Gesundheitsökonomie als Teilgebiet des HTA

HTA gewinnt als Steuerungs- und Regulierungsinstrument medizinischer Technologien immer mehr an Bedeutung. Neben der Beurteilung der medizinischen Effektivität werden in diesem Zusammenhang zunehmend auch gesundheitsökonomische Studienergebnisse herangezogen. Insbesondere bei medizinischen Neuerungen wird angesichts budgetierter Mittel die Frage nach ihrem medizinischen Mehrwert gegenüber bestehenden Technologien gestellt (value for money). Darüber hinaus kann HTA einen Beitrag dazu leisten, dass die Adaptation gesundheitspolitisch erwünschter neuartiger Technologien (promising technologies) beschleunigt wird.

Normativ lässt sich die Notwendigkeit der Frage nach den Kosten medizinischer Technologien im Verhältnis zu deren Nutzen mit der Knappheit vorhandener Ressourcen und der hieraus erwachsenen Tatsache erklären, dass Entscheidungen jeglicher Art bei der medizinischen Versorgung auch gleichzeitig Allokationsentscheidungen darstellen. Ziel der gesundheitsökonomischen Bewertung im Rahmen von HTA ist es daher, vorhandene gesundheitsökonomische Evidenz zu sichten, zu bewerten und schließlich Empfehlungen darüber abzuleiten, welche Gesundheitsleistungen im Hinblick auf ihre Effizienz in einem Gesundheitssystem vorgehalten (bzw. erstattet) werden sollten. Durch die Berücksichtigung der Kosten und der Nutzen medizinischer Technologien sollen Entscheidungsprozesse transparenter, als dies bei einer intuitiven Beurteilung der Fall ist, gestaltet werden.

Obwohl grundsätzlich das gesamte Spektrum medizinischer Technologien Gegenstand von HTA sein kann, ist auffällig, dass international vor allem Arzneimittel einer gesundheitsökonomischen Bewertung unterzogen werden. Die Konzentration auf Arzneimittel kann damit begründet werden, dass es sich hierbei um denjenigen Sektor unter den medizinischen Leistungsarten mit den höchsten Steigerungsraten handelt, sodass aus gesundheitspolitischer Sicht eine Regulierung und Steuerung notwendig erscheint. Ebenso liegen für Arzneimittel gesundheitsökonomische Daten in größerem Umfang als für andere Leistungsarten vor. Dieses kann darauf zurückgeführt werden, dass bei Arzneimitteln der Nachweis der Wirksamkeit eines der Hauptkriterien der Zulassung darstellt. Hierauf aufbauend lassen sich dann gesundheitsökonomische Evaluationen durchführen.

Im vorliegenden Beitrag sollen zunächst theoretische und methodische Aspekte der gesundheitsökonomischen Evaluation im HTA-Prozess erläutert werden, um dann die gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft für Gesundheitsleistungen, die für die Beurteilung von Kosteneffektivitäten wichtig ist, detaillierter zu betrachten. Dabei soll ferner die politische Verwertung von HTA-Berichten zur Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit von Gesundheitsleistungen im Rahmen nationaler Gesundheitssysteme dargelegt werden. In einem Ausblick wird schließlich sowohl die Zukunft der Methodik als auch die weitere gesundheitspolitische Nutzung von Ergebnissen gesundheitsökonomischer HTA-Berichte diskutiert.

Theoretische Grundlagen und internationaler Einsatz ökonomischer Evaluationen in Health Technology Assessments

Die ökonomische Wohlfahrtstheorie nach von Neumann und Morgenstern (1944) [1] stellt die Grundlage der ökonomischen Evaluation dar. Man spricht nach dieser Theorie von (technischer) Effizienz, wenn ein Optimum an gesellschaftlicher Wohlfahrt bei vorgegebenen Mitteln erreicht ist (ökonomisches Prinzip). Die Forderung kann auch lauten, bei vorgegebener Qualität und Menge eines Leistungsbündels minimale Ressourcenmengen einzusetzen. Vor allem im Verkehrswesen sind entsprechende Studien zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit vor großen öffentlich finanzierten Investitionen wie Brückenbauprojekten seit Jahren Pflicht. In den letzten Jahren hat u. a. im Zuge des weltweiten Trends zur Bewertung medizinischer Technologien im Rahmen von HTA auch die Anzahl gesundheitsökonomischer Evaluationen international stark zugenommen.

Im Gesundheitswesen werden Güter und Leistungen (neben Arzneimitteln auch medizinische Geräte und Verfahren) sowie komplette Gesundheitsprogramme und Organisationseinheiten in der Gesundheitsversorgung (z. B. Intensivstationen) dann als effizient bezeichnet, wenn sie bei festgelegtem Budget (z. B. Arzneimittelbudget) einen möglichst hohen gesundheitlichen Nutzen erzielen. Um diese Effizienz zu ermitteln, wird die Kosteneffektivität der Leistungen berechnet, indem neben ihren erbrachten Mengen auch die Preise für die erforderlichen Ressourcen miteinbezogen werden. Wenn es Alternativen gibt, die das Ergebnis mit einem geringeren Ressourceneinsatz erreichen (also eine höhere Kosteneffektivität aufweisen), werden diese vorgezogen.

In HTA-Berichten mit ökonomischen Fragestellungen werden Studien gesichtet, die zur Frage der Kosteneffektivität und der Ausgabenwirkungen der evaluierten Maßnahmen Informationen liefern. Sie werden beurteilt und zusammengefasst sowie anschließend mit den anderen Aspekten, die für ein HTA von Bedeutung sind (insbesondere die medizinische Effektivität) zu einer Gesamtbeurteilung zusammengefasst. HTA schlägt somit eine Brücke zwischen der Medizin und den Sozial- und Verhaltenswissenschaften. So ergab sich z. B. bei einem HTA zur Therapie der rheumatoiden Arthritis mit TNF-Alpha-Antagonisten die Frage, unter welchen Bedingungen diese vergleichsweise ausgabenintensive Therapiealternative kosteneffektiv sei. Die Schlussfolgerung war, dass noch erheblicher gesundheitsökonomischer Forschungsbedarf bestand, um einen ggf. kosteneffektiven Einsatz dieser Medikamente (z. B. bei bestimmten Subgruppen) zu identifizieren [2].

HTA schlägt eine Brücke zwischen der Medizin und den Sozial- und Verhaltswissenschaften

Vorreiter bei der Berücksichtigung gesundheitsökonomischer Aspekte zur Regulierung und Steuerung medizinischer Technologien sind Großbritannien, Australien sowie die kanadische Provinz Ontario. Diesen Beispielen sind andere Länder wie die Niederlande, Frankreich, Finnland, Portugal und Dänemark gefolgt. Die Bedeutung und die Auswirkungen des HTA fallen in den verschiedenen Ländern Westeuropas sehr unterschiedlich aus. Das englische NICE (National Institute for Health and Clinical Excellence) stellt neben dem R&D-Programm des National Health Service (NHS) eine wesentliche Säule des Health Technology Assessment Programmes dar. Die Gründung des NICE im Jahr 1999 wurde maßgeblich von der Erkenntnis befördert, dass die Qualität medizinischer Leistungen und deren Verfügbarkeit innerhalb des staatlichen britischen Gesundheitssystems in starkem Maß von regionalen Faktoren abhängig war (postcode prescribing) [3]. Im NHS wurde zwar zentral über die grundsätzliche Verfügbarkeit medizinischer Leistungen entschieden, die Entscheidung über deren Anwendung aber auf lokaler Ebene durch die Health Authorities getroffen. Durch die systematische Bewertung vorhandener medizinischer und gesundheitsökonomischer Evidenz sollte das NICE eine einheitliche Bewertungsgrundlage für Allokationsentscheidungen schaffen und auf diesem Weg die Verfügbarkeit neuer medizinischer Technologien erhöhen [4].

Hinsichtlich der Regulierung medizinischer Technologien durch HTA lassen sich international 2 verschiedene Ansätze beobachten: die informationelle und die regulatorische Steuerung [5]. Bei der informationellen Steuerung haben die Ergebnisse des HTA keinen unmittelbaren Einfluss auf die Erbringung und Verfügbarkeit medizinischer Leistungen. Ziel der informationellen Steuerung ist eine Verhaltensänderung der Anwender, ein Ziel, das durch die Bereitstellung von Information und durch freiwilliges gemeinschaftliches Lernen erreicht werden soll. Bei der regulatorischen Steuerung beeinflusst HTA die Verfügbarkeit medizinischer Technologien und deren Preisbildung auf direkte Weise. Beispiel für eine vorwiegende informationelle Steuerung ist das britische NICE, und auch das deutsche HTA-Programm folgt diesem Ansatz. In Australien und Ontario übt das HTA hingegen einen unmittelbaren Einfluss auf die Preisbildung von Arzneimitteln aus, da seine Ergebnisse in die Preisfestsetzung einfließen. Dabei findet der Prozess der Bewertung (Assessment) aber getrennt von der gesundheitspolitischen Entscheidungsfindung (Appraisal) statt. Ziel des Assessments ist es zwar, gesundheitspolitische Entscheidungen durch die Ausarbeitung von Empfehlungen vorzubreiten, aber es ist auch davon auszugehen, dass diese Entscheidungen maßgeblich durch weitere, vorwiegend qualitative Parameter (z. B. politische Opportunität) bestimmt werden.

In Australien wurde die Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln nach Zulassung als Grundlage für die Feststellung der Erstattungsfähigkeit bereits 1993 eingeführt (Pharmaceutical Benefit Scheme, PBS). Demnach können Hersteller von Arzneimittel gegenüber ihren Mitbewerbern nur dann einen höheren Preis realisieren, wenn sie den therapeutischen Mehrwert mit pharmakoökonomischen Daten belegen können. Zu den arzneimittelrechtlich begründeten Erstattungskriterien der Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität tritt mit der Wirtschaftlichkeit eine weitere Anforderung an die Erstattung von Arzneimitteln (die so genannte Vierte Hürde).

Mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen wurde HTA in Deutschland nachhaltig etabliert

Die Bewertung medizinischer Technologien mittels HTA hat heute in Deutschland einen festen Stellenwert. Es steht zwar derzeit noch der informative Charakter der HTA-Berichte im Vordergrund, jedoch ist davon auszugehen, dass die gesundheitspolitische Relevanz der HTA-Ergebnisse zunehmen wird. In Deutschland führen gegenwärtig 2 öffentliche Institutionen HTA durch: das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation (DIMDI) sowie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Zudem verfassen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sowie der Gemeinsame Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen (G-BA) HTA-Berichte. Diese sind jedoch vorwiegend medizinischen Inhaltes. Mit dem IQWiG, das laut gesetzlichem Auftrag im Hinblick auf die Arzneimittel ausschließlich Nutzenbewertungen für den G-BA vornimmt (§ 135 SGB V), ist HTA auch im deutschen Gesundheitssystem nachhaltig etabliert worden. Das DIMDI als Träger der Deutschen Agentur für Health Technology Assessment (DAHTA@DIMDI) gibt dagegen bereits seit 1998 auch ökonomische Assessments in Auftrag; mittlerweile sind 25 Berichte mit ökonomischen Inhalten publiziert (Tabelle 1). Das letztgenannte HTA-Programm geht auf Vorarbeiten der „German Scientific Working Group Technology Assessment in Health Care“ zurück, einer interdisziplinären Wissenschaftlergruppe, die das deutsche HTA-Programm maßgeblich konzipiert und vorbereitet hat.

Tabelle 1 Anzahl der HTA-Berichte beim DIMDI nach Inhalten und Jahr. Stand Dezember 2005

Spezielle Aspekte der Methodik gesundheitsökonomischer Evaluation bei HTA

Bei der gesundheitsökonomischen Bewertung im Rahmen von HTA werden vorwiegend sekundärwissenschaftliche Evidenzen, also vorhandene gesundheitsökonomische Studien herangezogen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass insbesondere bei Technologien zu Beginn ihres Produktzyklus gesundheitsökonomische Studien nicht oder nur in einem geringen Umfang vorliegen. In diesen Fällen kann auch die Erhebung von Primärdaten erfolgen, was allerdings von untergeordneter Bedeutung ist, da die Bearbeitungszeit von HTA-Berichten (z. B. im Vergleich zu medizinischen Bewertungen der Cochrane Collaboration) mit rund 6 Monaten vergleichsweise kurz ist [6]. Um aber dennoch Aussagen beispielsweise zur Kosteneffektivität neuer medizinischer Technologien treffen zu können, werden entscheidungsanalytische Verfahren, wie etwa Markov-Modelle oder Entscheidungsbäume, eingesetzt [7].

Die methodische Vorgehensweise bei der gesundheitsökonomischen Bewertung unterteilt sich in verschiedene Phasen. Den Formulierungen gesundheitsökonomischer Forschungsfragen folgen eine systematische Literaturrecherche und die separate Bewertung relevanter Studien. Die Ergebnisse der Einzelbewertungen werden schließlich verwendet, um die Forschungsfragen zu beantworten und Empfehlungen für die gesundheitsökonomische Entscheidungsfindung auszusprechen.

Folgende Forschungsfragen werden bei der gesundheitsökonomischen Bewertung regelmäßig gestellt, wobei notwendigerweise spezifische Anpassungen im Hinblick auf die jeweilige Technologie vorgenommen werden:

  • Stellt die zu bewertende Technologie eine kosteneffektive Alternative zu bestehenden Technologien dar?

  • Welchen Einfluss hat sie auf die Lebensqualität der Betroffenen?

  • Welchen versorgungsstrukturellen Einfluss hat eine mögliche Implementierung und welchen Effekt hat diese auf den bisherigen Finanzierungsrahmen (Budgetimpact)?

  • Welcher weitere gesundheitsökonomische Forschungsbedarf ist zu identifizieren?

Gegenstand der gesundheitsökonomischen Bewertung sind in erster Linie Kosteneffektivitäts- und Kostennutzwertstudien. Neben diesen Studienformen können auch Kostenstudien relevante Fragen nach den krankheitsbedingten Kosten der betreffenden Indikation sowie nach möglichen finanziellen Auswirkungen einer Anwendung im Rahmen der Regelversorgung (Budgetimpact) beantworten.

Insbesondere bei neuartigen medizinischen Technologien stellt sich häufig die Frage ihres medizinischen Zusatznutzens gegenüber etablierten Technologien und ihrer gesundheitsökonomischen Bewertung. Zur Beantwortung dieser Frage ist die Angabe inkrementeller Kosteneffektivitäts- bzw. Kostennutzwertverhältnisse von besonderem Interesse. Das inkrementelle Kosteneffektivitäts- bzw. Kostennutzwertverhältniss gibt den zusätzlichen finanziellen Mittelbedarf an, der notwendig ist, um eine zusätzliche Einheit des Effektmaßes zu erhalten (z. B. 10.000 EUR pro zusätzlichem qualitätskorrigiertem Lebensjahr (QALY)). Ein hohes inkrementelles Kosteneffektivitätsverhältnis bedeutet, dass große Investitionen erforderlich sind, um medizinische Verbesserungen zu erreichen. Durch inkrementelle Kosteneffektivitätsquotienten lässt sich somit der relative Mehrwert der zu bewertenden medizinischen Technologien gegenüber therapeutischen Alternativen quantifizieren. So gibt das inkrementelle Kosteneffektivitätsverhältnis bei einer wirksameren, aber kostenintensiveren Alternative beispielsweise bei der Schlaganfallprophylaxe die Höhe der zusätzlichen Ausgaben an, die anfallen, um einen weiteren Schlaganfall zu verhindern.

Bei der formalen Bewertung (Assessment) der Qualität gesundheitsökonomischer Studien bzw. bei ihrer Erstellung kommt gesundheitsökonomischen Leitlinien eine zentrale Rolle zu. Deren Verbindlichkeit ist jedoch von der institutionellen Einbindung des HTA in das jeweilige Gesundheitssystem abhängig und ist in Ländern mit einem stärker regulatorischen Steuerungsansatz höher als in solchen, die den informellen Steuerungsansatz verfolgen. In Deutschland kann die Bewertung anhand der Vorgaben des Hannover Konsenses [8] oder einer Checkliste zur Erstellung von HTA erfolgen [9]. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei den Bewertungen ein vergleichsweise großer Freiraum existiert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass seitens des DIMDI, das derzeit die einzige offizielle Institution in Deutschland ist, die in HTA-Berichten auch gesundheitsökonomische Assessments vornehmen lässt, keine bindenden Vorgaben gemacht werden. Gegenstand sowohl der genannten Empfehlungen zur gesundheitsökonomischen Evaluation als auch der HTA-Checkliste sind insbesondere die Wahl der Studienperspektive, die Methodik zur Berechnung der Kosten und des Nutzens sowie der Kosteneffektivität, die Wahl der Vergleichstherapie sowie das methodische Vorgehen bei unsicheren Daten (insbesondere Sensitivitätsanalysen).

Das DIMDI ist gegenwärtig in Deutschland die einzige Institution, die in HTA-Berichten auch gesundheitsökonomische Bewertungen vornehmen lässt

Bei der Bestimmung der relevanten Vergleichsalternative können in HTA-Berichten sowohl die am häufigsten verwendete als auch diejenige mit dem günstigsten Kosteneffektivitätsverhältnis Anwendung finden. Ein Placebovergleich ist dagegen nur dann als geeignet anzusehen, wenn es bislang keine Möglichkeit der Behandlung gab.

Einen ebenso entscheidenden Einfluss auf die Auswahl und die Bewertung der im HTA zu berücksichtigen Primärstudien hat die Perspektive, die gesundheitspolitischen Entscheidungen zugrunde liegt. Diese bestimmt die Ein- und Ausschlusskriterien für die zu bewertenden gesundheitsökonomischen Studien. So können Studien, die die Sichtweise der Leistungserbringer eingenommen haben, kaum Informationen über die Sicht der Krankenversicherung liefern. Als umfassendste Perspektive gilt die gesellschaftliche, die sämtliche Kosten und Nutzen berücksichtigt, unabhängig davon, wem sie entstehen und wer der Nutznießer ist. Dieses betrifft auch die indirekten volkswirtschaftlichen Kosten, die sich aus krankheitsbedingtem Fehlen am Arbeitsplatz, Frühverrentung oder vorzeitigem Tod ergeben.

International lassen sich bei den Vorgaben zur Erstellung von HTA-Berichten bzw. zur Bewertung gesundheitsökonomischer Studien keine einheitlichen Empfehlungen hinsichtlich der zu wählenden Perspektive feststellen [7]. So präferiert das australische Performance Based Assessment (Pharmaceutical Benefit Ageny = PBA) die gesellschaftliche Perspektive [10], während das englische NICE primär die finanziellen Einflüsse medizinischer Technologien auf das NHS untersuchen soll und daher die Perspektive des Kostenträgers einnimmt [11]. Für Deutschland lässt sich keine Aussage im Hinblick auf die bevorzugte Perspektive treffen, allerdings ist zu berücksichtigen, dass Adressat für HTA laut Sozialgesetzbuch der G-BA (§ 91 SGB V) bzw. das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ist. Die Frage, ob und in welchem Maß bei Entscheidungen dieser Instanzen auch die gesellschaftliche Perspektive eingenommen wird, lässt sich nicht abschließend beantworten. Die bisherige Entscheidungspraxis des G-BA deutet eher darauf hin, dass vor allem die Sichtweise der Krankenkassen berücksichtigt wird, die gegenüber der gesellschaftlichen deutlich eingeengt ist und z. B. keine indirekten Kosten infolge volkswirtschaftlichen Produktivitätsverlustes umfasst.

Während die Übertragbarkeit medizinischer Studienergebnisse von einem Gesundheitssystem auf ein anderes in der Regel relativ unproblematisch möglich istFootnote 1, ist dies bei gesundheitsökonomischen Evaluationsstudien und Modellierungen schwieriger [12]: Abweichende Preise, Kostenstrukturen, abweichende Behandlungsformen, unterschiedliche Erstattungssysteme, aber auch demografische und epidemiologische Faktoren beeinflussen die Ergebnisse gesundheitsökonomischer Evaluationsstudien. Greiner et al. [13] beschreiben den methodischen Rahmen zur Übertragung gesundheitsökonomischer Studienergebnisse auf andere Gesundheitssysteme. Hervorzuheben ist, dass die Frage nach der Übertragbarkeit nur im Einzelfall zu beantworten ist. Sie wird zudem von der Art und dem Umfang der vorliegenden Informationen zur Methodik der Evaluation bestimmt. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Anpassung entscheidungsanalytischer Modelle weniger komplex ist als die von Evaluationsstudien. Voraussetzung ist jedoch, dass die strukturellen Annahmen und die berücksichtigten Daten detailliert dargestellt werden.

Die Ergebnisse gesundheitsökonomischer Studien lassen sich nur schwer von einem Gesundheitssystem auf ein anderes übertragen

Gesundheitsökonomischen Modellen kommt im Rahmen von HTA und gesundheitspolitischen Entscheidungen eine zunehmende Bedeutung zu. Bei der entscheidungsanalytischen Modellierung in Form von Markov-Modellen oder Entscheidungsbäumen werden, basierend auf klinischen und epidemiologischen Daten, hypothetische Behandlungsverläufe abgebildet und mit Kostendaten verknüpft [14, 15]. Entscheidungsbäume haben eher statischen Charakter, während Markov-Modelle besonders für die Modellierung sich periodisch wiederholender Ereignisse (z. B. Migräneanfälle) oder chronischer Krankheiten mit definierten Krankheitsstadien (z. B. Asthma) geeignet sind. Da sich Entscheidungen häufig nicht aufschieben lassen, bis Daten aus gesundheitsökonomischen Evaluationen mit naturalistischem Studiendesign vorliegen, können entscheidungsanalytische Methoden eine wertvolle Entscheidungsunterstützung darstellen. Ein gutes diesbezügliches Beispiel ist der HTA-Bericht zur antiviralen Therapie (Kombinationstherapie mit Interferon/Peginterferon und Ribavirin) bei Patienten mit chronischer Hepatitis C von Siebert und Sroczynski [16]. Hofmann et al. [17] berichten hingegen, dass gesundheitsökonomische Modelle von europäischen Regulierungsinstitutionen häufig nur eingeschränkt in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Ein Grund hierfür ist, dass Entscheidungsträger häufig unzureichend mit der gesundheitsökonomischen Methodik vertraut sind und daher beobachtbare Ergebnisse jenen vorziehen, die sich aus Modellen ableiten. Andererseits ist es z. B. bei der Erstellung von HTA-Berichten des NICE bereits üblich, dass die Hersteller zumindest bei Arzneimitteln regelmäßig Modellierungsstudien vorlegen, die als Grundlage für eigene Berechnungen des Instituts herangezogen werden.

Kosteneffektivität und gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft

Zur qualitativen Bewertung der Ergebnisse des gesundheitsökonomischen Assessments ist bei gesundheitspolitischen Entscheidungen vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen die Bestimmung der gesellschaftlichen Zahlungsbereitschaft notwendig. So muss letztlich politisch beurteilt werden, ob ein inkrementeller Kosteneffektivitätsquotient von z. B. 10.000 EUR pro zusätzlichem QALY (Quality Adjusted Life Year) noch akzeptabel ist. Hierbei ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass neben medizinischen weitere qualitative Entscheidungsparameter wie die Verteilungsgerechtigkeit entscheidungsrelevant sein können. In Abwesenheit eines funktionsfähigen Marktes für Gesundheitsleistungen lässt sich die Zahlungsbereitschaft für Gesundheitsleistungen jedoch weder empirisch noch normativ bestimmen. Um die Kosteneffektivität als Parameter in gesundheitspolitische Entscheidungen dennoch einfließen zu lassen, wurde von Weinstein et al. [18] das Schwellenwertkonzept vorgeschlagen.

Der Schwellenwert gibt den Wert desjenigen Kosteneffektivitätsverhältnisses an, den eine medizinische Technologie aufweisen muss, damit sie gerade noch erstattet wird. Er stellt somit die gesellschaftliche maximale Zahlungsbereitschaft für kosteneffektive Technologien dar und kann als Schattenpreis für dieselben aufgefasst werden. Das NICE gibt keinen expliziten Schwellenwert für ein zusätzliches QALY an und begründet dieses mit der fehlenden Möglichkeit, diesen empirisch zu ermitteln [19]. Als Begründung verweist das NICE darauf, dass es Entscheidungssituationen gibt, in denen qualitative Entscheidungsparameter ebenso relevant sein können. Diese kann etwa bei Entscheidungen im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Zuständen und bei Technologien, für die es keine oder nur eine unzureichend wirksame therapeutische Alternative gibt, der Fall sein (rule of resue). Außerdem wird als Argument angeführt, dass bei einem vorwiegend utilitaristischen Ansatz der Verwendung von QALYs als alleiniger Entscheidungsgrundlage qualitative Kriterien, wie z. B. die Verteilungsgerechtigkeit, nicht ausreichend berücksichtigt würden. Durch die Offenlegung der Zahlungsbereitschaft ist zudem davon auszugehen, dass ein Preiswettbewerb verhindert würde.

Ausschlaggebend für die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit medizinischer Technologien können aber auch subjektive Werturteile über den Krankheitswert bzw. den Leidensdruck der jeweiligen Indikation sein. Deutlich wird dieses am Beispiel sog. Lifestyle-Medikamente oder dem Beispiel des Sildenafils zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, das trotz eines sehr günstigen Kostennutzwertverhältnisses in fast allen Gesundheitssystemen von der Erstattung ausgeschlossen ist [20]. Zudem scheint die gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft für die Behandlung von Erkrankungen mit einer geringen Inzidenz bzw. Prävalenz vergleichsweise höher als für ubiquitäre Krankheiten. Die fehlende ausdrückliche Festlegung eines Schwellenwertes wurde jedoch von der WHO im Rahmen einer systematischen Evaluation der Arbeitsweise des NICE aufgrund der damit verbundenen fehlenden Transparenz als kritisch eingeschätzt [21].

Obwohl in Großbritannien kein ausdrücklicher Schwellenwert festgelegt ist, lässt sich anhand veröffentlichter HTA-Berichte jedoch ein impliziter Wert bestimmen, den Devlin et al. [22] als Schwankungsbreite zwischen 20.000 und 30.000 GBP (=30.000–45.000 EUR) angeben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Raftery [4, 22], der von einem impliziten Schwellenwert von 30.000 GBP (45.000 EUR) ausgeht. Bei den Empfehlungen des NICE ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass nur eine geringe Anzahl von HTA-Berichten zur Ablehnung einer Technologie seitens des NICE führten und dass medizinische Gründe die Bewertung überlagerten (Tabelle 2).

Tabelle 2 Inkrementelle Kostennutzwertverhältnisse in HTA-Berichten des NICE

Ein weiteres Beurteilungskriterium sind die möglichen finanziellen Auswirkungen der Anwendung einer jeweiligen Leistung im Rahmen der Regelversorgung (Budgetimpact). Obwohl hierfür bislang noch keine Vorgaben existieren, finden solche Budget-Impact-Analysen international in HTA-Berichten und bei Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit einer Technologie Anwendung. Es existieren jedoch auch gegenteilige Beispiele; so nimmt das NICE den Budgetimpact als Entscheidungskriterium ausdrücklich aus. Aus theoretischer Sicht sind diese Berechnungen ohnehin ohne Bedeutung, da die bloße Höhe der Ausgaben für eine einzelne Leistung nichts über deren ökonomische Vor- oder Nachteilhaftigkeit für das Gesamtsystem aussagt. So können auch sehr ausgabenintensive Gesundheitsleistungen hoch kosteneffektiv sein (und umgekehrt). Zudem ist unklar, welcher Zeitraum für die Berechnung zugrunde gelegt werden sollte. Gesundheitspolitisch findet der Budgetimpact dagegen nicht selten mehr Beachtung als Daten zur Kosteneffektivität, da die Ausgabenwirkung die Finanzierbarkeit und damit letztlich den Erhalt des Gesamtsystems betrifft.

Auch sehr ausgabenintensive Gesundheitsleistungen können hoch kosteneffektiv sein

Budget-Impact-Analysen bauen auf deskriptive epidemiologische Daten zur Inzidenz und Prävalenz der jeweiligen Zielindikation auf. Bei der Berechnung des Budgetimpacts sind zudem mögliche Substitutionseffekte mit etablierten therapeutischen Alternativen zu berücksichtigen. Der Budgetimpact kann als Entscheidungskriterium verwendet oder aber auch ausdrücklich ausgenommen werden. Ein Phänomen, das Aussagen über den zukünftigen Budgetimpact erschwert, ist eine später evtl. nicht therapieadäquate Anwendung der betreffenden Arzneimittel (leak out).

Fazit und Ausblick

Die Berücksichtigung gesundheitsökonomischer Evaluationen in HTA-Berichten ist mittlerweile international etabliert und kann dazu beitragen, die Effektivität und die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern. Allerdings können die Ergebnisse kaum einen Beitrag zur Ausgabensenkung im Gesundheitswesen und dessen Finanzierbarkeit leisten. So lässt die Untersuchung der Kosteneffektivität die Opportunitätskosten unbeachtet, da objektiv wirksamere Arzneimittel auch häufig mit höheren Kosten verbunden sind. Dies führt im Rahmen eines fest vorgegebenen Budgets dazu, dass entweder weniger Ressourcen zur Finanzierung anderer Technologien zur Verfügung stehen oder es im Fall eines variablen Budgets zu Kostensteigerungen kommt. So berichtet Burke [23] für das englische NICE massive Mehrkosten, sollten alle Leitlinien umgesetzt werden. Auch für Deutschland ist im Fall einer leitlinienkonformen medikamentösen Behandlung mit deutlichen Mehrausgaben bei den Arzneimitteln zu rechnen.

Ein zentrales Problem der gesundheitsökonomischen Bewertung insbesondere bei innovationsbegleitenden HTA-Berichten liegt darin, dass zum Zeitpunkt der gesundheitspolitischen Entscheidung gesundheitsökonomische Evidenz oft noch nicht oder nur in einem geringen Umfang vorliegt. Ein diesbezüglicher Grund kann eine unzureichende Anreizstruktur auf Seiten der Hersteller sein, gesundheitsökonomische Forschung parallel zur klinischen Forschung zu betreiben. Es ist aber zu erwarten, dass die Anzahl der Evaluationsstudien mit ökonomischen Inhalten in den nächsten Jahren erheblich ansteigen wird, insbesondere weil deren Gewicht durch den Einbezug in HTA-Berichten größer werden wird.

Angesichts knapper Ressourcen in nahezu allen Gesundheitssystemen der Welt sind Rationierungen unvermeidbar. Diese sollten aber rational nach Sichtung, Analyse und Bewertung der vorhandenen wissenschaftlichen Evidenz durch eine von Leistungsanbietern unabhängige Institution vorbereitet werden. Dazu bietet sich die HTA-Vorgehensweise an, weil sie strukturiert, nachvollziehbar und transparent ist. Gesundheitsökonomische Aspekte sind unter diesen Bedingungen unverzichtbar und sollten zukünftig auch Eingang in die Bewertungen des IQWiG finden, das gesetzlich derzeit noch zu einer reinen Nutzenbewertung verpflichtet ist. Die Trennung von Bewertung und Rationierungsentscheidung ermöglicht auch weiterhin die Berücksichtigung übergeordneter Aspekte wie die Vermeidung unerwünschter Verteilungswirkungen und die langfristige Finanzierbarkeit des Systems.