Geschlechtsspezifische Wirkungsunterschiede

In der Psychiatrie beschäftigte man sich lange Zeit nicht mit geschlechtsspezifischen Fragestellungen, obwohl schon lange bekannt ist, dass Frauen doppelt so häufig an depressiven Erkrankungen leiden wie Männer, dass psychiatrische Erkrankungen häufig erstmals prämenstruell, in der Schwangerschaft, im Wochenbett sowie perimenopausal auftreten oder erneut exazerbieren [15]. Während die geschlechtsspezifischen Aspekte psychiatrischer Krankheitsbilder und deren Modulation durch endokrinologische Ereignisse im Leben einer Frau zunehmend mehr beforscht werden, gibt es kaum Daten zu geschlechtsabhängiger Response auf Psychopharmaka, bzw. Unterschiede in der Dosierung der Substanzen bei Männer und Frauen. So wird eine Zunahme des Gesamtkörperwassers und eine Reduktion der renalen Clearance durch hormonelle Schwankungen während des Menstruationszyklus diskutiert [23]. Manche Autoren sehen in den monatlich schwankenden Östrogen- und Gestagenspiegeln von Frauen eine der Hauptursachen für Unterschiede im Ansprechen auf Pharmaka [10, 17, 22].

Es gibt nur wenige Substanzklassen, zu denen ausreichend gute Daten zu geschlechtsspezifischen Aspekten vorliegen, dazu gehören die Antidepressiva, die Neuroleptika und die sog. Stimmungsstabilisierer, von denen die meisten der Gruppe der Antikonvulsiva angehören. Antidepressiva werden in der internistischen Praxis sicher auch häufiger verordnet, deswegen werden sie hier auch ausführlicher besprochen als die anderen Substanzen. Außerdem werden in diesem Beitrag die Nebenwirkungen von Psychopharmaka besprochen, die bei Frauen häufiger auftreten als bei Männern und die auch für die internistische Praxis von Relevanz sind. Die Toxizität von Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit wird ebenfalls kurz besprochen.

Antidepressiva

Man unterteilt die Antidepressiva basierend auf ihrem Wirkmechanismus in verschiedene Gruppen: Die älteren Substanzen, „trizyklische Antidepressiva“ oder Trizyklika genannt, verhindern den Abbau der Monoamine Serotonin, Noradrenalin und Dopamin in unterschiedlicher Ausprägung. Die bekanntesten Vertreter sind Doxepin (Aponal®), Clomipramin (Anafranil®), Trimipramin (Stangyl®) und Amitriptylin (Imipramin®).

Neuere Substanzen verhindern lediglich den Abbau des Serotonins oder setzen den Schwerpunkt auf die Abbauhemmung von Serotonin und Noradrenalin. Erstere werden selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI), letztere Noradrenalin-Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (NSRI) genannt. Die wichtigsten SSRI sind Fluoxetin (Fluctin®), Paroxetin (Paroxat®), Sertralin (Zoloft®) und Citalopram bzw. Escitalopram (Cipramil®/Cipralex®). Bei den NSRI sind Duloxetin (Cymbalta®) und Venlafaxin (Trevilor®) zu nennen. Schließlich gibt es noch eine neue Substanzklasse, die die Konzentration von Dopamin im Gehirn erhöht und für bestimmte Subtypen der Depression geeignet ist (Bupropion = Elontril®). Bei den pflanzlichen Substanzen, denen einen leichte antidepressive Wirkung zugestanden wird, ist das Johanniskraut (Jarsin®) zu nennen, bei dem es sich um das am häufigsten verordnete Antidepressivum in Deutschland handelt.

Es gibt gute Hinweise darauf, dass Männer besser auf trizyklische Antidepressiva ansprechen als Frauen, während dieses umgekehrt für die Response auf SSRI gilt (z. B. [25]). Interessanterweise war dieser Unterschied nicht mehr relevant, wenn die Frauen bereits postmenopausal waren. In diesem Zusammenhang wurde vermutet, dass es eine Interaktion zwischen Serotonin und Östrogen geben muss, die zu einer verbesserten Response auf die SSRI bei Frauen führt. Ob die verbesserte Wirkung auch für die NSRI gilt, ist nicht geklärt. Interessanterweise wird das NSRI Duloxetin in der Indikation der Dranginkontinenz bei Frauen als Jentreve® angeboten. Somit könnte man bei einer depressiven Frau mit dieser urologischen Problematik durch die Gabe des Duloxetin zwei Therapieaspekte abdecken.

Bei prämenopausalen Frauen sollte die antidepressive Therapie zunächst mit einem SSRI begonnen werden.

Bei fehlendem oder partiellem Ansprechen kann eine Umstellung auf ein SNRI erfolgen. Trizyklische Antidepressiva sollten nicht eingesetzt werden, da zum einen die Wirksamkeit möglicherweise nicht optimal und zum anderen das Nebenwirkungsrisiko im Vergleich zu modernen Substanzen zu hoch ist.

Bei postmenopausalen Frauen sollte bei der Wahl eines Antidepressivum die organische Komorbidität berücksichtigt werden. Die älteren Substanzen können zu QT-Zeit-Verlängerung, Obstipation, Harnverhalt und kognitiven Funktionsstörungen führen [3].

Johanniskraut ist ein potenter Enzyminduktor. Medikamente, die über das Cytochrom-P450-System abgebaut werden, können in ihrer Wirkung so abgeschwächt werden, dass sie unwirksam werden. Dazu zählen auch die meisten oralen Kontrazeptiva, deren Wirksamkeit bei gleichzeitiger Einnahme von Johanniskraut um bis zu 80% abnimmt.

Im Hinblick auf die Dosierung von Antidepressiva gibt es nur wenige Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede. Einige Studien haben gefunden, dass Frauen geringere Dosen benötigen als Männer, allerdings ist die Datenlage hierzu widersprüchlich. Bisher gibt es keine eindeutigen Hinweise dafür, dass Frauen geringere Dosierungen für eine therapeutische Wirkung benötigen als Männer. Frauen entwickeln aber rascher Nebenwirkungen als Männer (s. unten). Das könnte bei der Dosierung dann wiederum relevant werden.

Neuroleptika

Die Gruppe der Neuroleptika wurde ebenfalls in Bezug auf Geschlechterunterschiede in der Wirksamkeit untersucht.

Man unterteilt Neuroleptika in typische und atypische Substanzen, wobei erstere eine ausgeprägte Dopamin-D2-Blockade aufweisen, während die neueren Substanzen andere Transmittersysteme modulieren und einige von ihnen kaum D2-Beeinflussung zeigen. Zu den typischen Substanzen zählt als bekanntester Vertreter Haloperidol (Haldol®). Zu den atypischen Neuroleptika gehören Clozapin (Leponex®), Olanzapin (Zyprexa®), Quetiapin (Seroquel®), Ziprasidon (Zeldox®), Aripiprazol (Abilify®), Risperidon (Risperdal®) und Paliperidon (Invega®). Die beiden letztgenannten Substanzen haben eine relativ starke D2-Blockade.

Neuroleptika werden überwiegend bei Schizophrenien, die neueren Substanzen aber auch bei affektiven Störungen (z. B. zur Maniebehandlung) eingesetzt. Im Hinblick auf Responseparameter konnte wiederholt gezeigt werden, dass Frauen schneller und besser auf typische Neuroleptika reagieren als Männer [1]. Diese Befunde stimmen mit Tierstudien überein, die dem Östrogen einen antidopaminergen Effekt zuschreiben. Auch hier lässt sich ein Verschwinden dieses Befunds mit Eintritt der Menopause nachweisen [1].

Die Datenlage zu den atypischen Neuroleptika in Bezug auf Behandlungsresponse ist sehr limitiert. Doch konnte gezeigt werden, dass Geschlecht ein signifikanter Prädiktor für Response auch bei den atypischen Neuroleptika war, in dem Frauen eine schnellere und bessere Wirkung zeigten. Die Ausnahme bildete hier das Risperidon, wobei diese Substanz vom Rezeptorprofil her den typischen Neuroleptika am nächsten ist.

Viele atypische Neuroleptika modulieren das serotonerge System. Es gibt Hinweise darauf, dass prämenopausale Frauen ähnlich wie auf Antidepressiva mit serotonerger Komponente auf sie besser reagieren als auf typische Neuroleptika [1]. Plasmaspiegelbestimmungen bei atypischen Neuroleptika zeigen für Clozapin, Olanzapin, Risperidon, Ziprasidon und Aripiprazol höhere Werte bei Frauen als bei Männern [13].

Stimmungsstabilisierer

Unter dieser Substanzgruppe versteht man in der Psychiatrie Medikamente, die verhindern, dass Patienten extreme Auslenkungen ihrer Stimmung nach oben (Manie) oder nach unten (Depression) erleiden. Sie werden somit in der Prophylaxe affektiver Erkrankungen eingesetzt. Zu den Stimmungsstabilisierern gehören im Wesentlichen Lithium und verschiedene Antikonvulsiva (z. B. Valproinsäure, Carbamazepin).

Zum Lithium gibt es keine Studien in Bezug auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Therapieresponse. Beim Carbamazepin ist zu beachten, dass die Substanz ein starker Enzyminduktor ist und Frauen, die die Pille nehmen, keinen ausreichenden Empfängnisschutz mehr haben.

Valproinsäure findet in der Psychiatrie weite Verbreitung. Es ist allerdings mit einem erhöhten Risiko für das polyzystische Ovar verknüpft [12]. Polyzystische Ovarien gehen mit Insulinresistenz, männlichem Behaarungsmuster, Infertilität und Adipositas einher. Patientinnen in gebärfähigem Alter sollten nur in Ausnahmefällen dauerhaft auf diese Substanz eingestellt werden.

Nebenwirkungen von Psychopharmaka

Frauen scheinen sensibler auf Nebenwirkungen von Psychopharmaka zu reagieren als Männer (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Unterschiede im Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil von Psychopharmaka bei Männern und Frauen

Hyperprolaktinämie, sexuelle Dysfunktion und Osteoporose

Das Ausmaß der tuberoinfundibulären Dopaminblockade unter Neuroleptikatherapie ist für die Prolaktinerhöhung verantwortlich. Erhöhte Prolaktinspiegel können mit Galaktorrhö, Amenorrhö, sexuellen Funktionsstörungen, Brustspannen und als möglichem Langzeiteffekt mit Osteoporose verbunden sein [14, 20]. Aus der Gruppe der atypischen Neuroleptika führen Amisulprid [27], Risperidon und Paliperidon [18] zu signifikanten Prolaktinerhöhungen. Für Risperidon wurde ein dosisabhängiger Anstieg von Prolaktin beobachtet. Speziell für Amisulprid sind höhere Prolaktinspiegel bei Frauen gut dokumentiert [16]. Clozapin, Olanzapin, Quetiapin und Ziprasidon führen zu keiner oder einer nur geringen Prolaktinerhöhung [9]. Aripiprazol soll eine prolaktinsenkende Wirkung haben (Tab. 1).

Tab. 1 Prolaktinspiegel unter verschiedenen Neuroleptika

Erst kürzlich fanden Montgomery et al. deutlich höhere Prolaktinspiegel bei Frauen im Vergleich zu Männern unter antipsychotischer Therapie. Dieser Effekt war bei prämenopausalen Frauen besonders stark ausgeprägt und blieb, wenn auch etwas eingeschränkt, bis ins hohe Alter erhalten [32].

Eine retrospektive Untersuchung an 52.819 Frauen fand eine Assoziation zwischen Dopaminantagonisten, erhöhten Prolaktinspiegeln und einer geringfügig, aber signifikant erhöhten Mammakarzinomrate. In einer anderen Studie konnte dieses jedoch nicht bestätigt werden.

Ob eine Hyperprolaktinämie zu einer verminderten Knochendichte führt, wird kontrovers diskutiert. Eine Assoziation zwischen erhöhten Prolaktinwerten und verminderter Knochendichte wurde bei postmenopausalen Frauen berichtet [33]. Hummer et al. fanden niedrigere Knochendichtewerte bei Männern und nur einen statistischen Trend mit der Einnahme prolaktinerhöhender Antipsychotika [21].

Sexuelle Störungen sind der Hauptgrund für Non-Compliance bei der Psychopharmakotherapie

Sexuelle Funktionsstörungen finden sich bei 30–60% der Patienten unter Therapie mit Neuroleptika und bei bis zu 40% der Patienten unter Antidepressivatherapie (Tab. 2). Sexuelle Störungen sind der Hauptgrund für Non-Compliance bei der Therapie. Frauen berichten etwas öfter über sexuelle Funktionsstörungen als Männer – Störungen der sexuellen Appetenz und der Orgasmusfähigkeit stehen im Vordergrund, während bei Männern eine erektile Dysfunktion das häufigste Problem darstellt [24].

Tab. 2 Prävalenz sexueller Funktionsstörungen unter verschiedenen Antidepressiva

Hyperglykämie und Diabetes mellitus

Gewichtszunahme ist vor allem ein Problem von Lithium, Valproinsäure und bestimmten atypischen Antipsychotika. Frauen sind von einem Gewichtsanstieg signifikant häufiger betroffen als Männer [19]. In den meisten Untersuchungen werden Clozapin und Olanzapin sowie Lithium und Valproinsäure mit der stärksten Gewichtszunahme assoziiert. Risikofaktoren für eine hohe Gewichtszunahme unter antipsychotischer Therapie sind ein niedriger Body-Mass-Index zu Behandlungsbeginn, das jugendliche Alter und das weibliche Geschlecht [34].

Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit

Zeiten hormoneller Veränderungen sind Hochrisikozeiten für Frauen, erstmals oder erneut eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Dennoch haben viele psychisch erkrankte Frauen Kinderwunsch und könnten genau wie gesunde Frauen Kinder zur Welt bringen und aufziehen, wenn das Wissen um die reproduktive Sicherheit von Psychopharmaka bei den behandelnden Ärzten besser wäre. Oftmals wird eine stabilisierende Medikation wegen des Kinderwunsches einfach abgesetzt, ohne Berücksichtigung, dass ein Krankheitsrückfall für das Ungeborene unter Umständen noch viel problematischer ist als die mütterliche Einnahme eines Psychopharmakons. Auf der anderen Seite müssen die Toxizitätsaspekte von Psychopharmaka berücksichtigt werden, insbesondere im Hinblick auf Teratogenität und perinatale Komplikationen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es für viele Substanzen noch kein ausreichendes Sicherheitsprofil gibt und oftmals nur wenige Daten vorliegen.

Im Folgenden werden die wichtigsten Substanzklassen im Hinblick auf ihr reproduktives Sicherheitsprofil dargestellt.

Stimmungsstabilisierer in der Schwangerschaft

Die Frage, ob die klassischen Stimmungsstabilisierer (Lithium, Carbamazepin, Valproat) in der Schwangerschaft sicher sind, kann nicht für alle Substanzen gleich beantwortet werden. Ebenso wenig kann die Frage, ob man eine stimmungsstabilisierende Substanz mit Eintritt der Schwangerschaft absetzen oder beibehalten soll, für alle Krankheitsverläufe gleich beurteilt werden.

Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die zeigen, dass Frauen mit einer bipolaren Störung, die zu Beginn der Schwangerschaft die genannten Medikamente absetzen, in 50% der Fälle innerhalb der nächsten 6 Monate eine depressive Episode entwickeln [11, 30, 31]. Studien zufolge verdoppelt sich bei Frauen mit einer bipolaren Erkrankung das Risiko für depressive Symptome in der Schwangerschaft, das Risiko einer postpartalen Depression verdreifacht sich sogar [2].

Lithium

Kardiale Fehlbildungen.

In den 1970er Jahren wurde über das gehäufte Auftreten der Ebstein-Anomalie (Hypoplasie des rechten Ventrikels mit Verlagerung der Trikuspidalklappe in den rechten Ventrikel) bei Kindern von Müttern berichtet, die während der Schwangerschaft eine Lithiumexposition hatten. Die Inzidenz wurde mit 2,7% angegeben. In der Allgemeinbevölkerung wird 1 von 10.000–20.000 Kindern (0,005–0,01%) mit einer Ebstein-Anomalie geboren. Neuere Studien fanden ein geringeres teratogenes Risiko nach Lithiumexposition im 1. Trimester. Eine zusammenfassende Untersuchung von 2 Kohorten- und 4 Fallkontrollstudien zeigte, dass das Gesamtrisiko kardiovaskulärer Fehlbildungen (z. B. Ventrikelseptumdefekt, Mitralklappen/Trikuspidalklappenatresie, Malformation der großen Gefäße) nach Lithiumexposition im 1. Trimester erhöht ist. Die Autoren fanden, dass das relative Risiko einer Ebstein-Anomalie mit 0,05–0,1% um das 10- bis 20-fache höher ist, als das Risiko in der Allgemeinbevölkerung. Das absolute Risiko, unter Lithiumexposition eine Ebstein-Anomalie zu entwickeln, ist demnach jedoch als gering einzustufen [5, 7, 8].

Andere organische Folgeerscheinungen.

Es gibt einen Fallbericht über kardiale Rhythmusstörungen bei einem lithiumexponierten Kind. Auch über Kropfbildungen, nephrogenen Diabetes insipidus und Hypothyreose nach Lithiumexposition wurde vereinzelt berichtet. Zwei Fälle eines Diabetes insipidus in utero mit Entwicklung eines Hydramnions wurden ebenfalls beschrieben [8, 26].

Perinatale Symtpome.

Perinatal kann es nach Lithiumexposition zum „Floppy-infant-Syndrom“ kommen, das durch Hypotonizität, Atemdepression und Zyanose gekennzeichnet ist [8].

Psychomotorische Folgeerscheinungen.

Psychomotorische (s. oben) Folgen oder geistige Entwicklungsstörungen beim Kind sind nach Lithiumexposition nicht bekannt geworden.

Besonderheiten.

In einer Untersuchung an Frauen mit einer bipolaren Störung wurde im Vergleich zu anderen Stimmungsstabilisierern bei Lithiumeinnahme ein um das 2,5-fach erhöhtes Frühgeburtsrisiko beobachtet [5, 8].

Fehlbildungen unter Carbamazepin und Valproinsäure

Die meisten Daten zur Teratogenität unter Carbamazepin stammen aus der Epilepsieforschung, somit ist nicht klar, ob sie ohne Weiteres auch auf schwangere Frauen mit einer bipolaren Störung zutreffen.

Bei Kindern von Müttern, die in der Schwangerschaft Antiepileptika eingenommen hatten, treten sog. kleine und große Fehlbildungen etwa doppelt so häufig (4–6%; [6]) wie in der Gesamtbevölkerung (2–3%) auf. Das bedeutet andererseits, dass über 90% aller Kinder gesund zur Welt kommen. Kleine Fehlbildungen können z. B. Hypertelorismus, tief sitzende Ohrmuscheln oder kurze Fingerendphalangen sein. Große Fehlbildungen sind seltener und betreffen typischerweise Herzfehler und Skelettanomalien wie Spina bifida oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Solche großen Fehlbildungen können von erfahrenen Gynäkologen schon sehr früh im Ultraschall entdeckt werden.

Bei der Einnahme von Valproinsäure kommt es in 2–4% der Fälle zu einer Spina bifida

Unter den großen Fehlbildungen ist die Spina bifida in all ihren Variationen die häufigste. Carbamazepinexposition in den ersten 3 Schwangerschaftsmonaten ist mit einem 1%igen Risiko einer Spina bifida beim Kind verbunden [6]. Bei der Einnahme von Valproinsäure kommt es in 2–4% der Fälle zu einer Spina bifida [7, 6]. Das Risiko der Entwicklung einer Spina bifida kann zwar durch Folsäuregaben verringert werden, allerdings muss diese bereits 6 Monate vor Eintritt einer Schwangerschaft beginnen. Die Patientin sollte zu einer folsäurereichen Ernährung mit Milch, Käse oder Blattgemüse angehalten werden oder Folsäuretabletten einnehmen. Für die Gesamt- (= Normal-)population wird eine Tagesdosis von 0,4 mg empfohlen. Hat die Mutter bereits ein Kind mit Spina bifida geboren, werden 4–5 mg/Tag empfohlen. Bei Einnahme von Carbamazepin/Valproinsäure erscheint wegen des deutlich erhöhten Risikos die höhere Dosis sinnvoll. Etwa ab der 35. Woche sollte der Mutter außerdem Konakion® (oral 10 mg/Tag) verordnet werden, um das Risiko von intrazerebralen Blutgerinnungsstörungen beim Neugeborenen zu reduzieren.

In einer Untersuchung an mit Carbamazepin exponierten Kindern fand sich bei 6 von 49 Kindern (12%) ein „fetales Carbamazepin-Syndrom“, das mit Gesichts- und Körperdysmorphien und mit geringer geistiger Retardierung einherging [6]. Ein „fetales Valproinsäure-Syndrom“ mit kraniofazialen, kardiovaskulären, abdominellen und urogenitalen Fehlbildungen sowie mit Fehlbildungen der Finger und Zehen und geistiger Entwicklungsverzögerung fand sich in 3 Untersuchungen bei mehr als der Hälfte der valproatexponierten Kinder epilepsiekranker Mütter. Bisher sind keine vergleichbaren Daten für Kinder von Müttern mit einer bipolaren Störung bekannt geworden.

Perinatale Symptome und psychomotorische Folgeerscheinungen

Carbamazepin und Valproinsäure können zu Hämorrhagien führen, wenn keine Vitamin-K-Prophylaxe erfolgt. Auch über vorübergehende Dysfunktionen der Leber beim Neugeborenen wurde berichtet.

Es wurde die Vermutung aufgestellt, dass es bei valproatexponierten Kindern zu Verzögerungen der geistigen und körperlichen Entwicklung kommen kann.

Antidepressiva

Entscheidend ist, eine antepartale Depression zu erkennen und nicht als Befindlichkeitsstörung zu interpretieren. Sowohl die Patientin als auch deren Angehörige sollten über die Frühzeichen einer depressiven Episode informiert werden. Das ist deswegen wichtig, weil die Erkennung von Prodromalsymptomen einen rechtzeitigen Therapiebeginn ermöglicht, wodurch sich Krankenhausaufenthalte und eine „aggressive“ Behandlung oftmals vermeiden lassen. Die Patientin sollte darauf hingewiesen werden, dass auch unspezifische Stressoren, wie z. B. ein Schlafdefizit oder emotionale Belastung eine depressive Episode triggern können.

Trizyklika

Die klassischen Antidepressiva sind in der Schwangerschaft kontraindiziert. Sie haben zwar ein teratogenes Risiko, sind aber mit schweren perinatalen Toxizitätserscheinungen beim Neugeborenen verknüpft. Diese beinhalten vor allen Dingen anticholinerge Nebenwirkungen, Krampfanfälle und Leberschäden.

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

Die umfangreichste Datenlage liegt zum Fluoxetin vor. Es gibt hier ein erhöhtes Risiko kleinerer Fehlbildungen der Gliedmaßen (z. B. Hypoplasie der Fingernägel), aber das Risiko großer Fehlbildungen ist nicht erhöht.

Auch die Daten für Citalopram, Sertralin, Paroxetin und Fluvoxamin sind recht positiv, wobei die geringste Plazentagängigkeit für Citalopram und Sertralin beschrieben ist. Im schwedischen Schwangerschaftsregister sind mittlerweile über 4000 SSRI-exponierte Kinder dokumentiert: Hier fanden sich keine Fehlbildungen und nur geringe perinatale Toxizitätserscheinungen [29].

Adreanlin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (NSRI)

Hier ist das Venlafaxin mit 150 dokumentierten Fällen relativ gut untersucht. Es scheint eine in der Schwangerschaft sichere Substanz zu sein, wobei nur wenige Fälle in Hinblick auf perinatale Komplikationen vorliegen. Zum Duloxetin gibt es keine Daten.

Andere Antidepressiva

Kaum Daten gibt es zu Mirtazapin, Johanniskraut und zu MAO-Hemmern. Das in Deutschland seit Kurzem zugelassene Antidepressivum Bupropion umfasst um die 100 dokumentierte Schwangerschaften mit Outcome. Die Kinder waren oftmals „Small-for-date-Babys“, die sehr unruhig waren, wobei jedoch keine Fehlbildungen beobachtet wurden [2].

Besonderheiten

Wenn eine Frau während der Schwangerschaft ein Antidepressivum einnimmt und die Symptome nicht remittieren, kann das daran liegen, dass die Plasmaspiegel der meisten Antidepressiva während der Schwangerschaft absinken. Dies wird darauf zurückgeführt, dass während der Schwangerschaft ein gesteigertes Plasmavolumen, eine erhöhte renale Clearance und eine gesteigerte hepatische Enzymaktivität vorliegen. Deswegen ist die Kontrolle der Plasmaspiegel während der Schwangerschaft sinnvoll. Das Auftreten depressiver Symptome bei einer Frau, die nachgewiesenermaßen ihr Antidepressivum regelmäßig einnimmt, hat somit nicht unbedingt etwas mit dessen Unwirksamkeit zu tun, sondern erfordert möglicherweise nur eine Dosisanpassung.

Die Kontrolle der Antidepressiva-Plasmaspiegel ist während der Schwangerschaft sinnvoll

Manche Autoren empfehlen, das Antidepressivum wenige Tage oder Wochen vor der Geburt abzusetzen, um perinatale Toxizitätserscheinungen beim Kind ganz zu vermeiden. Dieses Vorgehen trägt jedoch ein deutliches Risiko, weil die Depression zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch nicht remittiert ist und somit in der postpartalen Periode ein erhöhtes Risiko für einen depressiven Rückfall besteht. Andererseits ist die Sicherheit des Neugeborenen ein ebenso wichtiger Aspekt, sodass die ärztliche Entscheidung auf der Beurteilung der Schwere der depressiven Symptomatik und der Krankheitsanamnese getroffen werden sollte.

Lamotrigin

Lamotrigin scheint unter den Antikonvulsiva die Substanz mit dem geringsten Teratogenitätsrisiko zu sein [6]. Kürzlich wurde aber über ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten berichtet. Außerdem kann Lamotrigin beim Kind auch zu allergischen Hauterscheinungen führen, die erst perinatal sichtbar werden. Eine sehr langsame Aufdosierung (25 mg/14 Tage) ist in jedem Fall zu empfehlen, sodass Lamotrigin sich eher zur Prophylaxe depressiver Episoden in der Schwangerschaft und Stillzeit als zur Akutbehandlung eignet.

Benzodiazepine

Die einzigen in der Schwangerschaft vertretbaren Benzodiazepine sind die mit kurzer Halbwertszeit (Lorazepam, Clonazepam). Die Substanzen mit langer Halbwertszeit (z. B. Diazepam) haben im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung ein doppelt so hohes Risiko, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten auszulösen. Ferner kumulieren sie im kindlichen Körper und können zu schweren perinatalen Komplikationen führen, bei denen eine intensivmedizinische Überwachung des Kindes erforderlich ist.

Fazit für die Praxis

Bei der Behandlung von Frauen mit Psychopharmaka müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Diese betreffen insbesondere die Responder-Rate, die Wahl des entsprechenden Therapeutikums aus jeder Substanzklasse und das Sicherheitsprofil, da Frauen häufiger und unter Umständen schwerere Nebenwirkungen entwickeln als Männer. Im Hinblick auf die Schwangerschaft ist festzuhalten, dass psychisch kranke Frauen, wenn es die soziale Situation und der bisherige Krankheitsverlauf gestatten, durchaus schwanger werden können. Der rationale Umgang mit dem reproduktiven Sicherheitsprofil von Psychopharmaka ist aber dringend erforderlich, um Mutter und Kind vor unnötigen Risiken zu schützen.