Die Prävalenz berufsbedingter IgE-vermittelter Soforttypallergien gegen Proteine von Labortieren bei beruflich exponierten Personen liegt zwischen 10 und 33% [4, 17, 19]. In den meisten Fällen handelt es sich um Tätigkeiten mit Mäusen und Ratten im Rahmen experimenteller Untersuchungen. Auslöser der allergischen Reaktionen sind hauptsächlich die Proteine der Maus (Mus m1) und Ratte (Rat n1) im Urin [9]. Die Sensibilisierung erfolgt per inhalationem und manifestiert sich als Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale oder seltener perkutan mit der Folge einer Proteinkontakturtikaria [17, 18]. Berufsbedingte Sensibilisierungen gegenüber Insekten, verursacht durch Heuschrecken, Schmeißfliegen oder Kakerlaken sind wiederum v. a. bei im Labor exponierten Personen keine Seltenheit [2, 5, 12, 20, 22]. Eine Untersuchung an Personen mit beruflichem Labortierkontakt von 1999–2000 in Großbritannien ermittelte eine Inzidenz berufsbedingter relevanter Inhalationsallergien durch die Arbeit mit Insekten im Labor für die Rhinitis mit 21/1000/Jahr und asthmatische Beschwerden mit 2,35/1000/Jahr, welche als hoch eingestuft wird [6]. Bei einer anderen Befragung gaben ca. 60% des Personals in Insektenzuchtbetrieben allergische Beschwerden an [25].

Patient 1

Anamnese

Bei einem 59-jährigen, ansonsten gesunden Insektenzüchter eines pharmazeutischen Betriebes bestand seit mehr als 1 Jahr eine perenniale Rhinokonjunktivitis. Sowohl Eigen- als auch Familienanamnese bezüglich Atopie waren negativ. Der Biologielaborant war seit 30 Jahren hauptsächlich mit der Aufzucht der gemeinen Hausfliege (Musca domestica) und Laborversuchen mit dieser Spezies beschäftigt. In den Aufzuchträumen konnte er gegenüber bis zu 20.000 Hausfliegen über mehrere Stunden exponiert sein. Seltener führte er Arbeiten mit der deutschen Kakerlake (Blattella germanica), der amerikanischen Großschabe (Periplaneta americana), dem Wadenstecher (Stomoxys calcitrans) oder der kleinen Stubenfliege (Fannia cannicularis) durch.

Nach 30-minütiger Exposition gegenüber Musca domestica bemerkte der Patient konjunktivalen Juckreiz, wässrige Rhinorrhö und anhaltende Niesattacken ohne pulmonale Beteiligung. Das Symptomenmaximum trat nach 6–9 h ein, sodass die Beschwerden über das Arbeitsende hinaus persistierten. Der Patient trug während der Arbeit in den geschlossenen Aufzuchträumen einen Atemschutz (Halbmaske Marke Träger®) und eine Schutzbrille. Bei Freifeldarbeiten mit Musca domestica in der Fliegensaison im Sommer, bei Arbeiten mit anderen Dipteren oder Schaben auch in geschlossenen Räumen sowie am Wochenende und im Urlaub war er symptomfrei.

Diagnostik

Pricktestungen der häufigen Inhalationsallergene (Schimmelpilz-, Vorratsmilben- und Stauballergene) fielen negativ aus. Die konjunktivalen Provokationstestungen mit Hausstaubmilbenextrakten (Dermatophagoides pteronyssinus, Dermatophagoides farinae) waren ebenfalls negativ.

Die Pricktestungen mit eigens hergestellten Ganzkörperextrakten der Musca domestica, deren Puppenhüllen und der mit Musca-domestica-Staub kontaminierten Gegenstände (Fliegenfutter, Bodensand, Gitternetz) jeweils aus dem Aufzuchtlabor ergaben positive Befunde (Tab. 1). Bei 3 gesunden Probanden verliefen diese Pricktestungen negativ. Im CAP-RAST ließen sich spezifische IgE-Antikörper gegen Musca domestica (Pharmacia, Uppsala, Schweden) der CAP-Klasse 2 (1,3 kU/l) nachweisen, nicht jedoch gegenüber Dipteren wie Stechmücke, Sudanfliege und Zuckmückenlarve (rote Mückenlarve), den Schaben Blattella germanica und Periplaneta americana, Hausstaubmilben (Dermatophagoides pteronyssinus, Dermatophagoides farinae), Tyrophagus putrescentiae, Acarus siro, Lepidoglyphus destructor, der Schimmelpilzmischung (mx1) und den Hymenopterengiften. Das Gesamt-IgE war mit 122 kU/l leicht erhöht (Normwert bis 100 kU/l) bei negativem SX1-Phadiatop (<0,35 kU/l; Tab. 2). Die Lungenfunktionsprüfung und der Methacholinprovokationstest waren ohne pathologischen Befund. Durch eine innerbetriebliche Umsetzung und somit durch die Karenz gegenüber der Musca domestica wurde eine vollständige Beschwerdefreiheit erzielt.

Tab. 1 Hauttestergebnisse des 1. Patienten
Tab. 2 Nachweis spezifischer IgE-Antikörper (Klasse/kU/l)

Patient 2

Anamnese

Bei einem in der Insektizidforschung eines pharmazeutischen Betriebes tätigen 34-jährigen Insektenzüchter trat seit etwa 4 Monaten eine Rhinokonjunktivitis v. a. an den Tagen auf, an denen er im Zuchtraum der gemeinen Hausfliege arbeitete. Er hatte diese Funktion in der Firma seit etwa 1 Jahr inne. Die Eigen- und Familienanamnese bezüglich Atopie war negativ. Als Vorerkrankung bestand eine Polyposis nasi.

Der Patient arbeitete mit 3 Fliegenstämmen der gemeinen Hausfliege (Musca domestica): den Wildtypen Speck-Sack und Gaillac und dem WHO-Referenzstamm WHO/IDL. Er kam dabei mit den Fliegen selbst, dem Fliegenkot und dem Fliegenfutter (getrocknetes Eigelb, Ferkelmilchpulver, Fliegenfutter Alfalfa/Hefe/H2O-Mix, Saccharose, verschiedenen Salzmischungen) in Kontakt. Wenige Minuten nach Exposition im Zuchtraum bemerkte der Patient konjunktivalen Juckreiz, nasale Obstruktion und Niesen ohne pulmonale Beteiligung. Seit einigen Wochen arbeitete er mit einer Atemschutzmaske der Filterklasse FFP-3, was die oben genannten Symptome deutlich reduzierte. Am Wochenende und im Urlaub war er erscheinungsfrei.

Diagnostik

Pricktestungen mit den häufigen Inhalationsallergenen (Pollen-, Schimmelpilz-, Vorratsmilben-, Stauballergene, Tierepithelien) sowie Milch-/Ei-/Fleisch-Extrakten fielen sämtlich negativ aus. Die Pricktests der Berufssubstanzen Eigelb getrocknet, Ferkelmilchpulver, Fliegenfutter für adulte Fliegen, Fliegenfutter Alfalfa/Hefe/H2O-Mix (je 1% in NaCl 0,9%), Fliegenstamm Speck-Sack, Fliegenstamm Gaillac, Fliegenstamm WHO/IDL, Kot der Stämme Speck-Sack, Gaillac und WHO/IDL (je 2–4% in NaCl 0,9%) zeigten ein positives Resultat beim Extrakt des Stammes WHO/IDL sowie dessen Kotes und für den Kot des Stammes Gaillac (Tab. 3). Drei freiwillige Probanden hatten sämtlich negative Testergebnisse auf obige Extrakte. Im CAP-RAST ließen sich keine spezifischen IgE-Antikörper (<0,35 kU/l) gegen Musca domestica (Pharmacia, Uppsala, Schweden) und weitere Insekten- sowie häufige Inhalationsallergene nachweisen. Das Gesamt-IgE war mit 73,9 kU/l nicht erhöht (Normwert bis 100 kU/l), der SX1-Phadiatop (<0,35 kU/l) war negativ (Tab. 2). Die Lungenfunktionsprüfung und der Methacholinprovokationstest waren ohne pathologischen Befund.

Tab. 3 Hauttestergebnisse des 2. Patienten

Der Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Betriebes steht in Kürze an. Da eine beruflich bedingte Rhinoconjunctivitis allergica auf das Inhalationsallergen Musca domestica besteht, erfolgte die Meldung des Vorliegens einer Berufskrankheit (BK 4301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung BKV).

Diskussion

Die beiden hier geschilderten Patienten sind hauptsächlich in der Aufzucht der Musca domestica für die Insektizidforschung in einem pharmazeutischen Unternehmen in der Schweiz tätig gewesen. Das Auftreten einer akuten Rhinokonjunktivitis ausschließlich bei Exposition gegenüber Musca domestica unter Arbeitsbedingungen, positive Hauttestungen mit Extrakten der Musca domestica sowie deren Produkten, der Nachweis spezifischer IgE-Antikörper gegen diese Insektenspezies (Fall 1) und die Erscheinungsfreiheit bei Allergenkarenz sprechen für das Vorliegen einer isolierten, berufsbedingten Inhalationsallergie gegen Musca domestica in beiden Fällen. Insgesamt 6 gesunde, beruflich nicht exponierte Probanden waren negativ auf die im Pricktest verwendeten Fliegen- und -Kotextrakte. Die Verwendung von Nativmaterial in geeigneter Verdünnung für die Hauttestung erwies sich als richtungsweisend, da kommerziell erhältliche Testsubstanzen nicht zur Verfügung stehen. Aufgrund der eingeschränkten Standardisierung der verwendeten Allergene wurde jedoch von zusätzlichen konjunktivalen oder nasalen Provokationstestungen abgesehen.

Als Risikofaktoren für die Entstehung einer berufsbedingten Inhalationsallergie gegen Labortiere einschließlich der Insekten gelten im Allgemeinen hohe Allergenkonzentrationen in der Umgebungsluft und lange Expositionszeiten [17]. Dabei beträgt die Latenzzeit zwischen Exposition und Manifestation der Symptome im Durchschnitt 1–3 Jahre [17]. Möglicherweise ist die interkurrente Exposition der Grund für die sehr späte Entwicklung der allergischen Reaktion bei unserem 1. Patienten. Im 2. Fall entwickelte sich dagegen die Allergie bereits nach weniger als 1 Jahr, was wahrscheinlich auf die seit Jahren vorbestehende Polyposis nasi zurückzuführen ist. Als weitere Dispositionsfaktoren gelten atopische Diathese sowie Nikotinabusus [17, 19, 23], was auf beide Patienten nicht zutraf, sodass es sich hier um eine „aufgezwungene Sensibilisierung“ ohne atopische Prädisposition handelt. Betroffen sind wissenschaftlich Beschäftigte bzw. Landwirte(innen), bei denen die Allergieentstehung jeweils auf ausgeprägte berufliche Exposition in hohen Konzentrationen in den Ställen, Scheunen oder Insektenaufzuchtlaboren zurückzuführen ist. Über die exakte Zuordnung der allergieauslösenden Proteine ist derzeit keine Aussage möglich. Es ist nicht bekannt, ob diese aus Anteilen der Sekretion, Exkretion oder Körperepithelien bestehen.

Beruflich gegen Insekten sensibilisierte Personen reagieren zumeist gegen multiple Spezies innerhalb der Gattung der Arthropoden (Abb. 1; [1, 10, 14]). Während die Musca-domestica-Allergene bislang lediglich als immunogene Banden im Western Blot detektiert, aber abgesehen vom Molekulargewicht noch keinesfalls näher charakterisiert wurden [7, 24], führen verschiedene Arbeitsgruppen die parallele Sensibilisierung gegenüber multiplen Spezies auf die durch die Panallergene Tropomyosin und Gluthation-S-Transferase bedingte Kreuzreaktivität zurück [3, 8]. Das Muskelprotein Tropomyosin konnte bei Insekten (wie Schaben, Motten, Fliegen, Chironomiden), den Arachniden (Spinnen und Milben) und Crustacea (Garnelen und Hummer) nachgewiesen werden [3, 15, 16] und ist unter anderem ursächlich für das sog. Milben-Krustazeen-Mollusken-Syndrom, bei dem es zu IgE-vermittelten Soforttypreaktionen bereits nach erstmaligem Genuss z. B. von Mollusken bei primärer Sensibilisierung gegenüber Hausstaubmilben kommen kann ([13]; Jappe, eigene Beobachtung).

Abb. 1
figure 1

Taxonomie der Arthropoden (Gliederfüßler, vereinfachtes Schema; http://www.systematik-entomologie.de). Die systematische Einteilung der Arthropoden zeigt die Verwandtschaft der Insekten untereinander, v. a. die, mit denen unsere dargestellten Patienten beruflich exponiert waren, und zu den Crustacea sowie Chelicerata. Aufgrund des Artenreichtums ist eine Vollständigkeit nicht gewährleistet. (Vorratsm. Vorratsmilben, Kriebelm. Kriebelmücken, Stechm. Stechmücken, Zuckm. Zuckmücken, Schmetterlingsm. Schmetterlingsmücken, Sandm. Sandmücken)

Eine klinisch relevante Inhalationsallergie ausschließlich gegenüber Musca domestica ist selten

In unseren Fällen allerdings war weder klinisch noch im Rahmen der durchgeführten Pricktestungen mit den Tropomyosin-haltigen Milben- und Schabenextrakten bzw. der In-vitro-Diagnostik mit Antigenen weiterer Dipteren eine potenziell mögliche Kreuzreaktion nachweisbar. Die Panallergene sind nicht allein ursächlich für Insektenallergien. Focke et al. (2003) zeigten, dass das 35-kDa-Protein Tropomyosin vom Serum eines Tropomyosin-sensibilisierten Kontrollpatienten erkannt wurde, nicht aber vom Serum einer Patientin mit klinisch relevanter Musca-domestica-Allergie [7]. Des Weiteren waren ELISA-Inhibitionsteste mit anderen Dipteren wie Schmeißfliege, Taufliege und Stechmücke außer der kleinen Stubenfliege (Fannia cannicularis), die klinisch nicht von Relevanz war, negativ [7]. Bei unseren Patienten blieben ergänzende allergologische Untersuchungen auf Sensibilisierungen gegenüber anderen Arthropoden negativ, sodass von einer speziesspezifischen Sensibilisierung auszugehen ist. Eine klinisch relevante Inhalationsallergie ausschließlich gegenüber Musca domestica wurde sehr selten publiziert. Erstmals berichtete Jamieson 1938 von einer Musca-domestica-Allergie [11]. Aus der Literatur sind 3 weitere berufsbedingte isolierte Musca-domestica-Allergien mit Rhinoconjunctivitis allergica [21, 24] und zusätzlich mildem Asthma bronchiale bekannt [7].

Fazit für die Praxis

Musca domestica ist ein seltenes berufliches Inhalationsallergen, das speziesspezifische Reaktionen auslösen kann. Hauptkriterien für die Entwicklung einer berufsbedingten Inhalationsallergie gegenüber tierischen Proteinen sind Expositionsdauer und Allergenkonzentration. Zur Abklärung von IgE-vermittelten Soforttypallergien ist die Testung von patienteneigenen Berufsstoffen bei kommerziell nicht erhältlichen Allergenen essenziell und diagnoserelevant.