Einleitung

Rückenschmerzen sind in Deutschland und vergleichbaren Industrieländern ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem [1,2,3,4,5]. Rund 85 % der Bevölkerung sind mindestens einmal in ihrem Leben von Rückenschmerzen betroffen, 76 % innerhalb eines Jahres [6]. Je nach Intensität und Dauer der Beschwerden gehen Rückenschmerzen mit erheblichen Einschränkungen in der Alltagsaktivität, Einbußen in der Lebensqualität und erhöhten Komorbiditätsraten für psychische Störungen einher [7]. Darüber hinaus zählen sie zu den Hauptursachen für die Inanspruchnahme des medizinischen Versorgungssystems, Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung [1, 8, 9]. Im Jahr 2015 waren rund 20 % aller Versicherten verschiedener Betriebskrankenkassen ein oder mehrere Male wegen Rückenschmerzen beim Arzt – hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ergeben sich aus den Daten 38 Mio. Behandlungsfälle pro Jahr (Arztbesuche in verschiedenen Quartalen oder bei verschiedenen Ärzten) [8]. Fast jeder zehnte (9,1 %) Krankschreibungstag ging 2015 den Abrechnungsdaten der Techniker Krankenkasse (TK) zufolge auf Rückenprobleme zurück (5,1 % auf Rückenschmerzen im engeren Sinne) [10]. Auch die Global-Burden-of-Disease-Studie weist Rückenschmerzen als bedeutende Ursache für verlorene gesunde Lebensjahre in Deutschland aus [11, 12]. Im Gesundheitssystem und für die gesamte Volkswirtschaft entstehen dadurch beträchtliche Kosten [13]: Bis zu 49 Mrd. Euro müssen Schätzungen zufolge pro Jahr zur Versorgung von Rückenschmerzpatienten sowie zur Kompensation rückenschmerzassoziierter Fehlzeiten und Produktivitätsausfälle aufgewendet werden [14].

Sowohl für die Entstehung von Rückenschmerzen als auch für ihre Chronifizierung gibt es vielfältige Ursachen [1]. Fehlbelastungen, Schädigungen oder Erkrankungen können Knochen, Gelenke, Bindegewebe, Muskeln oder Nerven betreffen. Auslöser sind etwa degenerative oder entzündliche Veränderungen und Verletzungen (z. B. Bandscheibenvorfall, Arthrose, Osteoporose), aber auch Erkrankungen innerer Organe, bösartige Neubildungen oder gynäkologische Störungen. Lassen sich medizinisch eindeutige Ursachen für das Auftreten der Beschwerden nachweisen, ist von spezifischen Rückenschmerzen die Rede [15]. Weitaus häufiger (>80 %) sind jedoch nichtspezifische, oft auch als unspezifisch oder funktionell bezeichnete Rückenschmerzen, bei denen keine eindeutigen Hinweise auf eine spezifische Ursache vorliegen [4, 16]. Gerade bei nichtspezifischen Rückenschmerzen spielen neben Lebensstilfaktoren wie Bewegungsmangel auch psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren eine wichtige Rolle [15, 17].

Vor diesem Hintergrund sind auch die vorliegenden Ergebnisse aus sozialepidemiologischen Untersuchungen zu bewerten, die darauf hinweisen, dass Rückenschmerzen in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen überproportional häufig auftreten [18,19,20,21,22,23,24,25]. Wie Fliesser et al. [18] in einem aktuellen systematischen Review zum Thema „Soziale Ungleichheit und Rückenschmerz“ zeigen, unterscheiden sich die meisten Studien jedoch darin, anhand welcher Indikatoren soziale Benachteiligung bzw. der sozioökonomische Status (SES) festgemacht werden. Dies erschwert die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Zwar wird in der Mehrzahl der untersuchten Studien mehr als ein Indikator zur Differenzierung sozialer Ungleichheit herangezogen, allerdings wird in der Regel weder erörtert, warum die Verwendung eines SES-Indikators als nicht ausreichend angesehen wird, noch werden Unterschiede in der Stärke des Zusammenhangs zwischen einzelnen SES-Indikatoren und dem Auftreten von Rückenschmerzen genauer analysiert [18, 20]. Auch die Tatsache, dass Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen SES-Indikatoren und dem Auftreten von Rückenschmerzen unterschiedliche Wirkpfade nahelegen [20, 23], wird nur selten thematisiert. Dabei ist das Wissen um möglichst klar definierte Risikogruppen für die effiziente Planung und Evaluation von zielgruppenspezifischen Präventionsmaßnahmen und Behandlungsangeboten von großer Bedeutung [15].

Die vorliegende Arbeit knüpft an diese Befunde an und verwendet hierzu Informationen aus dem Gesundheitsmonitoring des Robert Koch-Instituts (RKI). Auf der Basis repräsentativer Surveydaten wird die Häufigkeit chronischer Rückenschmerzen in der deutschen Allgemeinbevölkerung bestimmt. Darüber hinaus wird untersucht, inwieweit zwischen Männern und Frauen und in unterschiedlichen Altersgruppen Unterschiede in der Verbreitung chronischer Rückenschmerzen bestehen und welche Bedeutung dem SES bzw. seinen Einzeldimensionen – Bildung, Berufsstatus und Einkommen – für das Auftreten chronischer Rückenschmerzen im Erwachsenenalter zukommt.

Methode

Stichprobe und Datenerhebung

Die Analysen basieren auf Daten der bundesweiten Querschnittstudie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA), die im Rahmen des Gesundheitsmonitorings am RKI regelmäßig durchgeführt wird [26]. Ziel der GEDA-Studie ist es, aktuelle Daten zum Gesundheitszustand, zu Einflussfaktoren der gesundheitlichen Lage und zur Nutzung des Gesundheitssystems von Erwachsenen in Deutschland für die Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitspolitik bereitzustellen. Die Grundgesamtheit der GEDA-Studie ist die deutschsprachige, erwachsene Wohnbevölkerung in Privathaushalten, die über einen Festnetzanschluss verfügt. Um die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen, werden für die Auswertungen dieses Beitrags die Daten der Erhebungswellen 2009, 2010 und 2012 zusammengefasst. In den Zeiträumen von Juli 2008 bis Juni 2009 (GEDA 2009; n = 21.262), September 2009 bis Juli 2010 (GEDA 2010; n = 22.050) sowie von März 2012 bis März 2013 (GEDA 2012; n = 19.294) wurden insgesamt 62.606 Personen ab 18 Jahren computergestützt per standardisiertem Telefoninterview zu gesundheitsbezogenen Themen und soziodemografischen Merkmalen befragt (Tab. 1). Die Response-Rate 3 nach AAPOR („American Association for Public Opinion Research“) [27], eine international verwendete Standarddefinition für die Berechnung der Stichprobenausschöpfung, lag bei 29,1 % in GEDA 2009, 28,9 % in GEDA 2010 und 22,1 % in GEDA 2012. Das Studienkonzept jeder GEDA-Welle wurde durch den Datenschutzbeauftragten des RKI und den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit als unbedenklich eingestuft. Detailliertere Informationen zu Inhalten und Methodik der GEDA-Studie sind an anderer Stelle publiziert [26].

Tab. 1 Stichprobenbeschreibung. Datenbasis: GEDA 2009, 2010 und 2012 (n = 62.606)

Indikatoren

Chronische Rückenschmerzen

Zur Verbreitung chronischer Rückenschmerzen stehen in allen drei GEDA-Wellen selbstberichtete Angaben zur Lebenszeitprävalenz und zur 12-Monats-Prävalenz zur Verfügung. Chronische Rückenschmerzen wurden dabei in Anlehnung an die Definition der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin [28] und der Nationalen VersorgungsLeitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ [16] als drei Monate oder länger anhaltende, fast täglich auftretende Rückenschmerzen definiert [15]. Die genaue Fragestellung lautete: „Hatten Sie schon einmal drei Monate oder länger anhaltende Rückenschmerzen, und zwar fast täglich?“; falls ja: „War das auch in den letzten 12 Monaten der Fall?“.

Sozioökonomische Merkmale

Sozioökonomische Unterschiede in der Verbreitung chronischer Rückenschmerzen wurden sowohl mithilfe eines mehrdimensionalen additiven SES-Index als auch anhand der statusbildenden Einzeldimensionen Bildung, Beruf und Einkommen analysiert [29]. Der SES-Index beruht auf Informationen zum Bildungsstand, zum Berufsstatus und zur Einkommenssituation der Befragten [30]. Die Erfassung des Bildungsstands erfolgte mithilfe der CASMIN-Bildungsklassifikation, die auf Informationen zu schulischen und beruflichen Bildungsabschlüssen der Befragten basiert [31]. Für die Ermittlung des Berufsstatus wurde auf den International Socio-Economic Index of Occupational Status (ISEI) nach Ganzeboom et al. [32] zurückgegriffen. Die Einkommenssituation der Befragten wurde über das Netto-Äquivalenzeinkommen bestimmt, wofür eine Bedarfsgewichtung des Haushaltsnettoeinkommens mithilfe der neuen OECD-Äquivalenzskala [33] vorgenommen wurde, um Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften in Mehrpersonenhaushalten zu berücksichtigen. Fehlende Werte beim Haushaltsnettoeinkommen wurden durch ein multiples Regressionsmodell imputiert [30]. Für die Berechnung des mehrdimensionalen SES-Index wurden diese Merkmale zunächst auf drei metrische Subskalen mit einem Wertebereich von 1,0 bis 7,0 überführt. Anschließend wurden die Punktwerte der drei Subskalen zu einem Summenscore mit einem Wertebereich von 3,0 bis 21,0 addiert. Für die Auswertungen wurde eine verteilungsbasierte Kategorisierung des Index vorgenommen, sodass die niedrige und hohe Statusgruppe jeweils rund 20 % und die mittlere Statusgruppe etwa 60 % der Gesamtbevölkerung umfassen [30].

Die Verwendung dieses additiven SES-Index ermöglicht es zwar, kumulative Effekte der Einzeldimensionen Bildung, Berufsstatus und Einkommen zu erkennen, dabei wird die relative Bedeutung der Einzeldimensionen jedoch verdeckt [23]. Daher wurden die Einzeldimensionen in zusätzlichen Analysen separat betrachtet, wofür die drei Subskalen des SES-Index herangezogen wurden. Diese wurden ebenfalls auf Basis von Quintilen, die sich auf die Gesamtbevölkerung bezogen, in die Kategorien niedrig (Quintil 1), mittel (Quintile 2–4) und hoch (Quintil 5) eingeteilt. Die entsprechenden Verteilungen der Merkmale in der Studie sind in Tab. 1 ausgewiesen.

Statistische Analysen

Mittels Kreuztabellenanalyse wurde die Lebenszeit- und 12-Monats-Prävalenz chronischer Rückenschmerzen bei Männern und Frauen differenziert nach sozioökonomischen Merkmalen berechnet. Von statistisch signifikanten Unterschieden wurde ausgegangen, wenn die p-Werte aus χ2-Unabhängigkeitstests <0,05 lagen. Als zusammenfassendes Maß für sozioökonomische Unterschiede in der Verbreitung chronischer Rückenschmerzen diente der Relative Index of Inequality (RII). Der RII ist ein regressionsbasiertes Maß für das Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheit, das die gesamte Verteilung einzelner Kategorien eines sozioökonomischen Merkmals in einer Population berücksichtigt [34]. Der RII wurde mittels log-binomialer Regression berechnet [35]. In einem ersten Schritt (Modell 1) wurden separate Regressionsmodelle mit jeweils einem sozioökonomischen Merkmal als unabhängiger Variable berechnet. In einem zweiten Schritt (Modell 2) wurden Bildung, Berufsstatus und Einkommen gemeinsam in einem Modell betrachtet, um diese Merkmale wechselseitig zu adjustieren und damit ihre relative Bedeutung für die Verbreitung chronischer Rückenschmerzen zu ermitteln. In allen Modellen wurde für das Lebensalter der Befragten adjustiert. Die resultierenden RIIs können als Verhältnis des statistischen Risikos für das jeweilige Outcome von Personen mit dem niedrigsten gegenüber Personen mit dem höchsten Status interpretiert werden [34, 36]. Dabei steht ein RII <1 für ein vermindertes Risiko, während ein RII >1 ein erhöhtes Risiko anzeigt.

Alle Analysen wurden getrennt für Männer und Frauen durchgeführt, um geschlechterspezifische Aussagen treffen zu können. Zudem wurden Gewichtungsfaktoren verwendet, mit denen das zweistufige Stichprobendesign berücksichtigt (Designgewichtung) und die Stichprobe an die Alters‑, Geschlechter‑, Bildungs- und Regionalverteilung der in Deutschland lebenden Bevölkerung angepasst (Anpassungsgewichtung) wird [26]. Durch die Anpassungsgewichtung werden Effekte systematischer Nichtteilnahme (Non-Response) ausgeglichen. Alle Analysen wurden mit den Prozeduren für Survey-Daten des Statistikprogramms Stata 13.1 SE durchgeführt.

Ergebnisse

Insgesamt waren 30,9 % der Erwachsenen in Deutschland in ihrem Leben bereits von mindestens drei Monate lang andauernden Rückenschmerzen betroffen, bei 20,9 % war dies auch in den letzten zwölf Monaten der Fall. Frauen berichten häufiger von chronischen Rückenschmerzen als Männer; dies zeigt sich sowohl bei der Lebenszeitprävalenz (34,0 % vs. 27,6 %, p < 0,001) als auch bei der 12-Monats-Prävalenz (24,4 % vs. 17,1 %, p < 0,001) sowie in allen betrachteten Altersgruppen. Mit dem Alter nimmt die Häufigkeit chronischer Rückenschmerzen bei beiden Geschlechtern stetig zu (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Lebenszeitprävalenz und 12-Monats-Prävalenz chronischer Rückenschmerzen nach Alter und Geschlecht. Datenbasis: GEDA 2009, 2010 und 2012

Der inverse Zusammenhang zwischen dem SES und der Verbreitung chronischer Rückenschmerzen lässt sich als sozialer Gradient beschreiben: Je geringer der SES, desto höher ist der Anteil Erwachsener, die von chronischen Rückenschmerzen betroffen sind. Sozioökonomische Unterschiede zu Ungunsten von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen zeigen sich bei beiden Geschlechtern und in allen Altersgruppen (Abb. 2). Am stärksten treten die Unterschiede jedoch im fortgeschrittenen Erwerbsalter zutage (45–64 Jahre). Insgesamt ist das statistische Risiko, bereits mindestens einmal im Leben von chronischen Rückenschmerzen betroffen gewesen zu sein, bei Männern mit niedrigem SES 1,7-mal höher als bei Männern mit hohem SES (altersadjustierter RII [95-%-KI] = 1,69 [1,56–1,84]). Bei Frauen ist das entsprechende Risiko um den Faktor 1,4 erhöht (altersadjustierter RII [95-%-KI] = 1,42 [1,33–1,52]). Mit Blick auf die 12-Monats-Prävalenz chronischer Rückenschmerzen sind die Unterschiede zwischen den Statusgruppen noch stärker ausgeprägt (Abb. 3). Das statistische Risiko, auch in den letzten zwölf Monaten von chronischen Rückenschmerzen betroffen gewesen zu sein, ist in der niedrigen gegenüber der hohen Statusgruppe bei Männern und Frauen in etwa doppelt so hoch (altersadjustierte RII [95-%-KI] = 2,29 [2,04–2,56] bzw. 1,92 [1,76–2,09]).

Abb. 2
figure 2

Lebenszeitprävalenz chronischer Rückenschmerzen nach Sozialstatus, Alter und Geschlecht. Datenbasis: GEDA 2009, 2010 und 2012

Abb. 3
figure 3

12-Monats-Prävalenz chronischer Rückenschmerzen nach Sozialstatus, Alter und Geschlecht. Datenbasis: GEDA 2009, 2010 und 2012

In weiterführenden Analysen wurden die Einzeldimensionen des SES – Bildung, Berufsstatus und Einkommen – separat betrachtet, um ihre relative Bedeutung für das Auftreten von chronischen Rückenschmerzen zu untersuchen. Die Ergebnisse bivariater Analysen belegen zunächst, dass alle drei Einzeldimensionen jeweils signifikante Zusammenhänge mit der Lebenszeitprävalenz und der 12-Monats-Prävalenz chronischer Rückenschmerzen aufweisen – auch bei statistischer Kontrolle für Altersunterschiede zwischen den Bildungs‑, Berufs- und Einkommensgruppen. Werden die Einzeldimensionen zusätzlich wechselseitig kontrolliert, zeigt sich weiterhin, dass Bildung, Berufsstatus und Einkommen jeweils eigenständig mit dem Auftreten chronischer Rückenschmerzen assoziiert sind (Tab. 2 und 3).

Tab. 2 Lebenszeitprävalenz und 12-Monats-Prävalenz chronischer Rückenschmerzen nach Bildung, Berufsstatus und Einkommen bei Männern und Frauen. Datenbasis: GEDA 2009, 2010 und 2012
Tab. 3 Ausmaß relativer Unterschiede in der Verbreitung von chronischen Rückenschmerzen nach Bildung, Berufsstatus und Einkommen bei Männern und Frauen. Datenbasis: GEDA 2009, 2010 und 2012

Diskussion

Die vorliegende Arbeit liefert auf der Basis umfangreicher Surveydaten Informationen zur Verbreitung chronischer Rückenschmerzen bei Erwachsenen in Deutschland. Die Ergebnisse aus GEDA 2009–2012 lassen sich aufgrund unterschiedlicher Falldefinitionen jedoch nicht ohne Weiteres direkt mit anderen Studien vergleichen [19, 37]. Je nach Studie werden unterschiedliche Schmerzlokalisationen und Fragestellungen verwendet, verschiedene Prävalenztypen bestimmt und unterschiedliche Altersgruppen einbezogen, was die Vergleichbarkeit der Arbeiten erschwert [4]. In internationalen Studien – gerade im angelsächsischen Raum – werden häufig ausschließlich Schmerzen im unteren Rücken betrachtet (Synonym: Kreuzschmerzen; engl. „low back pain“) [3, 5]. Beim Vergleich von Studiendaten aus unterschiedlichen Ländern kommen zudem soziokulturelle Unterschiede bei der individuellen Wahrnehmung und Bewertung von Rückenschmerzen zum Tragen, die sich auf die Höhe der ermittelten Prävalenz auswirken können [38]. Am besten lassen sich die Ergebnisse aus GEDA 2009–2012 daher mit den Befunden des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003 (GSTel03) vergleichen, der ebenfalls vom RKI durchgeführt wurde, erstmals bundesweit repräsentative Daten zur Verbreitung chronischer Rückenschmerzen lieferte und methodisch nahezu identisch ist [19]. Gegenüber den für die erwachsene Gesamtbevölkerung im Rahmen von GEDA 2009–2012 erhobenen 12-Monats-Prävalenzen chronischer Rückenschmerzen von 20,9 % (insgesamt), 17,1 % (Männer) und 24,4 % (Frauen) lagen die entsprechenden Werte im GSTel03 rund 1,5 bis 3 Prozentpunkte niedriger. Auch die Lebenszeitprävalenz chronischer Rückenschmerzen hat im Vergleich der beiden Studien über die Zeit um 3 bis 4 Prozentpunkte zugenommen [19]. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, da Deutschland bereits mit den etwas niedrigeren Prävalenzen aus GSTel03 im internationalen Vergleich im oberen Bereich der Studien mit ähnlicher Definition der Chronizität von Rückenschmerzen lag [5, 19].

Bei der Interpretation der ermittelten Prävalenzen gilt es zu beachten, dass die im Rahmen von GEDA verwendete Fragestellung lediglich die zeitliche Dimension berücksichtigt, um die Chronizität von Rückenschmerzen zu bestimmen. Informationen zum Schweregrad und zu rückenschmerzassoziierten Beeinträchtigungen, z. B. hinsichtlich der Berufsausübung oder Einschränkungen im Alltag, werden hingegen nicht erhoben. Unklar bleibt auch, wie hoch der Anteil der Personen mit chronischen Rückenschmerzen ist, die aufgrund ihrer Beschwerden beim Arzt waren oder andere Versorgungsleistungen in Anspruch genommen haben. Darüber hinaus sind weitere Limitationen wie die beschränkte Validität von Selbstangaben, das beeinträchtigte Erinnerungsvermögen der Befragten sowie eine systematische Verzerrung durch den Ausschluss institutionalisierter bzw. nicht am Telefon befragbarer Personen in GEDA zu berücksichtigen.

Der Befund, dass Frauen häufiger als Männer und ältere häufiger als jüngere Erwachsene unter chronischen Rückenschmerzen leiden, stimmt mit Ergebnissen aus nationalen und internationalen Studien weitgehend überein [3, 5, 39, 40]. Geschlechterunterschiede zu Ungunsten von Frauen finden sich nicht nur bei Rückenschmerzen, sondern auch bei anderen Schmerzlokalisationen [41]. Als Erklärungsansätze hierfür lassen sich neben Differenzen in der Anatomie und im Vorkommen bestimmter Risikofaktoren (z. B. häufigere Doppelbelastung Familie/Beruf bei Frauen) auch geschlechterspezifische Unterschiede in der Symptomwahrnehmung, -verarbeitung und -erinnerung anführen – mit bei Frauen stärker ausgeprägten Somatisierungstendenzen [19, 39].

Bemerkenswert ist zudem das deutlich ausgeprägte soziale Gefälle in der Verbreitung chronischer Rückenschmerzen, das sich bei beiden Geschlechtern abzeichnet. Wie bereits zahlreiche nationale und internationale Studien [6, 18,19,20,21,22, 24, 25, 37] zuvor belegen konnten, sprechen auch die vorliegenden Ergebnisse dafür, dass Rückenschmerzen überproportional häufig in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen auftreten. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine geringe Bildung überdurchschnittlich häufig mit einem niedrigen Berufsstatus und mit einem vergleichsweise geringen Einkommen einhergeht, deuten die Befunde darauf hin, dass alle drei Einzeldimensionen des SES jeweils eigenständig – sprich unabhängig voneinander – mit der Verbreitung chronischer Rückenschmerzen assoziiert sind. Auch wenn Kausalität und Kausalrichtung mit den zugrundeliegenden Querschnittsdaten nicht überprüft werden können [25], lassen sich verschiedene Gründe anführen, die eine höhere Rückenschmerzprävalenz in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen zumindest plausibel erscheinen lassen [6, 20, 37]. Zu den Risikofaktoren für Rückenschmerzen, die in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen gehäuft vorkommen, gehören mit dem Arbeitsplatz verbundene körperliche Belastungen (z. B. Tragen, Heben, Stehen, Vibrationen, ungünstige Körperhaltungen) [25, 42], mangelnde Gestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz und eine geringe Arbeitszufriedenheit [17], aber auch Lebensstilfaktoren wie Übergewicht [43] und wenig Bewegung [29]. Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen könnten zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass geringe finanzielle Mittel häufig auch mit psychosozialen Risikofaktoren wie Stress, Zukunftssorgen, Depressivität und Ängsten einhergehen, während gesundheitsförderliche Maßnahmen zur Bewältigung von Rückenbeschwerden (z. B. Entspannungsangebote) nicht zuletzt auch aus Kostengründen seltener ergriffen werden. Ein weiterer, im Sinne von „Health Literacy“ insbesondere über den Bildungsgrad vermittelter Erklärungspfad, könnte ein geringeres Wissen um Möglichkeiten zur Stärkung der Rückengesundheit sowie eine geringere Inanspruchnahme gezielter Interventionen (z. B. Rückenschulen, Kursangebote) sein [44,45,46]. Hierfür spricht auch der Befund, dass gesundheitlich relevante Kompetenzen mit steigendem Bildungsgrad zunehmen, während gleichzeitig ein geringes Maß entsprechender Kompetenzen mit stärkeren körperlichen Schmerzen assoziiert ist [47]. Dass der soziale Gradient für die Chronifizierung und das erneute Auftreten von Rückenschmerzen deutlich stärker ausgeprägt ist als für deren erstmaliges Auftreten [20, 37], dürfte damit zusammenhängen, dass sich der Umgang mit Rückenschmerzen („Coping-Strategien“) ebenfalls zwischen den Bildungs‑, Berufs- und Einkommensgruppen unterscheidet.

Fazit

Chronische Rückenschmerzen sind die häufigste Schmerzbeschwerde Erwachsener [2] und aus Public-Health-Sicht nicht zuletzt aufgrund ihrer weiten Verbreitung und der mit ihnen verbundenen Kosten relevant [6]. Die vorliegenden Ergebnisse sind jedoch auch für Ärzte und andere Berufsgruppen, die mit Rückenschmerzpatienten arbeiten, von Bedeutung, da Rückenschmerzen zu den häufigsten Anlässen für die Konsultation von Hausärzten, Orthopäden und Physiotherapeuten zählen. Um Rückenschmerzen zu vermeiden oder zu lindern, empfiehlt die Nationale VersorgungsLeitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ u. a. regelmäßige körperliche Bewegung, Information und Schulung über die Entstehung und den Verlauf von Rückenschmerzen sowie die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen [16]. Rückenschmerzen bzw. die Gestaltung einer rückenfreundlichen Umgebung in Unternehmen sind auch für den Arbeitsschutz und das betriebliche Gesundheitsmanagement ein wichtiges Thema. Insbesondere chronische Rückenschmerzen sind fast immer „mehr als Schmerzen im Rücken“ [48]. Am vielversprechendsten erscheinen daher multimodale Therapie- und Präventionskonzepte, die ausgehend von einem biopsychosozialen Modell der Entstehung von Rückenschmerzen [16, 49] neben körperlichen, psychischen und verhaltensbezogenen Faktoren auch soziale Determinanten – und damit die Lebens- und Arbeitsbedingungen der am häufigsten betroffenen Bevölkerungsgruppen – miteinbeziehen [19, 20].