Zusammenfassung
Operationsziel
Die „posterior vertebral column resection“ (PVCR) ist eine Reservetechnik zur Behandlung schwerer thorakaler Kyphosen mit bereits eingetretenen oder zeitnah drohenden neurologischen Komplikationen. Diese Technik sollte aufgrund des hohen Komplikationsspektrums nur ausgewählten Patienten empfohlen werden. Das Ziel der Operation ist die einzeitige Resektion des Wirbelkörpers über eine Kostotransversektomie mit einer 360°-Spondylodese. Nach Resektion des Wirbelkörpers gelingt eine Aufrichtung einer zuvor bestehenden kyphotischen Fehlstellung.
Indikationen
Ausgeprägte Kyphosen der Brustwirbelsäule (BWS) nach osteoporotischen Sinterungsfrakturen mit bereits eingetretenen oder zeitnah drohenden neurologischen Komplikationen auf einer oder mehreren Höhen.
Kontraindikationen
Allgemeine Kontraindikationen gegen chirurgische Eingriffe, ASA >3 (American Society of Anesthesiologists).
Operationstechnik
Zuerst erfolgt eine Stabilisierung der Wirbelsäule mit mindestens 2 Wirbelkörpern kranial und kaudal der „vertebral column resection“ (VCR). Einzeitig werden anschließend eine Laminektomie mit Kostotransversektomie sowie die Resektion des Wirbelkörpers durchgeführt. Die ventrale Abstützung erfolgt durch das Einbringen eines Mesh-Cages in den ventralen Defekt. Durch die Kompression über die Längsträger wird die Fehlstellung reponiert und die Mesh-Cages verklemmt. Abschließend wird die 360°-Spondylodese von dorsal durch Aufmeißeln der Wirbelgelenke und die Anlagerung von Knochen bzw. Knochenersatzmaterial komplettiert.
Weiterbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Vermeidung von Spitzenbelastungen und Behandlung der Osteoporose.
Ergebnisse
In einer von den Autoren durchgeführten retrospektiven Studie wurden 10 Patienten mit dieser Operationstechnik analysiert. Die Ergebnisse zeigen eine sehr gute Korrektur der kyphotischen Fehlstellung bei einem moderaten Komplikationsspektrum.
Abstract
Objective
The posterior vertebral column resection (PVCR) comprises a one-step resection of the vertebral body by a costotransversectomy together with a 360° spondylodesis. After removing the vertebral body, straightening of the existing kyphotic malposition is possible.
Indications
Pronounced thoracic kyphosis after osteoporotic sintering fractures in one or more vertebral bodies.
Contraindications
General contraindications for surgical procedures, ASA >3 (American Society of Anesthesiologists).
Surgical technique
First, dorsal stabilization of the vertebral column on at least two levels cranial and caudal of the VCR. Next, in a one-step procedure the laminectomy with costotransversectomy and the resection of the vertebral body is done. The ventral defect gap is filled by a mesh cage to provide ventral support. By compression the malposition is reduced and the mesh cage is fixed into position. Finally the vertebrae joints are opened up using a chisel and bone or bone substitute is placed to complete the 360° spondylodesis.
Postoperative management
Functional treatment without peak load exercises as well as appropriate osteoporosis treatment.
Results
In a retrospective study 10 patients treated with this surgical technique were investigated. The results show a very good correction of the kyphotic maldeformity while the complications remain moderate.
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Vorbemerkungen
Die Inzidenz fokaler Kyphosen an der Brustwirbelsäule (BWS) ist gering. Die Fehlstellung hat neben Auswirkungen auf das Erscheinungsbild der Patienten auch gravierende medizinische Folgen. Im Vordergrund stehen zunehmende Schmerzen, schnelle Erschöpfbarkeit, Dyspnoe und neurologische Defizite [1]. Ursächlich waren in der Vergangenheit hauptsächlich ossäre Destruktionen von thorakalen Wirbeln bei Tuberkulose oder kongenitalen Fehlbildungen [2]. Mit Zunahme der Inzidenz Osteoporose-assoziierter Frakturen an der BWS wird es zukünftig zu einer Häufung von thorakalen kyphotischen Fehlstellungen kommen. Neben der Minderung der Knochenqualität erhöht insbesondere die Zunahme der Kyphose das Risiko für Anschlussfrakturen durch eine Verlagerung der Tragachse nach ventral. Therapieziele sind die Beseitigung der Fehlstellung in sagittaler und koronarer Ebene, Vorbeugung einer Rekyphosierung und eine Beschwerdebesserung bei den Patienten. Die technisch aufwändige „posterior vertebral column resection“ (PVCR) ist die operative Technik, die im Vergleich zu anderen Techniken (z. B. Smith-Peterson-Osteotomie oder Pedikelsubtraktionsosteotomie) die größte Deformitätenkorrektur an der BWS ermöglicht [3]. Die Operationstechnik ist extrem anspruchsvoll und sollte daher sehr kritisch indiziert werden.
Operationsprinzip und -ziel
Das Operationsprinzip ist in Abb. 1 schematisch dargestellt. Ziel der Operation sind die Wiederherstellung des sagittalen Profils bei Hyperkyphose der thorakalen Wirbelsäule sowie die Dekompression des Spinalkanals mit gleichzeitiger dorsoventraler Spondylodese über einen isoliert dorsalen Zugang.
Vorteile
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Isoliert dorsaler Zugang zur Brustwirbelsäule
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Sehr gute Möglichkeit zur Deformitätenkorrektur
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Gute Darstellung der neuronalen Strukturen
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Vermeidung eines ventralen Zugangs mit Kompromittieren der Thoraxorgane
Nachteile
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Technisch sehr anspruchsvolle Operation
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Hoher Blutverlust möglich
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Intraoperative Instabilität der Brustwirbelsäule
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Gefahr der neurologischen Kompromittierung
Indikationen
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Hochgradige symptomatische thorakale Deformität mit Kyphose >45° (Cobb)
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Sekundäre Spinalkanalstenose bei hochgradiger thorakaler Kyphose
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Knöcherne Defekte bei Spondylodiszitis oder Tumoren
Kontraindikationen
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Allgemeine Kontraindikationen gegen Operationen
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ASA >3 (American Society of Anesthesiologists)
Patientenaufklärung
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Auftreten von neurologischen Komplikationen
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Hypästhesie im Bereich der Rhizotomie (selten bei monosegmentaler VCR)
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Hoher Blutverlust mit Gabe von Erythrozytenkonzentraten
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Postoperative Wundheilungsstörung mit Notwendigkeit von Folgeoperationen
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Ausreißen von Schrauben oder Cage-Sinterung bei schlechter Knochenqualität
Operationsvorbereitungen
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Röntgenbilder der Brustwirbelsäule in 2 Ebenen im Stehen
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Ganzwirbelsäulenaufnahme in 2 Ebenen im Stehen
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CT der BWS mit Bestimmung der Knochenqualität (qCT)
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MRT der BWS
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Bei fehlender qCT-Möglichkeit präoperative Durchführung einer Knochendichtemessung mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA)
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Blutverluste von über 1000 ml sind bei dieser Operationsmethode möglich. Diesem Blutverlust muss präoperativ durch eine ausreichende Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten Rechnung getragen werden
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Cell Saver (Cave: eingeschränkte Anwendung bei Tumoren bzw. Kontraindikation bei Spondylodiszitis)
Instrumentarium
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Dorsales Schrauben-Stab-System
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Mesh-Cage für ventrale Abstützung
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Wirbelsäulenstanzen und -rongeure
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Monopolare Messer- oder Spatelelektrode
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Bipolare Pinzetten
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Operationsmikroskop
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Highspeed-Fräse
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Gegebenenfalls synthetisches Knochenersatzmaterial zum Füllen des Cages im Gemisch mit reseziertem Knochen bzw. zur dorsalen Spondylodese
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Gegebenenfalls Anwendung eines Neuromonitorings
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Gegebenenfalls Anwendung eines Navigationssystems zur Schraubenpositionierung
Anästhesie und Lagerung
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Allgemeinnarkose
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Bauchlage auf Kissen, ggf. Concordlagerung mit Mayfield-Klemme
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Bei sehr ausgeprägten Kyphosen kann über ein Entknicken des Operationstisches nach Resektion des Wirbels die Reposition unterstützt werden
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Perioperative Antibiotikaprophylaxe
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Gabe von Tranexamsäure 1 h vor Schnitt
Postoperative Behandlung
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Überwachung auf einer IMC/Intensivstation für 24 h
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Direkt postoperative neurologische Überwachung und regelmäßige Kontrolle
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Mobilisation ab dem 1. postoperativen Tag
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Funktionelle Nachbehandlung unter Vermeidung von Spitzenbelastungen
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Regelmäßige Wundkontrollen. Behandlung der Osteoporose ggf. Optimierung einer vorbestehenden Therapie
Fehler, Gefahren, Komplikationen
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Unbedingter schonender Umgang mit dem Rückenmark – insbesondere Vermeidung einer Distraktion
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Vermeidung der intraoperativen Instabilität durch wechselseitiges Einbringen eines unilateralen Längsträgers
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Durchführung der PVCR über maximal 3 Segmente
Fallbeispiel
Eine 72-jährige Patientin wies eine glukokortikoidinduzierte Osteoporose (GIOP) bei Myasthenia gravis auf. Die Patientin berichtete über ausgeprägte Schmerzen (visuelle Analogskala [VAS] 8) und eine zunehmende Dyspnoe. Die Magnetresonanztomographie (MRT) zeigt eine thorakale Myelopathie (Abb. 11). In der Diagnostik wird eine thorakale Kyphose bei Fraktur von T11 und 9 mit einem Cobb-Winkel von 79° festgestellt.
Aufgrund einer drohenden neurologischen Verschlechterung wird die Indikation zur PVCR gestellt. Nach Durchführung der PVCR zeigt sich eine deutliche Stellungsverbesserung mit einem postoperativen Cobb-Winkel von 31° (Korrektur von 48°; Abb. 12).
In Abb. 13 sind die Ergebnisse der radiologischen Kontrolle nach 9 Monaten dargestellt. Klinisch beschreibt die Patientin eine deutliche Beschwerdelinderung mit Reduktion der Schmerzen (VAS 2–3) und deutlicher Verbesserung der Dyspnoe.
Ergebnisse
Die PVCR ist eine selten angewendete Operationstechnik und sollte nur bei speziellen Indikationen Verwendung finden. Primäre Therapieverfahren sind die konservative Behandlung von Osteoporose-assoziierten Frakturen sowie die Kyphoplastie mit und ohne posteriore Stabilisierung.
In einer von Mitautoren dieses Artikels verfassten retrospektiven Studie [4] wurden 10 Patienten analysiert, die mit dieser Operationstechnik von 2012 bis 2015 stabilisiert wurden. Das Durchschnittsalter der untersuchten Patienten betrug 73,3 Jahre (58–85 Jahre). Mit Ausnahme einer Höhe wurden alle Pedikelschrauben mit einer additiven Zementaugmentation eingebracht. Die durchschnittliche Operationszeit betrug 318 ± 62 min, und der durchschnittliche Blutverlust betrug 1540 ± 745 ml. Der Nachbeobachtungszeitraum der Patienten lag bei durchschnittlich 14 Monaten (3–36 Monate).
Der präoperative Rückenschmerz wurde auf der visuellen Analogskala (VAS) mit 8,6 ± 2,0 (VAS: 4–10) beschrieben. Bei der letzten Verlaufskontrolle zeigte sich ein deutlicher Rückgang auf 5,0 ± 1,4 (VAS: 3–8).
Die Analyse des Oswestry Disability Index (ODI) zeigte präoperativ bei 2 Patienten eine starke Einschränkung (41–60 %), bei 5 eine sehr starke Funktionsminderung (61–80 %) und bei 3 Patienten eine komplette Funktionseinschränkung (81–100 %). Durch die PVCR berichteten 6 Patienten über eine starke Einschränkung (41–60 %), 3 über eine sehr starke und weiterhin 1 Patient über eine komplette Funktionsminderung.
Der Frankel-Score verbesserte sich bei 3 Patienten von D auf E oder zeigte keine Veränderung von prä- zu postoperativ.
Die radiologische Nachuntersuchung zeigte eine Verbesserung der kyphotischen Fehlstellung von 20° ± 10°. Präoperativ wurde eine Kyphose von durchschnittlich 25° ± 14° (5–53°) gemessen. Zum letzten Nachuntersuchungszeitpunkt betrug der Cobb-Winkel 8° ± 7° (5°–21°). Im Vergleich zu angrenzenden gesunden Segmenten wurde das betroffene Segment um 23 % (0–36 %) verkürzt. Eine knöcherne Fusion wurde bei den Patienten innerhalb von 6 Monaten erzielt.
Bei 3 Patienten wurden im Beobachtungszeitraum Komplikationen beobachtet. In einem Fall kam es zu einer intraoperativen mechanischen Komplikation, sodass die Instrumentationsstrecke verlängert wurde. In einem anderen Fall trat eine revisionspflichtige chirurgische Wundinfektion und in einem weiteren Fall eine deutliche klinisch/neurologische Verschlechterung nach initialer Besserung auf. Eine Implantatfehllage konnte dabei ausgeschlossen werden.
Literatur
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Zeng Y, Chen Z, Guo Z, Qi Q, Li W, Sun C (2014) The posterior surgical treatment for focal kyphosis in upper-middle thoracic spine. Eur Spine J 23(11):2291–2298
Lee BH, Hyun SJ, Han S, Kim KJ, Jahng TA, Kim YJ, Kim HJ (2018) Surgical and radiological outcomes after posterior vertebral column resection according to the surgeon’s experience. Medicine (Baltimore) 97(34):e11660
Dreimann M, Hempfing A, Stangenberg M, Viezens L, Weiser L, Czorlich P, Eicker SO (2018) Posterior vertebral column resection with 360-degree osteosynthesis in osteoporotic kyphotic deformity and spinal cord compression. Neurosurg Rev 41(1):221–228
Dreimann M, Hoffmann M, Viezens L et al (2017) Reducing kyphotic deformity by posterior vertebral column resection with 360° osteosynthesis in metastatic epidural spinal cord compression (MESCC). Eur Spine J 26:113–121
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Interessenkonflikt
S. Sehmisch, W. Lehmann, M. Dreimann, S. Oberthür, L. Viezens und L. Weiser geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Redaktion
M. Mayer, München
Zeichner
H.J. Schütze, Köln
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Sehmisch, S., Lehmann, W., Dreimann, M. et al. Posterior vertebral column resection (PVCR) zur Korrektur von Hyperkyphosen bei osteoporotischen Frakturen der Brustwirbelsäule. Oper Orthop Traumatol 31, 311–320 (2019). https://doi.org/10.1007/s00064-019-0616-6
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00064-019-0616-6