Hintergrund

Regelmäßige körperliche Aktivität hat einen positiven Einfluss auf die körperliche sowie auf die psychische Gesundheit und trägt sowohl zur Prävention von chronischen Erkrankungen als auch zur Vermeidung von vorzeitiger Sterblichkeit bei [14]. Unter körperlicher Aktivität wird in der Gesundheitsforschung jede körperliche Bewegung verstanden, die durch die Skelettmuskulatur erzeugt wird und den Energieumsatz über den Grundumsatz anhebt. Sport stellt demgegenüber eine historisch-kulturell definierte Untergruppe von körperlicher Aktivität dar, die durch Leistung, Wettkampf und Spaß gekennzeichnet ist und körperliche Bewegung umfasst, die geplant, strukturiert und wiederholt stattfindet [5, 6].

Während noch bis Anfang der 1990er-Jahre ein sportliches Ausdauer- und Krafttraining im Mittelpunkt der allgemeinen Empfehlungen zur gesundheitsförderlichen Bewegung stand, richtet sich das Interesse inzwischen auch auf die moderate Alltagsaktivität. Nach der aktuellen Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation sollten Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren mindestens 150 min pro Woche Bewegung mit mittlerer Intensität oder 75 min pro Woche Bewegung mit höherer Intensität oder eine entsprechende Kombination aus beidem durchführen. Zusätzlich sollte zweimal in der Woche ein muskelkräftigendes Bewegungstraining erfolgen [7].

In diesem Beitrag wird der Fokus auf das mittlere Lebensalter gerichtet, das meist mit einer Phase der beruflichen Konsolidierung und Familiengründung ab einem Alter von etwa 30 Jahren beginnt und mit Eintritt ins Rentenalter endet. Das ist i. d. R. diejenige Phase im Lebensverlauf, die wesentlich durch parallele Anforderungen von Berufstätigkeit und Familienleben geprägt ist und insofern auch als „Rushhour des Lebens“ bezeichnet wird [8]. Zeitliche Spielräume für Freizeitaktivitäten wie sportliche Betätigung dürften dadurch nicht selten enger ausfallen als in anderen Lebensabschnitten. Gleichzeitig verfügen Personen im mittleren Lebensalter im Vergleich zu jungen Erwachsenen und Personen im Rentenalter häufig über ein höheres Maß an sozioökonomischen Ressourcen [9, 10], was wiederum Möglichkeiten für sportliche Freizeitaktivitäten eröffnet. Körperliche Bewegung findet jedoch nicht nur in der Freizeit statt, sondern ist bei Erwerbstätigen vielfach Bestandteil der beruflichen Tätigkeit. So erfordern insbesondere einfache manuelle Berufe körperlich anstrengende Arbeiten, die meist von Ungelernten oder Geringqualifizierten ausgeübt werden. Besserqualifizierte wie auch Besserverdienende verbringen auf der Arbeit dagegen vergleichsweise mehr Zeit im Sitzen [11].

Vor diesem Hintergrund wird im vorliegenden Beitrag den folgenden Fragen nachgegangen:

  1. 1.

    Inwieweit stehen körperliche Aktivität sowie regelmäßiges Sporttreiben als spezifischere Form körperlicher Betätigung im Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status (SES) von Erwerbstätigen im mittleren Lebensalter?

  2. 2.

    Welche relative Bedeutung kommt den Einzeldimensionen des SES (Bildung, Beruf, Einkommen) für das Bewegungsverhalten der Erwerbstätigen zu?

  3. 3.

    Bestehen bezüglich der Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität bzw. regelmäßigem Sporttreiben und den sozioökonomischen Merkmalen geschlechtsspezifische Unterschiede?

Methode

Stichprobe und Datenerhebung

Die Analysen basieren auf Daten der Querschnittsstudie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA), die regelmäßig vom Robert Koch-Institut als Komponente des bundesweiten Gesundheitsmonitorings durchgeführt wird [12]. Ziel der GEDA-Studie ist es, aktuelle Daten zum Gesundheitszustand, zu Einflussfaktoren der gesundheitlichen Lage und zur Nutzung des Gesundheitssystems von Erwachsenen in Deutschland für die Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitspolitik bereitzustellen. Für die Auswertungen dieses Beitrags wurden die Daten der konsekutiven Erhebungswellen 2009 und 2010 gepoolt, um die Fallzahl für die Analysen und damit die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen. Beide Erhebungen basieren auf Zufallsstichproben von Telefonnummern aus dem deutschen Festnetz, die mithilfe des Gabler-Häder-Verfahrens [13] generiert wurden. Die Grundgesamtheit bildet die erwachsene Bevölkerung Deutschlands, die in Privathaushalten lebt und über einen Festnetzanschluss erreichbar ist.

In den Zeiträumen von Juli 2008 bis Juni 2009 (GEDA 2009) sowie von September 2009 bis Juli 2010 (GEDA 2010) wurden insgesamt 43.312 Personen computergestützt per Telefon zu gesundheitsbezogenen Themen und soziodemografischen Merkmalen befragt. Die Interviews dauerten im Durchschnitt eine halbe Stunde. Die „Response Rate 3“ der American Association for Public Opinion Research (AAPOR) [14], eine international verwendete Standarddefinition für die Berechnung der Stichprobenausschöpfung, lag bei 29,1 % in GEDA 2009 und 28,9 % in GEDA 2010. Die Kooperationsrate bezogen auf alle kontaktierten Zielpersonen betrug 51,2 % für GEDA 2009 und 55,8 % für GEDA 2010. Weiterführende Informationen zur Methodik, den Inhalten und Ergebnissen der Studie sind bei Lange et al. (2015) [15] zu finden. Für die Analysen wurden ausschließlich die Daten von Befragten im mittleren Lebensalter zwischen 30 und 64 Jahren berücksichtigt, die zum Zeitpunkt der Befragung erwerbstätig waren (n = 21.699).

Indikatoren

Körperliche Aktivität

Bei der Erhebung des Bewegungsverhaltens wurde zwischen körperlicher Aktivität allgemein und sportlicher Betätigung unterschieden [5]. Zur Erfassung körperlicher Aktivität dienten zwei Fragen, die sich auf die regelmäßige Häufigkeit und Dauer körperlicher Betätigung bezogen. Zunächst wurden die Teilnehmer gefragt, an wie vielen Tagen sie in einer durchschnittlichen Woche solchermaßen aktiv sind, dass sie ins Schwitzen kommen oder außer Atem geraten. Diese Definition wurde in Anlehnung an die Empfehlungen des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) [16] gewählt, mit dem Ziel mindestens mäßig anstrengende Aktivitäten zu erfassen, die mit einem Anstieg der Herz- oder Atemfrequenz einhergehen. Anschließend folgte die Frage, wie lange die Teilnehmenden an diesen Tagen durchschnittlich aktiv sind (Antwortkategorien: „60 min und mehr“, „30 min bis unter 60 min“, „10 bis unter 30 min“, „weniger als 10 min“). Auf Basis der Angaben wurde näherungsweise bestimmt, ob die WHO-Empfehlung von mindestens 2,5 h pro Woche erfüllt ist [7]. Dazu wurde jeweils der Mittelwert der Antwortkategorien zur Dauer der Aktivität verwendet und die oberste Kategorie mit 60 min konservativ geschätzt [17]. In den Analysen galt demnach als körperlich aktiv, wer näherungsweise ≥ 2,5 h in einer durchschnittlichen Woche aufgrund von körperlicher Bewegung ins Schwitzen kommt oder außer Atem gerät.

Regelmäßiges Sporttreiben

Zur Erfassung der sportlichen Betätigung dienten ebenfalls zwei Fragen, die sich auf die Häufigkeit und Dauer entsprechender Aktivitäten bezogen. Zunächst wurde ermittelt, ob die Teilnehmer in den letzten drei Monaten vor der Befragung Sport betrieben. Bei Bejahung folgte die Frage, wie viele Stunden es näherungsweise wöchentlich waren (Antwortkategorien: „mehr als 4 h“, „bis zu 4 h“, „bis zu 2 h“, „bis zu 1 h“ oder „weniger“). In den Analysen wurde von regelmäßigem Sporttreiben ausgegangen, wenn eine sportliche Betätigung von > 2 h pro Woche während der letzten drei Monate berichtet wurde [17, 18].

Sozioökonomische Merkmale

Sozioökonomische Unterschiede in der körperlich-sportlichen Aktivität wurden sowohl mithilfe eines mehrdimensionalen additiven SES-Index als auch anhand der statusbildenden Einzeldimensionen Bildung, Beruf und Einkommen analysiert. Der SES-Index beruht auf Informationen zum Bildungsstand, zum Berufsstatus sowie zur Einkommenssituation der Befragten [9]. Die Erfassung des Bildungsstands erfolgte mithilfe der CASMIN-Bildungsklassifikation, die auf Informationen zu schulischen und beruflichen Bildungsabschlüssen der Befragten basiert [19]. Für die Ermittlung des Berufsstatus wurde auf den International Socio-Economic Index of Occupational Status (ISEI) nach Ganzeboom et al. [20] zurückgegriffen. Die Einkommenssituation der Befragten wurde über das Nettoäquivalenzeinkommen bestimmt, für das eine Bedarfsgewichtung des Haushaltsnettoeinkommens mithilfe der neuen OECD-Äquivalenzskala vorgenommen wurde, um Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften in Mehrpersonenhaushalten zu berücksichtigen [21]. Für die Berechnung des mehrdimensionalen SES-Index wurden diese Merkmale zunächst auf drei metrische Subskalen mit einem Wertebereich von 1,0 bis 7,0 überführt. Anschließend wurden die Punktwerte der drei Subskalen zu einem Summenscore mit einem Wertebereich von 3,0 bis 21,0 addiert. Für die Auswertungen wurde eine verteilungsbasierte Kategorisierung des Index vorgenommen, sodass die niedrige und hohe Statusgruppe jeweils 20 % (Quintil 1 bzw. Quintil 5) und die mittlere Statusgruppe 60 % (Quintile 2 bis 4) der Gesamtbevölkerung umfassen [9].

Die Verwendung dieses additiven SES-Index ermöglicht es einerseits kumulative Effekte der Einzeldimensionen Bildung, Berufsstatus und Einkommen zu erkennen. Andererseits wird die relative Bedeutung der Einzeldimensionen durch die Verwendung des Index verdeckt [22]. Somit wurden die Einzeldimensionen in zusätzlichen Analysen separat betrachtet, wofür die drei Subskalen des SES-Index herangezogen wurden. Diese wurden ebenfalls auf Basis von Quintilen, die sich auf die Gesamtbevölkerung bezogen, in die Kategorien niedrig (Quintil 1), mittel (Quintile 2 bis 4) und hoch (Quintil 5) eingeteilt. Die entsprechenden Verteilungen der Merkmale in der Untersuchungspopulation sind in Tab. 1 ausgewiesen.

Tab. 1 Charakteristika der Untersuchungspopulation (Erwerbstätige im Alter zwischen 30 und 64 Jahren, n = 21.699)

Statistische Methoden

Mittels Kreuztabellenanalyse wurden jeweils die Anteile körperlich aktiver sowie regelmäßig Sport treibender Männer und Frauen differenziert nach sozioökonomischen Merkmalen berechnet. Von statistisch signifikanten Unterschieden wurde ausgegangen, wenn sich die 95 %-Konfidenzintervalle (KI) der Anteilwerte nicht überschnitten und/oder die entsprechenden p-Werte aus χ2-Unabhängigkeitstests < 0,05 lagen.

Als zusammenfassendes Maß für sozioökonomische Unterschiede in der körperlich-sportlichen Aktivität diente der Relative Index of Inequality (RII). Der RII ist ein regressionsbasiertes Maß für gesundheitliche Ungleichheit, das die gesamte Verteilung einzelner Kategorien eines sozioökonomischen Merkmals in einer Population berücksichtigt und zudem Unterschiede in der Größe der einzelnen Statusgruppen zwischen verschiedenen Populationen (z. B. Männer und Frauen) beseitigt [23]. Diese Eigenschaften des RII stellen einen zentralen Vorteil gegenüber Maßen dar, die lediglich zwei Gruppen hinsichtlich gesundheitlicher Eigenschaften miteinander vergleichen (z. B. Odds Ratios). Darüber hinaus ermöglicht der RII, das Ausmaß der relativen Ungleichverteilung von gesundheitsrelevanten Merkmalen zwischen verschiedenen Populationen sowie nach verschiedenen sozioökonomischen Merkmalen zu vergleichen.

Der RII wurde mittels log-binomial-Regression berechnet, wie es für Querschnittsdaten in der Literatur empfohlen wird [24, 25]. Als unabhängige Variablen dienten die umgekehrten Ridit Scores [26, 27] des SES-Index sowie der metrischen Subskalen für Bildung, Berufsstatus und Einkommen. Die abhängigen Variablen waren binäre Variablen für körperliche Aktivität und regelmäßiges Sporttreiben. In einem ersten Schritt (Modell 1) wurden separate Regressionsmodelle mit jeweils einem sozioökonomischen Merkmal als unabhängiger Variable berechnet. In einem zweiten Schritt (Modell 2) wurden Bildung, Berufsstatus und Einkommen gemeinsam in einem Modell betrachtet, um diese Merkmale wechselseitig zu kontrollieren und damit ihre relative Bedeutung für die körperliche Aktivität bzw. regelmäßiges Sporttreiben zu ermitteln. In allen Modellen wurde für das Lebensalter der Befragten kontrolliert. Die resultierenden RIIs können als Verhältnis des statistischen Risikos für das jeweilige Outcome bei Personen mit dem niedrigsten gegenüber Personen mit dem höchsten Status interpretiert werden [23]. Dabei steht ein RII < 1 für ein vermindertes Risiko, während ein RII > 1 ein erhöhtes Risiko anzeigt.

Alle Analysen wurden getrennt für Männer und Frauen durchgeführt, um geschlechterspezifische Aussagen treffen zu können. Durch die Verwendung von Gewichtungsfaktoren wurde das Stichprobendesign berücksichtigt und die Stichprobenzusammensetzung an die Alters-, Geschlechter-, Bildungs- und Regionalverteilung der Grundgesamtheit angepasst, um Effekte systematischer Nicht-Teilnahme zu reduzieren. Als Referenz diente die amtliche Statistik (Bevölkerungsfortschreibung zum 31.12.2008, Mikrozensus 2008). Alle Analysen wurden mit den Prozeduren für Survey-Daten des Statistikprogramms Stata 13.1 SE durchgeführt.

Ergebnisse

Nach den Daten der GEDA-Studie sind deutschlandweit insgesamt 43,4 % (95 %-KI = 42,5–44,2) der Erwerbstätigen im Alter zwischen 30 und 64 Jahren körperlich aktiv. Unter Männern liegt dieser Anteil signifikant höher (45,0 %; 95 %-KI = 43,8–46,3) als unter Frauen (41,3 %; 95 %-KI = 40,2–42,5; p < 0,001). Der Anteil regelmäßig Sporttreibender beträgt in dieser Bevölkerungsgruppe insgesamt 43,6 % (95 %-KI = 42,7–44,4); dabei lassen sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen Männern (43,8 %; 95 %-KI = 42,6–45,0) und Frauen (43,3 %; 95 %-KI = 42,2–44,4; p = 0,548) feststellen.

Die nach SES und Geschlecht differenzierte Betrachtung zeigt, dass sowohl die körperliche Aktivität als auch regelmäßiges Sporttreiben mit dem SES von erwerbstätigen Männern und Frauen in Beziehung stehen. Die Muster lassen sich jeweils als soziale Gradienten beschreiben, die allerdings für körperliche Aktivität und regelmäßiges Sporttreiben in konträre Richtungen verlaufen: Während die Prävalenz körperlicher Aktivität mit sinkendem SES ansteigt (Abb. 1), nimmt der Anteil regelmäßig Sporttreibender mit sinkendem SES ab (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Körperliche Aktivität (mind. 2,5 h/Woche) nach sozioökonomischem Status bei erwerbstätigen Männern und Frauen im mittleren Lebensalter

Abb. 2
figure 2

Regelmäßiges Sporttreiben (> 2 h/Woche während der letzten 3 Monate) nach sozioökonomischem Status bei erwerbstätigen Männern und Frauen im mittleren Lebensalter

Diese Zusammenhänge zwischen dem SES und körperlich-sportlicher Aktivität bleiben auch bei statistischer Kontrolle für das Lebensalter der Befragten bestehen. Demnach ist das statistische Risiko für körperliche Aktivität bei erwerbstätigen Männern mit der niedrigsten SES-Position gegenüber gleichaltrigen Männern mit der höchsten SES-Position um den Faktor 1,7 erhöht (RII = 1,73; 95 %-KI = 1,58–1,91; p < 0,001). Für erwerbstätige Frauen liegt dieses Risikoverhältnis ähnlich hoch (RII = 1,56; 95-%-KI = 1,41–1,72; p < 0,001). Das statistische Risiko regelmäßig Sport zu treiben ist bei Erwerbstätigen mit der niedrigsten SES-Position in etwa um die Hälfte geringer als bei Gleichaltrigen mit der höchsten SES-Position (Männer: RII = 0,46; 95-%-KI = 0,42–0,51; p < 0,001; Frauen: RII = 0,50; 95-%-KI = 0,46–0,55; p < 0,001).

In weiterführenden Analysen wurden die SES-Einzeldimensionen Bildung, Berufsstatus und Einkommen separat betrachtet, um ihre relative Bedeutung für das Aktivitätsverhalten von Erwerbstätigen zu untersuchen. Die Ergebnisse bivariater Analysen zeigen zunächst, dass alle drei Einzeldimensionen jeweils signifikante Zusammenhänge mit den beiden Aktivitätsindikatoren aufweisen (Tab. 2). Dabei liegt der Anteil körperlich Aktiver in den unteren Statusgruppen stets höher als in den oberen, während für den Anteil regelmäßig Sporttreibender das Gegenteil der Fall ist.

Tab. 2 Körperliche Aktivität und regelmäßiges Sporttreiben nach Bildung, Berufsstatus und Einkommen bei erwerbstätigen Männern und Frauen im mittleren Lebensalter

Auch bei statistischer Kontrolle für das Lebensalter der Befragten bleiben die Zusammenhänge der drei Einzeldimensionen mit der körperlichen Aktivität und regelmäßigem Sporttreiben jeweils bestehen (Tab. 3, Modell 1). Werden die Einzeldimensionen zusätzlich wechselseitig kontrolliert, zeigt sich, dass der Bildungsstand und Berufsstatus jeweils eigenständig mit der körperlichen Aktivität assoziiert sind, während für das Einkommen kein eigenständiger Effekt zu verzeichnen ist (Tab. 3, Modell 2). Die größten Unterschiede in der körperlichen Aktivität finden sich zwischen erwerbstätigen Männern mit niedrigem und hohem Berufsstatus.

Tab. 3 Ausmaß relativer Unterschiede in der Verbreitung von körperlicher Aktivität und regelmäßigem Sporttreiben nach Bildung, Berufsstatus und Einkommen bei erwerbstätigen Männern und Frauen im mittleren Lebensalter

Für das regelmäßige Sporttreiben haben hingegen sowohl Bildung und Berufsstatus als auch das Einkommen jeweils einen eigenständigen Stellenwert, was darin zum Ausdruck kommt, dass alle drei Einzeldimensionen auch bei wechselseitiger Kontrolle mit regelmäßigem Sporttreiben assoziiert sind. Am deutlichsten treten die Unterschiede im regelmäßigen Sporttreiben zwischen erwerbstätigen Männern mit niedrigem und hohem Bildungsstand zutage.

Diskussion

Ziel dieser Arbeit ist die Analyse von sozioökonomischen Unterschieden in der körperlichen und sportlichen Aktivität von Erwerbstätigen im mittleren Lebensalter. Die Ergebnisse weisen auf deutliche Unterschiede im Bewegungsverhalten dieser Bevölkerungsgruppe nach sozioökonomischen Merkmalen hin. Dabei zeigt sich allerdings nicht, dass Bewegungsmangel generell in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen besonders verbreitet ist. Es gilt vielmehr zwischen verschiedenen Bereichen körperlicher Bewegung, wie sportlicher Betätigung und körperlicher Aktivität allgemein, zu differenzieren. So treiben Erwerbstätige mit niedrigem SES den Ergebnissen zufolge zwar anteilig seltener Sport als jene mit höherem SES, sie sind jedoch gegenüber statushöheren Gruppen insgesamt körperlich aktiver. Dieser Befund, der für Männer und Frauen gleichermaßen gilt, geht mit einer Vielzahl anderer Studien konform [18, 2831].

Ein besonderes Augenmerk der Auswertungen lag auf der relativen Bedeutung von Bildung, Beruf und Einkommen für das Bewegungsverhalten der Erwerbstätigen. Die größten Unterschiede in der körperlichen Aktivität fanden sich zwischen erwerbstätigen Männern mit niedrigem und hohem Berufsstatus. Dies dürfte insbesondere darauf zurückzuführen sein, dass Männer in Berufen mit niedrigem Status vermehrt manuelle Tätigkeiten ausführen, die körperlich anstrengender sind, als die beruflichen Tätigkeiten von Berufen mit höherem Status, die häufiger sitzend verrichtet werden [18, 29, 30]. Gleichzeitig zeigen die GEDA-Daten, dass Männer und Frauen mit niedrigem Berufsstatus anteilig seltener Sport treiben als jene in Berufen mit höherem Status. Eine Erklärung dafür dürfte sein, dass eine körperlich anstrengende Arbeit die Wahrscheinlichkeit für eine Aufnahme sportlicher Betätigung deutlich verringert [18, 32]. Studien zeigen, dass sozioökonomische Unterschiede in der körperlich-sportlichen Betätigung im Kindes- und Jugendalter weniger stark ausgeprägt sind als im Erwachsenenalter [28, 33, 34] und scheinbar erst mit dem Eintritt in das Berufsleben auftreten [35]. Allgemein nimmt die körperliche Arbeit bei Vollzeitberufstätigen etwa 8 h pro Tag ein, während die sportliche Betätigung nach der Arbeit normalerweise wesentlich kürzer ist [36]. Es scheint, dass es Berufstätigen mit hauptsächlich sitzenden Tätigkeiten (i. d. R. Erwachsene mit höherem Berufsstatus) nicht gelingt, durch sportliche Betätigung nach der Arbeit die körperliche Aktivität zu erreichen, auf die Berufstätige mit vorwiegend körperlicher Arbeit (i. d. R. Erwachsene mit niedrigerem Berufsstatus) während der Arbeitszeit kommen [18, 28, 29, 37].

Was die Gesundheitsrelevanz von körperlicher Aktivität betrifft, so wirkt sich insbesondere mäßig bis anstrengende aerobe körperliche Aktivität positiv auf das kardiovaskuläre und metabolische Risikoprofil aus [38]. Sport besteht zu einem großen Teil aus aeroben Aktivitäten (Joggen, Fahrradfahren, Schwimmen, Fußball), während körperliche Arbeit nur in seltenen Fällen aeroben Aktivitäten gleicht [39], sondern meist anaerobe Aktivitäten von kurzer Dauer (z. B. Heben und Tragen von Gegenständen) oder längerfristige Aktivitäten umfasst, die eine zu geringe Intensität aufweisen, um einen positiven Einfluss auf die kardiorespiratorische Fitness zu entfalten [33, 40]. Im Einklang mit dieser Hypothese wurde im Rahmen der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) gezeigt, dass keine SES-Unterschiede hinsichtlich der kardiorespiratorischen Fitness bei Männern bestehen [41]. Allerdings führt ein hoher Gesamtenergieverbrauch langfristig zu einem erhöhten Energiebedarf, den Personen aus sozioökonomisch benachteiligten Gruppen mit einer eher ungesunden energiereichen Nahrung zu decken scheinen [42, 43], was wiederum negative Auswirkung auf das kardiovaskuläre und metabolische Risikoprofil haben könnte.

Den GEDA-Ergebnissen zufolge hat neben dem Berufsstatus auch die Bildung eine eigenständige Bedeutung für die körperliche Aktivität von Erwerbstätigen, und für regelmäßiges Sporttreiben sogar die stärkste Bedeutung unter den drei SES-Indikatoren. Dies steht im Einklang mit einer Übersichtsarbeit von Gidlow et al. [44], die ebenfalls zeigt, dass der Bildungsstand im Vergleich zum Berufsstatus und dem Einkommen die stärksten Assoziationen mit sportlicher Betätigung aufweist. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass eine höhere Bildung mit einer besseren Gesundheitskompetenz einhergeht, die wiederum mit einem höheren Gesundheitsbewusstsein und häufigerer sportlicher Betätigung verbunden ist, was sich auch unter Erwachsenen in Deutschland beobachten lässt [45].

Für das regelmäßige Sporttreiben zeichnet sich in den vorliegenden Ergebnissen auch ein eigenständiger Effekt des Einkommens ab. So dürfte eine bessere Ausstattung mit finanziellen Mitteln größere Handlungsspielräume für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie auch für die Freizeitgestaltung ermöglichen. Zudem kann ein höheres Einkommen die Aufnahme und Aufrechterhaltung von regelmäßigem Sporttreiben z. B. dadurch begünstigen, dass eine Mitgliedschaft im Sportverein, bestimmte Sportgeräte, Sportbekleidung und -ausrüstung leichter zugänglich sind als bei geringem Einkommen und dadurch potenziell ein breiteres Spektrum an Sportarten zur Verfügung steht.

Das Studiendesign der GEDA-Studie und die verwendeten statistischen Verfahren erlauben es, auf Basis der Daten bundesweit repräsentative Aussagen zu treffen. Durch das Poolen von Daten der beiden konsekutiven Erhebungswellen 2009 und 2010 konnten die Analysen auf Basis einer relativ umfassenden Datengrundlage mit Informationen von über 21.000 erwerbstätigen Männern und Frauen im mittleren Lebensalter durchgeführt werden. Durch das Studiendesign und die Methoden der Datenerhebung ergeben sich aber auch verschiedene Limitationen. Zum einen ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu beachten, dass es sich um eine Studie im Querschnittdesign handelt. Demnach wurden alle Merkmale zum gleichen Zeitpunkt erhoben und es können keine Aussagen über Kausalität und Kausalrichtung der untersuchten Zusammenhänge getroffen werden. Zum anderen ist die Aussagekraft der Ergebnisse dadurch begrenzt, dass die Daten auf Selbstangaben der Befragten basieren. Mögliche Effekte, z. B. durch sozial erwünschtes Antwortverhalten (Social Desirability Bias), sind hierbei nicht auszuschließen. Mit sozial erwünschten Antworten ist in Befragungsstudien mit Interviewern, wie sie in den Telefoninterviews in GEDA 2009 und 2010 zum Einsatz kamen, besonders zu rechnen [46]. Allerdings sind in der Regel nur besonders sensitive Indikatoren davon betroffen. So lässt sich beobachten, dass Befragte in Telefoninterviews eine häufigere sportliche Betätigung – eine Verhaltensweise, die als sozial sehr erwünscht gilt – angeben, als in Fragebögen [47].

Sportliche Betätigung wird konzeptuell meist als ein Teilbereich körperlicher Aktivität verstanden [6]. Der Anteil regelmäßig Sporttreibender kann in den dargestellten Ergebnissen allerdings in bestimmten Gruppen über dem Anteil körperlich Aktiver liegen, da die Befragten bei der Abfrage der sportlichen Betätigung auch Aktivitäten berücksichtigen konnten, bei denen sie nicht „ins Schwitzen oder außer Atem geraten“, wie es der Definition der körperlichen Aktivität im Fragebogen entspricht [17]. Dies könnten beispielsweise Übungen im Rahmen von Rehabilitationssport oder bestimmte Yoga- und Gymnastikübungen sein.

Hinsichtlich der Ergebnisse zur relativen Bedeutung von Bildung, Beruf und Einkommen für die körperliche Aktivität und das regelmäßige Sporttreiben ist zu berücksichtigen, dass bei der Erfassung des Bildungsstands und des Berufsstatus im Vergleich zum Einkommen ein geringerer Fehler entstanden sein könnte. Womöglich erinnern sich Befragte an ihren höchsten Bildungsabschluss und die berufliche Stellung besser als an die Summe der Einkommen aller in ihrem Haushalt lebenden Personen nach Abzug von Steuern und Abgaben. Dies hätte zur Folge, dass Assoziationen zwischen den Aktivitätsindikatoren und dem Einkommen nicht aufgedeckt werden (Typ-2-Fehler) oder schwächer ausfallen als sie möglicherweise sind.

Letztlich ist die Stichprobenausschöpfung bei der Interpretation und Bewertung der Ergebnisse zu berücksichtigen. So könnten systematische Teilnahmeverweigerungen zu Stichprobenverzerrungen und dadurch bedingte Verzerrungen der Ergebnisse geführt haben (Selection Bias). Allerdings wurden durch die in den Analysen verwendete Gewichtungsprozedur systematische Stichprobenausfälle entlang bekannter Merkmale (Alter, Geschlecht, Bildung, Wohnregion) statistisch ausgeglichen, um einem möglichen Selection Bias entgegenzuwirken. Zu beachten ist auch, dass die Interviews ausschließlich in deutscher Sprache durchgeführt wurden, was wahrscheinlich zu einer Unterrepräsentation der Personen ohne deutsche Sprachkenntnisse geführt hat.

Trotz der genannten Limitationen lassen die vorliegenden Ergebnisse einige Ansatzpunkte für Maßnahmen zur Bewegungsförderung für Erwerbstätige in Deutschland erkennen, zumal mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Männer und Frauen zwischen 30 und 64 Jahren den Ergebnissen zufolge weniger als zweieinhalb Stunden pro Woche körperlich aktiv sind. Auch der Anteil regelmäßig Sporttreibender liegt in dieser Bevölkerungsgruppe unter 50 %. Die gefundenen Unterschiede im Bewegungsverhalten von Erwerbstätigen nach sozioökonomischen Merkmalen verdeutlichen, dass Aspekte der sozialen Lage bei der Planung, Umsetzung, Qualitätsentwicklung und Evaluation von bewegungsfördernden Maßnahmen systematisch berücksichtigt werden sollten, um die Chancengleichheit im Zugang zu Bewegungsmöglichkeiten im Auge zu behalten und langfristig zu verbessern. Neben dem Betrieb bzw. der Arbeitsstätte von Erwerbstätigen stellen auch Kommunen mit ihren Nachbarschaften, Sportvereinen, öffentlichen Freiflächen, Straßen, Fuß- und Radwegen wichtige Orte für Maßnahmen zur Bewegungsförderung dar [48, 49]. Aber auch bei Personen, die bereits regelmäßig körperlich aktiv sind, weil sie körperlich schwer arbeiten, gilt es im Rahmen von Arbeitsschutz und betrieblichem Gesundheitsmanagement dafür Sorge zu tragen, gesundheitsschädliche Effekte von körperlich schwerer Arbeit (z. B. Folgen für das Muskel-Skelett-System) zu vermeiden und gesundheitsförderliche Bewegung in den Arbeitsalltag der Beschäftigten zu integrieren.

Als Hinweis auf erste Erfolge von Programmen zur Steigerung körperlicher Bewegung in der Bevölkerung kann der Befund gedeutet werden, dass seit einigen Jahren eine zunehmende Sportbeteiligung von Erwachsenen in Deutschland zu beobachten ist [17, 50]. Unklar ist jedoch noch, inwieweit diese Entwicklung in allen sozioökonomischen Statusgruppen stattfand, oder ob allein in höheren Statusgruppen heute mehr Sport getrieben wird als früher. So ist es denkbar, dass die Sportbeteiligung zwar insgesamt gestiegen ist, gleichzeitig aber auch die sozioökonomischen Unterschiede in der sportlichen Betätigung zugenommen haben. Diesen Fragen sollte in künftigen Untersuchungen nachgegangen werden. Mit den Daten, die zurzeit im Rahmen der aktuellen GEDA-Welle erhoben werden, kann künftig zwischen spezifischeren Formen und Bereichen körperlich-sportlicher Aktivität (bei der Arbeit, zur Fortbewegung, in der Freizeit) differenziert werden. Darüber hinaus werden auch die Gründe für körperliche Aktivität bzw. Inaktivität ermittelt. Damit können die Daten weiteren Aufschluss über das Bewegungsverhalten von Erwachsenen in Deutschland sowie über die Bedeutung von sozioökonomischen Faktoren für die körperlich-sportliche Aktivität im Erwachsenenalter liefern.