Die posteriore glenohumerale Luxation ist je nach Literaturangabe [1, 7, 9] mit 1–5% aller Schultergelenkdislokationen ausgesprochen selten. Sie tritt v. a. als atraumatische, habituelle Instabilität auf [5]. Häufig sind eine Glenoiddysplasie bzw. ein nach dorsal vergrößerter Pfannen-Skapula-Winkel sowie eine Ausweitung der Gelenkkapsel zu verzeichnen [11].

Anders verhält es sich bei traumatisch bedingten, dorsal verhakten Schulterluxationen infolge eines einmaligen adäquaten Traumas. Diese stellen eine absolute Rarität dar. Problematisch hierbei ist, dass >50% der Verletzungen im Rahmen der Erstluxation übersehen werden [5]. Die Diagnosestellung erfolgt deshalb oft erst nach Wochen oder Monaten. Nach der akuten Luxationsphase bilden sich die Beschwerden häufig zurück [10]. Außerdem kann es im Laufe der Zeit zu einer Verbesserung der Beweglichkeit kommen. Eine eingehende Anamnese, klinische Untersuchung und radiologische Diagnostik sind deshalb unerlässlich.

Hauptpathologien der traumatischen, hinteren Schultergelenkverrenkung sind weniger Pfannenrandläsionen, wie sie bei vorderen Luxationen auftreten, sondern eher Humeruskopffrakturen (s. Fall 1) oder anteromediale Deformierungen des Kopfes im Sinne einer „reversed“ Hill-Sachs-Läsion (s. Fall 2). Wegen des prominent konturierten hinteren Pfannenrandes ist diese üblicherweise wesentlich größer und kann bis zur Hälfte der Gelenkfläche des Humeruskopfes einnehmen [10].

Als Unfallmechanismus ist in der Regel von einem Sturz oder Stoß gegen den adduzierten, flektierten und innenrotierten Arm auszugehen. Als Auslösemechanismus werden aber auch maximale Muskelkontraktionen wie z. B. bei einem epileptischen Anfall oder Stromunfall beschrieben.

Klinik

Initial sollte eine eingehende klinische Untersuchung erfolgen. Klinisch imponieren hierbei folgende Merkmale:

  • starker bis stärkster Schmerz,

  • federnde Innenrotationsstellung in leichter Abduktion,

  • Außenrotationseinschränkung infolge der Verhakung der „reversed“ Hill-Sachs-Delle gegen den hinteren Pfannenrand,

  • hintere Prominenz des Kopfes mit konsekutivem Hervortreten des Processus coracoideus,

  • nur in seltenen Fällen Beeinträchtigung der peripheren Sensibilität, Motorik und Durchblutung.

Radiologische Diagnostik

Danach sollte eine native Röntgendiagnostik in den Standardebenen (a.-p., axial) erfolgen. Bei ungenügender Abduktionsfähigkeit kann anstelle der axialen Aufnahme eine Y-Aufnahme oder transskapuläre Aufnahme angefertigt werden. Die Luxationsrichtung mit einem evtl. nicht frei projezierbaren Gelenkspalt, knöcherne Läsionen am Kopf und Glenoidrand und Abrisse des Tuberculum minus sollten somit zu detektieren seien. Zusätzlich ist die Durchführung einer Computertomographie zur Operationsplanung zu empfehlen.

Therapie

Die Option der konservativen Therapie bietet sich bei gelungenen, geschlossenen Repositionen an, welche aufgrund der Verhakung häufig in Allgemeinnarkose durchgeführt werden müssen. Je nach Literaturangabe zeigen anteromediale Humeruskopfdefekte bis zu einer Größe von ca. 30% der Zirkumferenz gute Ergebnisse [3]. Wir favorisieren jedoch eine maximale Defektgröße von 20% für ein konservatives Therapieregime. Hierbei sollte die Ruhigstellung für ca. 4 Wochen erfolgen. Anschließend kann mit passiven und aktiv assistiven ROM-Übungen begonnen werden.

Indikationen zur operativen Therapie stellen instabile Gelenksituationen, Humeruskopf- und Pfannenranddefekte sowie relevante Abrisse des Tuberculum minus dar.

Als Zugang zur operativen Revision ist der deltoidopektorale Standardzugang zu empfehlen. Je nach Frakturausmaß erfolgt nach gelungener Reposition eine osteosynthetische Versorgung, ein retrogrades Auffüllen der Knochen-Knorpel-Impression, teilweise auch arthroskopisch assistiert, oder ein primär endoprothetischer Humeruskopfersatz. Alternativ stehen eine Subskapularis- oder Tuberculum-minus-Transposition [6], eine subkapitale Rotationsosteotomie [8] oder eine Defektauffüllung mittels Femurallograft [4] zur Verfügung. Posttraumatisch bedingte Instabilitäten zeigen gute postoperative Ergebnisse mit einer geringeren Rezidivrate als bei anterioren Luxationen [2].

Die postoperative Behandlung beschränkt sich auf eine initiale Ruhigstellung im Gilchrist-Verband für 2–3 Wochen. Anschließend sind passive und aktiv assistive Bewegungsübungen erlaubt. Forcierte Innenrotationsbewegungen sollte für 8 Wochen vermieden werden. Gelegentlich, vor allem nach Humeruskopfersatz, ist die temporäre Applikation eines Abduktionskissens notwendig.

Fallbeispiele

Fall 1

Ein männlicher, 40-jähriger, rechtsdominanter Patient klagte nach einem Treppensturz über massive Schmerzen in beiden Schultergelenken. Die klinische und radiologische Erstdiagnostik ergaben hintere Schulterluxationsfrakturen beidseits mit eingeschränkter Beurteilbarkeit der Fraktursituation (Abb. 1). Periphere Sensibilität, Motorik und Durchblutung waren intakt.

Abb. 1
figure 1

Primäre Röntgendiagnostik: Schulter beidseits a.-p./axial: Schultergelenkluxationsfrakturen beidseits

CT-morphologisch stellten sich eine mehrfragmentäre, verhakte hintere Schulterluxationsfraktur rechts und eine hintere Luxationsfraktur des linken Schultergelenks dar (Abb. 2 ab).

Abb. 2
figure 2

CT-Diagnostik: a mehrfragmentäre, verhakte hintere Schulterluxationsfraktur rechts, b hintere Luxationsfraktur Schultergelenk links

Zur Vermeidung neurologischer Spätschäden und bei anzunehmender gestörter Durchblutungssituation der beiden Humerusköpfe erfolgte die sofortige operative Versorgung. Zunächst wurde das linke Schultergelenk offen reponiert und mittels einer winkelstabilen Plattenosteosynthese problemlos versorgt (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Postoperative Kontrolle Schulter links nach Osteosynthese mit winkelstabiler Platte

Dies gelang auf der rechten Seite leider nicht. Nach Mobilisierung des M. subscapularis zeigte sich v. a. die humerale Gelenkfläche als weitgehend zerstört. Eine suffiziente Osteosynthese war somit nicht mehr möglich. Trotz des jungen Alters des Patienten wurde der Entschluss zur Implantation einer Humeruskopfendoprothese gefasst (Abb. 4). Postoperativ erfolgte linksseitig eine 4-wöchige Ruhigstellung im Gilchrist-Verband. Rechts wurde als Kompromisslösung zur Erlangung einer akzeptablen Selbstständigkeit auf eine Ruhigstellung verzichtet.

Abb. 4
figure 4

Postoperative Kontrolle Schulter rechts nach Implantation einer Schulterendoprothese (Fa. Arthrex: Univers-Fraktur-Endoprothese)

Im weiteren Verlauf kam es zu keinen erneuten Luxationsereignissen. In der Nachkontrolluntersuchung, 3 Monate postoperativ, zeigte sich für das linke Schultergelenk eine gute aktive Beweglichkeit von je ca. 140° Abduktion und Anteversion. Rechts fanden wir leider eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit mit einer aktiven Abduktion und Anteversion von je 60°.

Fall 2

Ein 59-jähriger, männlicher Patient, unter laufender oraler Antikoagulation, wurde nach einem Sturzereignis unter dem Krankheitsbild einer akuten intrazerebralen Blutung durch die neurochirurgische Abteilung unseres Hauses behandelt. Nach initialer Stabilisierung klagte der Patient über eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung, bei erhaltener peripherer Sensibilität, Motorik und Durchblutung, im rechten Schultergelenk. Mittels klinischer und radiologischer Diagnostik (Abb. 5, Abb. 6) ließ sich eine verhakte hintere Schulterluxation links mit einer „reversed“ Hill-Sachs-Läsion finden.

Abb. 5
figure 5

Röntgen Schulter rechts a.-p./Y: verhakte, hintere Schulterluxation

Abb. 6
figure 6

CT-Diagnostik Schulter rechts: „reversed“ Hill-Sachs-Läsion

Ein geschlossener Repositionsversuch unter Vollnarkose erbrachte kein befriedigendes Ergebnis. Die operative Versorgung erfolgte mittels offener Reposition und arthroskopisch assistierter Arthroplastik mittels retrogradem Aufstößeln der „reversed“ Hill-Sachs-Läsion.

Initial erfolgte eine 14-tägige Ruhigstellung im Gilchrist-Verband. Reluxationsereignisse traten nicht auf. Funktionell zeigt sich 18 Monate postoperativ ein sehr gutes klinisches Ergebnis.

Fazit für die Praxis

Hintere, traumatische Schultergelenkluxationen sind seltene Verletzungen. Eine zügige und suffiziente Diagnosestellung mittels klinischer Untersuchung, Nativröntgen und Schnittbildverfahren mit der daraus resultierenden Therapie sind entscheidend für das postoperative Ergebnis. Zur Vermeidung neurovaskulärer Begleitverletzungen, Zunahme der Defektgröße im zeitlichen Verlauf sowie der Ausbildung einer Humeruskopfnekrose ist die zeitnahe Versorgung zum Unfallereignis unumgänglich.

Bei verschiedenen Frakturformen ist eine der Fraktur entsprechende operative Versorgung notwendig. Bei dorsalen Luxationen ohne begleitende Humeruskopffraktur ist das Aufstößeln der Defektzone technisch realisierbar, ggf. kann eine Unterfütterung mit Knochenersatzstoffen erfolgen. Dagegen sollte die primäre Prothesenimplantation ausgedehnten chondralen Defekten und erheblichen „reversed“ Hill-Sachs-Läsionen als Ultima ratio vorbehalten bleiben.