Hintergrund und Fragestellung

Trotz hoher Professionalität im klinischen Alltag stellt das Polytrauma im Kindesalter immer wieder eine Ausnahmesituation dar. Obwohl sich eine niedrige Inzidenz von schwerverletzten Kindern zeigt, ist der Unfalltod nach wie vor die häufigste Ursache für das Versterben im Kindesalter [3, 17]. Hier ist ein besonderes Augenmerk auf die Verkehrsunfälle zu legen, welche den mit Abstand häufigsten Unfallmechanismus darstellen [1]. So ist die Anzahl der im Straßenverkehr verunglückten Kinder im Jahr 2011 seit 20 Jahren erstmalig wieder gestiegen. Insgesamt verunglückten 30.633 Kinder < 15 Jahren; 86 Kinder verunglückten tödlich [25]. Das Thema Polytrauma im Kindesalter gewinnt dementsprechend wieder an Bedeutung [5, 21].

Das Polytrauma von Kindern ist in vielerlei Hinsicht nicht mit dem im Erwachsenenalter zu vergleichen, sodass sich bereits einige Arbeiten mit den Unterschieden beschäftigt haben [4, 12, 26]. Die meisten dieser Studien wurden jedoch an einzelnen Zentren mit einer relativ geringen Fallzahl durchgeführt.

Insgesamt sind aufgrund von physiologischen und anatomischen Besonderheiten der Kinder unterschiedliche Verletzungsmuster zu erwarten. Aber auch die unterschiedlichen Aktivitäten und Erfahrungen beispielsweise im Straßenverkehr führen zu unterschiedlichen Unfallursachen und somit wiederum zu unterschiedlichen Verletzungen. Im Jahr 2012 wurde das Thema schwerverletzte Kinder und Jugendliche erstmals in die 2. überarbeitete Auflage des Weißbuchs Schwerverletztenversorgung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) aufgenommen.

Die vorliegende Arbeit soll auf Grundlage der bundesweiten Auswertung einer großen Fallzahl im TraumaRegister DGU® (TR-DGU) die oben genannten Unterschiede genauer untersuchen. Am Ende der Untersuchung muss die Frage gestellt werden, ob in der aktuellen Versorgungsrealität dem Polytrauma von Kindern und Jugendlichen genügend Beachtung geschenkt wird und ob die Bildung von kindertraumatologischen Referenzzentren eine Auswirkung auf die tägliche Versorgung dieser besonderen Patienten hat.

Material und Methoden

Die vorliegenden Daten wurden dem TR-DGU entnommen. Hier werden seit 1993 prospektiv die Daten von schwerverletzten Patienten erfasst. Dokumentiert werden verschiedenste Scores, Parameter, Vital- und Laborwerte, aus denen im Anschluss national und international anerkannte Scores wie beispielsweise der „Revised Injury Severity Classification Score“ (RISC-Score [9]) errechnet werden.

Für die vorliegende Arbeit wurden Fälle aus den Jahren 1997–2010 analysiert und alle Patienten mit einem „Injury Severity Score“ (ISS) ≥ 9 in die Auswertung eingeschlossen. Die dokumentierten Fälle wurden in die Altersgruppen 0–5, 6–10, 11–15, 16–17, 18–65 und > 65 Jahre unterteilt. Die einzelnen Altergruppen wurden bezüglich Verteilung, Unfallhergang, Verletzungsmuster, Mortalität, Krankenhaus- und Intensivtage, Primärversorgung, Mortalität und Vergleich zwischen vorhergesagter und tatsächlicher Mortalität analysiert.

Die Auswertung ist primär deskriptiv; auf statistische Absicherung von Unterschieden wurde bewusst verzichtet, da die teilweise sehr großen Vergleichsgruppen selbst kleinste Unterschiede „signifikant“ werden lassen, und da zudem der Vergleich mehrerer Subgruppen zu einer unerwünschten Vervielfachung der Testprozeduren führen würde. Die statistische Auswertung erfolgte mittels SPSS Version 19.0.

Ergebnisse

Epidemiologie

Insgesamt wurden 47.915 Patienten in die Studie eingeschlossen. Davon waren 3522 Patienten (7,4 %) < 18 Jahre alt. Der Anteil der männlichen Patienten lag insgesamt bei 71,8 % (Tab. 1).

Tab. 1 Verteilung der Kinder und Jugendlichen in den einzelnen Altergruppen und der jeweilige Anteil an männlichen Verletzten

Unfallursache

Die mit Abstand häufigste Ursache für die Aufnahme über den Schockraum war in 58,5 % (n = 26.873) der Verkehrsunfall. Kinder in der Altergruppe von ≤ 5 Jahren waren zu 42,9 % (n = 219) in einen Verkehrsunfall verwickelt. Mit einer Anzahl von 1010 dokumentierten Fällen, dies entspricht 77,3 %, war der Verkehrsunfall in der Altergruppe von 16–17 Jahren überdurchschnittlich oft Unfallursache. In der erwachsenen Population war dieser Unfallmechanismus in 62,9 % (n = 20.422) als Ursache zu werten.

Tab. 2 Unterteilung des Unfallmechanismus in genauere Unfallhergänge

In den einzelnen Altersgruppen zeigten sich deutliche Unterschiede bezüglich des Unfallhergangs (Tab. 2). Ab 11 Jahren zeigte sich der prozentuale Anteil an Suizidversuchen, der zur Aufnahme führte, konstant. Insgesamt lag dieser bei 5,1 %. Bereits im Alter von 11–15 Jahren wurden 45 Suizidversuche (4,3 %) beobachtet. In der erwachsenen Population waren dies 1891 Fälle (5,6 %).

Verletzungsmuster

Mit steigendem Alter nimmt dieser Anteil an Kopfverletzungen in den unterschiedlichen Altersgruppen ab. Das geriatrische Kollektiv zeigt jedoch erneut einen Anstieg an Kopfverletzungen (Tab. 3).

Tab. 3 Häufigkeit von Verletzung verschiedener Körperregionen

Eine andere Verteilung bietet sich in der Betrachtung der Thoraxverletzungen. Hier waren die jüngsten Patienten deutlich seltener betroffen, und es zeigte sich ein Anstieg mit der Zunahme des Alters. Neben dem Thoraxtrauma zeigte sich mit zunehmendem Alter ebenfalls ein Anstieg der Wirbelsäulenverletzungen und der Verletzungen der oberen und unteren Extremitäten. Nach dem Maximum im Erwachsenenalter ließ sich für alle Verletzungen im geriatrischen Kollektiv jedoch jeweils wieder ein Rückgang nachweisen. Verletzungen des Abdomens traten im Vergleich zur Thoraxverletzung in allen Altersgruppen seltener auf. Verletzungen der unteren Extremitäten waren in allen Altersgruppen häufiger als Verletzung der oberen Extremitäten.

Präklinische Versorgung

Es zeigte sich insgesamt eine Rate an präklinischer Intubation in 50,5 % (n = 16.299) aller Fälle. Kinder der Altersgruppe 0–5 Jahre wurden in 47,3 % (n = 164) präklinisch intubiert. Mit zunehmendem Alter ließ sich ein leichter Anstieg der Rate aufzeigen. Die 16- bis 17-Jährigen wiesen mit 57,8 % (n = 539) die höchste Rate auf.

In der Altergruppe der ≤ 5-Jährigen wurden mit einem Anteil von 62,8 % (n = 218), anteilmäßig am wenigsten Patienten sediert. Von den dokumentierten Fällen der 16- und 17-Jährigen wurden 82,1 % (n = 766) der Jugendlichen präklinisch sediert.

Versorgungsstufe der primärbehandelnden Kliniken und Weiterverlegungen

Betrachtet man in dem erhobenen Datensatz nur die primär behandelten Patienten, so zeigt sich, dass insgesamt 73,6 % (n = 30.156) in einem überregionalen Traumazentrum behandelt wurden. 23,5 % (n = 9615) wurden in einem regionalen und 3,0 % (n = 1221) in einem lokalen Traumazentrum versorgt. Der Vergleich der einzelnen Altersgruppen zeigte, dass die ≤ 5-Jährigen mit 78,2 % am häufigsten in überregionale Traumazentren aufgenommen wurden. Mit steigendem Alter wurden die Kinder und Jugendlichen dann weniger häufig in dieser Versorgungsstufe versorgt (6- bis 10-Jährige 75,3 % vs. 11- bis 15-Jährige 74,0 % vs. 16- bis 17-Jährige 73,1 %). Die Patienten aus dem geriatrischen Kollektiv wurden sogar nur in 69,4 % in überregionalen Traumazentren behandelt (Abb. 1). Schwerverletzte Kinder und Jugendliche wurden lediglich in einer geringen Anzahl in lokalen Traumazentren behandelt (1,0 % bei den 6- bis 10-Jährigen bis maximal 2,8 % bei den 11- bis 15-Jährigen).

Abb. 1
figure 1

Prozentuale Häufigkeit der primären Aufnahme in ein überregionales Traumazentrum (Auszug der y-Achse beginnend bei 60 %)

Im Gesamtkollektiv waren 14,4 % (n = 6923) der Fälle als Zuverlegung aus einer anderen Klinik dokumentiert. Im Vergleich der Altergruppen ist ersichtlich, dass die Gruppe der ≤ 5-Jährigen mit 19,9 (n = 111) die größte Zuverlegungsrate aufwies. In den Altergruppen 11–15, 16–17 und 18–65 Jahren ergaben sich mit Zuverlegungsraten zwischen 13,1 und 13,7 % die niedrigsten Quoten.

Krankenhaus- und Intensivtage

Die Dauer der Krankenhaus- und Intensivtage stieg mit zunehmendem Alter. Die durchschnittliche Dauer des Gesamtaufenthalts betrug bei den ≤ 5-Jährigen 12,8 Tage, wobei davon 5,4 Tage auf der Intensivstation verbracht wurden. In der Altersgruppe von 11–15 Jahren verlängerte sich der Aufenthalt auf 18,4 Tage, wovon im Durchschnitt 6,5 Tage eine stationäre Versorgung auf der Intensivstation ausmachten.

Vorhergesagte (RISC-Score) vs. beobachtete Letalität

Für insgesamt 34.985 primärversorgte Patienten konnte aus dem vorliegenden Datensatz der RISC-Score errechnet werden (Tab. 4).

Tab. 4 Vorhergesagte (RISC) und beobachtete Letalität innerhalb der einzelnen Altersgruppen (in %)

Interessant gestaltet sich der Vergleich dieser tatsächlich beobachteten Letalität mit der errechneten Letalität, dem sog. RISC-Score. Hier zeigte sich, dass nur in der Gruppe der ≤ 5-Jährigen die beobachtete Letalität mit 16,3 % minimal größer war als die errechnete mit 16,2 %. Die größte Differenz dieser beiden Werte zeigten die 6- bis 10-Jährigen. Bei einen RISC-Score von 12,2 % verstarben lediglich 9,0 %. Dies entspricht einer Differenz von − 3,2 %.

Diskussion

Die vorliegende Studie bietet eine Analyse der Verletzungsmuster und des weiteren Verlaufs der Behandlung von schwerverletzten Kindern und Jugendlichen. Dank der kontinuierlichen Verbesserung und Verbreitung des TR-DGU können Daten aus bisher kleinen Fallzahlstudien mit dieser enormen Datenbank verglichen werden.

In der internationalen Literatur sind verschiedene Scores für Schwerverletzte beschrieben. Zudem gib es spezielle Scores für Kinder wie beispielsweise den „Pediatric Trauma Score“ (PTS) welcher die Kinder unter anderen anhand des Gewichts in drei verschiedene Gruppen einteilt. Es konnte gezeigt werden, dass der PTS und der ISS signifikant korrelieren. Jedoch wurde ebenfalls nachgewiesen, dass der PTS anderen Traumascores in seiner prognostischen Aussage nicht überlegen ist. In der der gängigen Literatur wird am häufigsten der ISS verwendet [7, 9, 23]. Um eine Vergleichbarkeit mit anderen Studien zu gewährleisten, wurde diese Klassifikation auch in der vorliegenden Studie verwendet. Viele der erwarteten Ergebnisse können in unserer Auswertung bestätigt werden. So konnte in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, dass der Unfallmechanismus vom Alter abhängig ist.

Naturgemäß nehmen die Kinder und Jugendlichen in den unterschiedlichen Altergruppen in verschiedenen Rollen am Straßenverkehr teil. Dementsprechend entwickelt sich der Unfallmechanismus vom Unfall als Fußgänger über den Fahrrad- bzw. Motorradunfall bis um typischen Autounfall des Erwachsenen. Arbeiten, welche sich in der Vergangenheit mit dieser Thematik beschäftigten, zeigten eine ähnliche Verteilung des Unfallhergangs [1, 4]. Auch die Ergebnisse verschiedener Singlecenterstudien bezüglich des Verletzungsmusters bei schwerverletzten Kindern und Jugendlichen können bestätigt werden [13, 18].

Erwartete und errechnete Letalität

Interessant ist es zu beobachten, inwieweit sich die Differenz zwischen der beobachteten und der vorhergesagten Letalität in den einzelnen Altersgruppen unterscheidet. Hier stellt die Gruppe der ≤ 5-Jährigen die einzige Altersklasse dar, welche mit einer Differenz von − 0,1 häufiger versterben als erwartet. Mit 16,2 % beobachteter Letalität ist diese im Vergleich zu den anderen Altersgruppen deutlich höher. Dies bedeutet dass die kleinsten Kinder sich deutlich von der „Routineversorgung“ eines erwachsenen polytraumatisierten Patienten unterscheiden und hier weniger Erfahrung besteht. Allerdings darf hier nicht vergessen werden, dass gerade in der Altersgruppe der ≤ 5-Jährigen schwere Kopfverletzungen bzw. Schädel-Hirn-Traumata häufiger sind als bei erwachsenen Patienten und somit auch zur höhern Letalität beitragen können.

Versorgungsrealität für schwerverletzte Kinder

Ein besonderes Augenmerk in dieser Diskussion soll die Versorgungsrealität von schwerverletzten Kindern und Jugendlichen bekommen. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist die Zahl der im Straßenverkehr verunglückten Kinder im Jahr 2011 erstmals wieder angestiegen. Auch die Anzahl der leicht- und schwerverletzten Kinder zeigte seit langer Zeit wieder einen Trend nach oben. Die Anzahl der getöteten Kinder stieg hingegen glücklicherweise nicht an [25].

Laut Statistischem Bundesamt sind Unfälle, Gewalt und Selbstverletzung jedoch noch immer die häufigste Ursache für den Tod im Kindesalter [20]. Im Vergleich zu polytraumatisierten Erwachsenen zeigt sich jedoch nur eine geringe Fallzahl über die letzten Jahre. Insgesamt wurden in dem untersuchten Zeitraum von 14 Jahren lediglich 3522 schwerstverletzte Kinder und Jugendliche dokumentiert. Dies entspricht einem Anteil von 7,4 % am Gesamtkollektiv. Die Struktur und die Rahmenbedingungen für die Behandlung von polytraumatisierten Erwachsenen wurden in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die Etablierung des TraumaNetzwerk DGU immer weiter verbessert [6, 14, 16]. Wie aber schon weiter oben beschrieben, ist das Polytrauma von Kindern mehr als nur ein Polytrauma eines „kleinen Erwachsenen“. Es konnte gezeigt werden, dass sich Unfallmechanismus und Verletzungsmuster deutlich von denen der Erwachsenen unterschieden. Ebenfalls ist bei schwerverletzten Kindern und Jugendlichen auch von einer höheren emotionalen Belastung für alle versorgenden Teammitglieder auszugehen [8].

Aufgrund der insgesamt doch geringen Fallzahl ist es interessant, die primärversorgenden Kliniken nochmals genauer zu betrachten. Aus eigenen bisher nicht veröffentlichten Untersuchungen [15] wissen wir, dass der Großteil der schwerverletzten Patienten in überregionalen Traumazentren versorgt wird. Bezogen auf die Gesamtzahl der versorgten Patienten scheinen lokale Traumazentren nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Diese Differenz scheint bei den schwerverletzten Kindern und Jugendlichen noch größer als im Gesamtkollektiv: je jünger die Kinder, desto häufiger wurden sie primär in überregionale Traumazentren aufgenommen (≤ 5 Jahre: 78,2 % vs. 6–10 Jahre: 75,3 % vs. 11–15 Jahre: 74,0 % vs. 16–17 Jahre: 73,1 %) Die restlichen Kinder und Jugendlichen wurden dementsprechend in lokalen und regionalen Traumazentren versorgt. In lokalen Traumazentren wurden in dem ausgewerteten Zeitraum nur sehr wenige Kinder behandelt (≤ 5-Jährige: n = 16; 6- bis 10-Jährige: n = 6; 11- bis 15-Jährige: n = 29; 16- bis 17-Jährige: n = 29), was auf eine Triagierung im präklinischen Bereich hinweist.

Immer wieder wird aufgrund der niedrigen Zahlen behandelter polytraumatisierter Kinder die Frage gestellt, inwieweit in lokalen Traumazentren eine ausreichende Erfahrung bei der Versorgung von polytraumatisierten Kindern und Jugendlichen besteht. Ein wichtiger Grundgedanke im TraumaNetzwerk DGU® ist die Weiterverlegung von Patienten innerhalb des Netzwerks, welche im primärversorgenden Haus initial stabilisiert wurden, jedoch aufgrund der Ausstattung nicht weiter versorgt werden können. Dieser Gedanke wird gerade im Hinblick auf die Versorgung der kindlichen Polytraumata gut umgesetzt. In unserer Auswertung wurde im Gesamtkollektiv eine Weiterverlegungsrate von 14,4 % verzeichnet. Dabei wurden insbesondere die ≤ 5-Jährigen, die sich in der medizinischen Versorgung am ehesten von Erwachsenen unterscheiden, in 19,9 % der Fälle verlegt. Insofern wird hier der Gedanke der Kooperation und Netzwerkbildung gut umgesetzt.

Um der besonderen Situation des Polytraumas von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden, wurde diese Thematik im Jahr 2012 erstmals in die 2. erweitere Auflage des Weißbuchs Schwerverletztenversorgung der DGU aufgenommen [24]. Hier wird die Bildung von kindertraumatologischen Referenzzentren gefordert. Jedes TraumaNetzwerk sollte laut Weißbuch ein überregionales Traumazentrum mit besonderer kindertraumatologischer Kompetenz haben. Als Indikator für Struktur- und Prozessqualität gelten im Weißbuch eine Klinik für Kinderchirurgie oder eine Klinik für Unfallchirurgie mit besonderer kindertraumatologischer Kompetenz. Zudem wird eine Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, eine pädiatrische Intensivstation und eine zentrale Notaufnahme mit kinderspezifischen Abläufen gefordert. Betrachtet man diese Anforderungen genauer, so ist es ersichtlich, dass die primäre Versorgung von schwerverletzten Kindern und Jugendlichen nur in Ausnahmefällen in lokalen Traumazentren stattfinden sollte, da die meisten Kliniken dieser Versorgungsstufe kaum über die oben genannte Ausstattung verfügen.

Wie bereits erwähnt, sollten Kinder nur dann primär in nicht-kindertraumatologischen Referenzzentren versorgt werden, wenn beispielsweise die primäre Rettungszeit in ein Referenzzentrum zu lange wäre. Hier werden für den weiteren Verlauf im Weißbuch Verlegungs- und Kontaktkriterien benannt:

  • GCS < 13, Impressionsfraktur, neurologische Symptomatik,

  • Thoraxtrauma mit Lungenkontusion (AIS > 2),

  • Abdominaltrauma mit Organverletzung (AIS > 2),

  • Beckenfraktur oder Frakturen von 2 langen Röhrenknochen der unteren Extremitäten,

  • Intensivtherapie > 24 h,

  • ISS > 15.

Die Forderung nach kindertraumatologischen Kompetenzzentren ist der erste Schritt auf dem Weg zur Verbesserung der Versorgung von kindlichen Polytraumata. Im internationalen Vergleich sind gerade die angloamerikanischen Länder schon einen Schritt weiter. In den USA werden vom „American College of Surgeons“ beispielsweise bereits „Level I and Level II Pediatric Trauma Centers“ zertifiziert. Hier gibt es ähnlich den Vorgaben des Weißbuches der DGU bestimmte Voraussetzungen für die Zertifizierung als „Pediatric Trauma Center“ [22]. Aktuell sind in den USA landesweit 68 Kliniken als „Pediatric Trauma Center“ zertifiziert. In Kanada werden ebenfalls Kliniken als „Pediatric Trauma Center Level I or II“ zertifiziert. Neben strukturellen und personellen Forderungen gibt es hier erstmals auch die Forderung nach einer Mindestfallzahl. Diese kann aufgrund der großen regionalen Unterschiede nicht für schwerverletzte Kinder gelten, jedoch wird gefordert, dass in einem „Pediatric Trauma Center Level I“ mindestens 200 verletzte Kinder pro Jahr behandelt werden [2].

Aktuelle Arbeiten beschäftigen sich vermehrt mit der Bildung von sog. „Pediatric Trauma Systems“. Mooney et al. [10] konnten zeigen, dass schwerverletzte Kinder häufiger in einer an einem „trauma system“ teilnehmenden Klinik versorgt werden, sofern diese zur Verfügung stehen. In einer weiteren Arbeit von Pracht et al. [11] konnte in Florida sogar eine Reduktion der Letalität für schwerverletzte Kinder gezeigt werden, welche in einem „pediatric trauma center“ behandelt wurden.

Fazit für die Praxis

Die vorliegende Arbeit konnte die erwarteten Unterschiede der Unfallursachen, des Verletzungsmusters und der Letalität bestätigen. Hier zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Altersgruppen, welche durch unterschiedliche Aktivitäten und andere anatomische Voraussetzungen zu erklären sind.

Erstmals konnte gezeigt werden, dass Kinder und Jugendliche überwiegend in überregionalen Traumazentren versorgt werden bzw. im Vergleich zu den Erwachsenen häufiger weiterverlegt werden. Dementsprechend besteht gerade für lokale Traumazentren eine sehr geringe Fallzahl in der Versorgung von schwerverletzten Kindern und Jugendlichen. Dieser in der täglichen Arbeit schon seit längeren bestehenden Versorgungsrealität folgte im Jahr 2012 die Forderung nach kindertraumatologischen Referenzzentren im Weißbuch Schwerverletztenversorgung.

Aufgrund der geringen Fallzahlen und der herausgearbeiteten Besonderheiten des kindlichen Polytraumas ist die Forderung zur Vorhaltung von entsprechender kindertraumatologischen Kompetenz eindeutig zu unterstützen. Hier könnte der Gedanke der Netzwerkbildung und der Kooperation zwischen den einzelnen Traumazentren mit hoher klinischer Relevanz gelebt werden. Eine Weiterentwicklung des aktuellen Konzepts im Sinne einer Zertifizierung von eigenen kindertraumatologischen Traumazentren muss in der Zukunft erneut überdacht werden.