Hintergrund und Fragestellung

Trotz aktueller Entwicklungen in der Technologie konventioneller Hörgeräte ist die Rehabilitation der Hochtonschwerhörigkeit mit diesen Systemen unzureichend. Bedingt durch physikalische Limitationen konventioneller Hörgeräte und die anatomisch-physiologischen Übertragungseigenschaften des Ohrs ist die Verstärkung im hohen Frequenzbereich limitiert [1] bzw. führt zu Verzerrungen [2]. Die unzureichende Verstärkung hoher Frequenzen äußert sich speziell in geräuschvoller Umgebung als vermindertes Sprachverständnis.

Überdies besteht für Patienten mit mittel- bis hochgradigen Hochtoninnenohrschwerhörigkeiten und annähernd normalem Hörvermögen im tiefen Frequenzbereich das Risiko für das Auftreten des Okklusioneffektes. Durch das Verschließen des Gehörgangs mit dem Hörgerät werden tief frequente Anteile der eigenen Stimme verstärkt. Dies führt zu einer verfälschten Wahrnehmung der eigenen Stimme (Tonneneffekt), zur Frequenzmaskierung [21] und zur störenden Wahrnehmung sprachmaskierender Kaugeräusche. Bei ausgeprägter Hochtonschwerhörigkeit mit geringgradigem Tieftonhörverlust ist die geschlossene Versorgung nachteilig, da nur hohe Frequenzen verstärkt werden sollen und die Okklusion das normale Tieftongehör behindert.

Für diese spezielle Patientengruppe bieten aktive Mittelohrimplantate audiologische Vorteile [16]. Durch die Platzierung des „floating mass transducer“ (FMT) im Mittelohr bleibt der Gehörgang offen. So wird der Okklusionseffekt vermieden, und tiefe Frequenzen werden durch den freien Gehörgang natürlich gehört. Gleichzeitig können hohe Verstärkungen bis in den Hochfrequenzbereich (bis 8 kHz) rückkopplungsfrei erreicht werden.

Patienten und Methoden

Die Vibrant Soundbridge® wurde in 30 Fällen (14 Frauen und 16 Männer, Alter von 30–75 Jahre mit einem Durchschnittsalter 52±11,2 Jahre) implantiert. Alle Patienten hatten Erfahrung mit Hörgeräten. In der vorliegenden retrospektiven Studie werden die Ergebnisse einer Subgruppe von 9 Patienten mit einem Hochtonsteilabfall von mindestens 25 dB/Oktave im Frequenzbereich zwischen 1 und 8 kHz dargestellt. Einbezogen sind ausschließlich Patienten, deren Hörschwelle im Indikationsfeld für die Vibrant Soundbridge® im Tieftonbereich (500 Hz) mit einem Puffer von mindestens 15 dB zum oberen Limit (65 dB HL) liegt. In Abb. 1 sind die individuellen Hörschwellen und der Mittelwert der Hörschwelle eingetragen. Im Hochtonbereich (4–8 kHz) lag der Hörverlust in 3 Fällen in mindestens einer Frequenz außerhalb des Indikationsfeldes.

Abb. 1
figure 1

Individuelle präoperative Hörschwellen der Subgruppe mit Hochtonsteilabfall (n=9) vor dem Hintergrund des Indikationsfeldes der Vibrant Soundbridge®. Die durchschnittliche Hörschwelle zeigt im Hochfrequenzbereich einen hochgradigen Hörverlust

Über einen retroaurikulären Zugang und eine posteriore Tympanotomie wurde der FMT des Vibrant Soundbridge® Mittelohrimplantats (VORP 502X) mithilfe einer Titaniumklemme am langen Ambossschenkel ohne Verwendung von Kleber oder Zement befestigt. Für eine optimale Ankopplung des Systems wurde der FMT in direktem Kontakt an das Incudostapedialgelenk platziert.

Der Audioprozessor (Audio Processor 404, Siemens) wurde 4–8 Wochen postoperativ angepasst und nach Habituation entsprechend nachjustiert. Die Programmierung des Audioprozessors erfolgte mithilfe der Symfit-3.0-Fitting-Software; hierbei wurde die funktionelle Verstärkung entsprechend dem Hörverlust angepasst.

Die für die weitere Auswertung relevanten audiologischen Messungen umfassen

  • die prä- und postoperativen Hörschwellen mithilfe der Reintonaudiometrie über Kopfhörer. Hierbei werden die Daten von allen versorgten Patienten (n=30) verwedet;

  • die Hörschwelle im freien Schallfeld für Wobbeltöne, postoperativ einerseits mit Audioprozessor in Funktion („versorgt“) und andererseits ohne Audioprozessor („unversorgt“). Die Differenz zwischen diesen beiden Werten wird als funktioneller Hörgewinn bezeichnet;

  • die Einsilberverständlichkeit in Ruhe mithilfe des Freiburger Einsilber-Sprachtests sowie

  • die Einsilberverständlichkeit im Störgeräusch mithilfe des Döring-Tests [4] bei einem Signalrauschabstand (SNR) von +5 dB und +20 dB bei konstantem Rauschpegel von 60dB SPL.

Der Döring-Test gilt als besonders anspruchsvoller Test für Hörgeschädigte und wird von den österreichischen Kostenträgern im Gesundheitswesen im Anpassbericht für Hörgeräteverordnungen in speziellen Fällen gefordert.

Bei Messungen im freien Schallfeld war der Lautsprecher für das Signal jeweils frontal in 1-m-Abstand vom Patienten positioniert; der Störschall wurde aus einem Lautsprecher von hinten angeboten.

Ergebnisse

Erhalt des Gehörs

Mit Ausnahme eines Seroms trat in keinem der 30 Fälle eine intra- oder postoperative medizinische Komplikation auf. Das Aufladen der Gehörknöchelchenkette mit dem FMT bewirkte keine klinisch signifikante Hörschwellenveränderung bei 0,25; 0,5; 1; 2; 3; 4; 6 und 8 kHz (Mittelwert 4 dB, p<0,01, Wilcoxon-signed-rank-Test; Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Hörverlust präoperativ und 6 Monate postoperativ bei allen 30 mit Vibrant Soundbridge® versorgten Patienten. Dargestellt sind Mittelwert und Standardabweichung des Hörverlustes im Tonaudiogramm

Funktioneller Hörgewinn

Einen Überblick über den Hörverlust für Wobbeltöne im freien Schallfeld der 9 Patienten mit Hochtonsteilabfall sowohl mit als auch ohne Audioprozessor (linearer Verstärkungsmodus) in Funktion gibt Abb. 3. Daraus ergibt sich als durchschnittlicher funktioneller frequenzabhängiger Hörgewinn der 9 Patienten mit Hochtonsteilabfall im Hochfrequenzbereich 33 dB bei 2000 Hz, 32 dB bei 3000 Hz, 34 dB bei 4000 Hz, 34 dB bei 6000 Hz und 37 dB bei 8000 Hz (Abb. 4). Entsprechend dem geringen Tieftonhörverlust dieser Gruppe war der Hörgewinn im Tieffrequenzbereich geringer mit 15 dB bei 500Hz und 22 dB bei 1000Hz.

Abb. 3
figure 3

Hörschwelle für Wobbeltöne im freien Schallfeld bei 9 Patienten mit Hochtonschwerhörigkeit ohne („unversorgt“) und mit („versorgt“) Audioprozessor in Funktion. Eingetragen sind Median und Quartilgrenzen

Abb. 4
figure 4

Individuelle Werte des Hörgewinns für Wobbeltönebei 2, 4, 6 und 8 kHz bei 9 Patienten mit Hochtonschwerhörigkeit (Hörgewinn: Differenz zwischen Hörschwelle im freien Schallfeld mit und ohne Audioprozessor in Funktion)

Sprachverständnis in Ruhe

Mit der Vibrant Soundbridge® war das durchschnittliche Einsilberverständnis in Ruhe signifikant bei 65 dB SPL (p=0,005, Wilcoxon-signed-rank-Test) und 80 dB SPL (p=0,005, Wilcoxon-signed-rank-Test) gegenüber dem unversorgten Zustand verbessert (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Sprachverständnis für Einsilber (Freiburger Sprachtest) in Ruhe im freien Schallfeld bei 9 Patienten mit Hochtonschwerhörigkeit ohne („unversorgt“) und mit („versorgt“) Audioprozessor in Funktion bei einem Sprachschallpegel von 65 dB SPL bzw. 80 dB SPL. Eingetragen sind Mittelwert und Standardabweichung

Sprachverständnis im Störlärm

Das durchschnittliche Einsilberverständnis im Störgeräusch war mit der Vibrant Soundbridge® signifikant bei SNR +5 dB (p=0,018, Wilcoxon-signed-rank-Test) und SNR +20 dB (p=0,008, Wilcoxon-signed-rank-Test) gegenüber der Situation ohne Vibrant Soundbridge® verbessert (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Sprachverständniss im Störlärm (Döring-Test) bei 9 Patienten mit Hochtonschwerhörigkeit ohne („unversorgt“) und mit („versorgt“) Audioprozessor in Funktion. Störschallpegel konstant 60 dB SPL, Sprachschallpegel 65 dB SPL bzw. 80 dB SPL. Eingetragen sind Mittelwert und Standardabweichung

Diskussion

Trotz neuer Entwicklungen in der modernen Hörgerätetechnik, bleibt die Versorgung von Hochtoninnenohrschwerhörigkeit eine besondere Herausforderung. Zur Vermeidung des Okklusionseffektes, der bei Patienten mit einer geringgradigen Tieftonschwerhörigkeit verbunden mit einer mittel- bis hochgradigen Hochtonschwerhörigkeit als besonders störend empfunden wird, favorisiert man in den letzten Jahren zunehmend die offene Versorgung. Die Hörgeräteindustrie hat daher „offene Hörsysteme“ für leichte Hochtoninnenohrschwerhörigkeiten entwickelt, die sich durch die Verwendung neu entwickelter Feedback-Algorithmen bei gering- bis mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeiten bewähren. Sie eignen sich aber aufgrund der Rückkopplungsproblematik nur bedingt für mittelgradige Hochtonschwerhörigkeiten, die mehr Verstärkung erfordern und stellen für hochgradige Hochtoninnenohrschwerhörigkeiten keine ausreichende Lösung dar. In diesem Bereich können aktive Mittelohrimplantate das Therapiespektrum ideal ergänzen. Letztere eignen sich für solche Patienten, die mit konventionellen Hörgeräten nicht oder nur unzureichend versorgt werden können [7, 11, 12, 17].

Die Implantation von aktiven elektronischen Mittelohrimplantaten wurde als wirksame und sichere Methode der hörverbessernden Operation bei Innenohrschwerhörigkeiten beschrieben [8, 9, 10, 18, 19, 20]. Die hier dargestellten Untersuchungen an mit der Vibrant Soundbridge® implantierten Patienten zeigten, dass das Gehör erhalten werden konnte und sich kein statistisch signifikanter Abfall der Innenohrfunktion nachweisen ließ. Dieses Ergebnis stimmt mit dem anderer Arbeitsgruppen überein [3, 5, 9, 10, 13, 15] und ist allgemein eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz implantierbarer Hörsysteme. Dies kann durch die geringe Masse des FMT von 25 mg erklärt werden.

Der FMT arbeitet dabei mit einer sogenannten Einpunktfixierung; hierdurch konnte er bei allen Operationen mithilfe der Titanklemme sicher an der Ossikelkette befestigt werden. Der intraoperative Vorteil der Einpunktfixierung liegt darin, dass keine Justierarbeit notwendig ist, um die Kopplung zu optimieren.

Das aktive Mittelohrimplantat Vibrant Soundbridge® eignet sich besonders zur Versorgung mittel- und hochgradiger Hochtonschwerhörigkeiten, da es hohe Verstärkungen bis zu 8 kHz ermöglicht. Konventionelle Hörsysteme können aufgrund der Technologie der Hörer in der Regel nur Frequenzen bis 6 kHz verstärken; hierbei müssen die physiologischen Impedanzen des Trommelfells und der Gehörknöchelchenkette überwunden werden. Der FMT verstärkt wirkungsvoll im Frequenzbereich zwischen 500 Hz und 8 kHz. Seine Einpunktfixierung am langen Ambossschenkel umgeht das Trommelfell und vermindert das Risiko von Verzerrungen. Die räumliche Trennung zwischen FMT (Mittelohr) und Mikrofon (retrosupraaurikulär) vermeidet dabei das Auftreten von Rückkopplungspfeifen. Selbst bei Verstärkungen von 60–65 dB traten keine Rückkopplungen auf. Durch die Platzierung des FMT im Mittelohr bleibt der Gehörgang frei, Okklusion wird vermieden und tiefe Frequenzen erreichen das Innenohr auf natürlichem Wege. Gleichzeitig werden die Schwingungen der Ossikelkette im mittleren und hohen Frequenzbereich durch den FMT verstärkt.

Der erforderliche Hörgewinn konnte durchschnittlich bei allen Patienten entsprechend den Hörverlusten erzielt werden. Besonders bemerkenswert ist der hohe Hörgewinn im Hochfrequenzbereich zwischen 2 und 8 kHz von durchschnittlich 34 dB; im Einzelfall wurden maximale Verstärkungen von bis zu 65 dB gemessen und als angenehm empfunden. Die Akzeptanz hoher Verstärkungen im Hochfrequenzbereich ist durch die direkte Stimulation der Gehörknöchelchenkette möglich. Das Trommelfell, das bei hohen Schalldruckpegeln und hohen Frequenzen verzerrt [2], wird dabei umgangen. Vorteile der direkten mechanischen Ankopplung zur Rehabilitation der Hochtonschwerhörigkeit sind mit einer Reihe von aktiven Mittelohrimplantaten klinisch dokumentiert [11, 17].

Patienten mit Hochtonschwerhörigkeit haben ein relativ gutes Sprachverstehen in Ruhe, weil sie in der Regel ein gutes Tieftonrestgehör haben. Mit der Vibrant Soundbridge® konnte dieses Sprachverstehen in Ruhe in allen Fällen weiter verbessert werden. Erklärungen sind die mögliche Verstärkung im Hochfrequenzbereich, die ein verbessertes Konsonantenverstehen bewirkt, und die Linearität des FMT, die zu einem verbesserten Klangbild führt [1]. Etwaige Resonanzen, wie sie bei konventionellen Hörsystemen auftreten können, werden durch den direkten Antrieb der Ossikelkette vermieden.

Hochtonschwerhörige klagen v. a. über Kommunikationsprobleme beim Verstehen in geräuschvoller Alltagsumgebung. Unter Anwendung des Döring-Tests, eines anspruchsvollen Sprachtests, bei dem ein Normalhörender bei einem Signalrauschabstand von +5 dB etwa 70% diskriminieren kann, verbesserte sich das Sprachverständnis der hier untersuchten Patienten mit Hochtonschwerhörigkeit um durchschnittlich 18 Prozentpunkte. Im Vergleich dazu gilt eine Verbesserung um 10 Prozentpunkte als ein gutes Ergebnis bei konventioneller Hörgeräteversorgung. Die Verbesserung der Sprachdiskrimination im Lärm mit Vibrant Soundbridge® wurde von Garin et al. [6] untersucht. Die Überlegenheit der direkten Stimulation mit der Vibrant Soundbridge® gegenüber akustischer Stimulation mit Hörgeräten gleicher Signalverarbeitung bei der Rehabilitation des Sprachverstehens in Ruhe und im Störlärm von Hochtonschwerhörigen ist von Uziel et al. belegt [14].

Fazit für die Praxis

Bei der Hochtonschwerhörigkeit, insbesondere beim Hochtonsteilabfall, bietet sich die Vibrant Soundbridge® als eine neue Rehabilitationslösung an, da der Gehörgang völlig frei bleibt und damit das Tieffrequenzgehör auch auf natürliche Weise genutzt werden kann. Gleichzeitig beweisen die hier berichteten klinischen Ergebnisse die Leistungsstärke der Vibrant Soundbridge® im Hochtonbereich. Sie ist derzeit das einzige, klinisch verfügbare System, das Verstärkung bis 8 kHz ermöglicht; dies führt insbesondere zu einer Verbesserung des Sprachverstehens im Störlärm.