Zusammenfassung
Die isolierte Musca-domestica-Allergie ist bisher lediglich in 4 Fällen publiziert worden. Als prädisponierende Faktoren gelten hohe Allergenkonzentrationen und lange Expositionszeiten. Ein 59- und ein 34-jähriger Insektenzüchter der pharmazeutischen Industrie, beide Nichtatopiker, litten an einer neu aufgetretenen perennialen Rhinokonjunktivitis. Die Symptome traten etwa 30 min nach Exposition mit Musca domestica (gemeine Hausfliege) in den geschlossenen Aufzuchträumen auf. Sie waren symptomfrei bei Arbeiten mit anderen Insekten, am Wochenende und im Urlaub. In der Pricktestung waren die häufigen aerogenen Inhalationsallergene negativ. Die Pricktestung mit gemörserten Musca-domestica-Adulten, -Puppenhüllen und von Musca-domestica-Staub-kontaminierten Netzen oder Bodensand bzw. Fliegenkot waren positiv. Beim 1. Patienten konnten spezifische IgE-Antikörper gegen Musca domestica nachgewiesen werden. Beide Patienten waren negativ für spezifische IgE gegen andere Insektenspezies sowie die häufigen Inhalationsallergene. Bei diesen beiden Patienten besteht eine speziesspezifische Sensibilisierung ohne relevante Kreuzreaktionen zu anderen Arthropoden. Nach innerbetrieblicher Umsetzung und somit Aufgabe der Arbeit mit Musca domestica waren die Patienten komplett beschwerdefrei. Das ubiquitär vorkommende Insekt stellt somit ein beruflich relevantes Inhalationsallergen dar.
Abstract
Isolated allergy to the common housefly (Musca domestica) has only been described in four cases. Predisposing factors include high concentrations of allergens and prolonged exposure time. Two pharmaceutical industry workers, 59 and 34 years of age, both without atopy, presented with recent onset of allergic rhinitis. Their symptoms appeared about 30 minutes after exposure to Musca domestica in the closed breeding rooms. They were symptom-free with other insects, on weekends and on vacation. Skin prick tests with common inhalant allergens were negative. Prick testing with crushed Musca domestica adults, hatched eggs, contaminated nets and sand, as well as fly feces were all positive. One patient had specific IGE antibodies against Musca domestica. Both patients lacked specific IgE antibodies against other insect species and common aeroallergens. In these two patients there was a species-specific sensitization without relevant cross reactions to other arthropods. The patients were transferred to new work sites where they had no contact with Musca domestica and became symptom-free. Thus this common insect can be a relevant occupational aeroallergen.
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Die Prävalenz berufsbedingter IgE-vermittelter Soforttypallergien gegen Proteine von Labortieren bei beruflich exponierten Personen liegt zwischen 10 und 33% [4, 17, 19]. In den meisten Fällen handelt es sich um Tätigkeiten mit Mäusen und Ratten im Rahmen experimenteller Untersuchungen. Auslöser der allergischen Reaktionen sind hauptsächlich die Proteine der Maus (Mus m1) und Ratte (Rat n1) im Urin [9]. Die Sensibilisierung erfolgt per inhalationem und manifestiert sich als Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale oder seltener perkutan mit der Folge einer Proteinkontakturtikaria [17, 18]. Berufsbedingte Sensibilisierungen gegenüber Insekten, verursacht durch Heuschrecken, Schmeißfliegen oder Kakerlaken sind wiederum v. a. bei im Labor exponierten Personen keine Seltenheit [2, 5, 12, 20, 22]. Eine Untersuchung an Personen mit beruflichem Labortierkontakt von 1999–2000 in Großbritannien ermittelte eine Inzidenz berufsbedingter relevanter Inhalationsallergien durch die Arbeit mit Insekten im Labor für die Rhinitis mit 21/1000/Jahr und asthmatische Beschwerden mit 2,35/1000/Jahr, welche als hoch eingestuft wird [6]. Bei einer anderen Befragung gaben ca. 60% des Personals in Insektenzuchtbetrieben allergische Beschwerden an [25].
Patient 1
Anamnese
Bei einem 59-jährigen, ansonsten gesunden Insektenzüchter eines pharmazeutischen Betriebes bestand seit mehr als 1 Jahr eine perenniale Rhinokonjunktivitis. Sowohl Eigen- als auch Familienanamnese bezüglich Atopie waren negativ. Der Biologielaborant war seit 30 Jahren hauptsächlich mit der Aufzucht der gemeinen Hausfliege (Musca domestica) und Laborversuchen mit dieser Spezies beschäftigt. In den Aufzuchträumen konnte er gegenüber bis zu 20.000 Hausfliegen über mehrere Stunden exponiert sein. Seltener führte er Arbeiten mit der deutschen Kakerlake (Blattella germanica), der amerikanischen Großschabe (Periplaneta americana), dem Wadenstecher (Stomoxys calcitrans) oder der kleinen Stubenfliege (Fannia cannicularis) durch.
Nach 30-minütiger Exposition gegenüber Musca domestica bemerkte der Patient konjunktivalen Juckreiz, wässrige Rhinorrhö und anhaltende Niesattacken ohne pulmonale Beteiligung. Das Symptomenmaximum trat nach 6–9 h ein, sodass die Beschwerden über das Arbeitsende hinaus persistierten. Der Patient trug während der Arbeit in den geschlossenen Aufzuchträumen einen Atemschutz (Halbmaske Marke Träger®) und eine Schutzbrille. Bei Freifeldarbeiten mit Musca domestica in der Fliegensaison im Sommer, bei Arbeiten mit anderen Dipteren oder Schaben auch in geschlossenen Räumen sowie am Wochenende und im Urlaub war er symptomfrei.
Diagnostik
Pricktestungen der häufigen Inhalationsallergene (Schimmelpilz-, Vorratsmilben- und Stauballergene) fielen negativ aus. Die konjunktivalen Provokationstestungen mit Hausstaubmilbenextrakten (Dermatophagoides pteronyssinus, Dermatophagoides farinae) waren ebenfalls negativ.
Die Pricktestungen mit eigens hergestellten Ganzkörperextrakten der Musca domestica, deren Puppenhüllen und der mit Musca-domestica-Staub kontaminierten Gegenstände (Fliegenfutter, Bodensand, Gitternetz) jeweils aus dem Aufzuchtlabor ergaben positive Befunde (Tab. 1). Bei 3 gesunden Probanden verliefen diese Pricktestungen negativ. Im CAP-RAST ließen sich spezifische IgE-Antikörper gegen Musca domestica (Pharmacia, Uppsala, Schweden) der CAP-Klasse 2 (1,3 kU/l) nachweisen, nicht jedoch gegenüber Dipteren wie Stechmücke, Sudanfliege und Zuckmückenlarve (rote Mückenlarve), den Schaben Blattella germanica und Periplaneta americana, Hausstaubmilben (Dermatophagoides pteronyssinus, Dermatophagoides farinae), Tyrophagus putrescentiae, Acarus siro, Lepidoglyphus destructor, der Schimmelpilzmischung (mx1) und den Hymenopterengiften. Das Gesamt-IgE war mit 122 kU/l leicht erhöht (Normwert bis 100 kU/l) bei negativem SX1-Phadiatop (<0,35 kU/l; Tab. 2). Die Lungenfunktionsprüfung und der Methacholinprovokationstest waren ohne pathologischen Befund. Durch eine innerbetriebliche Umsetzung und somit durch die Karenz gegenüber der Musca domestica wurde eine vollständige Beschwerdefreiheit erzielt.
Patient 2
Anamnese
Bei einem in der Insektizidforschung eines pharmazeutischen Betriebes tätigen 34-jährigen Insektenzüchter trat seit etwa 4 Monaten eine Rhinokonjunktivitis v. a. an den Tagen auf, an denen er im Zuchtraum der gemeinen Hausfliege arbeitete. Er hatte diese Funktion in der Firma seit etwa 1 Jahr inne. Die Eigen- und Familienanamnese bezüglich Atopie war negativ. Als Vorerkrankung bestand eine Polyposis nasi.
Der Patient arbeitete mit 3 Fliegenstämmen der gemeinen Hausfliege (Musca domestica): den Wildtypen Speck-Sack und Gaillac und dem WHO-Referenzstamm WHO/IDL. Er kam dabei mit den Fliegen selbst, dem Fliegenkot und dem Fliegenfutter (getrocknetes Eigelb, Ferkelmilchpulver, Fliegenfutter Alfalfa/Hefe/H2O-Mix, Saccharose, verschiedenen Salzmischungen) in Kontakt. Wenige Minuten nach Exposition im Zuchtraum bemerkte der Patient konjunktivalen Juckreiz, nasale Obstruktion und Niesen ohne pulmonale Beteiligung. Seit einigen Wochen arbeitete er mit einer Atemschutzmaske der Filterklasse FFP-3, was die oben genannten Symptome deutlich reduzierte. Am Wochenende und im Urlaub war er erscheinungsfrei.
Diagnostik
Pricktestungen mit den häufigen Inhalationsallergenen (Pollen-, Schimmelpilz-, Vorratsmilben-, Stauballergene, Tierepithelien) sowie Milch-/Ei-/Fleisch-Extrakten fielen sämtlich negativ aus. Die Pricktests der Berufssubstanzen Eigelb getrocknet, Ferkelmilchpulver, Fliegenfutter für adulte Fliegen, Fliegenfutter Alfalfa/Hefe/H2O-Mix (je 1% in NaCl 0,9%), Fliegenstamm Speck-Sack, Fliegenstamm Gaillac, Fliegenstamm WHO/IDL, Kot der Stämme Speck-Sack, Gaillac und WHO/IDL (je 2–4% in NaCl 0,9%) zeigten ein positives Resultat beim Extrakt des Stammes WHO/IDL sowie dessen Kotes und für den Kot des Stammes Gaillac (Tab. 3). Drei freiwillige Probanden hatten sämtlich negative Testergebnisse auf obige Extrakte. Im CAP-RAST ließen sich keine spezifischen IgE-Antikörper (<0,35 kU/l) gegen Musca domestica (Pharmacia, Uppsala, Schweden) und weitere Insekten- sowie häufige Inhalationsallergene nachweisen. Das Gesamt-IgE war mit 73,9 kU/l nicht erhöht (Normwert bis 100 kU/l), der SX1-Phadiatop (<0,35 kU/l) war negativ (Tab. 2). Die Lungenfunktionsprüfung und der Methacholinprovokationstest waren ohne pathologischen Befund.
Der Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Betriebes steht in Kürze an. Da eine beruflich bedingte Rhinoconjunctivitis allergica auf das Inhalationsallergen Musca domestica besteht, erfolgte die Meldung des Vorliegens einer Berufskrankheit (BK 4301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung BKV).
Diskussion
Die beiden hier geschilderten Patienten sind hauptsächlich in der Aufzucht der Musca domestica für die Insektizidforschung in einem pharmazeutischen Unternehmen in der Schweiz tätig gewesen. Das Auftreten einer akuten Rhinokonjunktivitis ausschließlich bei Exposition gegenüber Musca domestica unter Arbeitsbedingungen, positive Hauttestungen mit Extrakten der Musca domestica sowie deren Produkten, der Nachweis spezifischer IgE-Antikörper gegen diese Insektenspezies (Fall 1) und die Erscheinungsfreiheit bei Allergenkarenz sprechen für das Vorliegen einer isolierten, berufsbedingten Inhalationsallergie gegen Musca domestica in beiden Fällen. Insgesamt 6 gesunde, beruflich nicht exponierte Probanden waren negativ auf die im Pricktest verwendeten Fliegen- und -Kotextrakte. Die Verwendung von Nativmaterial in geeigneter Verdünnung für die Hauttestung erwies sich als richtungsweisend, da kommerziell erhältliche Testsubstanzen nicht zur Verfügung stehen. Aufgrund der eingeschränkten Standardisierung der verwendeten Allergene wurde jedoch von zusätzlichen konjunktivalen oder nasalen Provokationstestungen abgesehen.
Als Risikofaktoren für die Entstehung einer berufsbedingten Inhalationsallergie gegen Labortiere einschließlich der Insekten gelten im Allgemeinen hohe Allergenkonzentrationen in der Umgebungsluft und lange Expositionszeiten [17]. Dabei beträgt die Latenzzeit zwischen Exposition und Manifestation der Symptome im Durchschnitt 1–3 Jahre [17]. Möglicherweise ist die interkurrente Exposition der Grund für die sehr späte Entwicklung der allergischen Reaktion bei unserem 1. Patienten. Im 2. Fall entwickelte sich dagegen die Allergie bereits nach weniger als 1 Jahr, was wahrscheinlich auf die seit Jahren vorbestehende Polyposis nasi zurückzuführen ist. Als weitere Dispositionsfaktoren gelten atopische Diathese sowie Nikotinabusus [17, 19, 23], was auf beide Patienten nicht zutraf, sodass es sich hier um eine „aufgezwungene Sensibilisierung“ ohne atopische Prädisposition handelt. Betroffen sind wissenschaftlich Beschäftigte bzw. Landwirte(innen), bei denen die Allergieentstehung jeweils auf ausgeprägte berufliche Exposition in hohen Konzentrationen in den Ställen, Scheunen oder Insektenaufzuchtlaboren zurückzuführen ist. Über die exakte Zuordnung der allergieauslösenden Proteine ist derzeit keine Aussage möglich. Es ist nicht bekannt, ob diese aus Anteilen der Sekretion, Exkretion oder Körperepithelien bestehen.
Beruflich gegen Insekten sensibilisierte Personen reagieren zumeist gegen multiple Spezies innerhalb der Gattung der Arthropoden (Abb. 1; [1, 10, 14]). Während die Musca-domestica-Allergene bislang lediglich als immunogene Banden im Western Blot detektiert, aber abgesehen vom Molekulargewicht noch keinesfalls näher charakterisiert wurden [7, 24], führen verschiedene Arbeitsgruppen die parallele Sensibilisierung gegenüber multiplen Spezies auf die durch die Panallergene Tropomyosin und Gluthation-S-Transferase bedingte Kreuzreaktivität zurück [3, 8]. Das Muskelprotein Tropomyosin konnte bei Insekten (wie Schaben, Motten, Fliegen, Chironomiden), den Arachniden (Spinnen und Milben) und Crustacea (Garnelen und Hummer) nachgewiesen werden [3, 15, 16] und ist unter anderem ursächlich für das sog. Milben-Krustazeen-Mollusken-Syndrom, bei dem es zu IgE-vermittelten Soforttypreaktionen bereits nach erstmaligem Genuss z. B. von Mollusken bei primärer Sensibilisierung gegenüber Hausstaubmilben kommen kann ([13]; Jappe, eigene Beobachtung).
Eine klinisch relevante Inhalationsallergie ausschließlich gegenüber Musca domestica ist selten
In unseren Fällen allerdings war weder klinisch noch im Rahmen der durchgeführten Pricktestungen mit den Tropomyosin-haltigen Milben- und Schabenextrakten bzw. der In-vitro-Diagnostik mit Antigenen weiterer Dipteren eine potenziell mögliche Kreuzreaktion nachweisbar. Die Panallergene sind nicht allein ursächlich für Insektenallergien. Focke et al. (2003) zeigten, dass das 35-kDa-Protein Tropomyosin vom Serum eines Tropomyosin-sensibilisierten Kontrollpatienten erkannt wurde, nicht aber vom Serum einer Patientin mit klinisch relevanter Musca-domestica-Allergie [7]. Des Weiteren waren ELISA-Inhibitionsteste mit anderen Dipteren wie Schmeißfliege, Taufliege und Stechmücke außer der kleinen Stubenfliege (Fannia cannicularis), die klinisch nicht von Relevanz war, negativ [7]. Bei unseren Patienten blieben ergänzende allergologische Untersuchungen auf Sensibilisierungen gegenüber anderen Arthropoden negativ, sodass von einer speziesspezifischen Sensibilisierung auszugehen ist. Eine klinisch relevante Inhalationsallergie ausschließlich gegenüber Musca domestica wurde sehr selten publiziert. Erstmals berichtete Jamieson 1938 von einer Musca-domestica-Allergie [11]. Aus der Literatur sind 3 weitere berufsbedingte isolierte Musca-domestica-Allergien mit Rhinoconjunctivitis allergica [21, 24] und zusätzlich mildem Asthma bronchiale bekannt [7].
Fazit für die Praxis
Musca domestica ist ein seltenes berufliches Inhalationsallergen, das speziesspezifische Reaktionen auslösen kann. Hauptkriterien für die Entwicklung einer berufsbedingten Inhalationsallergie gegenüber tierischen Proteinen sind Expositionsdauer und Allergenkonzentration. Zur Abklärung von IgE-vermittelten Soforttypallergien ist die Testung von patienteneigenen Berufsstoffen bei kommerziell nicht erhältlichen Allergenen essenziell und diagnoserelevant.
Literatur
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Tas, E., Jappe, U., Beltraminelli, H. et al. Berufsbedingte Inhalationsallergie gegen die gemeine Hausfliege (Musca domestica). Hautarzt 58, 156–160 (2007). https://doi.org/10.1007/s00105-006-1099-6
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00105-006-1099-6