Zusammenfassung
Der postoperative Hypoparathyreoidismus nach beidseitigen Schilddrüsenoperationen oder nach Rezidiveingriffen wird laborchemisch als intaktes Parathormon (iPTH) < 15 pg/ml bei gleichzeitig normalem, niedrig normalem oder erniedrigtem Serumkalzium definiert. Die Diagnose ist durch eine einmalige Parathormonmessung 12 bis 24 h postoperativ sicher möglich und erlaubt bei einem iPTH ≥ 15 pg/ml die gefahrlose Entlassung. Patienten mit einem iPTH < 10 pg/ml müssen mit Kalzium/Vitamin D substituiert werde. Bei einem iPTH zwischen 10 und 15 pg/ml (Grauzone) kann darauf verzichtet werden, wenn durch eine 2. Bestimmung 48 h postoperativ der iPTH ≥ 15 pg/ml dokumentiert ist. Allerdings verlängert sich durch das Aussetzten der Substitution der Krankenhausaufenthalt. Patienten in der Grauzone müssen substituiert werden. Der Verlauf des iPTH-Spiegels allein entscheidet über die Notwendigkeit, Dosierung und Dauer einer Kalzium-/Vitamin-D-Substitution.
Abstract
Postoperative hypoparathyroidism after bilateral thyroid gland surgery or after interventions for recurrence is defined as intact parathyroid hormone levels (iPTH) < 15 pg/ml with simultaneous normal, below normal and markedly decreased serum calcium levels. After bilateral thyroid surgery and after reoperations a single iPTH measurement performed 12–24 h postoperatively can be used to predict parathyroid metabolism. Patients with an iPTH level ≥ 15 pg/ml may be discharged safely, patients with an iPTH < 10 pg/ml must be substituted with calcium and vitamin D and patients with an iPTH between 10 and 15 pg/ml (grey zone) may be discharged if a second measurement 48 h after surgery documents an iPTH ≥ 15 pg/ml. This procedure increases the length of hospital stay. Patients in the (grey zone) must be substituted. The iPTH level and its course determine the necessity, dose and length of calcium and vitamin D substitution.
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Der postoperative Hypoparathyreoidismus ist neben der Parese des Nervus laryngeus recurrens eine häufige, wenn nicht oder zu spät diagnostiziert klinisch ernste Komplikation nach beidseitigen Schilddrüseneingriffen. Basierend auf aktuellen Untersuchungen [1] wird der postoperative Hypoparathyreoidismus nach Schilddrüsenoperationen laborchemisch als intaktes Parathormon (iPTH) unter 15 pg/ml bei gleichzeitig normalem, niedrig normalem oder erniedrigtem Serumkalzium (Ca; Eiweiß korrigiert) definiert.
Es wird eine passagere (temporäre; Normalisierung des iPTH-Spiegels mit normalem Ca-Spiegel ohne Fortführen der Ca-Substitution innerhalb der ersten 6 Monate [2] von einer permanenten Nebenschilddrüsenunterfunktion (keine iPTH-Normalisierung, Fortführen der Ca-Substitution 6 Monate postoperativ und länger) unterschieden. Bei Verwendung dieser strenger Definition wird nach Thyreoidektomie bei 21–23 % ein passagerer und bei 1–2 % ein permanenter Hypoparathyreoidismus beobachtet (Tab. 1). In der Literatur werden Prävalenzen bis zu 54 % (passagerer Hypoparathyreoidismus) bzw. 9 % (permanenter Hypoparathyreoidismus), allerdings bei uneinheitlicher Definition und nach Heranziehen unterschiedlicher Parameter und Parameterkombinationen, beschrieben [3, 4, 5].
Ursachen
Intraoperative Ursachen für eine postoperative Nebenschilddrüsenunterfunktion liegen in einer falsch eingeschätzten Durchblutung oder in einer nicht erkannten Devaskularisierung der Nebenschilddrüsen im Rahmen der Schilddrüsenpräparation sowie in einer nicht erkannten (akzidentellen) Entfernung einer oder mehrerer Nebenschilddrüsen. Nicht unwesentlich wird die Mikrogefäßversorgung der Nebenschilddrüsen durch die langstreckige Freilegung des N. laryngeus recurrens belastet [6]. Das intraoperative Monitieren der Funktion des N. laryngeus recurrens kann dieses Trauma nicht minimieren. Postoperativ kann die Kompression durch ein lokales Hämatom ursächlich sein [7, 8, 9, 10].
Eine gezielte Identifikation (wenn möglich aller Nebenschilddrüsen) und ein atraumatisches, kapselnahes Abpräparieren der Drüsen (nicht selten gestielt an einem Ast der A. thyreoidea inferior) kann postoperative Funktionsstörungen reduzieren. Dazu ist die genaue Kenntnis der Anatomie und ihrer Variation hinsichtlich Lage und Zahl unverzichtbare Voraussetzung [11, 12].
Ein unentbehrliches technisches Hilfsmittel zur besseren Identifikation, exakteren Präparation sowie zur besseren Beurteilung der Durchblutung der Nebenschilddrüsen ist die Lupenbrille (2,5- bis 3,5-fache Vergrößerung; [13]). Die kritische Zuhilfenahme aktuell in Verwendung stehender Gefäßversiegelungsgeräte, der bipolaren Koagulation und/oder atraumatischer, zarter Umstechungen scheint die peri- und postoperative Durchblutungsstörung zu verringern [14, 15]. Allerdings gibt es keine prospektiven, randomisierten Untersuchungen, die diesen subjektiven Eindruck stützen.
Kann im Rahmen der Präparation die Durchblutung einer Nebenschilddrüse nicht sicher erhalten werden, so soll diese (nach histologischer Organbestätigung) in typischer Weise „bedarfsangepasst“ in eine Muskeltasche des M. sternocleidomastoideus autotransplantiert werden [16]. Die „prophylaktische En-principe-Autotransplantation“ einer Nebenschilddrüse im Rahmen der Thyreoidektomie erbrachte keine Vorteile [17].
Es gilt der wichtige Grundsatz, dass jede Nebenschilddrüse so zu behandeln ist, als wäre sie die letzte verbliebene!
Die Ansicht, dass postoperative Funktionsstörungen mit der Ausdehnung des chirurgischen Eingriffs (subtotale Resektion vs. Thyreoidektomie; zentrale Halsdissektion ja vs. nein) signifikant zunehmen [18, 19, 20], wird in einer aktuellen Untersuchung nicht bestätigt (Tab. 1). Einschränkend muss festgestellt werden, dass es sich hier um die Erfahrung eines „Einzelzentrums“ handelt.
Parathormon- und Kalziumwerte
Traditionell wird nach beidseitigen Schilddrüsenerst- und nach Rezidiveingriffen die sequenzielle Messung des Ca-Spiegels zumindest an den ersten 2 bis 3 postoperativen Tagen empfohlen [1]. Im Gegensatz zur sehr guten Voraussage der Nebenschilddrüsenfunktion anhand des iPTH-Spiegels, korreliert das Ca als „Erfolgsparameter“ alleine am 1. postoperativen Tag kaum mit der Prognose hinsichtlich der Entwicklung eines postoperativen Hypoparathyreoidismus (Tab. 2). Erst der Verlauf des Ca-Spiegels an weiteren Tagen ermöglicht das sichere Erkennen einer Nebenschilddrüsenfunktionsstörung, ist aber weder für den Patienten angenehm (mehrere Blutabnahmen) noch für die Sozialversicherungen kostengünstig (längerer Krankenhausaufenthalt). Aktuelle Behandlungskonzepte bevorzugen kurze Kranhausaufenthalte ohne Verletzung der ärztlichen Sorgfalt!
Das intraoperative iPTH-Monitoring (IOPTH) mit Dokumentation eines adäquaten Abfalls eines erhöhten iPTH-Spiegels zur Voraussage der (angestrebten) Normokalzämie ist in der Chirurgie der primären Nebenschilddrüsenüberfunktion etabliert [21]. Das IOPTH wurde im Rahmen der radikalen Schilddrüsenchirurgie ebenfalls empfohlen, um die Funktion der normalen, in situ verbliebenen Nebenschilddrüsen abzuschätzen [22]. Diese Methode ist kostenaufwendig, da zur Dokumentation des intraoperativen iPTH-Verlaufs zumindest 3 iPTH-Bestimmungen notwendig sind und zusätzlich medizinische technische Assistenz bereitgestellt werden muss. Auch stehen iPTH-Messgeräte vor allem in kleineren chirurgischen Abteilungen und Spitälern nicht immer zur Verfügung.
Prospektiv, randomisierte Untersuchungen zur prophylaktischen Parathyreoideaautotransplantation nach Thyreoidektomie in Abhängigkeit vom iPTH-Spiegel konnten zeigen, dass Patienten mit einem iPTH-Spiegel < 10 pg/ml (und nur unter dieser Voraussetzung) von einer prinzipiellen Parathyreoideaautotransplantation im Vergleich zu Patienten mit „bedarfsangepasster“ Parathyreoideaautotransplantation (subjektive Kriterien!) profitieren (kein permanenter Hypoparathyreoidimsus in dieser Patientengruppe). Allerdings kann ein iPTH-Spiegel erst 10–20 min nach Ende der Operation für die Entscheidung, ob eine Parathyreoideaautotransplantation notwendig ist, herangezogen werden [23].
Der iPTH-Spiegel 4 h postoperativ und später ist am aussagekräftigsten
Genauere Untersuchungen zur Aussagekraft der iPTH-Messung am Ende der Operation im Vergleich zu späteren Messungen konnten zeigen, dass der iPTH-Spiegel 4 h postoperativ und später die tatsächliche Nebenschilddrüsenfunktion am besten voraussagen kann [24, 25]. Somit hat das IOPTH und die Messung unmittelbar am Ende der Operation eine geringere praktische Bedeutung als ursprünglich erhofft.
Wenn auch selten, treten postoperative lebensbedrohliche Nachblutungen innerhalb der ersten 24 h postoperativ auf [26]. Konzepte mit stationären Kurzzeitaufenthalten berücksichtigen diese Erfahrungen und empfehlen zumindest 24 h eine stationäre Beobachtung [27]. Daher hat sich als optimaler Zeitpunkt zur postoperativen Überprüfung des Nebenschilddrüsenstoffwechsels die einmalige Messung des iPTH-Spiegels am Morgen des 1. postoperativen Tags ergeben [2].
In einem prospektiven „Standardprotokoll“ konnte gezeigt werden, dass ein 12–24 h postoperativ einmalig gemessener iPTH-Spiegel unabhängig vom Serumkalziumspiegel mit einer Sensitivität und Spezifität von 99 % die postoperative Nebenschilddrüsenfunktion vorhersagen kann [2].
In Kurz- und Langzeitbeobachtungen wurde gezeigt, dass Patienten mit einem iPTH-Spiegel ≥ 15 pg/ml (Elecsys 1010, Deutschland; Normalwert 15–65 pg/ml) einen normalen Nebenschilddrüsenstoffwechsel haben, keine Kalzium- und/oder Vitamin-D-Substitution benötigen und ohne weiter Kontrollen in häusliche Pflege entlassen werden können [2].
Kalzium-/Vitamin-D-Substitution
Patienten mit einem iPTH-Spiegel < 10 pg/ml haben eine Nebenschilddrüsenunterfunktion und können ohne Symptome mit einer oralen „Standardsubstitution“ bestehend aus Calciumcarbonat und Cholecalciferol entlassen werden (Standarddosis, s. Tab. 3). Die zusätzliche Gabe von Calcitriol [1α,25(OH)2-Cholecalciferol = 1α,25(OH)2Vitamin D3 oder kurz 1,25(OH)2D] verbessert die Ca-Aufnahme im Darm [2]. Gemäß dem „Standardprotokoll“ wird nach einer Woche die Dosierung ohne Laborkontrolle um ein Drittel reduziert („Erhaltungsdosis“), um einer iatrogenen Hyperkalzämie vorzubeugen. Gaben von Ca oder Vitamin D müssen engmaschig kontrolliert werden.
Bei einigen wenigen Patienten werden iPTH-Spiegel zwischen 10 und 15 pg/ml dokumentiert. Die Entwicklung einer Normal- oder Unterfunktion ist nicht abschätzbar („Grauzone“). Diese Patienten können entweder mit einer „Standarddosierung“ am 1. postoperativen Tag entlassen werden oder bleiben für eine weitere Laborkontrolle am 2. postoperativen Tag stationär. Zumindest bei einem Drittel der Patienten hat sich die Nebenschilddrüsenfunktion bereits normalisiert (iPTH ≥ 15 pg/ml). Eine Entlassung ist ohne Substitution möglich, während Patienten mit einem iPTH in der „Grauzone“ laut Standardprotokoll substituiert werden müssen (Tab. 3).
In Abhängigkeit vom 14 Tage postoperativ gemessenen iPTH-Spiegel wird die Substitution mit der Erhaltungsdosis beibehalten (iPTH < 15 pg/ml) oder bei Normalisierung (iPTH ≥ 15 pg/ml) beendet.
Schlussfolgerung
Das vorgestellte Management erfasst durch eine iPTH-Messung 12–24 h postoperativ sicher die Nebenschilddrüsenfunktion. Im Gegensatz zum IOPTH berücksichtigt das empfohlene Vorgehen unmittelbar postoperativ nicht vorhersehbare Funktionsbeeinträchtigungen der Nebenschilddrüsen durch (klinisch nicht relevante) Hämatome und/oder Schwellungen. Die einmalige Evaluierung des postoperativen Nebenschilddrüsenstoffwechsels mit einer iPTH-Messung ist mit 17,60 EUR pro Bestimmung kostengünstig. Der stationäre Kurzzeitaufenthalt reduziert weiter die stationären Behandlungskosten [2].
Fazit für die Praxis
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Das empfohlene Management zur Diagnose und Therapie einer Nebenschilddrüsenfunktionsstörung nach beidseitigen Schilddrüseneingriffen oder Rezidiveingriffen besteht aus
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einer iPTH-Bestimmung 12–24 h nach der Operation,
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ausschleichende Substitution bei iPTH < 15 pg/ml,
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keine Substitution bei iPTH ≥ 15 pg/ml).
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Dieses Vorgehen ist für den Patienten sicher und wird von Patienten und Sozialversicherungen (kurzer Krankenhausaufenthalt) akzeptiert.
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Interessenkonflikt. A. Selberherr und B. Niederle geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Selberherr, A., Niederle, B. Vermeidung und Management des Hypoparathyreoidismus nach Schilddrüsenoperationen. Chirurg 86, 13–16 (2015). https://doi.org/10.1007/s00104-014-2817-8
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