendet [44, 45, 57, 58], eine aktuelle Metaanalyse beschreibt diese als genaueste Methode zur ISS-Platzierung [56].
Die chirurgische Technik des Einbringens von S1-Schrauben ist ausführlich beschrieben [19, 59]. Auf 3‑D-Rekonstruktionen beruhende anatomische Studien zeigten, dass der sakrale Pedikel mit einem Durchmesser von 15,6 mm (11–20 mm) die engste Passage für die Schraube darstellt [32]. Dieser Korridor wird durch ungenügende Reposition weiter verkleinert [50]. Eine signifikante Komplikation der ISS stellen die Winkelabweichung der Schraube und die hierdurch verursachte kortikale Perforation dar [60].
Optimale Länge, Breite, Typ und Ort der Platzierung der ISS sind weiterhin Gegenstand der Diskussionen. Autoren beschrieben den Einsatz von 6‑, 6,5-, 7,3- und 8‑mm-Schrauben. Dabei kommen Schrauben mit durchgehendem oder Teilgewinde zur Anwendung. Mithilfe konventioneller 2‑D-Durchleuchtung wird der Eintrittspunkt der ISS in den 3 Standardprojektionen des Beckens, lateral, Inlet und Outlet, ermittelt [19, 59]. Die ISS wird durch das Ilium, durch das Iliosakralgelenk in den sakralen Flügel/Körper eingebracht. Falls nötig, kann die Schraube transsakral bis jenseits des kontralateralen Iliums platziert werden. Gewöhnlich wird nur die S1-ISS besetzt, eine S2-ISS kann für zusätzliche Stabilität oder in Fällen eines aufgrund der Form ungeeigneten S1-Korridors zum Einsatz kommen.
In biomechanischen Studien wurde gezeigt, dass die Stabilität der Beckenfixierung bei der Kombination von ISS mit anteriorer Fixierung zunimmt [61]. In den meisten Fällen bewirkt eine S1-Schraube suffiziente Stabilität [61–63], wobei in Studien gezeigt wurde, das 2 Schrauben in S1 und S2 eine höhere Stabilität aufweisen [64, 65].
Technik der Autoren (2-D-gestützte computerassistierte Navigation)
Der Patient wird in Rückenlage auf einem strahlendurchlässigen Tisch gelagert, ein Harnblasenkatheter wird gelegt. Ein strahlendurchlässiges Schaumstoffkissen wird unter dem Sakrum des Patienten platziert, um das Becken anzuheben und so die erforderlichen Zugangswege zu exponieren. Eine intravenöse Antibiose wird verabreicht. Das Becken wird abgewaschen und steril abgedeckt, wobei die Zugänge zum Nabel, zu den Schambeinästen, zur ASIS und zu den Beckenkämmen frei bleiben. Der BV wird steril bezogen. Es wird eine geschlossene Reposition der Fraktur durchgeführt, in einigen Fällen mithilfe eines Fixateur externe oder einer Extension. Im Falle einer Zerreißung der Symphyse erfolgt eine offene Reposition und provisorische Fixierung mit einer Zange.
Eine 5‑mm-Schantz-Schraube wird in die kontralaterale Beckenschaufel eingebracht, an der ein reflektierender Referenzmarker zur Computernavigation befestigt wird. Durchleuchtungsbilder des Sakrums (Inlet, Outlet und lateral) werden an den Brainlabcomputer übermittelt. Ein Referenzgitter am Detektor des BV sowie der X‑Spot des Referenzinstruments werden zentral im durch die Kamera erkannten Feld eingestellt und ermöglichen dem Computer eine Orientierung und Abgleichung der Bilder relativ zum Becken. Der Verlauf der ISS wird anhand der registrierten Bilder geplant.
Die kalibrierte Bohrhülse wird überprüft und anschließend ein 2,8-mm-Führungsdraht registriert. Es erfolgt ein Hautschnitt, woraufhin ein 430 × 2,8-mm-Führungsdraht mit Bohrspitze navigiert eingebracht wird. Oszillierendes Bohren und die „stoßende“ Technik ermöglichen einen taktilen Eindruck zur sicheren Platzierung des Drahts innerhalb des Knochens. Die Schraubenlänge wird anhand des eingebrachten Drahts ausgemessen und eine 7,3-mm-Schraube mit durchgehendem Gewinde mit Unterlegscheibe eingebracht. Die Abschlussbilder werden gespeichert (Abb. 6a–c).
Komplikationen
Kortikale Perforation.
Eine Schraubenfehlplatzierung kann kortikale Perforationen des anterioren Körpers von S1, des Spinalkanals, des sakralen Flügels, der Neuroforamina oder der superioren Deckplatte verursachen. Dies kann zu Nervenwurzellähmungen oder Gefäßverletzungen führen. Das Risiko einer kortikalen Perforation wird bei Missachtung der Anatomie, unzureichender Frakturreposition oder Platzierung mehrerer Schrauben in einem Sakralwirbel erhöht. Ein Führungsdraht mit Bohrspitze kombiniert mit der „stoßenden“ Technik ermöglicht einen exzellenten taktilen Eindruck, um dem Operateur die Einschätzung der intraossären Lage des Drahts zu erlauben. Ein Draht mit Gewindespitze kann diesen Eindruck nicht erzeugen und erlaubt keine „stoßende“ Technik.
Nervenverletzungen.
Diese treten infolge kortikaler Perforation auf, die in einer postoperativen CT-Aufnahme diagnostiziert werden kann.
Unzureichende Frakturreposition.
Unzureichende Reposition oder Retention tritt häufiger in Fällen mit mangelhafter intraoperativer Bildqualität auf, wie z. B. bei adipösen Patienten oder erheblichen Darmgasüberlagerungen. Reposition und Behandlung grob dislozierter Frakturen und bilaterale Verletzungen sind aufwendiger. Die provisorische Fixierung mit einem Fixateur externe ist eine hilfreiche Technik zur Reposition und Stabilisierung des Beckens vor Implantation einer ISS.
Schlussbemerkung
Die ISS stellt eine sichere, reproduzierbare Technik, die 2‑D-, 3‑D- oder CT-gestützt sein kann, dar. Die Computernavigation kann ebenfalls eingesetzt werden. Präoperative CT-Aufnahmen sind Voraussetzung. Die Verwendung einer Schraube ist in den meisten Fällen suffizient.
Nach unserer Erfahrung sind die Schrauben mit durchgehendem Gewinde während der Nachbehandlung seltener rückläufig.
Andere Methoden zur perkutanen posterioren Stabilisierung
Fazit für die Praxis
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Die operative Versorgung von Beckenverletzungen ist anspruchsvoll.
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Patienten erleiden oftmals multiple Verletzungen und die Inzidenz gebrechlicher alter Patienten mit instabilen Frakturen nimmt zu.
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Die perkutane Versorgung von Beckenfrakturen kann bei Beachtung folgender Kriterien angewendet werden:
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Vorliegen einer präoperativen CT-Aufnahme,
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geschlossene Reposition der Fraktur möglich,
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hohe Qualität der intraoperativen Bildgebung möglich,
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Anwesenheit eines in offener und geschlossener Versorgung von Beckenfrakturen erfahrenen Chirurgen,
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Vorliegen des erforderlichen Materials.
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Die Stabilisierung des Beckens unter minimaler Weichteilschädigung ist die Grundlage für die perkutane Chirurgie.
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Es können schwere Komplikationen drohen, falls Techniken nicht regelrecht angewendet werden oder die Anatomie nicht ausreichend beachtet wird.
Literatur
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A. J. Stevenson, B. Swartman und A. T. Bucknill geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Redaktion
P. Grützner, Ludwigshafen
F. Gebhard, Ulm
Die englische Version dieses Beitrags ist unter doi: 10.1007/s00113-016-0225-x zu finden.
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Stevenson, A.J., Swartman, B. & Bucknill, A.T. Perkutane interne Fixation bei Beckenfrakturen. Unfallchirurg 119, 825–834 (2016). https://doi.org/10.1007/s00113-016-0242-9
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00113-016-0242-9