Historische Vignette

Den ersten Todesfall während einer Narkose infolge einer Aspiration beschrieb J.Y. Simpson [32] im Jahr 1848. Ein junges Mädchen wurde zur Extraktion eines Zehennagels mit Chloroform narkotisiert, zusätzlich erhielt sie Brandy. Simpson beschrieb die Ereignisse so:

„Her lips, which had been previously good of colour, became suddenly blanched, and she sputtered slightly at the mouth, as one in epilepsy.“

Daraufhin wurden ihr Wasser und erneut Brandy verabreicht.

„A little of which she swallowed with difficulty,“

schrieb er weiter, und

„she rattled in her throat“.

Schließlich verstarb die Patientin [17, 32]. Der Autor mutmaßte dass es sich dabei eher um die Folgen einer pulmonalen Aspiration mit Asphyxie handle als um die Nebenwirkungen der Narkose selbst.

Knapp 100 Jahre später, im Jahr 1946, beschrieb Curtis L. Mendelson [21] als Erster so detailliert das pulmonale Aspirationssyndrom, dass es nach ihm als „Mendelson-Syndrom“ benannt wurde. Er berichtete von 44.016 nicht nüchternen, geburtshilflichen Patientinnen, von denen etwa die Hälfte zur vaginalen Geburt eine Allgemeinanästhesie (Masken- oder Intubationsanästhesie) erhalten hatte. Eine klinisch relevante Aspiration mit Entwicklung eines kritischen Krankheitsbildes wurde bei 66 Patientinnen (1:667) beobachtet, wobei sich eine Erholung mit nahezu Normalisierung der Lungenfunktion innerhalb von 36 h zeigte. Lediglich 2 Patientinnen verstarben infolge eines akuten Lungenversagens. Die klinische Symptomatik im Zusammenhang mit einer Aspiration beschrieb Mendelson [21] mit pfeifenden Atemgeräuschen, Zyanose, Arrhythmie und Tachykardie.

Epidemiologie

In der Literatur finden sich unterschiedliche Angaben zur Inzidenz des pulmonalen Aspirationssyndroms . Gründe hierfür sind:

  • das Fehlen einer einheitlichen Definition (z. B. fehlende Differenzierung zwischen Pneumonitis und Pneumonie),

  • die Untersuchung unterschiedlicher Patientenpopulationen (Aspiration bei Narkoseeinleitung – beobachtete Aspiration; perioperative Aspiration bzw. Aspiration im Aufwachraum, auf der Intensivstation, im Pflegeheim – stille Aspiration) und

  • das Fehlen von Markern, die mit hinreichender Sensitivität und Spezifität auf eine relevante Aspiration hinweisen.

Die Inzidenz der Aspiration bei der Intubationsnarkose wird in retrospektiven Untersuchungen mit 1,4–5 pro 10.000 Narkosen bestimmt und ist auch bei geburtshilflichen Vollnarkosen nicht höher. Die Morbidität liegt bei 0,6–1 pro 10.000 und die Letalität bei 1–2,2 pro 100.000 Narkosen [24, 30, 37]. Insgesamt werden 10–30% der anästhesiebedingten Todesfälle den Komplikationen einer Aspiration zugeschrieben.

Die stille Aspiration auf der Intensivstation ist ein häufiges Ereignis. So konnte unlängst bei 89% von 320 untersuchten Patienten, die auf einer Intensivstation mittels einer Magensonde ernährt wurden, ein Aspirationsereignis beobachtet werden. Dabei stieg die Wahrscheinlichkeit, eine Pneumonie zu entwickeln, von 24% am 1. bis auf 48% am 4. Tag [22].

Die Häufigkeit der Aspirationspneumonie bei Patienten nach Intoxikation oder Medikamentenüberdosierung ist hoch: Bei 71 von 4562 Patienten (1:64) wurde diese Diagnose gestellt [16]. Nach präklinischer kardiopulmonaler Reanimation zeigte sich in 20% eine radiologisch verifizierte pulmonale Aspiration [36].

Die Häufigkeit des Aspirationssyndroms variiert demnach erheblich zwischen den einzelnen klinischen Situationen bzw. den unterschiedlichen Patientenpopulationen.

Definitionen

Aspiration

Gelangen feste oder flüssige Bestandteile aus dem Pharynx oder dem Magen-Darm-Trakt in die oberen und/oder tiefen Atemwege, wird dieser Umstand als Aspiration bezeichnet. Die Aspiration wird oft in Phasen verminderter Vigilanz und/oder bei nicht ausreichend vorhandenen Schutzreflexen, bei Dysphagie und Obstruktionen bzw. Atonie des Magen-Darm-Trakts beobachtet. Der Grad der Vigilanzstörung ist mit dem Risiko einer Aspiration eng verknüpft [1].

Pneumonitis

Sie ist eine abakterielle Inflammation nach Aspiration, wobei das aspirierte Sekret zu einer physiko-chemischen Schädigung der Atemwege führt, in deren Folge sich ein akutes Lungenversagen einstellt [20]. Die Pneumonitis ist ein prädisponierender Faktor für die Pneumonie [35].

Pneumonie

Dringen mit dem aspirierten Material inhalierte Mikroorganismen in das Lungenparenchym ein und verursachen dort eine Infektion, spricht man von Pneumonie [20]. Die klinischen Symptomatiken (Laryngospasmus, Bronchospasmus, Lungenfunktionsstörung) von Pneumonitis und Pneumonie in den ersten Stunden nach der Aspiration unterscheiden sich nicht. Komplikationen der Pneumonie können die nekrotisierende Pneumonie, der Lungenabszess und ein Pleuraempyem sein.

Pathophysiologie

Die Aspiration von bakteriell kontaminierten oropharyngealen Sekreten führt bei ausreichender Immunkompetenz zu keiner Infektion. Etwa 50% der Erwachsenen aspirieren im Schlaf, ohne eine Inflammation oder Infektion zu entwickeln, weil das Keimspektrum des aspirierten Sekrets eine geringe Virulenz besitzt [15].

Verdauungssekrete des Gastrointestinaltrakts (Magensaft, Galle, angedaute Speisen) hingegen führen im Falle einer Aspiration zu einer physiko-chemischen Schädigung der Atemwege mit Desquamation des Atemwegsepithels in den ersten Stunden [39]. Mit einer zeitlichen Latenz von etwa 4 h nach der Aspiration folgt eine inflammatorische Reaktion mit Bronchokonstriktion, interstitiellem Ödem und lokal aktivierter Gerinnung mit Fibrinablagerungen in den Alveolen. Die Folge ist eine Störung des Verhältnisses von alveolärer Ventilation (durch Bronchokonstriktion und/oder Atelektase) zu Perfusion (durch hypoxisch pulmonale Vasokonstriktion und/oder Shunt). Die Lungenfunktion ist eingeschränkt mit Eskalation bis hin zum ARDS („acute respiratory distress syndrome“ , Oxygenierungsindex pO2/FiO2<200 mmHg).

Die klinischen Symptomatiken der Pneumonitis und der Pneumonie sind in den ersten Stunden nach der Aspiration nicht unterschiedlich und bestehen aus nichtproduktivem Husten, Laryngospasmus, Bronchospasmus, Dyspnoe, Tachypnoe und Hypoxie.

Immunpathologie

Der primäre Schritt der inflammatorischen Kaskade nach Aspiration ist die Interaktion von Phagozyten (neutrophile Granulozyten, Makrophagen) mit unterschiedlichen Zelltypen des Respirationstrakts (Atemwegsepithelzellen, Typ-I-Pneumozyten, Kapillarendothelzellen) durch Oberflächenmoleküle an den Zellmembranen (Adhäsionsmoleküle). Das Ergebnis dieser Interaktion ist die Produktion einer Vielzahl von Zytokinen und Chemokinen mit Aktivierung des Komplementsystems und der lokalen Gerinnung. Diese primäre Reaktion ist darauf ausgerichtet, die Organschädigung lokal zu begrenzen und Reparationsvorgänge einzuleiten.

Kommt es zur Destruktion der alveolo-kapillaren Einheit, können die an der lokalen Reaktion beteiligten biochemisch aktiven Substanzen (Zytokine) in die Blutbahn übertreten und eine systemische Reaktion provozieren. Diese auch als systemische Inflammation („systemic inflammatory response syndrome“, SIRS) bezeichnete Reaktion ist im Gegensatz zum lokalen Prozess pathologisch bedeutsam und kann zu schweren Organfunktionsstörungen bis hin zum Organversagen führen.

Mit Zerstörung der alveolo-kapillaren Einheit wird das Kapillarendothel der Lungenstrombahn vermehrt permeabel, sodass ein interstitielles Ödem entsteht und neutrophile Granulozyten durch Chemokine geleitet transendothelial das Gefäßkompartment verlassen.

Die Rolle der beteiligten Zellen und Zytokine konnte durch experimentelle Arbeiten inzwischen näher charakterisiert werden. Demnach sind neutrophile Granulozyten und alveoläre Makrophagen für den Prozess der Inflammation von zentraler Bedeutung. In Aspirationsmodellen, bei denen eine Makrophagendepletion durchgeführt wurde, konnte gezeigt werden, dass die Gefäßpermeabilität geringer ausgeprägt und auch die Zahl der rekrutierten neutrophilen Granulozyten deutlich reduziert waren [5]. Nach Granulozytendepletion waren die Inflammationsintensität und das Ausmaß des Parenchymschadens deutlich vermindert. Aktivierte neutrophile Granulozyten synthetisieren mit Hilfe der Myeloperoxidase (MPO) oxidierende Substanzen (u. a. Sauerstoffradikale, Stickstoffmonoxid, Peroxynitrid), die durch die Interaktion mit Molekülen (z. B. Aminosäuren, Proteinen, Lipiden, DNA, Nukleotiden) eine direkte zytotoxische Aktivität entfalten und durch Lipidoxidation biologischer Membranen das Organparenchym schädigen. Diese Mechanismen sind natürliche Komponenten des Immunsystems, wirken jedoch bei übermäßiger Aktivität zerstörend auf das Gewebe [28].

Risikofaktoren

Bestimmte Faktoren prädisponieren zur Aspiration (Tab. 1).

Tab. 1 Faktoren einer erhöhten Aspirationsgefährdung

Patienten mit höherer ASA-Klassifikation weisen aufgrund ihrer zugrunde liegenden Erkrankungen meist ein erhöhtes Risiko für eine Aspiration auf. Ein langjähriger Diabetes mellitus führt oft infolge einer diabetischen Neuropathie zur Störung der propulsiven Tätigkeit im Intestinaltrakt und damit zu einer verzögerten Magenentleerung. Die Intubation kann durch versteifte Gelenke (Glykosylierung von Kollagen und Ablagerung in Gelenken) erschwert sein. Bei Patienten mit Adipositas und/oder obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom (OSAS) ist das Risiko für eine Aspiration u. a. wegen einer häufig schwierigen Maskenbeatmung und Intubation erhöht [12].

Eine Beeinträchtigung der laryngealen Schutzreflexe und der Vigilanz kann verschiedene Ursachen haben. Neben chronisch-neurologischen Erkrankungen (z. B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Hirntumoren, Zustand nach apoplektischem Insult, Myasthenia gravis, Muskeldystrophien) und akuten zerebralen Ereignissen (z. B. Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutung, ischämische Insulte, Krampfanfälle) führen auch Intoxikationen, metabolische Störungen, zentralnervöse Infektionen und Sepsis sowie Hypothermie zu einer Kompromittierung der Vigilanz und der Schutzreflexe.

Mit zunehmendem Alter (>60 Jahre) steigt das Aspirationsrisiko. Patienten, die älter als 80 Jahre sind, haben ein 9- bis 10-fach höheres Risiko, perioperativ eine Aspiration zu erleiden [18]. Verantwortlich hierfür sind vermutlich eine Funktionseinschränkung der laryngealen Reflexe sowie eine reduzierte Vigilanz.

Während der Narkoseeinleitung steigt das Risiko einer Aspiration bei unzureichender Anästhesietiefe und Muskelrelaxierung (schlechte Intubationsbedingungen, Husten und Würgen bei der Intubation). Weitere Risikofaktoren sind die protrahierte Maskenbeatmung und schwierige Intubation, die zu einer Magenüberblähung mit Regurgitation führen können [13, 23]. Traumapatienten gelten immer als nicht nüchtern, da Schmerzen und Stress zu Hypersekretion und verzögerter Magenentleerung führen. Gleiches gilt für schwangere Frauen ab der 13. Schwangerschaftswoche (SSW), verursacht durch eine verzögerte Magenentleerung, steigenden intraabdominellen Druck und schwierige Intubationsbedingungen (Schleimhautödem).

Auf der Intensivstation sind zusätzliche Risikofaktoren für eine Aspiration die enterale Ernährung über nasogastrale Sonden, das Vorhandensein eines künstlichen Atemweges (Tubus, Tracheostoma) und die Flachlagerung des Patienten [22].

Prävention

Aktuell gibt es keine akzeptierten Methoden und Vorgehensweisen, die eine Aspiration sicher verhindern können.

Nüchternheit

Als Schutz vor Aspiration gilt bei geplanten Operationen die Einhaltung der Empfehlungen der Fachgesellschaft zur präoperativen Nüchternheit (Tab. 2). Allerdings unterliegt die Magenentleerungszeit individuellen Schwankungen, sodass ein leerer Magen zu keinem Zeitpunkt garantiert werden kann [3].

Tab. 2 Präoperatives Nüchternheitsgebot vor Narkoseeinleitung bei elektiven Eingriffen

Medikamentöse Prophylaxe

Die Applikation von Antazida, Protonenpumpeninhibitoren (PPI), Prokinetika oder Antihistaminika ist bei Patienten ohne Risikofaktoren nicht obligatorisch [34]. Eine Dauermedikation mit PPI oder Antazida sollte jedoch perioperativ weitergeführt werden.

Bei Risikopatienten und Schwangeren ist eine pharmakologische Aspirationsprophylaxe indiziert. Mögliche Optionen sind ein Antihistaminikum am Vorabend und am Morgen der Operation (z. B. Ranitidin 300 mg per os) oder ein Antazidum (z. B. 30 ml 0,3 mol Natriumzitrat) unmittelbar vor der Narkose. Die Wirkung von Natriumzitrat tritt rasch ein und hebt auch über die Dauer der Operation hinaus den pH-Wert auf >4 an.

Lagerung

Die ideale Lagerung von Patienten mit erhöhtem Aspirationsrisiko zur Narkoseeinleitung wurde in wenigen Studien untersucht, folglich gibt es keine einheitlichen Empfehlungen. Einige Autoren favorisieren die Trendelenburg-Lagerung (Kopftieflage), um der Schwerkraft folgend eine Möglichkeit für den Abfluss von Erbrochenem zu schaffen. Häufiger wird zur Narkoseeinleitung die Oberkörperhochlagerung (30–45°) empfohlen. Dadurch sind eine raschere und wirksamere Präoxygenierung bzw. Denitrogenisierung möglich, und die passive Regurgitation wird erschwert [9]. Wenn ein Patient bereits erbricht, sollte er in Kopftieflage gebracht und auf die Seite gedreht werden, um das Ablaufen des Erbrochenen zu gewährleisten.

Anästhesieverfahren

Bei Risikopatienten bzw. Situationen und Krankheitsbildern, die mit einer vermehrten Aspiration assoziiert sind, sollte bei der Wahl des Anästhesieverfahrens die Möglichkeit einer Regionalanästhesie geprüft werden. Allerdings verbietet sich dann eine zusätzliche tiefe Analgosedierung, um eine Kompromittierung der Schutzreflexe zu vermeiden.

Für die Allgemeinanästhesie gilt nach wie vor die Intubation als Goldstandard zur Sicherung der Atemwege vor Aspiration. Eine Indikation für die Larynxmaske besteht lediglich zur Sicherstellung der Oxygenierung und Ventilation bei unerwartet schwieriger Intubation.

Die Anlage einer Magensonde vor Narkoseeinleitung soll den Magen von Luft und Flüssigkeit entlasten. Eine Magenentleerung von festen Bestandteilen ist dabei wegen des dünnen Lumens der Sonde meist nicht möglich. Mit der Diagnosestellung „Ileus“ muss eine Magensonde platziert werden. Ob vor jeder RSI („rapid sequence induction“), auch ohne Ileussymptomatik, eine Magensonde gelegt und belassen oder unmittelbar vor der Einleitung wieder gezogen werden sollte, wird kontrovers diskutiert. Es finden sich aber Hinweise darauf, dass durch die liegende Magensonde der Krikoiddruck weniger effektiv ist und die Sonde als Leitschiene für eine Regurgitation dienen kann, sodass wir die Entfernung der Magensonde empfehlen, bevor die Narkose eingeleitet wird.

Die Narkoseeinleitung bei aspirationsgefährdeten Patienten erfolgt immer als RSI (synonym: Ileuseinleitung, Crash-Induktion) mit dem Ziel, die Atemwege möglichst rasch durch tracheale Intubation zu sichern.

RSI/Ileuseinleitung/Crash-Induktion

Vorbereitung

Während der Ileuseinleitung hilft ein überlegtes und gut geplantes Vorgehen, eine Gefährdung des Patienten zu vermeiden (Tab. 3). Vor Beginn muss der Arbeitsplatz sorgfältig überprüft werden: Die Absaugvorrichtung muss funktionstüchtig und aktiviert sein, Medikamente und Trachealtuben verschiedenster Größen sollten in ausreichender Menge verfügbar sein. Laryngoskope sollten in 2-facher Ausführung griffbereit liegen, um z. B. bei einem technischen Defekt ohne Zeitverzögerung weiterarbeiten zu können. Wenn immer möglich, sollte die Narkoseeinleitung von 2 Anästhesisten durchgeführt werden. Für den Fall einer unmöglichen Intubation sollten Larynxmasken als Alternative zur Sicherung der Ventilation bereitliegen.

Tab. 3 Vorgehen bei Ileuseinleitung

Medikamente

Die Einleitung der Narkose erfolgt zumeist mit Thiopental oder Propofol , auch wenn bei Verwendung dieser Substanzen – gerade bei Patienten mit Hypovolämie – eine z. T. erhebliche Hypotonie auftreten kann (Reduktion des systemischen peripheren Widerstands, negative Inotropie). Daher sollten vor der RSI ein vermutetes Volumendefizit ausgeglichen und eine Dosisanpassung vorgenommen werden.

Von den alternativ verfügbaren Hypnotika garantiert Etomidat bei der Einleitung der Narkose bei Hypovolämie eine weitgehende Stabilität des Blutdrucks. Verantwortlich dafür ist vornehmlich dessen Wirkung als Agonist des α2B-Adrenorezeptors [25]. Sein Einsatz bei kritisch kranken Patienten ist jedoch nicht bedenkenlos zu empfehlen, da bereits die einmalige Gabe eine zwar zeitlich begrenzte (24 h), jedoch relevante Suppression der Nebennierenfunktion bewirken kann. Auch ein Effekt auf die Sterblichkeit dieser Patientenpopulation wird diskutiert [2], sodass die Indikation zum Einsatz von Etomidat kritisch geprüft werden muss. Sein Gebrauch zur RSI bei nicht kritisch kranken Patienten wurde von Yeung u. Zed [40] als weitgehend unbedenklich eingestuft. Diese Einschätzung wird von den Autoren nicht geteilt, da die Bedeutung der vorübergehenden Nebennierenrindenfunktionsstörung zu wenig untersucht ist.

Die Wirkung von S-Ketamin (0,5–2 mg/kg Körpergewicht) tritt wegen der hohen Fettlöslichkeit und dem raschen Anfluten im ZNS nach weniger als 1 min ein, der Maximaleffekt ist nach 1 min erreicht. In der angegebenen Dosierung werden ein Anstieg der Herzfrequenz, des Herzzeitvolumens und des systemischen und des Pulmonalarteriendrucks beobachtet, mit entsprechender Zunahme des myokardialen Sauerstoffverbrauchs. Der rasche Wirkeintritt, die stark analgetische und die zusätzliche bronchodilatorische Wirkung machen das Medikament attraktiv für eine RSI, wenn keine schwere koronare Herzerkrankung vorliegt. Alpträume nach Applikation von Ketamin zur RSI werden in bis zu 55% der Fälle berichtet [29].

Sukzinylcholin (0,6–1 mg/kg Körpergewicht) ist trotz seiner vielfältigen Nebenwirkungen das Muskelrelaxans (MR) der Wahl bei der RSI.

Bei Kontraindikationen für Sukzinylcholin ist Rocuronium als nichtdepolarisierendes MR in einer Dosis von 0,9 mg/kg Körpergewicht die alternative Substanz [27]. Es hat mit 60–90 s eine geringfügig längere Anschlagszeit als Sukzinylcholin. Wegen der deutlich längeren Wirkdauer muss bei unerwartet kurzen Operationen eine verlängerte Beatmung in Kauf genommen werden. Eine wertvolle Substanz für diese Situationen könnte das Medikament Sugammadex werden, ein Cyclodextrin, das die Eigenschaft besitzt, eine Muskelblockade durch nichtdepolarisierende steroidbasierte Muskelrelaxanzien zu antagonisieren [7].

Das Konzept des Priming oder Timing sollte bei der RSI nicht verfolgt werden, damit es nicht vorzeitig zu einem Verlust der protektiven Atemwegsreflexe kommt (Tab. 4).

Tab. 4 Medikamente zur RSI

Krikoiddruck

Der Tonus des oberen Ösophagussphinkters verhindert bei wachen Patienten die Regurgitation und damit eine Aspiration. Nach Einleitung der Narkose und bereits vor dem Verlust des Bewusstseins ist er im oberen Ösophagus vermindert. sodass es – v. a. bei erhöhtem Druck im Magen – zur Regurgitation kommen kann. Durch Druck auf den Schildknorpel mit 20 und 40 N sollen der Ösophagus komprimiert und so die Regurgitation bzw. Aspiration verhindert werden. Ebenso soll im Fall einer Maskenbeatmung der Übertritt von Luft in den Magen minimiert werden. Der Krikoiddruck (Synonym: Sellick-Handgriff ) als ein manuelles Verfahren zur Aspirationsprophylaxe gilt noch als Standard bei einer RSI [6].

Herman et al. [14] konnten zeigen, dass es keinem von 53 Anästhesisten jeglicher Qualifikationsstufe auf Anhieb gelang, einen suffizienten Sellick-Handgriff auszuführen. Der ausgeübte Druck sollte bei wachen Patienten 20 N und nach Eintritt des Bewusstseinsverlusts 30–40 N betragen. Die Studie ergab auch, dass die Technik mit einfachen Methoden erlernbar ist und auch nach 3 Monaten noch korrekt von jedem Probanden durchgeführt werden konnte [14].

Bis heute gibt es allerdings keine Untersuchungen, die den praktischen Nutzen dieser Technik belegen [10]. In einer umfassenden Analyse kam Priebe [26] zu dem Ergebnis, dass es für den Krikoidruck keine auf Studien basierende Rationale gibt und dass die Anwendung bei der RSI zwar Tradition besitzt, jedoch keine Evidenz [26].

Kritiker des Sellick-Handgriffs argumentieren, dass durch den Krikoidruck der Tonus im unteren Ösophagusdrittel abnimmt und so der Verschlussdruck reduziert wird. Weiterhin konnte eine MRT-Studie zeigen, dass bei 50% der Patienten der Ösophagus nicht hinter der Trachea lokalisiert war. Der Krikoidruck führte in 90% der Fälle zu einer lateralen Verlagerung des Ösophagus und somit zu einer nicht ausreichenden Ösophaguskompression [33]. Bei unsachgemäßer Anwendung oder Durchführung bei einem noch nicht ausreichend narkotisierten Patienten können Würgen und Erbrechen ausgelöst werden. Darüber hinaus kann eine signifikante Steigerung der Herzfrequenz sowie des arteriellen Blutdrucks beobachtet werden. Auch die direkte Laryngoskopie kann erschwert sein und damit die Intubation verzögert werden. Bei aktivem Erbrechen muss der Krikoidruck gelöst werden, da andernfalls eine Ösophagusruptur auftreten kann (Tab. 5).

Nach der aktuellen Datenlage kann keine eindeutige Empfehlung zur Durchführung des Sellick-Handgriffs zur Verhinderung der Aspiration ausgesprochen werden.

Tab. 5 Probleme und Nebenwirkungen des Krikoiddrucks (Sellick-Handgriff)

Narkoseeinleitung

Wenn nicht schon im Rahmen der Prämedikation geschehen, wird noch einmal durch Befragen und durch Inspektion überprüft, ob Hinweise für eine schwierige Intubation vorliegen. Nach Oberkörperhochlagerung und ggf. Entlastung des Magens über eine Magensonde (Ileus, akutes Abdomen) erfolgt über eine dicht sitzende Gesichtsmaske die Präoxygenierung für 5–10 min mit 100% Sauerstoff.

Nach Beginn des Krikoiddrucks werden in rascher Folge das Hypnotikum und anschließend das Muskelrelaxans injiziert. Auf die primäre Gabe eines Opiats zur Narkoseeinleitung wird zunächst verzichtet (kompromittierter Schutzreflex). Nach Einsetzen der neuromuskulären Blockade, nach etwa 45–60 s, erfolgt die endotracheale Intubation.

Komplikationen der RSI

Kreislaufinsuffizienz

Die RSI beinhaltet ein hohes Risikopotenzial. Viele Krankheitsbilder, bei denen sie indiziert ist (Ileus, Trauma), sind per se mit einer Hypovolämie vergesellschaftet, sodass sich nach Applikation des Hypnotikums eine Kreislaufinsuffizienz einstellt. Daher sollten bereits vor Narkosebeginn der Volumenstatus des Patienten geprüft werden und – wenn möglich – eine Volumensubstitution erfolgen.

Schwierige Intubation

Alle Scores zur Vorhersage einer schwierigen Intubation (Cormack, Mallampati u. a.) haben nur einen geringen prädiktiven Wert, sodass immer mit einer „cannot ventilate, cannot intubate“-Situation gerechnet werden muss (Häufigkeit 1,1–3,8%). Obwohl die RSI bei etwa 99% aller Patienten gelingt, muss für die übrigen Fälle eine Strategie im Vorfeld zurechtgelegt werden. Die Leitlinien „Airway Management“ der DGAI (Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin) bzw. der Algorithmus für das Vorgehen bei schwierigem Atemweg der ASA sind wertvolle Empfehlungen zur Orientierung in diesen Notfallsituationen [4, 8].

Bei einer vermuteten schwierigen Intubation besteht auch beim aspirationsgefährdeten Patienten die Indikation zur fiberoptischen Wachintubation in Lokalanästhesie. Steht dafür nicht ausreichend Zeit zur Verfügung, muss die RSI in „modifizierter“ Form erfolgen. Hierbei wird vor Gabe des Relaxans eine einmalige Beatmung über die Gesichtsmaske mit inspiratorischer Druckbegrenzung (<20 cmH2O) durchgeführt, um die Durchführbarkeit einer evtl. erforderlich werdenden Maskenbeatmung abzuschätzen. Für die RSI konnte gezeigt werden, dass ein solches Vorgehen nicht zur Luftinsufflation in den Magen führt [19]. In jedem Fall muss die Option für einen operativen Zugang (Koniotomie, Tracheotomie) verfügbar sein.

Hypoxie

Die bestimmenden Determinanten für den zeitlichen Umfang einer Apnoetoleranz (Zeitfenster mit Apnoe bis zur kritischen Desaturierung des Hämoglobins) sind:

  • die funktionelle Residualkapazität (FRC),

  • die Dauer der Präoxygenierung sowie

  • der Sauerstoffverbrauch des Organismus.

Ein hoch stehendes Zwerchfell ist die häufigste Ursache für eine reduzierte FRC, z. B. der adipöse Patient in Rückenlage oder durch intraabdominelle Volumenzunahme (Aszites, Ileus). Ein hoher Sauerstoffverbrauch (z. B. bei Neugeborenen und Säuglingen) reduziert ebenfalls die Zeitspanne, bis sich eine Hypoxie einstellt. Ein niedriges Herzzeitvolumen (und damit eine reduzierte Durchblutung der Lunge) schränkt die Effizienz einer Präoxygenierung deutlich ein. Schließlich haben auch Patienten mit struktureller Lungenerkrankung eine erniedrigte Apnoetoleranz. Eine Zusammenfassung theoretischer Überlegungen zum Thema Hämoglobindesaturierung während Apnoe findet sich bei Farmery u. Roe [11].

Beobachtete Aspiration

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen lässt sich eine Aspiration nicht immer verhindern. Die Therapie nach einer solchen ist symptomatisch und der klinischen Situation angepasst. Symptome, die auf eine Aspiration hinweisen sind:

  • sichtbar Erbrochenes im Oropharynx

  • Hypoxie trotz korrekter endotrachealer Intubation und Beatmung

  • erhöhter inspiratorischer Druck bei mechanischer Beatmung

  • Dyspnoe, Hyperventilation oder Apnoe während Spontanatmung

  • Bronchospasmus

  • Laryngospasmus

  • pathologischer Auskultationsbefund

Bei beobachteter Aspiration während der Narkoseeinleitung wird der Patient in die Trendelenburg-Position gebracht, um entsprechend der Schwerkraft den Abfluss des Erbrochenen von den Atemwegen weg zu gewährleisten. Wenn möglich, wird der Krikoiddruck beibehalten, bis die Intubation sicher erfolgt ist. Anschließend werden die oberen Luftwege abgesaugt und ggf. mit der Magill-Zange feste Fremdkörper entfernt.

Nach der Intubation sollte vor Beginn der Beatmung endotracheal und endobronchial abgesaugt werden. Auch sollte eine fiberoptische Bronchoskopie durchgeführt werden, um das Ausmaß der Aspiration abzuschätzen und Material für die mikrobiologische Analyse zu gewinnen (Tab. 6). Eine bronchoalveoläre Lavage ist obsolet, um eine Verteilung des Aspirats in die tiefen Lungenabschnitte zu vermeiden.

Tab. 6 Vorgehen nach beobachteter Aspiration

Beatmungstherapie

Bei allen Maßnahmen haben die Vermeidung einer Hypoxie und die Aufrechterhaltung des Kreislaufs oberste Priorität. Die Beatmung erfolgt zunächst kontrolliert mit FiO2=1,0. Da die Beatmungstherapie selbst eine inflammatorische Reaktion des Lungenparenchyms verursachen kann, ist eine wenig aggressive Beatmungsform mit niedrigem Tidalvolumen (6–8 ml/kg ideales Körpergewicht), Druckbegrenzung und PEEP indiziert [31].

Abhängig vom Ausmaß der Lungenfunktionsstörung und der Dringlichkeit der operativen Intervention muss mit dem Operateur gemeinsam das weitere Vorgehen (Operationsdurchführung, Abbruch, kleinstmöglicher Eingriff) entschieden werden.

Thoraxröntgen

Ein Röntgenbild der Lunge sollte baldmöglichst angefertigt werden, um Belüftungsstörungen, Atelektasen sowie die Entwicklung eines bronchopulmonalen Infiltrats zu erkennen. In etwa 25% der Fälle fehlen in der Frühphase radiologische Zeichen einer Aspiration.

Unkomplizierter Verlauf

Patienten mit unkompliziertem Verlauf (Tab. 7) können nach 6 h auf Normalstation verlegt werden. Eine postanästhesiologische Visite mit intermittierender pulsoxymetrischer Messung der Sauerstoffsättigung ist sicherzustellen. Bei Auffälligkeiten im Auskultationsbefund oder der Sättigungsmessung empfiehlt sich eine Röntgenthoraxaufnahme.

Tab. 7 Verlegungskriterien aus dem Aufwachraum nach vermuteter Aspiration

Narkoseausleitung

Da die Gefahr einer Aspiration auch über den Operationszeitpunkt hinaus besteht, muss den Patienten auch während der Narkoseausleitung und im Aufwachraum erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Bei noch mangelhafter Vigilanz und nicht ausreichenden Schutzreflexen (z. B. Relaxansüberhang) kann es zur stillen Aspiration kommen. Etwa 20% der Patienten weisen bis zu 4 h nach einer Vollnarkose beeinträchtigte laryngeale Schutzreflexe auf. Bei Patienten mit entsprechenden Risiken muss der Magen vor der Extubation gründlich abgesaugt werden, eine Extubation sollte daher nur bei Patienten mit sicher vorhandenen Schutzreflexen vorgenommen werden. Die Patienten sollten nach der Narkose mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden.

Therapie nach Aspiration

Auf der Intensivstation sind zur Einschätzung des Grades der Funktionseinschränkung der Lunge und deren Beurteilung im Verlauf erforderlich:

  • die Überwachung der Atemfrequenz,

  • die pulsoxymetrische Messung der Sauerstoffsättigung und

  • eine arterielle Blutgasanalyse.

Obwohl es keine spezifischen radiologischen Zeichen einer Aspiration gibt, ist eine Röntgenaufnahme der Lunge obligat. Bei der Anforderung sollte dem Radiologen explizit die Frage nach Hinweisen auf eine Aspiration gestellt werden, damit die Röntgenaufnahme in diesem Kontext beurteilt werden kann.

Die Behandlung der abakteriellen Pneumonitis ist rein supportiv. Im Vordergrund stehen das Freimachen der Atemwege und die Vermeidung einer Hypoxie. Durch eine Bronchoskopie lässt sich das Ausmaß der Aspiration feststellen. In diesem Arbeitsschritt kann auch eine durch die Aspiration aufgetretene Obstruktion (Belüftungsstörung) beseitigt werden. Eine Spülung des Bronchialsystems ist obsolet, da damit aspiriertes Material in die tiefen Atemwege verbreitet werden würde.

Antibiotika

Die sofortige oder prophylaktische Gabe eines Antibiotikums nach Aspiration ist grundsätzlich nicht indiziert. Das Risiko, eine Atemwegsinfektion nach Aspiration zu entwickeln, ist eng mit der Komorbidität bzw. Immunkompetenz (Patient ohne Begleiterkrankung vs. Alkoholiker, Diabetiker, strukturelle Lungenerkrankung, Steroidtherapie) des Patienten verbunden. Auch die Umstände und die Art der Aspiration bzw. die Virulenz potentiell aspirierter Keime (z. B. Magensaft vs. Darminhalt) sind Kriterien, die bei der Indikationsstellung berücksichtigt werden müssen. Schließlich sind Faktoren wie Vorbehandlung mit einem Antibiotikum und Verweildauer im Krankenhaus (ambulante vs. nosokomiale Flora) für die empirische Therapie entscheidend [38].

Durch prophylaktische Gabe eines Antibiotikums kann eine Pneumonie nicht sicher verhindert werden, wohl aber muss die Selektion von resistenten Erregern befürchtet werden.

Aspirationspneumonie

Es handelt sich oft um eine polymikrobielle Mischinfektion , bestehend aus aeroben und anaeroben Erregern. Bei der unkomplizierten Pneumonie (weniger als 4 Tage im Krankenhaus, kein Darmsekret aspiriert, nicht immunkompromittiert) müssen bei der Wahl des Antibiotikums neben Anaerobiern (u. a. Peptokokken, Peptostreptokokken, Bacterioides, Fusobacterium, Prevotella) v. a. Streptococcus pneumoniae, Staphylococcus aureus, Haemophilus influenzae und Enterobacteriaceae berücksichtigt werden.

Therapieoptionen sind:

  • Ampicillin + β-Laktamase-Inhibitor (BLI)

  • Clindamycin ± Zephalosporin 2./3. Generation (ohne Pseudomonasaktivität)

  • Moxifloxacin

Bei der Therapie der komplizierten Aspirationspneumonie (Liegedauer im Krankenhaus >4 Tage, Komorbidität, Steroidbehandlung) muss zusätzlich Pseudomonas aeruginosa berücksichtigt werden:

Therapieoptionen sind:

  • Piperacillin + BLI

  • Clindamycin + Ceftazidim oder Cefepim

  • Carbapeneme

  • Levofloxacin

Fazit für die Praxis

Die Narkoseeinleitung bei potenziell nicht nüchternen Patienten erfordert ein hohes Maß an anästhesiologischer Professionalität. Obwohl bei der RSI in 99% der Fälle primär intubiert werden kann, ohne dass es zur Aspiration kommt, können deren Komplikationen (Hypoxie, Aspiration, Hypotension) dennoch fatal sein. Ein Algorithmus für die Vorgehensweise in dieser Ausnahmesituation trägt zur Risikominimierung bei. Die Einschätzung der aktuellen Kreislauffunktion (Hypovolämie, Herzinsuffizienz, Anämie) bzw. der Lungenfunktion (FRC) und entsprechende therapeutische Interventionen vor der Einleitung der Narkose (Kreislauftherapie, Präoxygenierung) sind für die Vermeidung von Komplikationen entscheidend. Für den Sellick-Handgriff als mechanischen Aspirationsschutz gibt es keine auf Studien basierende Rationale, und die Anwendung beruht mehr auf Tradition als auf Evidenz.

CME-Fragebogen

Welche Aussage zur Aspiration ist falsch ?

Die Inzidenz bei Intubationsnarkosen beträgt 1,4–5/10.000 Narkosen.

Die Morbidität infolge Aspiration liegt bei 3,8–6/10.000 Narkosen.

Die Letalität beträgt 1–2,2/100.000 Narkosen.

10–30% der anästhesiebedingten Todesfälle sind auf eine Aspiration zurückzuführen.

Häufig liegen bei den Patienten eine Vigilanzstörung, eine Dysphagie oder eine Obstruktion im Bereich des Gastrointestinaltrakts vor.

Welche Aussage zur Pathophysiologie der Aspiration ist falsch ?

50% aller Erwachsenen aspirieren im Schlaf, ohne eine Inflammation oder Infektion zu entwickeln.

Verdauungssekrete des Gastrointestinaltrakts führen nach Aspiration zu einer physiko-chemischen Schädigung der Atemwege mit Desquamation des Atemwegepithels.

Die klinische Symptomatik der Pneumonitis in den ersten Stunden nach der Aspiration unterscheidet sich nicht von den Symptomen einer Pneumonie.

Das Auftreten einer Pneumonie nach Aspiration von bakteriell kontaminierten oro-pharyngealen Sekreten ist obligat.

Kommt es zur Destruktion der alveo-kapillaren Einheit, können Zytokine in die Blutbahn übertreten und eine systemische Reaktion provozieren (SIRS).

Welcher der folgenden Faktoren ist kein Risikofaktor für das Auftreten einer Aspiration?

Zu geringe Narkosetiefe während der Narkoseeinleitung.

Das Vorliegen eines Diabetes mellitus als Begleiterkrankung.

Traumapatienten.

Enterale Ernährung mittels Magensonde auf der Intensivstation.

Alter <60 Jahre.

Welche Aussage hinsichtlich der Prävention einer Aspiration trifft nicht zu?

Eine Dauermedikation mit PPI (Protonenpumpeninhibitoren) oder Antazida sollte perioperativ weitergeführt werden.

Zur idealen Lagerung von Patienten mit erhöhtem Aspirationsrisiko gibt es bisher keine einheitlichen Empfehlungen.

Bei Patienten mit einem erhöhten Aspirationsrisiko sollte die Möglichkeit eines Regionalanästhesieverfahrens ohne Sedierung geprüft werden.

Trotz präoperative Nüchternheit von mehr als 6 h lässt sich eine Aspiration nicht sicher vermeiden.

Mit dem Sellick-Handgriff kann eine Aspiration sicher verhindert werden.

Welche der folgenden Aussagen zur Diagnostik, mikrobiologischen Aspekten und Therapie der Aspiration trifft am ehesten zu?

Eine Röntgenthoraxaufnahme ist in der Regel überflüssig.

Die Bronchoskopie hat in der Diagnostik und Therapie der Aspiration keinen Stellenwert.

Für das Risiko einer Atemwegsinfektion nach Aspiration spielen Komorbiditäten und die Immunkompetenz des Patienten nur eine untergeordnete Rolle.

Die Aspirationspneumonie ist nur selten eine polymikrobielle Mischinfektion.

Durch die prophylaktische Gabe eines Antibiotikums kann eine Pneumonie nicht sicher verhindert werden.

Welche Aussage zu den Medikamenten bei der RSI („rapid sequence induction“) ist falsch ?

Unter Beachtung der Kontraindikationen ist S-Ketamin zur RSI geeignet.

Bei Kontraindikationen gegen Sukzinylcholin kann Rocuronium in einer Dosis von 0,9–1,2 mg/kg Körpergewicht als Muskelrelaxans verwendet werden.

Propofol als Induktionshypnotikum kann v. a. bei Hypovolämie eine relevante Hypotension zur Folge haben.

Der Einsatz von Etomidat bei kritisch Kranken kann bedenkenlos empfohlen werden.

Das Konzept des Priming oder Timing sollte bei der RSI nicht angewandt werden.

Im Bereitschaftsdienst werden Sie um 4 Uhr morgens mit einer 79-jährigen adipösen Patientin [BMI (Body-Mass-Index) =39] mit medialer Schenkelhalsfraktur konfrontiert. Nebenbefundlich sind eine koronare 3-Gefäß-Erkrankung mit stattgehabtem NSTEMI (Nicht-ST-Strecken-Elevations-Myokardinfarkt) vor 4 Monaten und ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus bekannt. Die letzte Nahrungsaufnahme wird von der Patientin mit 20 Uhr des Vorabends angegeben. Trotz RSI in Anti-Trendelenburg-Lage und Sellick-Handgriff kommt es zur Regurgitation und Aspiration von Magensaft. Welche Aussage zum Vorgehen nach Aspiration bei der Narkoseeinleitung ist falsch ?

Die Atemwegssicherung sollte rasch durch Intubation erfolgen.

Die Vermeidung einer Hypoxie und die Aufrechterhaltung des Kreislaufs haben oberste Priorität.

Bei gesicherter Aspiration von Magensaft (pH<2) muss eine sofortige Lavage der Atemwege mit Natriumbikarbonat 8,4% durchgeführt werden.

Nach der Intubation sollte vor Beginn der Beatmung endotracheal und endobronchial abgesaugt werden.

Bei ausgeprägter Bronchospastik kann ein β2-Mimetikum inhalativ appliziert werden.

Welche der folgenden Komplikationen ist am wenigsten auf die Anwendung eines Krikoiddrucks mittels Sellick-Handgriff zurückzuführen?

Bronchospasmus.

Würgen und Erbrechen des Patienten.

Verschlechterung der Intubationsbedingungen.

Ösophagusruptur.

Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck.

Ein Patient nach vermuteter Aspiration soll nach 6 h Überwachung auf eine Normalstation verlegt werden. Welcher der folgenden Befunde spricht gegen die Verlegung?

Temperatur von 36,5°C.

Kein Bronchospasmus auskultierbar.

Sauerstoffsättigung: 97% ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr.

Herzfrequenz: 84 Schläge/min.

Atemfrequenz: 30/min.

Welche Aussage zur Beatmungstherapie nach erfolgter Aspiration trifft am wenigsten zu?

Die Beatmungstherapie selbst kann eine inflammatorische Reaktion des Lungenparenchyms verursachen.

Der Patient sollte zunächst mit einer FiO2 von 1,0 beatmet werden.

Eine Druckbegrenzung ist nicht notwendig.

Es wird empfohlen, das Tidalvolumen auf 6–8 ml/kg (bezogen auf das ideale Körpergewicht) einzustellen.

In Abhängigkeit vom Ausmaß der Lungenfunktionsstörung und der Dringlichkeit der Operation muss mit dem Operateur gemeinsam über das weitere Vorgehen entschieden werden.