Die Behandlung chronischer Schmerzen ist trotz der Vielzahl an zugelassenen Analgetika oft problematisch, da deren Wirkung häufig nicht ausreicht und teilweise schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten. Die Entwicklung neuer Behandlungsstrategien ist daher weiterhin von großer Wichtigkeit. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass epigenetische Mechanismen an der Genregulation bei Schmerzen beteiligt sind und die Modulation dieser Mechanismen die Schmerzreaktion beeinflussen kann. Die Entwicklung neuer Regulatoren der Epigenetik könnte demnach eine potenzielle neue Therapieoption für Schmerzpatienten darstellen.

Epigenetische Mechanismen

Lange Zeit ging man davon aus, dass die genetische Information, einmal vererbt, allenfalls durch Mutationen verändert werden kann. In der Zwischenzeit ist allerdings deutlich geworden, dass Umwelteinflüsse wie Erziehung, Ernährung, körperliche Aktivität usw. ebenfalls zu Veränderungen in der Genaktivität führen können, ohne die ursprüngliche Desoxyribonukleinsäure(DNA)-Sequenz zu modulieren. Epigenetische Modulationen können einerseits die Genexpression durch Reorganisation der Chromatinstruktur von Chromosomen mithilfe reversibler Modifikation von Histonen oder der DNA beeinflussen. Dies ist beispielhaft in Abb. 1 dargestellt. Die DNA in den Chromosomen ist um Histonproteine gewunden. Die kleinste Einheit dieser Komplexe stellt dabei das Nukleosom dar. Durch epigenetische Modifikationen der Acetylierung oder Methylierung am Histonprotein oder der DNA verändert sich die Chromatinstruktur; dies kann die Genexpression beeinflussen. Die Histonacetylierung wird durch das Zusammenspiel von Histonacetyltransferasen (HAT) und Histondeacetylasen (HDAC) reguliert, während die Methylierung durch DNA-Methyltransferasen (DNMT) bzw. Histonmethyltransferasen (HMT) und -demethylasen (HDM) moduliert werden kann.

Abb. 1
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Epigenetische Regulationsmechanismen. A Acetylierung, DNA Desoxyribonukleinsäure, DNMT DNA-Methyltransferasen, HAT Histonacetyltransferasen, HDAC Histondeacetylasen, HDM Histondemethylasen, HMT Histonmethyltransferasen, M Methylierung

Andererseits können posttranskriptionale Genregulationen durch „microRNA“ [kleine, nichtcodierende Ribonukleinsäure(RNA)-Sequenzen, die die Genregulationen beeinflussen können] erfolgen. Diese, dem Genom übergeordneten, epigenetischen Mechanismen tragen z. B. dazu bei, dass Zwillinge im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Eigenschaften und auch verschiedene Krankheiten entwickeln können (Abb. 2; [5]). Ein weiteres Beispiel ist die Honigbiene, bei der von mehreren Bienen mit identischem Genom nur eine zur Königin wird, was allein durch ihre Ernährung mit Gelee Royal zustande kommt.

Abb. 2
figure 2

Potenzieller Einfluss der Epigenetik auf das identische Genom von eineiigen Zwillingen. A Acetylierung, M Methylierung

Histonmodifikationen

Die menschliche DNA liegt in den Chromosomen, um Histonproteine gewunden, in kompakter Form vor (Abb. 2). Die kleinste Einheit dieser Komplexe ist das Nukleosom, das aus 8 Histonen besteht. Modifikationen der Histone wie z. B. Acetylierung (chemische Anlagerung einer Acetylgruppe) oder Methylierung (chemische Anlagerung einer Methylgruppe) verändern die Chromatinstruktur und dadurch auch die Genexpression. Vor allem die Histonacetylierung ist zurzeit Gegenstand intensiver Forschung. Zwei Enzymgruppen agieren hier als Gegenspieler: Histonacetyltransferasen bewirken eine verstärkte Acetylierung der Histonproteine, was zu einer Lockerung der Chromatinstruktur führt. Dadurch wird die Bindung von Transkriptionsfaktoren an die DNA-Sequenz erleichtert und eine Steigerung der Genexpression ermöglicht. Histondeacetylasen dagegen bewirken eine verstärkte Bindung der DNA an die Histone, was so die Genexpression unterdrückt. Da HDAC auch bei Krebserkrankungen eine wichtige Rolle spielen, wurden in den letzten Jahren HDAC-Inhibitoren für die Behandlung von Tumoren entwickelt, die aber auch bei anderen Erkrankungen Anwendung finden könnten. Bisher stellt v. a. die mangelnde Spezifität der Substanzen ein Problem dar.

Auch die Histonmethylierung wird über die kontrovers agierenden HMT und HDM kontrolliert. Die Methylierung der Histone kann die Genexpression positiv oder negativ beeinflussen; dies ist abhängig von der Aminosäure, die methyliert wird.

DNA-Modifikationen

Ein weiterer epigenetischer Mechanismus, der derzeit intensiv untersucht wird, ist die Modifikation der DNA selbst. Diese kann, wie bei den Histonen, u. a. über Acetylierungen und Methylierungen erfolgen. Die Methylierung ist bisher am besten erforscht.

Die DNA-Methylierung läuft mithilfe der DNMT an Cytosinresten in cytosin- und guaninreichen Regionen [Cytosin-phosphatidyl-Guanin(CpG)-Inseln] ab und resultiert in einer Unterdrückung der Transkription der meisten Gene. Wird die Methylierung durch DNA-Demethylasen verringert, kann die DNA wiederum abgelesen und entsprechende Gene können exprimiert werden. Fehlregulationen bei der DNA-Methylierung werden mit Erkrankungen wie Krebs, Schizophrenie und Opioidabhängigkeit assoziiert [10, 19, 21].

„MicroRNA“

Diese kleinen (ca. 19 bis 25 Nukleotide), nichtcodierenden RNA-Sequenzen (miRNA, miR) werden aus einem endogen codierten microRNA-Gen in einem mehrstufigen Prozess generiert. Die Prozessierung ist in Abb. 3 schematisch dargestellt: miRNA-Gene codieren das pri-miRNA-Transkript, das durch Aktivität der Endonuklease Drosha zur prä-miRNA prozessiert wird. Diese transloziert ins Zytoplasma und wird dort von einer weiteren Endonuklease, Dicer, zu reifer miRNA umgewandelt. Der Leitstrang der miRNA lagert sich an den „RNA-induced silencing complex“ (RISC) an, der dann die Generation von zielspezifischen Einzelsträngen bewirkt. MicroRNA, die nicht vollständig an die Ziel-mRNA binden, lagern sich vorzugsweise an die 3’-untranslatierte Region (3’-UTR) der Ziel-mRNA und hemmen die Translation dieser Gene. MicroRNA, die vollständig binden, lagern sich im offenen Leserahmen der Ziel-mRNA an und bewirken den Abbau der mRNA.

MicroRNA spielen v. a. in der Feinregulation der posttranskriptionalen Genexpression eine Rolle und sind so wichtige Komponenten bei Entwicklungsprozessen sowie bei physiologischen und pathophysiologischen Vorgängen verschiedener Organismen. Jede miRNA kann die Expression einer Vielzahl von Zielgenen unterdrücken, während jedes Gen auch von einer Vielzahl von miRNA reguliert werden kann. Insbesondere bei Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen und viralen Infektionen konnte schon häufig ein Zusammenhang mit miRNA-Fehlregulationen hergestellt werden [8, 13, 22]. Darüber hinaus gibt es zunehmend Hinweise auf eine Rolle von miRNA bei der Entstehung und Verarbeitung von entzündlichen sowie neuropathischen Schmerzen. Die initialen Studien fokussierten hauptsächlich auf miRNA-Regulationen unter Schmerzbedingungen, neuere Projekte zeigen aber auch funktionelle Daten und die Regulation von spezifischen miRNA-Zielgenen [15, 18].

Abb. 3
figure 3

„MicroRNA“-Prozessierung. ORF „open reading frame“

Epigenetische Einflüsse auf Schmerzen

Epigenetische Regulationen können sowohl Zellen in der Entwicklung als auch reife Zellen, die sich nicht mehr teilen, betreffen. So konnten auch im Nervensystem epigenetische Mechanismen identifiziert werden, die mit der Entwicklung und Differenzierung von Neuronen, synaptischer Plastizität sowie Gedächtnis- und Lernprozessen assoziiert sind. Bei Schmerzen durch Gewebeschädigungen, länger anhaltende Entzündungen oder auch Nervenverletzungen kommt es häufig zu einer Sensibilisierung des nozizeptiven Systems, bei der eine epigenetische Modulation der Genexpression analog zu den oben beschriebenen Prozessen beteiligt ist. Die Folge ist eine Senkung der Schmerzschwelle, die mit Überreaktionen auf Schmerzreize (Hyperalgesie) oder sogar schmerzhaften Reaktionen auf nichtnozizeptive Reize (Allodynie) einhergehen kann. Werden solche Schmerzen nicht adäquat behandelt, können sie chronifizieren. Die Therapie von Schmerzpatienten ist allerdings, trotz einer großen Zahl an verfügbaren Analgetika, häufig nicht ausreichend oder durch starke Nebenwirkungen der Medikamente belastet. Daher ist die Entwicklung neuer Therapiestrategien nach wie vor von essenzieller Bedeutung. Diese ist allerdings nur dann effektiv und gezielt möglich, wenn die molekularen und zellulären Mechanismen der Signalübertragungskaskade bei Schmerzen weiteraufgeklärt werden. Erste Studien deuten bereits darauf hin, dass epigenetische Mechanismen beim Übergang von akuten zu chronischen Schmerzen eine wichtige Rolle spielen könnten. Einerseits kontrollieren sie entzündliche Reaktionen z. B. über die Modulation von Zytokinen oder Transkriptionsfaktoren wie „nuclear factor kappa-light-chain-enhancer of activated B cells“ (NFκB), andererseits hat sich, bisher hauptsächlich in Tiermodellen, ein direkter Einfluss der Epigenetik auf „Schmerzgene“ und die Schmerzreaktion gezeigt. Dabei werden beispielsweise GABAerge, endogene, antinozizeptive Mechanismen gehemmt, während die Expression pronozizeptiver Gene verstärkt wird, was insgesamt zu einer Sensibilisierung des nozizeptiven Systems und zur Chronifizierung von Schmerzen führen kann (GABA: γ-Aminobuttersäure; [2]). Zusätzlich scheinen epigenetische Modulationen auch bei der Behandlung von Schmerzen durch Analgetika wichtig zu sein. Bisher wurden v. a. Veränderungen der Histonacetylierung, der DNA-Methylierung und der microRNA beschrieben. Einige dieser Studien sind in diesem Übersichtsbeitrag zusammengefasst.

Histonmodifikationen

Verschiedene Publikationen konnten einen Zusammenhang zwischen der Modifikation von Histonen und Schmerzen herstellen. Eine klinische „Open-label“-Studie zeigte bereits, dass der HDAC-Inhibitor Givinostat die Symptome schmerzhaft entzündlicher Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis und juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) unterdrückte und dabei nur moderate sowie kurz anhaltende Nebenwirkungen verursachte. Im Vordergrund der Studie standen die Untersuchungen der Sicherheit und Verträglichkeit von Givinostat bei Patienten mit aktiver JIA. Daneben sollte aber auch die Wirkung des Medikaments auf die Krankheitsaktivität analysiert werden. Givinostat wurde oral in einer täglichen Dosis von 1,5 mg/kgKG verabreicht. Die Aktivität der JIA wurde nach den Kriterien des „American College of Rheumatology“ (Pediatric; ACR Pedi 30, 50 oder 70; [28]) für eine Verbesserung ermittelt und der Verlauf über 12 Wochen beobachtet. Insgesamt zeigten sich nur wenige moderate Nebenwirkungen (v. a. respiratorisch oder gastrointestinal), die von kurzer Dauer und selbstlimitierend waren. Der Krankheitsverlauf konnte signifikant verbessert werden, wobei v. a. die Reduktion der betroffenen Gelenke mit aktiver Erkrankung und Bewegungseinschränkung als positiv bewertet wurde. Aufgrund des Open-label-Designs und einer nur kleinen Patientenpopulation dieser Studie ist es jedoch noch nicht möglich, anhand der Studienergebnisse eine valide Aussage zur Effektivität der Behandlung zu treffen [28].

Die meisten mechanistischen Studien wurden bisher an Tiermodellen durchgeführt. Im Nagermodell für entzündliche Hyperalgesie konnte eine erhöhte Expression von Klasse-2-HDAC nachgewiesen werden. Die Hemmung dieser HDAC führte zu einer Reduktion des Schmerzverhaltens [1], die auch im Modell der formalininduzierten Entzündung nach intrathekaler Injektion von HDAC-Inhibitoren beobachtet werden konnte. Als möglicher Mechanismus wurde eine verstärkte Acetylierung der NFκB-Untereinheit p65 in den Hinterwurzelganglien und im Rückenmark diskutiert [4]. In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass eine gestörte GABA-vermittelte Antinozizeption bei chronischen Schmerzen mit einer Hypoacetylierung und somit verminderten Expression von Glutamatdecarboxylase-65 (GAD65) zusammenhängt. Die Schmerzen wurden durch Injektion eines HDAC-Inhibitors in den Nucleus raphe magnus, ein wichtiges Zentrum der endogenen Antinozizeption, normalisiert; die Gabe des HDAC-Inhibitors resultierte in einer Unterdrückung der entzündlichen Hyperalgesie [30]. Im Gegensatz dazu konnte in einem Model der Pfoteninzision beobachtet werden, dass die Acetylierung des Histons H3 im Promotor des Chemokin-CC-Motif-Rezeptors-2 (CXCR2) anstieg. Die Behandlung mit HDAC-Inhibitor verstärkte dementsprechend die Schmerzsensibilisierung, während HAT-Inhibitoren eine Schmerzhemmung bewirkten [23]. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Histonacetylierungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext sowohl mit anti- als auch mit pronozizeptiven Effekten einhergehen können.

Auch bei neuropathischen Schmerzen wurden bereits mehrfach Veränderungen der Histonacetylierung nachgewiesen. Dabei fanden sich nach Gabe von HDAC-Inhibitoren analgetische Effekte bei traumatischer und medikamenteninduzierter peripherer Neuropathie [6]. Eine periphere Nervenligatur bewirkte dagegen eine Hyperacetylierung von Histon H3 im „Macrophage-inflammatory-protein“(MIP)2/CXCR2-Promotor, die zur Hochregulation dieser Gene führte. Durch Hemmung von HAT konnte diese Regulation sowie die Entwicklung neuropathischer Schmerzen unterdrückt werden [14].

Bei Mäusen konnte ein Zusammenhang zwischen analgetischer Therapie und epigenetischen Mechanismen hergestellt werden. Eine Langzeittherapie mit Opioiden wurde mit einer verstärkten H3-Acetylierung im Rückenmark korreliert, die mit opioidinduzierter Hyperalgesie, Opioidtoleranz und -abhängigkeit im Zusammenhang stehen könnte. Die Behandlung mit HAT-Inhibitor hemmte die Opioideffekte, während ein HDAC-Inhibitor in ihrer weiteren Verstärkung resultierte [17].

Zur Methylierung von Histonen bei Schmerzen wurde im Modell der peripheren Nervenligatur eine Interleukin-6-vermittelte Trimethylierung von Histon H3 im monozytenchemotaktischen Protein 3 (MCP3) beobachtet, die möglicherweise zur Verbesserung der Mikroglia-Astrozyten-Interaktion beiträgt und so die Entwicklung neuropathischer Schmerzen unterstützt [12].

DNA-Modifikationen

Bisher gibt es nur relativ wenige Studien, die die Rolle der DNA-Methylierung bei Schmerzen untersucht haben. In einem Modell für entzündliche Hyperalgesie konnte in den Hinterwurzelganglien von Ratten eine Demethylierung des Promotors von Cystathion-β-Synthetase nachgewiesen werden, die an der Hochregulation des Proteins beteiligt war und die entzündliche Reaktion förderte [20]. In einem Tiermodell für periphere neuropathische Schmerzen wurde noch 6 Monate nach der Operation eine verringerte globale Methylierung im präfrontalen Kortex und der Amygdala beobachtet, die mit der mechanischen und thermischen Hyperalgesie korrelierte. Die Veränderungen in der Methylierung konnten durch verbesserte Haltungsbedingungen rückgängig gemacht werden, was auch zu einer verminderten Schmerzhypersensitivität beitrug [25]. In Mäusen wurde eine erhöhte Methylierung des extrazellulären Matrixproteins „secreted protein acidic and rich in cysteine“ (SPARC) nachgewiesen, die die Proteinexpression hemmte und mit der Schmerzreaktion in Verbindung gebracht werden konnte. Auch beim Menschen konnte eine verringerte Expression des SPARC-Proteins (kollagenbindendes Protein, das u. a. an der Wundheilung beteiligt ist) mit schmerzhafter Bandscheibendegeneration in Verbindung gebracht werden. Da der humane SPARC-Promotor durch Methylierung stillgelegt wird und Bandscheiben von Patienten mit Rückenschmerz eine erhöhte Methylierung dieses Promotors im Vergleich zu schmerzfreien Kontrollpersonen aufweisen, könnte dieser Mechanismus die Schmerzreaktion zumindest teilweise beeinflussen [24].

Des Weiteren konnte bei Patienten mit schmerzhaften oralen Karzinomen beim Vergleich von Tumor- und gesundem Gewebe im Tumorgewebe eine erhöhte Methylierung des Endothelin-1-Rezeptor-Promotors beobachtet werden. Diese war auch im Vergleich mit Gewebe aus nichtschmerzhaften oralen Dysplasien nachweisbar und bei Patienten mit nodalen Metastasierungen sogar noch verstärkt. Die erhöhte Methylierungsrate korrelierte sehr gut mit einer verringerten mRNA-Expression des Endothelin-1-Rezeptors. Eine Überexpression von Endothelin-1-Rezeptor in Mausmodellen unterdrückte dementsprechend den Tumorschmerz [27]. Diese Studie belegt, dass Genmethylierung zum Tumorschmerz beitragen kann und eine Gegensteuerung dieses Effekts durch gezielte Therapie eine Schmerzhemmung bewirken könnte.

Eine andere klinische Studie zeigte, dass in Leukozyten von methadonsubstituierten, opioidabhängigen Patienten sowohl die globale Methylierung als auch die Methylierung des µ-Opioid-Rezeptor-Gens erhöht war. Darüber hinaus wurde eine verstärkte globale Methylierung von opioidbehandelten im Vergleich zu nichtopioidbehandelten Patienten nachgewiesen, was zur opoidinduzierten Hyperalgesie beitragen könnte [7]. Diese Daten deuten eindrücklich darauf hin, dass Medikamenteneinnahme zu epigenetischen Modifikationen führen kann. Da Änderungen in der globalen Methylierung bereits mit verschiedenen Erkrankungen wie z. B. Krebs assoziiert werden, könnten solche Studien demnach entscheidende Hinweise für Langzeiteffekte der jeweils verwendeten Medikamente liefern.

MicroRNA

Mehrere tierexperimentelle Studien wiesen bereits eine selektive miRNA-Regulation im Nervengewebe nach schmerzhaft-entzündlicher Stimulation nach. Auch in klinischen Studien konnten bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, schmerzhafter Endometriose, chronischer Blasenentzündung oder Psoriasis differenzielle miRNA-Regulationen beobachtet werden [15, 18]. Eine erste funktionelle Studie an Mäusen beschrieb eine Deletion der Endonuklease Dicer in sensorischen Neuronen. Da alle miRNA bei der Reifung eine Prozessierung durch Dicer erfahren (Abb. 3), kam es im „Knock-out“-Modell (Mausmodell, bei dem bestimmte Gene deletiert sind) zu einer Regulation von mehr als 60 Genen und zur Hemmung der entzündlichen Nozizeption [31]. In der eigenen Arbeitsgruppe konnte gezeigt werden, dass die Expression der neuronalen miRNA-124a nach peripherer entzündlicher Stimulation im Rückenmark reduziert ist. In gleicher Weise verstärkte die i.v.-Verabreichung eines miRNA124a-Inhibitors die formalininduzierte Nozizeption, während die Überexpression der miRNA124a zur Antinozizeption führte. Diese konnte mit einer Hemmung des miRNA124a-Zielgens Methyl-CpG-Bindeprotein (MeCP2, unterdrückt die Genexpression) und dessen direkten schmerzrelevanten Zielproteins „brain-derived neurotrophic factor“ (BDNF) korreliert werden [16]. Eine weitere Studie bestätigte diese Ergebnisse und belegte darüber hinaus eine Hemmung der mechanischen Allodynie bei Neuropathie [29].

Im Zusammenhang mit experimenteller Neuropathie wurde in verschiedenen Tiermodellen eine Modulation unterschiedlicher miRNA nachgewiesen, die möglicherweise an der Pathogenese einer Neuropathie beteiligt sein könnten [15]. Bei Verletzungen des Nervensystems scheinen miRNA außerdem essenziell an Nervenregenerationsprozessen beteiligt zu sein, da Dicer-Knock-out-Mäuse bei Quetschung des Ischiasnervs eine deutliche Verzögerung der Regeneration von Neuronen zeigten [26].

Eine funktionelle Studie fokussierte auf die Rolle der miRNA-103, die nach spinaler Nervenligation in ihrer Expression gehemmt wurde. Die miRNA-Modulation bewirkte eine Hochregulation des „Cav1.2-comprising“-L-Typ-Kalziumkanals (Cav1.2-LTC), der bereits des Öfteren mit neuropathischen Schmerzen assoziiert wurde. Dementsprechend löste die intrathekale Injektion eines miRNA-103-Inhibitors bereits in gesunden Tieren eine mechanische Hypersensitivität aus. Im Neuropathiemodell wurde die Expression des Cav1.2-LTC durch miRNA-103-Überexpression gehemmt und die Schmerzreaktion fast auf den Ausgangswert reduziert [9].

Auch in Krankheitsmodellen für chronische abdominale Schmerzen, rheumatoide Arthritis, Osteoarthrose, systemischen Lupus erythematodes und Sjögren-Syndrom wurden Dysregulationen von miRNA beschrieben, die mit dem Krankheitsverlauf im Zusammenhang stehen könnten. In einem Modell für diabetische Neuropathie wurden miRNA mit der Regulation von spannungsabhängigen Natriumkanälen assoziiert, deren Hemmung antinozizeptive Effekte hatte [3].

Bei der Schmerztherapie wurden miRNA mit der Entwicklung der Opioidtoleranz in Verbindung gebracht. Bei Langzeitopioidtherapie wurde die Expression von let-7-miRNA induziert, was eine Herunterregulation des μ-Opioid-Rezeptors (MOR1) zur Folge hatte und so zur Opioidtoleranz beitrug. Die Hemmung von let-7-miRNA reduzierte die Toleranzentwicklung [11]. Funktionelle klinische Studien, die die Wirkung von miRNA-Modulationen in Patienten oder Probanden zeigen, wurden bisher noch nicht publiziert. Es ist aber zu erwarten, dass solche Studien in den nächsten Jahren aufgenommen und veröffentlicht werden.

Fazit

Daten aus präklinischen und klinischen Studien zeigen, dass epigenetische Mechanismen an der Entstehung und Verarbeitung von entzündlichen sowie neuropathischen Schmerzen beteiligt sind und daher größerer Beachtung bedürfen. Durch Gegensteuerung dieser Fehlregulationen könnten Modulatoren der Epigenetik möglicherweise als neue therapeutische Werkzeuge bei der Behandlung von Schmerzen dienen. Erste klinische Studien weisen bereits vielversprechende Ergebnisse auf. Bis zur Entwicklung von „epigenetischen Analgetika“ ist es jedoch noch ein langer Weg, und es wird eine Reihe weiterer Studien nötig sein, die sowohl die Spezifität der Substanzen als auch das Nebenwirkungsprofil und die Langzeiteffekte besser aufklären können.