Etwa 80% der Bevölkerung der Industrienationen haben wenigstens einmal im Leben Rückenschmerzen [24, 25]. Die höchsten Prävalenzraten treten bei Personen im „mittleren“ Lebensalter auf. Lumbale und zervikale Schmerzen zählen zur häufigsten Ursache für Arbeitsunfähigkeit [7, 17]. Besonders gravierend ist die Tatsache, dass die überwiegend unspezifische Schmerzproblematik mit hohen Rezidivraten verbunden ist. Die Vermeidung von längeren Schmerzepisoden ist entscheidend, um das hohe Chronifizierungspotenzial zu reduzieren und Arbeitsunfähigkeiten zu verringern.

Tätigkeitsspezifische Risikofaktoren für Wirbelsäulenbeschwerden sind v. a. für biomechanische Belastungskenngrößen dokumentiert: Besonders das Hantieren mit schweren Lasten, aber auch ungünstige Körperhaltungen (gebückt, verdreht, statisch, dynamisch) provozieren vermehrt Schmerzen [13, 14]. Darüber hinaus sind zahlreiche Kofaktoren bekannt, die überwiegend unter „psychosoziale“ Stressoren subsumiert werden [15]. Diese scheinen insbesondere an wiederholten Schmerzepisoden beteiligt zu sein [30].

Um Empfehlungen zur Belastungsreduktion ableiten zu können, wurden zahlreiche Analyseverfahren (messtechnische Systeme, Beobachtungsverfahren, Befragungen) entwickelt. Allerdings steht aufgrund der spezifischen Ausrichtung der Berufskrankheitenverordnung (BK-Nr. 2108 und 2109) die Lastenhandhabung im Fokus dieser Verfahren, obwohl aus epidemiologischen Studien bekannt ist, dass Haltungen und Bewegungen von Oberkörper und Wirbelsäule eigenständige Risikofaktoren darstellen [8]. Zudem ist bekannt und hinreichend dokumentiert, dass arbeitsbedingte Rückenschmerzen nicht nur in Berufsgruppen mit Traglasten auftreten [22]. Allerdings gibt es bislang keine geeigneten Verfahren, um Haltung und Bewegung des Rumpfes während der Arbeitstätigkeit valide zu objektivieren. Für zahlreiche Berufsgruppen können daher Interventions- und Präventionsstrategien nur unzureichend begründet werden. Dies gilt auch für die operativen Arbeitsgebiete.

Wirbelsäulenbelastung bei Operationstätigkeiten

Derzeit gibt es noch keine verlässlichen Zahlen zur Rückenschmerzprävalenz von Operateuren. Dennoch ist von einer starken Verbreitung und hohen Intensität der Beschwerden auszugehen [5]. Aufgrund der unzureichenden Analysemöglichkeiten liefern die wenigen vorhandenen Studien lediglich qualitative Ergebnisse von Befragungen oder Beobachtungsanalysen [5]. Diese deuten darauf hin, dass „ungünstige“, „einseitige“, „verdrehte“ und/oder „monotone“ Körperhaltungen mit Wirbelsäulenbeschwerden von Operateuren zusammenhängen [5, 28]. Spezielle Belastungs- und Risikofaktoren der Wirbelsäule konnten dagegen nicht umfassend quantifiziert werden: Die existierenden Analyseverfahren fokussieren hauptsächlich auf die obere Extremität (Hände, Arme, Schultern) und auf ergonomische Aspekte der Operationsinstrumente [2, 6, 9, 20]. Belastungen im Bereich der Halswirbelsäule konnten beispielsweise bislang nicht erfasst werden.

Während die Lagerung des Patienten große Beachtung findet, um gesundheitlichen Schäden durch die Operationslage vorzubeugen, werden präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Haltungsschäden des Personals in der Operationsplanung nur selten berücksichtigt. Da eine ausreichende Quantifizierung von Haltungen und Bewegungen des Oberkörpers während Operationstätigkeiten bis dato nicht möglich war [23, 29], ist das Auftreten und die Ausprägung relevanter tätigkeitsbezogener Belastungskenngrößen (Position, Dynamik, Dauer) noch weitgehend unbekannt. Die diesbezüglich fehlende Genauigkeit bisher vorhandener Messverfahren erschwert einerseits den Vergleich unterschiedlicher Tätigkeiten innerhalb einer Berufsgruppe bzw. mit anderen exponierten Berufsgruppen. Andererseits sind für gezielte Maßnahmen im Bereich der Prävention und Ergonomie exakte Kenntnisse der Risikoverhältnisse bzw. Tätigkeitsanforderungen notwendig [27].

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde erstmals mit Hilfe eines miniaturisierten dreidimensionalen Analyseverfahrens („3-D-SpineMoveGuard“) ein zeitlich hoch aufgelöstes, dreidimensionales Haltungs- und Bewegungsprofil der Wirbelsäule bei Operationstätigkeiten im HNO-Bereich erstellt. Die häufig durchgeführte Operation im Bereich der Nase und Nasennebenhöhlen erfordert eine leicht vornübergebeugte und nach links verdrehte Körperhaltung. Hierdurch kann die Blickachse des Operateurs mit der Mittellinie des Patienten in Übereinstimmung gebracht werden. Das Operationsmikroskop fixiert hierbei den Operateur in einer Position, während endoskopische Techniken das Herabbeugen an die Nasenregion des Patienten erfordert. Die Nutzung der Stirnlampe bietet die Möglichkeit zur freieren Auswahl der Körperhaltung, belastet jedoch durch ihr Gewicht und Lichtleiterzug die Halswirbelsäule zusätzlich. Bislang ist allerdings unklar, welche Auswirkungen die unterschiedlichen Arbeitsweisen auf die Wirbelsäulenbelastung haben und ob Unterschiede objektivierbar sind.

Ziel war es daher, Oberkörperhaltungen und Wirbelsäulenbewegungen bei Nasennebenhöhlen-Operationen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Operationstechniken zu vergleichen. Auf diese Weise soll exemplarisch die Bedeutung kinematischer Risikofaktoren bei Operationstätigkeiten untersucht werden.

Studie und Methoden

Die vorliegende Studie wurde der Ethikkommission der Deutschen Sporthochschule Köln vorgestellt und durch ein positives Votum genehmigt. Sämtliche Datenschutzbestimmungen für wissenschaftliche Studien werden nach Maßgabe und Genehmigung des Landesdatenschutzbeauftragten Nordrhein-Westfalen eingehalten.

Datenerhebung

Zur Analyse von Haltung und Bewegung der Wirbelsäule und des Oberkörpers erfolgte die Datenerfassung mit Hilfe des Analyseverfahrens „SpineMoveGuard“ (3-D-SMG). Das 3-D-SMG ist ein weiterentwickeltes Messsystem zur Ermittlung eines dreidimensionalen Haltungs- und Bewegungsprofils der Wirbelsäule sowie der sagittalen Rumpfneigung. Die umfangreiche Analysesoftware „JSpinal“ ermöglicht eine zeitlich aufgelöste Bewertung der haltungsbezogenen Wirbelsäulenbelastung.

Dreidimensionales Messsystem „SpineMoveGuard“

Grundlage des Systems „SpineMoveGuard“ (3-D-SMG) ist der ultraschallbasierte sonoSens®-Monitor (Fa. Friendly Sensors AG, Jena). Die Messtechnik des Verfahrens ist bereits anderweitig ausführlich dokumentiert [3, 12, 16] und wird daher nur kurz skizziert. Vier miniaturisierte Ultraschallempfänger- und -senderpaare werden auf anatomisch definierten Stellen des Rückens geklebt, sodass Hals- (HWS), Brust- (BWS) und Lendenwirbelsäulensegmente (LWS) messtechnisch erfasst werden können. Als Messgröße wird mit einer Frequenz von 10 Hz die Distanz zwischen Sender- und Empfängerpaar kontinuierlich ermittelt. Längenänderungen gehen mit einer kürzeren bzw. längeren Ultraschalllaufzeit zwischen Sender- und Empfängerpaar einher. Die Daten des 12-kanaligen Messsystems repräsentieren ein 3-D-Modell (Sagittal-, Frontal- und Horizontalebene) der äußerlich erfassten Wirbelsäulenform.

Neben der Erfassung von Längenänderungen der Wirbelsäule ist zur Quantifizierung von Wirbelsäulenbelastungen auch die zeitsynchrone Bestimmung der sagittalen Oberkörperneigung erforderlich. Hierzu wird ein sagittaler Neigungssensor verwendet, der unabhängig von Wirbelsäulenbewegungen die Neigungspositionen des Oberkörpers in Winkelgrad erfasst. Mit Hilfe des 3-D-SMG können über einen Zeitraum von 10 h kontinuierlich Haltung und Bewegung des Oberkörpers dreidimensional und hoch aufgelöst aufgezeichnet werden.

Software „JSpinal“

Zur Bewertung der zeitlich hoch aufgelösten Daten werden die Messwerte mit der neu entwickelten Analysesoftware „JSpinal“ bearbeitet. Hierdurch ist es möglich, segmentbezogen

  • Ultraschallrohdaten mit einer Referenzposition (z. B. aufrecht stehen) in Beziehung zu setzen,

  • Ultraschallrohdaten (mm) in relative Längenindizes (Längenänderungen im Verhältnis zur Referenzposition: sagittaler Längenindex (SLI), frontaler Längenindex (FLI), horizontaler Längenindex (HLI)) umzurechnen und damit interindividuell vergleichbar zu machen,

  • die Richtung der Bewegung bzw. Position der Haltung (Flexion/Extension, rechts/links) anhand der Längenindizes bewerten zu können,

  • eine statische/schematische Datenanalyse durchzuführen, um die Häufigkeit von Wirbelsäulen- und Oberkörperpositionen abzubilden,

  • eine dynamische Datenanalyse durchzuführen, um Dauer, Häufigkeit und Amplitude von Bewegungen sowie Dauer, Häufigkeit und Wirbelsäulenposition von Isometriephasen zu quantifizieren und

  • eine zeitlich aufgelöste Bewertung der Daten vorzunehmen, um Haltungsänderungen im zeitlichen Verlauf einer Tätigkeit zu erkennen.

Untersuchungsablauf

Nach Instrumentierung des 3-D-SMG am Operateur wurden zur Ermittlung der maximal willkürlich erreichbaren Bewegungsamplituden standardisierte Körperhaltungen in sagittaler, frontaler und horizontaler Körperebene eingenommen [3]. Des Weiteren erfolgte die kurzzeitige (30 s) Einnahme der Referenzposition „aufrecht stehen“ (Körperhaltung gemäß Handbuch der Ergonomie). Die Daten dieser Referenzposition wurden zur Berechnung segmentbezogener, relativer Längenindizes verwendet.

Nach Beendigung der Referenzdatenermittlung erfolgte die Datenaufzeichnung (etwa 5 h) im Operationssaal. Sechs operative Eingriffe im Bereich der Nase (Septumplastik und Conchotomie) und Nasennebenhöhlen bds. wurden dokumentiert:

  • Alle Operationen wurden in klassischer Körperhaltung durchgeführt (seitlich stehend neben dem Patienten, Kopf über dem Rumpf des Patienten, Blickrichtung in der medianen Patientenachse).

  • Insgesamt wurden 6 Operationen mit unterschiedlichen Sehhilfen (2-mal Mikroskop, 2-mal Endoskop, 2-mal Stirnlampe) durchgeführt (Abb. 1).

  • Alle Operationen wurden durch einen mit allen Techniken vertrauten Operateur (n=1) durchgeführt, um die Vergleichbarkeit der Op.-Techniken zu verbessern und die benötigten Op.-Zeiten konstanter zu halten.

  • Anamnese und MRT-Untersuchung der Wirbelsäule ergaben keine Vorerkrankungen der HWS bzw. pathologische Auffälligkeiten.

Abb. 1
figure 1

Fotographische Darstellung der unterschiedlichen Behandlungssituationen: a Mikroskopie, b Endoskopie und c Stirnlampe

Datenbewertung und Statistik

In die Analyse wurden nur Aufzeichnungsphasen der Operationstätigkeiten ohne Arbeitspausen aufgenommen. Aufgrund der exemplarischen Einzelfallanalyse wurde keine prüfende Statistik durchgeführt. Die deskriptiven Analysen wurden mit SPSS© 17.0 durchgeführt. Die Daten wurden als Häufigkeits- und Perzentilverteilungen (5., 25., 50., 75., 95.) dargestellt.

Ergebnisse

Im folgenden Abschnitt werden das Spektrum und die Dynamik der Wirbelsäulen- und Oberkörperpositionen während der gesamten Operationstätigkeit sowie differenziert für einzelne Operationstechniken dargestellt (Abb. 1 a–c).

Maximale willkürliche Haltungsamplituden

In Tab. 1 ist segmentbezogen und indexspezifisch das maximal willkürlich erreichbare Haltungsspektrum dargestellt. Die Daten dokumentieren einerseits die Symmetrie/Asymmetrie des individuellen Haltungsspektrums, andererseits dienen die Amplituden als Referenzwerte für das Haltungs- und Bewegungsspektrum während der Operationstätigkeiten (Abb. 2, Tab. 2).

Tab. 1 Maximal willkürlich erreichte Bewegungsamplituden innerhalb der 3 Körperebenen
Abb. 2
figure 2

Verteilung der Wirbelsäulenpositionen sowie der sagittalen Oberkörperneigungen. „0“ entspricht einer aufrechten Körperposition, negative Werte einer Extension (SLI), Seitneigung nach links (FLI) bzw. Rotation nach links (HLI). Positive Werte entsprechen der Gegenrichtung. Dargestellt sind Box-Plot-Verteilungen mit 5., 25., 50., 75. und 95. Perzentil-Grenzwerten. SLI Sagittaler Längenindex, FLI frontaler Längenindex, HLI horizontaler Längenindex, HWS Halswirbelsäule, BWS Brustwirbelsäule, LWS Lendenwirbelsäule

Tab. 2 Perzentilbezogenes Haltungs- und Bewegungsspektrum einzelner Wirbelsäulensegmente.

Haltungs- und Bewegungsspektrum der Wirbelsäule

In Abb. 2 wird differenziert für die Wirbelsäulensegmente (HWS, BWS, LWS) sowie innerhalb der 3 Bewegungsebenen (SLI, FLI, HLI) das Haltungs- und Bewegungsprofil während der Operationstätigkeiten gezeigt. Im Abgleich mit den maximal willkürlich erreichten Haltungsamplituden (Tab. 1) kann die Intensität der Abweichung von der Neutral-Null-Position (aufrecht stehen) beurteilt werden. Das sagittale Aktionsspektrum ist am stärksten ausgeprägt. Die geringsten Abweichungen von der aufrechten Körperhaltung ergeben sich für Rotationen (HLI). Darüber hinaus ist zu erkennen, dass im Mittel (Median) die sagittale LWS-Position einer aufrecht stehenden Körperhaltung entspricht – bei einer gleichzeitigen Rumpfvorneigung von im Mittel (Median) 10°. BWS und HWS (SLI) sind während der gesamten Operationstätigkeiten fast ständig leicht flektiert.

Eine Differenzierung des Haltungsspektrums zwischen den einzelnen Operationstechniken ist anhand der Perzentilverteilungen (Abb. 3, Tab. 2) möglich. Insgesamt ergeben sich die größten Differenzen innerhalb der Sagittalebene (SLI). Während die Mikroskopietätigkeiten in einer nahezu aufrechten Körperhaltung verrichtet werden können, ist für die Operationstätigkeiten mit dem Endoskop eine dauerhafte Flexion der Wirbelsäule wie auch des Oberkörpers erforderlich. Operative Eingriffe, die lediglich durch eine Stirnlampe visuell unterstützt werden, werden ebenfalls in vorgeneigter Körperhaltung – mit Ausnahme der LWS – durchgeführt. Interessanterweise differiert das Haltungsspektrum auch in der Frontalebene (FLI – Seitneigungen) zwischen Mikroskopie (leichte Seitneigung links) und Endoskopie/Stirnlampe (leichte Seitneigung rechts). Für Rotationen (HLI) können keine systematischen Abweichungen ausgemacht werden.

Abb. 3
figure 3

Verteilung der sagittalen Oberkörperneigungen während unterschiedlicher Operationsverfahren. „0°“ entspricht einer sagittal aufrechten Rumpfposition, negative Werte entsprechen einer Reklination, positive Werte einer Inklination. Dargestellt sind Box-Plot-Verteilungen mit 5., 25., 50., 75. und 95. Perzentil-Grenzwerten

Neben der isolierten Betrachtung von Wirbelsäulenstellungen innerhalb einer Körperebene kann darüber hinaus ebenfalls quantifiziert werden, wie häufig mehrdimensional verdrehte Oberkörperhaltungen aufgetreten sind. Die Tab. 3 zeigt zusammenfassend und segmentbezogen sowie getrennt für die Operationstätigkeiten die nach Amplituden (von klein bis groß) gestuften Kombinationshäufigkeiten. Während im HWS-Segment kaum Differenzen zwischen den 3 Bedingungen auszumachen sind, ergibt sich im Bereich von BWS und LWS eine klare Stufung: Mikroskopisch unterstützte Eingriffe werden in klein- bis mittelamplitudig verdrehten Positionen durchgeführt, während Eingriffe mit Endoskop bzw. Stirnlampe überwiegend mit mittel- bis großamplitudigen Haltungskombinationen erfolgen.

Tab. 3 Verteilung der amplitudenspezifischen Haltungs- und Bewegungskombinationen. Dargestellt sind die relativen Anteile (%) von Haltungs- und Bewegungskombinationen an der Gesamtdauer der Operationstätigkeit

Bewegungsdynamik vs. Isometrie

Die automatisierte Bewegungsanalyse führt zu einem einheitlichen Ergebnis für die Bewegungsamplituden – und zwar in allen Segmenten – wie auch für die 3 Operationstechniken (Tab. 4). Im Mittel (Median) liegt die Bewegungsamplitude bei etwa 1,3% und ist damit als klein (<2%) zu bewerten. Bei etwa 5% der Tätigkeiten (95. Perzentil) treten mittel- bis großamplitudige Bewegungen auf. Zusammenfassend ist die Bewegungsdynamik als kleinamplitudig bzw. gering zu bewerten.

Tab. 4 Verteilung der bei den Operationstätigkeiten ermittelten Bewegungsamplituden

Die weiterführende Bewegungsanalyse summiert die Häufigkeiten von Isometriephasen sowie Bewegungsphasen. Der Anteil der Isometriephasen umfasst etwa 70%, während dynamische Anteile nur etwa ein Drittel der Operationstätigkeiten ausmachen. Die stärkste Ausprägung von Zwangshaltungen liegt bei mikroskopischen Eingriffen vor (90% der Operationszeit). Mit etwa 65% überwiegen statische Arbeitshaltungen auch bei endoskopischen Operationen. Im Vergleich zu den anderen Operationstechniken fällt dieser Anteil hier aber deutlich geringer aus. Aus Tab. 5 und Tab. 6 geht hervor, dass besonders bei mikroskopischen Operationen die Häufigkeit wie auch die Dauer der Isometriephasen sehr hoch ist (s. 75. und 95. Perzentile in Tab. 6).

Tab. 5 Verteilung der segment- und tätigkeitsbezogenen Bewegungsdauer. Die kumulierte Verteilung berücksichtigt alle automatisch ermittelten Bewegungsphasen. Insgesamt beträgt der Anteil der Bewegungsphasen etwa 30% der Operationstätigkeiten
Tab. 6 Verteilung der segment- und tätigkeitsbezogenen Dauer der Zwangshaltungen (Isometrie). Die kumulierte Verteilung berücksichtigt alle automatisch ermittelten Isometriephasen. Insgesamt beträgt der Anteil der Isometriephasen etwa 70% der Operationstätigkeiten

Diskussion

Die Ergebnisse der Einzelfalluntersuchung sind selbstverständlich nicht repräsentativ und können beispielsweise interindividuelle Unterschiede nicht abbilden. Primäres Ziel der vorliegenden Untersuchung war hingegen die Analyse der kinematischen Wirbelsäulenbelastungen während typischer Operationstätigkeiten bei Nasennebenhöhleneingriffen. Bisher gibt es keine derartigen Haltungs- und Bewegungsprofile, obwohl die hohe Relevanz für Wirbelsäulenbelastungen seit langem bekannt ist.

Die erstmals während HNO-Operationstätigkeiten erhobenen Daten geben wichtige Hinweise zur kinematischen Belastungscharakteristik, zu Bewertungsmöglichkeiten für unterschiedliche Arbeitstechniken sowie für präventive Maßnahmen. Damit konnten die wesentlichen kinematischen Belastungskenngrößen für die Wirbelsäule detailliert und objektiv quantifiziert werden. Charakteristisch für die untersuchten Operationstätigkeiten sind Dauerzwangshaltungen in teilweise stark verdrehten Oberkörperpositionen. Die zeitgleich mit der oberen Extremität durchzuführenden feinmotorischen Arbeiten verstärken zusätzlich die Zwangshaltungscharakteristik im Schulter-Nacken-Bereich [21, 29]. Die Analysen deuten darauf hin, dass die gesundheitlich ungünstigen biomechanischen Belastungsfaktoren eher durch die ermittelten Dauerzwangshaltungen und nicht, wie in anderen beruflichen Bereichen, durch Lastenhandhabung bedingt sind [1, 6].

Statische Muskelarbeit, die u. a. durch Dauerzwangshaltungen bedingt sein kann, führt zu einer verminderten Durchblutung der Muskulatur. Die für die Durchblutung kritische Okklusionskraft liegt je nach Muskel zwischen 30 und 70% der maximalen willkürlichen Kraft. Strömungswirksame Durchflussbehinderungen treten bei statischer Arbeit bei vergleichsweise geringen Kräften und bereits innerhalb der ersten Arbeitsminute auf [18]. In der Folge kumulieren im extrazellulären Raum vermehrt Metabolite, die aufgrund der reduzierten Blutzirkulation nur bedingt abtransportiert werden können [4, 18]. Neben den perfussions- und stoffwechselbedingten Volumen- und Konzentrationsverschiebungen können auch die einseitigen mechanischen Gewebekompressionen an der akuten Belastungs- und Schmerzgenese beteiligt sein [4, 26]. Über interstitielle Nervenendigungen (Chemo- und Mechanorezeptoren) langsamer afferenter Nervenfasern (Gruppe III und IV) können nicht nur Kreislauf- und Atemantriebe, sondern auch reflektorisch Schmerzphänomene und muskuläre Tonusänderungen ausgelöst werden [4, 18, 26]. Die durch ungünstige Körperhaltungen hervorgerufenen muskulären Verspannungen und Beschwerden werden häufig unter dem myofaszialen Schmerzsyndrom subsumiert [11]. Des Weiteren werden häufige und länger andauernde asymmetrische Wirbelsäulenstellungen als Belastungskenngröße für die Bandscheibenstrukturen diskutiert. Die isometrische Belastung kann somit zu einer reduzierten Stoffwechselrate des Bandscheibengewebes mit möglichen degenerativen Veränderungen führen. In der Folge können durch asymmetrische/exzentrische Bandscheibenbelastungen auch Mikrotraumata entstehen [10, 19].

Während bislang in den Studien zur Ergonomie im Operationssaal überwiegend die Operationsinstrumente sowie der Operationstisch im Fokus standen, belegen die vorliegenden Daten erstmals die hohe spezifische Wirbelsäulenbelastung bei Operationen. Aufgrund der hohen Präzision des 3-D-SMG-Verfahrens lassen sich sogar Haltungs- und Bewegungsprofile während unterschiedlicher Operationstechniken differenziert abbilden. Damit besteht die Möglichkeit, in Zukunft ergonomische Maßnahmen am Arbeitsplatz besser zu quantifizieren und bewerten zu können. Auf Grundlage der Voruntersuchungen sollen zukünftig anhand eines größeren und gemäß DIN 33419 definierten Studienkollektivs weitere Analysen durchgeführt werden. Hiermit können dann arbeitsplatzbedingte Belastungskenngrößen von individuellen Verhaltensmustern abgegrenzt werden. Darüber hinaus sollte eine berufsgruppenspezifische Befragung zur psychosozialen Dimension von Rückenschmerzen durchgeführt werden.

Bereits jetzt bieten sich jedoch aufgrund der vorliegenden Ergebnisse konkrete Hinweise für bewegungs-/sporttherapeutische Interventionen an: Sinnvoll scheinen für Operateure z. B. dynamische, auflockernde Bewegungen der Wirbelsäule zwischen den statischen Tätigkeiten zu sein. Statische Übungen, wie sie teilweise in klassischen Rückenschulprogrammen angeboten werden, sind u. U. kontraindiziert. Operateure könnten stattdessen beispielsweise kleine gymnastische Übungen immer wieder in den Operationsablauf integrieren (z. B. alle 2–3 min den Kopf und Rumpf aufrichten und zur Gegenseite rotieren). Dies gilt besonders für den Schulter-HWS-Bereich. Die genannte Maßnahme wurde zur Vermeidung von Verspannungen der HWS am Ende des Arbeitstags bereits in einer HNO-Klinik angewendet und vom Personal als positiv empfunden. Eine Verlängerung der Operationszeit ist durch die kurzen gymnastischen Übungen nicht eingetreten.

Fazit für die Praxis

Die dreidimensionalen Belastungsprofile während HNO-typischen Operationstätigkeiten zeigen, dass

  • Wirbelsäulenbelastungen v. a. durch die kaum zu beeinflussenden Operationsbedingungen (liegender Patient, feinmotorische Eingriffe, eingeengtes Blickfeld usw.) verursacht werden, die durchaus zur Entwicklung tätigkeitsbedingter Wirbelsäulenbeschwerden führen können,

  • die Wirbelsäulenbelastungen auch von der angewendeten Eingriffstechnik (z. B. Mikroskopie, Endoskopie oder Stirnlampe) abhängig sind,

  • der Nutzen ergonomischer Maßnahmen (Reduzierung der Wirbelsäulenbelastung) mit dem entwickelten Verfahren quantifiziert werden kann und

  • aus dem ermittelten Belastungsprofil erste Hinweise für therapeutische Interventions- und Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden können.

Zur berufsgruppenspezifischen Bewertung der Wirbelsäulenbelastung und zur Empfehlung geeigneter präventiver Maßnahmen sind weiterführende Studien mit größeren Probandenkollektiven notwendig.