Hintergrund

Bei 720.000 osteoporotischen Frakturen pro Jahr in Deutschland [13] machen geriatrische Patienten bereits heute im unfallchirurgischen Krankenklientel einer Akutklinik einen Anteil von z. T. über 50 % aus. Unter allen in Deutschland stationär zu behandelnden Patienten zählt die (koxale) Femurfraktur (ICD10 S72) zu den 10 häufigsten Hauptdiagnosen [5]. Betrug die Inzidenz koxaler Femurfrakturen als Indikatorfraktur 1995 noch 121,7 pro 100.000 Patienten, lag sie 2010 schon bei 156,9 pro 100.000 Patienten [8]. Bedingt durch den demographischen Wandel wird trotz einer konstanten oder sogar leicht fallenden altersadjustierten Inzidenz koxaler Femurfrakturen bis 2030 mindestens mit einer Verdopplung bis Verdreifachung dieser Patientenzahl zu rechnen sein [12].

Zunehmende sozioökonomische Relevanz der Alterstraumatologie

Diese Zahlen unterstreichen die zunehmende sozioökonomische Relevanz der Alterstraumatologie. Zusammenhänge zwischen den typischen geriatrischen Frakturen, Osteoporose, Sarkopenie und Frailty-Syndrom machen die adäquate Versorgung alterstraumatologischer Patienten zur Herausforderung für alle Beteiligten im Gesundheitswesen.

Gerade koxale Femurfrakturen sind als Surrogatparameter für eine Verschlechterung des Allgemeinzustands zu sehen. Einjahresmortalitätsraten um die 30 % [7] und hohe Institutionalisierungsraten nach erlittener Fraktur untermauern dies [1]. Neben häufigen Komorbiditäten wie koronaren Herzerkrankungen, Diabetes mellitus, Morbus Parkinson mit entsprechender Medikation und Narkoserisiko liegt bei etwa der Hälfte der Patienten mindestens eine der Diagnosen Depression, Delir oder Demenz vor [2, 6].

Koxale Femurfrakturen sind für eine Verschlechterung des Allgemeinzustands mit verantwortlich

Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) widmet sich diesem Thema in der AG Alterstraumatologie seit 12 Jahren in vermehrtem Umfang. Naturgemäß standen zunächst besondere Frakturentitäten, die Biomechanik und Osteosynthesetechniken des alternden Knochens im Vordergrund. Mit dem ersten interdisziplinären Kongress Alterstraumatologie 2005 in Münster rückten zunehmend auch versorgungspolitische Aspekte und notwendige interdisziplinäre Lösungsansätze dieses auch gesundheitspolitisch stark gewichteten Themas in den Fokus der AG Alterstraumatologie.

Interdisziplinärer Behandlungsansatz in der Alterstraumatologie

Es liegt nahe, dass Patienten mit der Diagnose einer Altersfraktur vorrangig durch einen interdisziplinären und multiprofessionellen Ansatz seitens der Ärzte, Pflegekräfte und Physiotherapeuten zu behandeln sind, um perioperative Komplikationen zu vermeiden und die noch bestehende Selbsthilfefähigkeit postoperativ wiedererlangen zu können.

In den letzten Jahren haben sich Autoren im europäischen Raum auch in Kooperation mit der AG Alterstraumatologie der DGU intensiv mit der frühen geriatrischen Mitbehandlung alterstraumatologischer Patienten befasst. Hier konnte bei akutmedizinischer Integration geriatrischer Kompetenz ein Benefit hinsichtlich Mortalität und der Vermeidung von Komplikationen gezeigt werden [3, 9].

Alterstraumazentren

Auf dem Boden dieses wissenschaftlichen und politischen Hintergrunds begleitet die AG Alterstraumatologie der DGU initiativ die Idee erster seit 2007 sich formierender interdisziplinärer Alterstraumazentren. Mit dem Ziel einer erhöhten Sicherheit und Qualität in der unfallchirurgischen Versorgung älterer und alter Patienten entstand bereits frühzeitig die Idee einer Zertifizierung von Alterstraumazentren nach eindeutig qualitätsorientierten Kriterien.

Die Zertifizierung von Alterstraumazentren erfolgt nach qualitätsorientierten Kriterien

Die Basis für die unfallchirurgische Initiative interdisziplinärer und zertifizierter Alterstraumazentren bildet ein Kriterienkatalog, der schließlich ab 2009/2010 unter Einbindung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und des Bundesverbandes Geriatrie ergänzt und unfallchirurgisch-geriatrisch konsentiert wurde. Darüber hinaus wurden gemeinsam mit Partnern aus den wissenschaftlichen geriatrischen Fachgesellschaften interdisziplinäre Anforderungen und klinische Standards zur Diagnostik und Therapie häufiger Komorbiditäten in der Alterstraumatologie erarbeitet.

Auditierung und Zertifizierung

Die Auditierung von 10 Pilotzentren 2012/13 durch jeweils unfallchirurgische und geriatrische Fachexperten sowie zertifizierungserfahrene Systemauditoren diente der Evaluierung und einer ersten Überarbeitung des Kriterienkatalogs und des Auditverfahrens. Die notwendigen finanziellen Mittel und organisatorischen Voraussetzungen für die Pilotphase und die anschließende Weiterentwicklung des Verfahrens wurden durch die Akademie der Unfallchirurgie (AUC) zur Verfügung gestellt.

Mit der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie als „herausgebende Stelle“ wird das Verfahren zur Zertifizierung von AltersTraumaZentren DGU seit 2014 von einem unabhängigen und akkreditierten Zertifizierungsunternehmen mit Expertise im Gesundheitswesen durchgeführt und verantwortet. Kooperationsverhandlungen zwischen Deutscher Gesellschaft für Unfallchirurgie und den geriatrischen Fachgesellschaften und Verbänden sind z. Zt. um ein unfallchirurgisch-geriatrisch gemeinsam getragenes Verfahren bemüht.

Der dem Zertifizierungsverfahren zugrunde liegende Kriterienkatalog AltersTraumaZentrum DGU wurde in Onlineanmelde- und Auditchecklisten umgesetzt. Zur gezielten Auditvorbereitung erhalten die Zentren eine Selbstbewertungscheckliste, die die Audittiefe und -breite noch einmal differenziert wiedergibt. Das Audit selbst wird von einem verfahrensverantwortlichen Systemauditor mit Personenakkreditierung als Qualitätsauditor (gemäß EOQ-Regelwerk [European Organization for Quality]) durchgeführt. Der das Audit begleitende Fachexperte ist ein Chef- oder Oberarzt aus der Unfallchirurgie oder Geriatrie mit Leitungsexpertise in einem interdisziplinären Alterstraumazentrum.

Das Audit folgt einerseits inhaltlich dem Kriterienkatalog AltersTraumaZentrum DGU und darüber hinaus der Qualitätsmanagement(QM)-Systematik der DIN EN ISO, ohne dass eine Zertifizierung nach DIN EN ISO vorausgesetzt wird. Die hohe Akzeptanz des Vorort-Audits durch die Zentren verdankt sich insbesondere der Fachdiskussion „auf Augenhöhe“ mit der Möglichkeit zu einem Lernprozess mit Motivationspotenzial für alle beteiligten Berufsgruppen. Die in dem Zentrum tatsächlich umgesetzte Qualität der gelebten Interdisziplinarität mit ihrer Durchdringungstiefe sowohl bei den Patienten wie auch bei den am Behandlungsprozess beteiligten Berufsgruppen steht im Fokus des Auditprozesses, der mit einem Abgleich der Dokumentationsqualität in ausgewählten Patientenakten seinen Abschluss findet.

Kooperationsmodelle in der Alterstraumatologie

AltersTraumaZentren DGU wurden und werden mit unterschiedlichen unfallchirurgisch-geriatrischen Kooperationsmodellen auditiert. Die Kooperationen reichen von 2 bettenführenden Abteilungen Unfallchirurgie/Geriatrie (ggf. mit gemeinsamen interdisziplinären Betten) an einem oder 2 Standorten, unter gemeinsamer oder verschiedener Trägerschaft, die personale Integration geriatrischer Fachkompetenz in die Strukturen einer Unfallchirurgie bis hin zu Verbundkooperationen. Die (derzeit noch) sehr begrenzten geriatrischen Personalressourcen machen eine entsprechende Variabilität und Flexibilität der Kooperationsmöglichkeiten erforderlich, um dem notwendigen Bedarf an geriatrischer Kompetenz im alterstraumatologischen Behandlungsverlauf gerecht zu werden. Dabei konnte bislang die eindeutige Überlegenheit eines bestimmten unfallchirurgisch-geriatrischen Kooperationsmodells nicht nachgewiesen werden [9]. Die Erfahrungen in den bereits durchgeführten Audits legen jedoch die Vermutung nahe, dass der Grad der „Durchdringung“ interdisziplinärer Behandlungsqualität und damit der Patientennutzen offensichtlich weitestgehend unabhängig vom jeweiligen Kooperationsmodell zu bewerten ist.

Im 1. Jahr der Auditierung von AltersTraumaZentren DGU (bis Ende 2015) wurden insgesamt 33 Audits durchgeführt und 27 Zertifikate „AltersTraumaZentrum DGU“ vergeben; 116 Kliniken haben sich für das Verfahren registrieren lassen. Mit der Schweiz und Österreich haben sich auch ausländische Alterstraumazentren dem DGU-Verfahren angeschlossen. Als erstes ausländisches Zentrum wurde im Juli 2015 das Altersunfallzentrum am Kantonsspital Luzern als AltersTraumaZentrum DGU erfolgreich zertifiziert. Die Auditierung weiterer Zentren in der Schweiz und in Österreich folgt bzw. steht unmittelbar bevor.

Wenngleich es auch nach derzeitigem Kenntnisstand zahlreiche Hinweise auf die Effizienz eines unfallchirurgisch-geriatrischen Komanagements für das Behandlungsoutcome in der Alterstraumatologie gibt [3, 11], kann noch keine endgültige Aussage darüber getroffen werden, ob und ggf. welche unfallchirurgisch-geriatrischen Strukturmomente ein verbessertes Behandlungsoutcome besonders begünstigen [6]. Ebenso fehlt immer noch ein Konsens über die Definition praktikabel zu erhebender Outcomedaten zur Herstellung wissenschaftlicher Evidenz auf einer breiten Datenbasis unabhängig von nationalen Strukturunterschieden [4].

Alterstraumaregister, Perspektiven

Zur Beantwortung versorgungspolitischer Fragen und so auch der Ressourcenallokation wird Registerforschung damit auch in Deutschland unerlässlich. So ergeben Registerdaten aus Großbritannien eine Verbesserung des funktionellen Outcomes durch eine interdisziplinäre Behandlung und eine weitere Verbesserung der Behandlungsqualität im zeitlichen Verlauf allein durch die Teilnahme der Kliniken an der Registerarbeit [10]. Notwendig und folgerichtig ist somit, dass die AltersTraumaZentren DGU obligat Anbindung an ein Alterstraumaregister finden.

Die AltersTraumaZentren DGU müssen obligat Anbindung an ein Alterstraumaregister finden

Mit dem TraumaRegisterDGU haben DGU und AUC (inzwischen auch international) anerkannte Expertise in der Registerarbeit bewiesen. Mit der Entwicklung eines AltersTraumaRegister DGU ist es somit naheliegend, an die Expertise TraumaRegisterDGU anzuknüpfen. Unter Nutzung der Erfahrungen mit der britischen National Hip Fracture Database und in Zusammenarbeit mit dem Fragility Fracture Network (FFN) konnte ein international konsentierter Datensatz entwickelt, in einer Pilotphase (auch international) erprobt und evaluiert werden. Dieser Registerdatensatz steht den AltersTraumaZentren DGU ab Anfang 2016 obligat zur Entwicklung des eigenen Qualitätsmanagements und Benchmarks untereinander zur Verfügung. Die in den AltersTraumaZentren zu erhebenden Daten lassen sich darüber hinaus in international als bedeutsam angesehene Registerdaten einfügen. Dem AltersTraumaRegister DGU wird zur Kontrolle der Versorgungswirklichkeit und der Effektivität der Zentrumsbildung mittel- und langfristig auch im Rahmen des im Aufbau befindlichen DGOU-Registernetzwerks eine wesentliche Rolle zukommen.

Fazit

  • Mit der Umsetzung der Aktivitäten der AG Alterstraumatologie der DGU in der Einführung eines Zertifizierungsverfahrens AltersTrauzmaZentrum DGU und dem Aufbau eines AltersTraumaRegisters DGU wird es ähnlich wie beim Traumanetzwerk und Traumaregister gelingen, für einen zukünftig weiter wachsenden Anteil unserer Patienten eine Steigerung der Versorgungsqualität zu erreichen und einen Beitrag zur Versorgungsforschung zu leisten.

  • Neben der Notwendigkeit, sich den medizinischen Herausforderungen zu stellen, müssen auch politische Entwicklungen zur Vergütung der Versorgung unfallchirurgischer Patienten berücksichtigt werden.

  • AltersTraumaZentren DGU und die Sammlung qualitätsrelevanter Daten im AltersTraumaRegister DGU können als Elemente einer qualitätsorientierten Steuerung im Gesundheitswesen genutzt werden.