Ein Konsensusvorschlag zu einer systematisierten neurologischen Basisuntersuchung für Kinder in den ersten beiden Lebensjahren wurde von den Autoren dieser Arbeit 2007 in der Monatsschrift Kinderheilkunde publiziert [14]. Im hier vorliegenden Beitrag werden die Items dieser Basisuntersuchung vorgestellt. Die hochgradige Altersabhängigkeit neurologischer Items gerade in den ersten beiden Lebensjahren bereitet zwar erhebliche methodische Probleme, mit der zeitlichen Bindung der Basisuntersuchung an die Zeitfenster der Vorsorgeuntersuchungen U2–U7 ist es jedoch möglich, die Items altersadäquat in die Untersuchungssystematik zu integrieren.

Neurologische Items für die ersten Lebensjahre

Historische Situation

Items für neurologische Untersuchungen in den ersten beiden Lebensjahren wurden in großer Vielfalt in den letzten 100 Jahren beschrieben. Eine umfassende Übersicht bietet immer noch Peiper [17]. Alle bisher für diese Entwicklungsphase vorgeschlagenen neurologischen Untersuchungen basieren auf 2 theoretischen Konzepten über die Entwicklung des zentralen Nervensystems und dessen altersgebundene neuronale Fähigkeiten:

  • Die französische Schule mit André-Thomas [1, 2] betrachtet die Beurteilung des aktiven und passiven Muskeltonus als wichtigstes neurologisches Kriterium für diese Altersgruppe.

  • Die Vertreter einer reflexorientierten Neurologie sehen die neurologische Beurteilung bestimmter altersadäquater Reflexe als entscheidend an: Fremdreflexe, reflexähnliche motorische Rektionen und so genannte „Primitivreflexe“ [3, 22, 23].

Gemeinsam sind beiden Ansätzen die rigide Abfolge der neurologischen Phänomene und die enge Anbindung an das Gestationsalter, Determinanten, die sich in dieser Absolutheit heute nicht mehr vertreten lassen [12].

Heutige Situation

Von Prechtl [18] wurde bereits 1977 eine neurologische Untersuchung für reife Neugeborene publiziert, die neurobiologische Konzepte berücksichtigt. Definierte Verhaltenszustände des Neugeborenen legen die Rahmenbedingungen der Untersuchung fest, weil nur so valide Untersuchungsergebnisse zu gewinnen sind. Mit einem solchen Ansatz ist es u. a. möglich, die Qualität der äquilibrierenden Fähigkeiten des kindlichen Zentralnervensystems (ZNS) zu erfassen (z. B. die Fähigkeit, den Schlaf-Wach-Rhythmus oder den Muskeltonus in einem optimalen Gleichgewicht zu halten).

Außerdem kann beurteilt werden, wie gut oder wie defizitär einzelne Verhaltensanteile zu einer neuen neurologischen Funktion zusammengeführt und adaptiv vernetzt werden; als Beispiel seien die ausgelösten motorische Reaktionen (s. unten) genannt. Die Basisuntersuchung berücksichtigt neue Erkenntnisse über die Entwicklung der intrauterinen und postnatalen Motorik [6]. Die fetale Motorik entwickelt sich bereits in der ersten Hälfte der Schwangerschaft. Sie bleibt bis zum 2.–3. Lebensmonat auffällig unverändert und wird ab dann zunehmend zu einer zielorientierten, pyramidalen Motorik umgebaut – oder, mit Prechtl’s Worten:

Aus einer körperorientierten wird eine raumorientierte Motorik und Haltungskontrolle.

Letztlich bedeutet diese Transformation eine Umorganisation der neuronalen Netzwerke der zentralen Motorik, auf die wir bereits in unserer ersten Publikation hingewiesen haben [14].

Das frühe menschliche Nervensystem verfügt von Anfang an über hervorragende Fähigkeiten, bestimmtes neurologisches Verhalten zu generieren, zu äquilibrieren und bei Bedarf zu neuen, adaptierten Verhaltensentitäten zu integrieren, also zu lernen [19].

Von Papoucek u. Papoucek [15] wurden diese frühen Fähigkeiten als „systemische Verhaltensregulationen“ beschrieben, da sich auch systemisch die verhaltensspezifischen neuronalen Netzwerke verändern. Mit einer systemischen Neurologie, die altersrelevante und adaptive Fähigkeiten beurteilt, lässt sich die neurologische Situation eines Kindes in den ersten beiden Lebensjahren sehr viel präziser erfassen als mit Untersuchungen, die auf Theorien von hierarchisch determinierten Entwicklungsabläufen basieren [12]. Damit sind auch Erkenntnisse der modernen Neurobiologie in die Basisuntersuchung integriert.

Auswahl der Items der neurologischen Basisuntersuchung

Sie folgt im Prinzip der Strategie der neurologischen Untersuchung reifer Neugeborener nach Prechtl [18]. Aufgenommen wurden Items, mit denen sich die weiter schreitende Reifung zentraler Strukturen (Auftreten bzw. Verschwinden altersspezifischer Reaktionen und motorischer Automatismen), aber auch Lernprozesse des motorischen Verhaltens und adaptive Leistungen, wie die Verhaltensregulierung und die sensomotorische Steuerung der Orientierung im Raum, beurteilen lassen. Alle diese Fähigkeiten setzen den Aufbau funktionsfähiger neuronaler Netzwerke [4, 9, 12] voraus.

Die Items einer Basisuntersuchung müssen Bedingungen der Praktikabilität erfüllen, wie sie in Tab. 1 zusammengefasst sind. Auf die Validierung dieser neurologischen Untersuchung wurde bereits in der ersten Publikation eingegangen [14].

Tab. 1 Auswahlkriterien der Items für die neurologische Basisuntersuchung

Im Folgenden werden die Items entsprechend der Anordnung auf den Untersuchungsbögen (die Untersuchungsbögen U2–U7 sind zusätzlich online zu diesem Artikel verfügbar) beschrieben. Diese Reihenfolge muss während der Untersuchung allerdings nicht eingehalten werden.

Durch die Einführung irritationsmindernder Items lassen sich die einzelnen Items dann untersuchen, wenn das Kind sie gerade zulässt [14].

Die Überschriften weisen darauf hin, in welchem Lebensalter bzw. im Kontext mit welchen U-Untersuchungen die Items getestet werden können. Kinder, die mit ihrem Alter (oder ihrem Entwicklungsstand) nicht in diesen Zeitfenstern liegen, lassen sich mit der neurologischen Untersuchung erfassen, die dem Alter des Kindes am nächsten liegt.

Neurologische Items der Basisuntersuchung

Verhaltenszustände (U2–U7)

Optimale Verhaltenszustände (Zustände 1 und 2 nach der Definition von Prechtl [18]) stellen die Grundvoraussetzung für eine valide neurologische Untersuchung dar [14]. Gelingt es nicht, die beiden optimalen Verhaltenszustände während einer Untersuchung stabil zu halten, ist die Untersuchung zu einem anderen Zeitpunkt zu wiederholen. Schreiende Kinder, die nicht zu beruhigen sind, geben Anlass, an Störungen der Verhaltensregulation oder auch an Auffälligkeiten im Bindungsverhalten zu denken [16]. Die Zustände 7–9 stellen schon an sich pathologische neurologische Befunde dar, die eine rasche neuropädiatrische Diagnostik erfordern.

Zu beachten ist: Schreiende Kinder produzieren falsch-positive, dösige und schlafende Kinder falsch-negative Befunde.

Hirnnerven (U2–U7)

Augen

Die Items orientieren sich an den Empfehlungen von Ehrt [5]. Untersucht wird auf das Vorliegen von:

  • parallelen, flüssigen Augenbewegungen,

  • direktem Blickkontakt (schon bei Neugeborenen möglich, sicher ab der 4. Lebenswoche),

  • visuellem Verfolgen (insbesondere im Blickkontakt),

  • reflektorischem Lidschluss auf Beleuchtung mit kleiner Taschenlampe (nur bis 4. Lebensmonat zu prüfen),

  • beidseits gerundeten Pupillen.

Innervierende Hirnnerven

N. opticus (II), N. oculomotorius (IV) und N. abducens (VI)

Auffällige Befunde

Augenfehlstellungen, keine parallelen Augenbewegungen, kein reflektorischer Lidschluss, kein oder unsicherer Blickkontakt nach dem 2. Monat, kein Fixieren, keine Folgebewegungen der Augen, Nystagmus und Pupillenasymmetrie stellen auffällige Befunde dar. Sie machen unverzüglich eine augenärztliche, neuropädiatrische Diagnostik erforderlich.

Gehör

Die zu erhebenden Items orientieren sich an den Empfehlungen von Zwirner [25]:

  • Akustischer Blinkreflex (außerhalb des Gesichtsfeldes hinter bzw. neben dem Ohr in die Hände klatschen, nur bis 4. Lebensmonat),

  • Erschrecken auf plötzliche laute Geräusche,

  • akustisches Orientieren (z. B. Hochtonrassel nach Vorschrift, leises Ansprechen von hinten außerhalb des Gesichtsfeldes): Kopfdrehen zur Schallquelle.

Innervierender Hirnnerv

N. statoacusticus (VIII)

Auffällige Befunde

Kein akustischer Blinkreflex, kein Erschrecken auf laute Geräusche, keine Reaktion auf Ansprechen von hinten, kein Kopfdrehen zur Schallquelle erfordern unverzüglich eine pädaudiologische Diagnostik.

Mimik

Die mimische Motorik wird beurteilt hinsichtlich Symmetrie und Variabilität.

Innervierender Hirnnerv

N. facialis (VII)

Auffällige Befunde

Deutliche, konstante Asymmetrien der Motorik von Gesicht, Lippen und Mund, monotone, wenig variable, schlaffe Mimik, fehlender Mundschluss, unwillkürlicher Speichelfluss stellen auffällige Befunde dar und müssen neuropädiatrisch abgeklärt werden.

Nahrungsaufnahme

Zu beobachten und untersuchen sind:

  • Zungenbewegungen,

  • Saugen und

  • Schlucken.

Die Kraft des Saugens kann direkt gespürt und beurteilt werden, wenn die untersuchende Person das Kind an einem (gewaschenen) Finger oder Schnuller saugen lässt.

Innervierende Hirnnerven

Für die Mund- und Lippenmotorik sind der N. facialis und die Rr. buccales (VII) anzuführen, für die Zungenmotorik der N. hypoglossus (XII), fürs Kauen der motorische Anteil des N. trigeminus (V) und fürs Schlucken der N. glossopharyngeus (IX) und der motorische Anteil des N. vagus (X).

Auffällige Befunde

Konstante Asymmetrien, keine Saugreaktion, kein oder schwaches Saugen, Schluckschwierigkeiten sowie kontinuierlicher Speichelfluss sind als auffällig zu betrachten und einer neuropädiatrischen Diagnostik zuzuführen.

Vorsprachliche und sprachliche Artikulation

Sprache entsteht mit der Feinmotorik der Stimmbänder, mit der Muskulatur des Rachens, des Gaumens, der Zunge und der Lippen. Funktionsstörungen der Artikulation bedingen Sprechstörungen.

Innervierende Hirnnerven

Die Larynx- und Pharynxmuskulatur wird vom N. vagus (X), Rr. pharyngei, Rr. laryngei und vom N. glossopharyngeus (IX), Rr. pharyngei innerviert, die Gaumen- und Unterkiefermuskulatur vom motorischen Anteil des N. trigeminus (V), die Zungenmuskulatur vom N. hypoglossus (XII) und die Lippenmuskulatur vom N. facialis (VII).

Auffällige Befunde

Keine, geringe oder auffällige vorsprachliche und sprachliche Artikulation, keine Verschlusslaute und verwaschene Artikulation sind ebenso wir kein Lautieren mit variabler Prosodie, keine Silbenketten und Silben, Wörter oder Wortkombinationen pädaudiologisch und neuropädiatrisch abzuklären.

Spontane Haltung (U2–U7)

Sie wird in Rücken- und Bauchlage, im gehaltenen bzw. freien Sitzen und im Stehen beurteilt. Haltungskorrekturen durch die Testperson sind unter folgender Fragestellung erlaubt: Werden die Korrekturen der Haltung beibehalten oder kehrt das Kind rasch wieder in die auffällige Ausgangsstellung zurück?

Eine genaue Beurteilung der Kopfhaltung ist notwendig, d. h. ob der Kopf passiv in vollem Umfang gedreht, nach vorne und hinten gebeugt werden kann. Kann der Kopf (ab dem 2. Lebensmonat) vom Kind auch bei Lagewechsel konstant senkrecht und mittig gehalten werden? Werden die Augen beim Lagewechsel immer in die Horizontale gebracht und dort gehalten?

Auffällige Befunde

Konstante Asymmetrien (Extremitäten, Kopf, Wirbelsäule), starre/schlaffe Haltung (Extremitäten, Rumpf, Kopf) sowie Opisthotonus sind neuropädiatrisch und orthopädisch abzuklären.

Spontane Motorik (U2–U7)

Sie wird in Rücken- und Bauchlage, im gehaltenen und freien Sitzen, Stehen und freien Gehen beurteilt, dabei müssen insgesamt symmetrisch zentrierte und variable motorische Aktivitäten vorliegen. Die Motorik zeichnet sich durch einen an die Funktion altersgemäß angepassten Muskeltonus aus: kein überschießender, reduzierter oder blockierter Bewegungsablauf, keine vermehrte/verminderte Quantität und Geschwindigkeit der Motorik.

Auffällige Befunde

Konstante Asymmetrien, invariable und unkoordinierte Bewegungsqualität, Einschränkungen in der Kopf- und Rumpfdrehung bzw. deren Aufrichtung, überschießendes oder reduziertes Bewegungsausmaß (hyper-/hypomotorisch), ungezielte, ausfahrende, athetoide Arm-Hand-Finger-Bewegungen sowie Tremor erfordern eine neuropädiatrische, orthopädische Diagnostik.

Passiver Muskeltonus (U2–U7)

Beim vorsichtigen, langsamen Durchbewegen der großen Gelenke beim nicht oder wenig aktiven Kind lässt sich der passive Widerstand der Muskulatur gut erspüren. Kopf-, Hand-, Ellenbogen-, Schulter-, Wirbel-, Hüft-, Knie- und Fußgelenke werden bezüglich ihrer Bewegungsumfänge geprüft, was in Rücken- oder Bauchlage sowie im Sitzen (z. B. auf dem Schoß) möglich ist. Der Muskeltonus sollte bei passiver Prüfung nur einen weichen Widerstand bieten und das volle Ausmaß der Bewegungsumfänge der Gelenke zulassen.

Auffällige Befunde

Muskuläre Hypertonie: Der Beuge- oder Strecktonus der Muskulatur bietet beim passiven Durchbewegen einen erhöhten (hypertonen) Widerstand. Dabei sind die Hände meist geschlossen. Eine muskuläre Hypertonie der oberen und unteren Extremitäten ist im ersten Lebensjahr als transitorischer Befund häufig. Transitorische Befunde zeigen meist eine mittelgradige Hypertonie der Muskulatur der Extremitäten bei unauffälligen Muskeleigenreflexen und fehlendem Babinski-Phänomen. Bei einer spastischen Zerebralparese („cerebral palsy“, CP) fällt dagegen die Diskrepanz zwischen der Hypertonie der Extremitätenmuskulatur und der Hypotonie der Rumpfmuskulatur auf, mit gesteigerten Muskeleigenreflexen und positivem Babinski-Phänomen.

Eine Muskelhypertonie in Kombination mit gesteigerten Muskeleigenreflexen und Babinski-Phänomen muss neuropädiatrisch abgeklärt werden.

Muskuläre Hypotonie: Beim passiven Durchbewegen der Muskulatur bietet sich ein auffallend geringer, also hypotoner Widerstand. Eine benigne (oft familiäre) Hypotonie ist über die ersten Lebensjahre nicht selten und kann gelegentlich bis zum Ende des 4. Lebensjahres anhalten. Oft ist damit eine isoliert verzögerte Entwicklung der Körpermotorik verbunden, ohne Nachweis einer Muskelschwäche (aktiver Muskeltonus unauffällig kräftig) und ohne kognitive Retardierung.

Bei Muskelhypotonie in Kombination mit Muskelschwäche und schwachen oder fehlenden Muskeleigenreflexen sowie in Kombination mit einer kognitiven Beeinträchtigung ist eine baldige neuropädiatrische Diagnostik erforderlich.

Stark wechselnder Muskeltonus: Beim passiven Durchbewegen der Gelenke ist ein alternierender Wechsel zwischen hyper- und hypotoner Spannung der geprüften Muskelgruppen deutlich fühlbar. Der in der Pädiatrie gerne verwendete Begriff „muskuläre Dystonie“ ist zu vermeiden, da er in der Erwachsenenneurologie eine Erkrankung aus dem extrapyramidal-motorischen Formenkreis definiert. Die korrekte phänomenologische Bezeichnung lautet schlicht „deutlich wechselnder Muskeltonus“.

Eine neuropädiatrische Diagnostik ist erforderlich, wenn der wechselnde Muskeltonus kontinuierlich nachweisbar ist.

Muskeleigenreflexe – Patellasehnenreflex (U2–U7)

Für eine Basisuntersuchung genügt die Prüfung der Patellasehnenreflexe. Sollten sie schwach oder nicht auslösbar sein, müssen weitere monosynaptische Reflexe an betroffenen Extremitäten geprüft werden.

Das Auslösen des Patellasehnenreflexes gelingt am sichersten mit einem leichten Schlag auf die Patellasehne (kleiner Reflexhammer, Zeige- oder Mittelfinger), die andere Hand unterstützt das leicht gebeugte Bein des Kindes in der Kniekehle.

Auffällige Befunde

Konstante Asymmetrien sind als pathologisch zu bewerten. Eine gesteigerte Reflexantwort spricht für eine erniedrigte Reizschwelle (Hyperexzitabilität) des ZNS oder stellt – in Kombination mit anderen neurologischen Befunden – einen Hinweis auf eine uni- oder bilaterale spastische Zerebralparese dar. Eine schwache oder fehlende Reflexantwort kann Ausdruck einer Hypoexzitabilität oder – in Verbindung mit Muskelschwäche – einer neuromuskulären Erkrankung sein.

Eine baldige neuropädiatrische Diagnostik ist bei Verdacht auf spastische Zerebralparese oder neuromuskuläre Erkrankung indiziert.

Fremdreflexe – Babinski-Reflex (U5–U7)

Für eine neurologische Basisuntersuchung ist (nach unseren Erfahrungen) nur der Babinski-Reflex von Bedeutung. Das Phänomen wird bei Kleinkindern durch Entlangstreichen am lateralen Fußsohlenrand vom kleinen Zeh bis zur Ferse (also in entgegengesetzter Richtung wie bei älteren Kindern und Erwachsenen) ausgelöst. Bei Kindern bis etwa zum 9. Lebensmonat kommt es dabei zum Spreizen und zur Dorsalflexion aller Zehen. Nur die isolierte Dorsalflexion der Großzehe alleine, ohne Beteiligung oder mit Plantarflexion der anderen Zehen, darf als positives Phänomen gewertet werden. Wird der laterale Fußsohlenrand in umgekehrter Richtung gereizt, d. h. von der Ferse zu den Zehen, besteht bei Säuglingen die Gefahr, unbeabsichtigt den Fußgreifreflex auszulösen, der ein Babinski-Phänomen hemmen kann.

Auffällige Befunde

Promptes und starkes Fächern der Zehen mit Dorsalflexion spricht für eine erniedrigte Reizschwelle des ZNS (Hyperexzitabilität). Ein deutlich positives Babinski-Phänomen weist auf eine Beeinträchtigung der Pyramidenbahn hin und lenkt damit den Verdacht auf eine bilaterale spastische Parese. Bei einem konstanten asymmetrisch positiven Befund besteht der Verdacht auf unilaterale spastische Parese (spastische Hemiparese).

Auffällige Befunde sind neuropädiatrisch abzuklären.

Frühe motorische Reaktionen

Aus der unüberschaubaren Zahl der in der Literatur beschriebenen frühen Reaktionen sind für eine Basisneurologie nur die Handgreifreaktion, die Moro-Reaktion und die asymmetrisch-tonische Nackenreaktion (ATNR) relevant. Während der weiteren motorischen Entwicklung werden sie von der zunehmend übergeordneten pyramidalen Motorik überdeckt. Sie sind spätestens bis zum 6. Lebensmonat nicht mehr nachweisbar, bleiben aber als Halte- und Stellreaktionen in ihrer präformierten neuronalen Organisation im Hirnstammbereich [10] zeitlebens unterschwellig existent. Bei angeborenen oder erworbenen Schädigungen der Pyramidenbahn (u. a. degenerative Erkrankungen des Zentralnervensystems, Schädel-Hirn-Traumen, Koma, spastische Zerebralparesen) und in akuten oder chronischen Stresssituationen werden die frühen motorischen Automatismen bei Kindern und Erwachsenen wieder nachweisbar.

Handgreifreaktion (U2–U5)

Das Legen des Zeigefingers der untersuchenden Person oder eines stiftartigen Gegenstandes in die Hand eines Kindes führt zu einem kräftigen, prompten Faustschluss, der so stark ist, dass sich die Fingerspitzen weiß verfärben (bis etwa zum 6. Lebensmonat).

Auffällige Befunde

Ist die Handgreifreaktion schwach oder nicht auslösbar, spricht dies für eine erhöhte Reizschwelle des ZNS (Hypoexzitabilität), muskuläre Hypotonie und/oder Muskelschwäche.

Ist die Reaktion prompt und sehr kräftig auslösbar, liegt eine erniedrigte Reizschwelle des ZNS (Hyperexzitabilität) vor.

Ein konstant anhaltender, fester Faustschluss ist als Hinweis auf eine muskuläre Hypertonie oder als Verdacht auf spastische Parese zu werten.

Auffällige Befunde erfordern eine neuropädiatrische Diagnostik.

Moro-Reaktion Phase I und II (U2–U5)

Im Gegensatz zur bekannten, das Kind massiv irritierenden Prüfung der Moro-Reaktion bevorzugen wir eine schonende Art der Untersuchung: Dem symmetrisch auf dem Rücken liegenden Kind werden die Zeigefinger der untersuchenden Person in die Handinnenflächen gelegt; als Antwort ist eine kräftige Handgreifreaktion zu erwarten. Das Kind wird nun – mit Zug an den Armen – vorsichtig mit dem Rücken und dem Kopf von der Unterlage abgehoben, aber nur um knapp 1 cm, was bereits eine aktive Beugung der Ellenbogengelenke auslöst [s. Abschnitt „Hochziehen zur halben Sitzposition (U2–U6)“]. Die Stärke der Handgreifreaktionen und der aktive Beugetonus der Arme lassen sich dabei gut beurteilen. Mit dem plötzlichen Herausziehen der Zeigefinger aus den Handflächen wird eine prompte Moro-Reaktion ausgelöst, ohne das Kind zu irritieren oder seinen Verhaltenszustand zu verändern.

Die Moro-Reaktion kann damit störungsfrei an jeder Stelle im Untersuchungsverlauf eingebaut werden.

Sie besteht aus 2 Phasen.

Phase I: Strecken der Arme und Abduktion in den Schultern, Öffnen der Hände

Dieser Ablauf ist in seiner Ausprägung abhängig vom Grundtonus der Muskulatur der oberen Extremitäten (bei hypertonem Grundtonus geringes Bewegungsausmaß, bei hypotonem Grundtonus sehr ausfahrende Reaktion). Spontan auftretende oder durch geringe Reize (Geräusche, Lageveränderungen) prompt auslösbare, weit ausfahrende Streck- und Abduktionsbewegungen der Arme und weites Öffnen der Hände sind ein Zeichen für Hyperexzitabilität. Eine nur geringe Extension der Ellenbogen und Abduktion in den Schultergelenken sowie nur geringfügiges Öffnen der Hände weisen dagegen auf Hypoexzitabilität und/oder muskuläre Hypertonie hin.

Phase II: Beugen der Arme, Schulteradduktion, Schließen der Hände

Auch dieser Ablauf wird vom Grundtonus der oberen Extremitäten bestimmt (hyperton: starke Reaktion, hypoton: geringe Reaktion). Starke Beugereaktion in den Ellenbogen und Adduktion in den Schultergelenken sowie promptes Schließen der Hände weisen auf Hyperexzitabilität hin. Keine/geringe Flexion in den Ellenbogen, keine/geringe Adduktion in den Schultergelenken sowie kein oder nur geringes Beugen der Finger sind Zeichen der Hypoexzitabilität.

Bei Frühgeborenen überwiegt die Phase I der Moro-Reaktion, weil die Beugemuskulatur der Extremitäten noch nicht die Masse und Stärke termingeborener Kinder erreicht hat, bei Reifgeborenen dagegen die Phase II. Mit zunehmendem Alter gewinnen Früh- und Reifgeborene eine funktionsgerechte Balance zwischen Streck- und Beugetonus der Arme, wie sie zum zielgerichteten Ergreifen von Objekten benötigt wird; ab dem 2.–3. Lebensmonat dominiert damit wieder die Phase I.

Die Moro-Reaktion gibt Aufschluss über die zentrale Erregbarkeitsschwelle des ZNS, über Asymmetrien und den aktiven Muskeltonus.

Die Moro-Reaktion ist gut mit der Prüfung der Handgreifreaktionen und des aktiven Muskeltonus kombinierbar.

Auffällige Befunde

Asymmetrien, eine überschießende Reaktion der Phase I (spontan oder ausgelöst) ohne nachfolgende Phase II, fehlende Phase I bei ausgeprägter Phase II oder ein Persistieren der Moro-Reaktion nach dem 6. Lebensmonat (spontan oder ausgelöst) müssen neuropädiatrisch abgeklärt werden.

Asymmetrisch-tonische Nackenreaktion (ATNR) (U2–U5)

In Rückenlage wird der Thorax des Kindes mit einer Hand fixiert, dann der Kopf nach links bzw. rechts gedreht. Arm und Bein der „Gesichtsseite“ werden mehr oder weniger stark gestreckt, Arm und Bein der Hinterkopfseite mehr oder weniger gebeugt gehalten („Fechterstellung“). In den ersten 3 Lebensmonaten kann der ATNR spontan auftreten oder leicht auslösbar sein. Entscheidend für die Bewertung ist, dass dem Kind eine spontane Auflösung gelingt.

Auffällige Befunde

Asymmetrien und ein Persistieren der ATNR nach dem 6. Monat (spontan oder ausgelöst) sind als auffällig zu bewerten. Eine konstante, deutliche und anhaltende ATNR, die vom Kind nicht selbst aufgehoben werden kann, muss in jedem Alter neuropädiatrisch abgeklärt werden.

Ausgelöste motorische Reaktionen

Mit ihnen wird die Qualität der Anpassungsfähigkeit des sensomotorischen Systems auf vorgegebene Lageveränderungen im Raum geprüft.

Hochziehen zur halben Sitzposition (U2–U6)

Das Kind wird aus der Rückenlage an den Händen vorsichtig in eine halbe Sitzposition hochgezogen. Um in dieser 45°-Stellung Kopf und Rumpf mittig zu halten, müssen die Arme angebeugt und Rumpf und Nacken stabilisiert werden. In der 45°-Sitzstellung kann der Strecktonus der Beine (jedoch nicht der in den Hüftgelenken) transitorisch erhöht sein, ohne dass damit ein pathologischer Befund vorliegen muss. Geprüft werden die Qualität des aktiven Muskeltonus bzw. hyper- und hypotone Abweichungen sowie die Fähigkeit zur Rumpf- und Kopfkontrolle während des Hochziehens.

Auffällige Befunde

Konstante Asymmetrien, starke Flexion in den Ellenbogengelenken und Adduktion in den Schultergelenken, starke Flexion oder Überstreckung in Hüft- und Kniegelenken und Opisthotonus weisen auf muskuläre Hypertonie hin. Keine oder nur eine geringe Flexion in den Ellenbogengelenken, keine Rückenstreckung, keine oder nur geringe Rumpf- und Kopfkontrolle sprechen für muskuläre Hypotonie und/oder Muskelschwäche.

Auf die Bewertung dieser Befunde wird im Abschnitt „Aktiver Muskeltonus (U2–U7)“ eingegangen.

Schwebende Bauchlage (U2–U6)

Um den Thorax gefasst wird das Kind in schwebender Bauchlage hochgehalten. Schon Neugeborene können Kopf und Becken kurz in die Rumpfebene bringen; ab dem 3. Lebensmonat gelingt dies dauerhaft. Ab dem 6. Monat werden Becken und Kopf über die Rumpfebene angehoben und in dieser Position einige Sekunden gehalten, die oberen und unteren Extremitäten sind dabei locker gebeugt (Landau-Reaktion).

Gekippte schwebende Bauchlage (U5–U6)

In der schwebenden Bauchlage wird das Kind jeweils 45° nach rechts und links um die eigene Körperachse nach oben gedreht. Kopf und Becken werden vom Kind dann über die Horizontale angehoben, die Extremitäten der oberen und unteren Körperseite locker gebeugt gehalten.

Auffällige Befunde

Konstante Asymmetrien, muskuläre Hypotonie sowie muskuläre Hypertonie müssen neuropädiatrisch abgeklärt werden.

Muskuläre Hypotonie: Hinweisende Befunde sind: keine Rumpfstreckung, kein Anheben des Beckens und des Kopfes mindestens bis in die Rumpfebene sowie fehlende Aktivierung der Flexorenmuskulatur der Extremitäten.

Muskuläre Hypertonie: Ihr Vorliegen ist anzunehmen, wenn Beine und/oder Arme straff gestreckt oder stark gebeugt gehalten werden und die Hände gefaustet sind.

Drehen von der Rücken- in die Bauchlage (U5)

Es wird individuell zu sehr unterschiedlichen Zeiten erlernt. Geprüft wird diese Funktion folgendermaßen: Um das Kind aus der Rückenlage über seine rechte Seite in die Bauchlage zu drehen, wird sein linkes Bein in Knie und Hüfte gebeugt, das Becken nach rechts gedreht, bis das Kind in der Bauchlage die Drehung beendet. Im weiteren Entwicklungsprozess wird der freie obere Arm antizipatorisch frühzeitig gestreckt, die Hand öffnet sich zum Abfangen der Drehbewegung schon während des Drehens (Feed-forward-Motorik). Das Augenmerk des Untersuchers liegt auf den Aspekten Eigenaktivität und Flüssigkeit während der Rotation von Becken-Rumpf-Schulter um die eigene Körperachse und dem Öffnen der jeweiligen Hand.

Auffällige Befunde

Bei konstant auffälligen Befunden, wie Asymmetrien, En-bloc-Reaktion (keine/kaum Schulter-Rumpf-Hüft-Rotation), passive oder aktive Schulterretraktion, keine/nur geringe antizipatorische Mitbeteiligung von Rumpf, Schulter und Arm am Rotationsablauf, ist eine neuropädiatrische Diagnostik indiziert.

Unterstützungsreaktion der Beine (U4)

Das Kind wird unter den Achseln gehalten und mit den Fußsohlen auf eine feste Unterlage gestellt: Im ersten Lebenshalbjahr erfolgt dann eine mehr oder weniger kräftige Streckreaktion der Beine ohne Streckung der Hüftgelenke. Nach Prechtl [20] dient die Unterstützungsreaktion der Beine während des intrauterinen Lebens zum Abstoßen des kindlichen Körpers von der Innenwand des Uterus mit den Fußsohlen, also zum Verändern der intrauterinen Körperlage. Sie stellt damit (ebenso wie die Schreitbewegungen des Neugeborenen) eine pränatale motorische Aktion dar, die nach der Geburt bis in die ersten Lebensmonate persistiert.

Stehbereitschaft (U5–U7)

Nach dem 6. Lebensmonat erfolgen neben dem Strecken der Beine auch eine Streckung in den Hüftgelenken und eine Aufrichtung des Rumpfes: Das volle Gewicht des Körpers wird jetzt von den Hüft- und Kniegelenken und den Fußsohlen übernommen.

Unterstützungsreaktion und Stehbereitschaft dienen zur Prüfung des aktiven Muskeltonus der unteren Extremitäten.

Vorübergehend zeigen viele Kinder um den 6. Lebensmonat weder Unterstützungsreaktion noch Stehbereitschaft (physiologische Astasie).

Es handelt sich dabei um die so genannte physiologische Astasie, ein transitorisches Phänomen während der Umstrukturierung neuronaler Netzwerke von der fetalen zu einer pyramidalen Motorik [7, 8, 10].

Auffällige Befunde

Hinsichtlich ihrer Bewertung sei auf den folgenden Abschnitt „Aktiver Muskeltonus (U2–U7)“ verwiesen.

Aktiver Muskeltonus (U2–U7)

Definition

Beim aktiven Muskeltonus handelt es sich um die Muskelkraft, die ein Kind selbst aktivieren kann.

Die Muskelkraft der oberen Extremitäten und des Rumpfes wird durch Hochziehen zur halben Sitzposition getestet [s. Abschnitt „Hochziehen zur halben Sitzposition (U2–U6)“]. Die Muskelkraft der unteren Extremitäten wird mit der Unterstützungsreaktion der Beine bzw. der Stehbereitschaft [s. Abschnitte „Unterstützungsreaktion der Beine (U4)“ und „Stehbereitschaft (U5–U7)“] geprüft. Der Tonus der Rumpfmuskulatur lässt sich mit der halben Sitzposition, mit der schwebenden Bauchlage und der gekippten schwebenden Bauchlage beurteilen [s. Abschnitte „Schwebende Bauchlage (U2–U6)“ und „Gekippte schwebende Bauchlage (U5–U6)“]. Eine bei neuromuskulären Erkrankungen und Syndromen meist generelle Muskelschwäche lässt sich durch das Testen des aktiven Muskeltonus gut nachweisen: Die Muskelkraft ist nicht oder nur mangelhaft aktivierbar.

Auffällige Befunde

Muskuläre Hypertonie: Sie ist in Kombination mit einer Hyperexzitabilität als transitorischer Befund in den ersten 6 Lebensmonaten nicht selten. Hingegen kann ein auffällig starker und anhaltender Flexions- oder Extensionstonus in den großen Gelenken (kombiniert mit gesteigerten Eigenreflexen und einem positiven Babinski-Phänomen) auf eine spastische Zerebralparese hinweisen.

Eine neuropädiatrische Diagnostik ist bei Muskelhypertonie in Kombination mit gesteigerten Eigenreflexen und Babinski-Phänomen indiziert.

Muskuläre Hypotonie: Fehlender/geringer aktiver Beuge- oder Strecktonus in den Extremitäten, keine Gewichtsübernahme der Beine, hypotone Nacken- und Stammmuskulatur mit geringer Rumpf- und Kopfkontrolle sind hinweisend.

Eine auf die autochthone Rückenmuskulatur begrenzte Hypotonie ist ein typischer Befund bei Kindern mit spastischen Zerebralparesen.

Ein nicht oder nur gering aktivierbarer Muskeltonus, generalisiert, distal oder proximal betont, ist typisch für eine Muskelschwäche bei Myopathien oder bei Erkrankungen des neuromuskulären Systems. Die Muskeleigenreflexe sind dabei nur schwach oder nicht auslösbar.

Auffällige Befunde erfordern eine baldige neuropädiatrische Diagnostik.

Sensomotorische Entwicklung: Körpermotorik

Die Items zu ihrer Beurteilung folgen der Methodik der Grenzsteine. Diese bewerten eine Fertigkeit nach dem Alter, in dem 90–95% aller Kinder einer Normpopulation diese zeigen [13]. Motorische Fertigkeiten – und hier besonders Bewegungsübergänge – werden nur durch häufiges Praktizieren erlernt, wozu Kinder in ihrer Umwelt Gelegenheiten haben müssen. Dieser Aspekt ist bei der Beurteilung der sensomotorischen Entwicklung zu beachten.

Rücken- und Bauchlage (U2–U3)

Stabile Rückenlage

Das Kind liegt, mit seitwärts gedrehtem Kopf, ruhig oder mit nur wenigen, rumpfnahen Bewegungen der Extremitäten sicher auf einer Unterlage. Kurzfristig kann der Kopf mittig gehalten werden. Die Extremitäten werden semiflektiert, beugerbetont gehalten.

Stabile Bauchlage

Das Kind liegt ruhig, mit seitwärts gedrehtem Kopf und mit nur wenigen, rumpfnahen Bewegungen der Extremitäten sicher auf einer Unterlage. Im Alter der U3, manchmal schon bei der U2, wird das Seitdrehen des Kopfes mit einem kurzen Anheben desselben eingeleitet. Die Extremitäten liegen beugerbetont unter dem Rumpf oder nahe am Körper. Die Hüfte ist überwiegend gebeugt, der Körperschwerpunkt liegt im Brustbereich.

Auffällige Befunde

Falls der Kopf in Rückenlage nicht mittig gehalten und/oder in Bauchlage nicht seitlich gedreht werden kann, eine fixierte Kopfhaltung und konstante Asymmetrien vorliegen, kein stabiles Liegen in Rücken- oder Bauchlage möglich ist und ausfahrende, streckerbetonte Bewegungen der Extremitäten, die die Stabilität der Bauch- und Rückenlage gefährden, quantitativ deutlich vermehrt sind oder das Kind umkippt, ist eine neuropädiatrische Diagnostik indiziert.

Abstützen in Bauchlage (U3, U5)

In Bauchlage zeigen sich zunächst kurzes Anheben und Drehen des Kopfes und Abstützen auf den gebeugten Unterarmen. Im Laufe der weiteren Entwicklung werden der Kopf angehoben gehalten, der Oberkörper im Unterarmstütz aufgerichtet und Blickkontakt zu Objekten und Personen im Gesichtsfeld hergestellt. In der Folge schieben sich die Unterarme nach vorne, die Hände öffnen sich, die Arme werden gestreckt. Das Abstützen erfolgt dann nur noch auf den geöffneten Händen (Handstütz). Ab der U5 sind in Bauchlage möglich: Gewichtsverlagerung des Oberkörpers auf eine Seite, mit dem freiwerdenden Arm/der Hand Ergreifen, Heranziehen, Manipulieren von Gegenständen. Balanciert wird das Gleichgewicht mit Ausgleichsbewegungen im Rumpf und im kontralateralen Bein (diagonale Muskelketten).

Auffällige Befunde

Folgende Befunde müssen neuropädiatrisch abgeklärt werden: Asymmetrien, kein Anheben und Drehen des Kopfes, kein Aufrichten zum Unterarmstütz, kein Handstütz, keine Gewichtsverlagerung, kein Greifen von Gegenständen, kein Öffnen der Hände.

Gehaltener Sitz (U4)

Für diese Untersuchung wird das Kind in Sitzhaltung gebracht und beidseits am Thorax unter den Achseln oder an den Schultern locker gehalten. Dabei kann die Qualität der Rumpf- und Kopfkontrolle beim Kind gut gefühlt, geprüft und beurteilt werden.

Auffällige Befunde

Hier sind zu nennen: keine oder nur schwache aktive Aufrichtung des Kopfes und des Rumpfes, instabile oder nur kurzfristig mögliche Kopf- und Rumpfkontrolle sowie konstante Asymmetrien.

Sitzen (U6)

Das freie, gleichgewichtsstabile Sitzen mit geradem Rücken und locker semiflektierten Beinen ohne Abstützen ist spätestens bis zum 9. Lebensmonat erlernt. Umherzuschauen, sich um die eigene Körperachse zu drehen und nach Gegenständen zu greifen, gelingt nur mit sicheren Gewichtsverlagerungen.

Zu beachten ist, ob Übergänge vom Sitzen zu einer Fortbewegung möglich sind, und wenn ja, wie sicher sie erfolgen. Manche Kinder zeigen nur angedeutetes Probieren aus Vorsicht (Gefährdung des Gleichgewichts), aus Ängstlichkeit oder bei kognitiven Schwächen (fehlende Motivation und mangelnde Bewegungsplanung). Unpräzise und ungeschickte Bewegungskoordinationen können auf isoliert langsames sensomotorisches Lernen (zentrale Verarbeitungsschwäche) oder kognitive Probleme verweisen. Diese Aspekte sind auch bei den Items „Kriechen, Krabbeln, Porutschen (U6)“, „Hochziehen und Stehen mit Festhalten (U6)“ und „Freies Gehen (U7)“ zu beachten.

Auffällige Befunde

Fixierte Asymmetrien, keine sichere Kopf- und Rumpfkontrolle, instabile oder breitbasige Sitzposition, Sitzen nur mit Abstützen durch Arme oder Hände, kein freies Sitzen, keine Übergänge vom freien Sitzen zu den unterschiedlichen individuellen Fortbewegungsarten sind Befunde, die neuropädiatrisch abzuklären sind.

Kriechen, Krabbeln, Porutschen (U6)

Krabbeln und Kriechen sind keine Entwicklungsphasen, die alle Kinder durchlaufen müssen. Nach unseren Erfahrungen und nach Largo et al. [11] zeigen etwa 10–15% der Kinder einer Normpopulation kein Krabbeln oder Kriechen, ohne in ihrer weiteren Entwicklung beeinträchtigt zu sein. Die meisten Kinder, die die Krabbelphase übersprungen haben, vermögen dann, während sie das freie Gehen erlernen, gut koordiniert und schnell zu krabbeln.

Kriechen

Es wird auch als Robben bezeichnet. Der Bauch bleibt auf der Unterlage, die Fortbewegung (rückwärts oder vorwärts) erfolgt mit Hilfe eines oder beider Arme oder eines oder beider Beine. Asymmetrische Vorzugshaltungen sind häufig und erlaubt. Wichtig ist, dass der Bewegungsablauf insgesamt flüssig wirkt.

Krabbeln

Es wird auch als Vierfüßlergang bezeichnet. Die Fortbewegung erfolgt mit gestreckten Armen und mit mehr oder weniger offenen Händen, die Beine werden mit den Knien abgestützt. Der Bewegungsablauf ist flüssig und wohlkoordiniert.

Porutschen

Diese Fortbewegung in sitzender Körperhaltung wird in unterschiedlichster Weise bewerkstelligt. Meist wird ein Bein gestreckt, das andere angebeugt. Vor allem mit dem angebeugten Bein schieben sich die Kinder vor- oder rückwärts. Die Rutschaktionen wirken insgesamt durchaus flüssig. Kinder, die sich durch Porutschen fortbewegen, sind nicht per se als auffällig zu bewerten. Sie zeigen lediglich eine weitere, weniger häufige Variante der normalen Fortbewegung in diesem Alter (2% der Normpopulation [11]). Nicht selten ist bei Porutschern eine muskuläre Hypotonie nachweisbar.

Auffällige Befunde

Fixierte Asymmetrien (wobei Vorzugshaltungen beim Erlernen häufig und erlaubt sind), kein oder zähes und langsames Fortbewegen sowie ein unkoordinierter Bewegungsablauf müssen einer neuropädiatrischen Diagnostik zugeführt werden.

Hochziehen und Stehen mit Festhalten (U6)

Hochziehen zum Stehen

Füße und Beine werden rasch und sicher aufgestellt und zunehmend funktionsgerecht bewegt und gehalten, dabei halten sich die Kinder beim Hochziehen sicher mit den Händen fest. Transitorisch häufig sind auffällige, die Haltung stabilisierende (fixierende) Bewegungsübergänge.

Stehen mit Festhalten

Es erfolgt unter sicherer, freier Beweglichkeit und Haltungsbewahrung von Kopf, Rumpf und Beinen. Das Kind hält sich mit beiden Händen oder nur mit einer Hand fest.

Auffällige Befunde

Kein Hochziehen zum Stehen, Hochziehen mit starr gestreckten Beinen, kein Stehen mit Festhalten, anhaltend starres Stehen ohne Gewichtsverlagerungen, fixierte Asymmetrien beim Hochziehen oder Stehen mit Festhalten (wobei Vorzugshaltungen beim Erlernen häufig und erlaubt sind) sind als auffällig anzusehen und neuropädiatrisch abzuklären.

Freies Gehen (U7)

Hierunter wird freies, zeitlich unbeschränktes Gehen unter sicherer Gleichgewichtskontrolle mit enger Beinstellung und locker angewinkelten und körpernah gehaltenen Armen verstanden. Gegenstände können ohne Gefährdung des Gleichgewichts vom Boden aufgehoben werden, meist in einer Hockstellung.

Auffällige Befunde

Asymmetrien, ein auffälliges Gangbild, das oft erst bei schnellerem oder längerem Gehen erkennbar wird, unkoordinierte Bewegungsabläufe, unsichere Gleichgewichtskontrolle sowie die Unmöglichkeit, frei zu gehen, bedürfen einer augenärztlichen sowie neuropädiatrischen Diagnostik.

Sensomotorische Entwicklung: Hand- und Fingermotorik

Auch die Beurteilung der Entwicklung der Hand- und Fingermotorik erfolgt mit der Grenzsteinmethode [13]. Die Fingermotorik wird nach der Systematik von Touwen [21] eingeteilt.

Hand- und Fingermotorik in den ersten Lebensmonaten (U2–U3)

Ruhige, zufriedene Kinder haben von Geburt an Hände mit locker gebeugten Fingern, ab Beginn des 3. Lebensmonats werden isolierte, angedeutet zielgerichtete Bewegungen der Hände und Finger gesehen.

Faustgriff (U4)

Ab dem 3.–4. Lebensmonat werden kleine Gegenstände, die in die Hand gegeben oder selber erfasst werden, mit der ganzen Faust festgehalten. Ab etwa dem 4.–5. Monat entwickelt sich aus dem Faustgriff ein radialer Faustgriff: Greifen mit den ersten 3 Fingern und mit der radialen Handfläche.

Hand-Hand-Kontakt/Transferieren (U4–U5)

Die Hände beginnen, sich etwa in Gesichtshöhe über der Mittellinie zu kontaktieren. Beide Hände werden schließlich über der Körpermitte zusammengebracht. Ab dem 4.–6. Monat gelingt es Kindern zunehmend, einen Gegenstand von einer Hand in die andere zu übernehmen.

Scherengriff (U5–U6)

Ab dem 4.–6. Monat werden einzelne Finger bewusst und gezielt zum Berühren, Tasten (taktiles Explorieren) und Festhalten eingesetzt. Die Kinder versuchen, mit gestrecktem Daumen und Zeigefinger („Scherengriff“) kleine Gegenstände zu fassen und zu halten.

Unvollständiger und vollständiger Pinzettengriff (U6)

Dem Scherengriff folgt ein unvollständiger Pinzettengriff (Greifen mit den Endgliedern des 1. und 2. Fingers), aus dem schließlich ein vollständiger Pinzettengriff wird: Greifen mit den Spitzen der Endglieder von Daumen und Zeigefinger. Am Ende des 1. Lebensjahres benützen Kinder oft noch mehrere Formen der Fingergriffe, bis sie etwa ab dem 15. Monat kleinste Gegenstände nur noch mit vollständigem Pinzettengriff ergreifen. Taktiles Explorieren erfolgt mit den Fingerspitzen (optimierte Ökonomie).

Fingerfertigkeit beim Malen (U7)

Das „Malen“ beginnt zunächst mit Kritzeln. Der Stift wird entweder mit einem Faustgriff, einem radialen Faustgriff oder schon mit einer Art 3-Finger-Griff gehalten.

Auffällige Befunde in allen Entwicklungsstufen

Asymmetrien dürfen nicht als frühe Handdominanz fehlinterpretiert werden. Sie erfordern ebenso wie fehlendes Öffnen der Hände, kein altersgemäßes Greifen, kein taktiles Explorieren, kein Festhalten, kein Loslassen, eine unsichere Zielmotorik, kein Halten eines Stiftes, kein Kritzeln oder Malen eine augenärztliche sowie neuropädiatrische Diagnostik.

Fazit für die Praxis

Die Auswahl der Items für eine neurologische Basisuntersuchung wird bestimmt durch die besonderen Qualitäten des frühen kindlichen Nervensystems. Die gewählten Items sollten leicht zu erlernen, zu untersuchen und zu bewerten sein, damit die zeit- und funktionsökonomischen Konditionen der kinderärztlichen und klinischen Praxis Berücksichtigung finden. Die Items erfüllen die Voraussetzungen zur Erhebung valider Befunde, mit denen entschieden werden kann, ob weitere diagnostische und welche therapeutischen Konsequenzen notwendig werden. Die Untersuchung erhebt den Anspruch, mit der Auswahl der Items die neurologische Phänomenologie aller neurologischen Erkrankungen zu erfassen, die in diesem Lebensalter von klinischer Bedeutung sind.