Zusammenfassung
„Meine tastenden Bemühungen“, schreibt einer der bekanntesten und meist rezipierten akademischen Psychologen, Hans Jürgen Eysenck, in seinem Buch über die „Ungleichheit des Menschen“ (1975, S.34),
„wurden von denen, die schon die Antworten wußten, mit Verachtung begrüßt — natürlich gibt es keine Rassen; natürlich sind Schwarze genauso intelligent wie Weiße; natürlich sind für alle vermeintlichen Unterschiede allein Umweltfaktoren verantwortlich. Und natürlich muß jeder, der es wagt, an diesen Wahrheiten zu zweifeln, ein Faschist sein — verführt durch ein Establishment zu schlimmster intellektueller Prostitution.“
Ich danke dem interdisziplinären Forschungskolloquium “Inter-Kultur” an der Universität Bielefeld (namentlich: Maria del Mar Castro Varela, Barbara Eßer, Susanne Horstmann, Siavash Miandashti, Melanie Plößer und Danuta Tamborska) für die kritische Aufmerksamkeit, die sie dem Aufsatz in einer früheren Fassung haben zukommen lassen.
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Literatur
Natürlich geht mir die Frage durch den Kopf, was denn wäre, wenn Eysenck recht hätte und Schwarze tatsächlich dümmer sind, und natürlich arbeite ich mich in imaginierter Kommunikation argumentativ an dieser fiktiven Realität ab. Doch, der Umstand, daß ich mir diese Frage stelle, ist unangemessen verstanden, wenn er als Spiegel einer möglichen Realität von “Schwarzen” und “Weißen” interpretiert wird. Ich stelle mir diese Frage, diese Frage bef’allt mich und läßt nicht von mir ab, weil das Wahrheitsdenken mir— als Teil dieser und insbesondere dieser wissenschaftlichen Kultur — so geläufig ist, daß ich in gleichsam kulturell zur Verfilgung gestellte, letztlich aber doch selbst zu verantwortende Fallen tappe.
Der wissenschaftliche Untersuchungsprozeß ist nun — hierauf werde ich weiter unten noch zu sprechen kommen — nur unzureichend verstanden, wenn er auf den Bereich beschrankt wird, in dem beispielsweise nach der Validitat des Instrumentariums der Datenerhebung gefragt wird. Vielmehr gehe ich davon aus, daß auch der “Entdeckungs-” und der “Verwertungszusammenhang” (sozial-)wissenschaftlicher Erkenntnisbildung konstitutive Ebenen des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses bezeichnen.
Der Formulierungszirkel soll auf die Geschlossenheit der vorgestellten Position aufmerksam machen. Ich bin der Ansicht, daß diese innerhalb eines ethischen Diskurses in der Weise eingebracht werden kann, daß moralisch empfindende Personen sich zu der Position verhalten; außerhalb dieses Diskurses und Einverstandnisfeldes ist es aber nicht möglich, die Position mit Gründen einsichtig zu machen.
Der Vorrang dieses moralisch vorbehaltlichen Verständnisses gegenüber gleichsam vorbehaltlosen Ausgangspunkten ist rational nicht zwingend begründbar; bestenfalls kann das Motiv, dieses Verständnis zu präferieren, plausibel gemacht werden (zur moraltheoretischen Unterscheidung von “Motiv” und “Grund”, siehe Tugendhat, 1995, S.85ft).
Noch interessanter und lohnenswerter als die Suche nach Wahrheit, verstanden als “Ensemble der wahren Dinge” (Foucault, 1978, S. 53), ist das Nachdenken über die Bedingungen der argumentativen und kommunikativen Produktion von Erkenntnis, also die Auseinandersetzung mit dem “Ensemble der Regeln, nach denen das Wahre vom Falschen geschieden und das Wahre mit spezifischen Machtwirkungen ausgestattet wird” (ebd.). Denn: “’Wahrheit’, so schreibt Michel Foucault, ”ist zirkular an Machtsysteme gebunden, die sie produzieren und stützen, und an Machtwirkungen, die von ihr ausgehen und sie reproduzieren“ (ebd., S. 54).
Der Einfluß der Wissenschaftlerin — als Person, als Repräsentantin einer Institution und der Intellektuellen — auf den Untersuchungsprozeß kann beispielsweise mit Bezug auf das je eingebrachte gegenstandkonstituierende Untersuchungsinteresse, die erkenntnisleitende Untersuchungsperspektive oder auch die unter anderem durch Merkmale der Wissenschaftlerin gestaltete Beziehung zum Gegenüber, welche auf die Art der Untersuchungsdaten einwirkt, betrachtet werden.
Freilich gibt es empirische Studien, die sich nicht einmal Fragen diesen Typs stellen.
Aufschlußreich ist hier, daß die grammatische Beziehung, die im Akkusativ prototypisch zum Ausdruck kommt, die der Anklage ist (accusare).
Eine Entwicklung in bestimmten Bereichen der sozialwissenschaftlichen Debatte kann mithin in der Abfolge folgender Etappen typisiert werden: Kritik der quasi-positivistischen Sprecherlosigkeit des wissenschaftlichen Sprechens — Präferierung eines Autormodells von Sozialwissenschaft - Kritik des subjektivistischen Autormodells — Differenzierung unterschiedlicher Sphären, die an der Produktion wissenschaftlicher Texte beteiligt sind.
Sozialwissenschaftlerinnen, die als Angehörige einer ethnischen Minderheit an dem wissenschaftlichen Diskurs über ethnische Minderheiten teilnehmen, erleben — so schreibt Werner Schiffauer ( 1997, S.1 65t) — die Verschachtelung von “Alltagskonstruktionen, von Experten-konstruktionen und schließlich von kulturanthropologischen Konstruktionen L.] sozusagen in Personalunion”, und weil aufjeder dieser Ebenen Macht ausgeübt wird, entwickelt diese Gruppe “eine besondere Sensibilität für Machtfragen” (ebd., S. 166 ).
Das objektive Einschreiben rekurriert gewissermaßen auf ein “Anti-Subjekt-Modell” des Beschreibens. Andere typisierte Varianten dieses Modells sind: es wird über niemanden gesprochen (sondern über eine Ansammlung von Eigenschaften, Merkmalen, Einstellungsdaten etc.); der Andere wird als jemand vorgestellt, der zeigt, wie wir nicht sein wollen, er dient der negativen Bestimmung dessen, was wir sind.
Die Aussage, daß Forschung einen Prozeß subjektiver Konstruktion sei bzw. sein solle, verweist in einem doppelten Sinne auf “Subjektivität”. Zum einen geht es darum, die untersuchten Personen als Subjekte darzustellen, zum anderen steht jenes Phänomen im Mittelpunkt, mit dem sich die vorhergehenden Ausführungen beschäftigt haben: Die sozial ermöglichte und eingebundene Subjektivität des Forschers. Die entsprechende Maxime im Rahmen eines Forschungsprozesses subjektiver Konstruktion könnte “Subjektivität von Forschung reflektieren” lauten. Situiertheit und PerspektivitAt des wissenschaftlichen Sprechens werden reflexiv in den Wissenschaftsproza hineingeholt und zwar nicht, um die situative und perspektivische Gebundenheit zu eliminieren, sondern um diese deutlich zu machen, auf ihre Angemessenheit hin zu befragen und zu nutzen.
Die gewichtigen, mit diesem allgemeinen Plädoyer einhergehenden Probleme, die zunachst als “Probleme der technischen Realisierbarkeit” erschienen, jedoch die Angemessenheit des praferierten “polyvokalen” Ansatzes grundsatzlich in Frage stellen, werde ich weiter unten im Rahmen einer Kritik am Subjektbegriff implizit ansprechen. Die Ausführungen müssen hier aber unbefriedigend bleiben.
Momentane Vorränge kann es in den Wissenschaften nur dann geben, wenn wir ein historisches, kontextuelles Verständnis von “Erkenntnis” pflegen, das Macht und Wissen als Aspekte ein und desselben sozialen Vorgangs denkt.
Die “Einbeziehung des Anderen” […]“, besagt nach Jürgen Habermas (1996, S.8), ”daß die Grenzen der Gemeinschaft für alle offen sind — auch und gerade für diejenigen, die füreinander Fremde sind und Fremde bleiben wollen“.
Die weiter oben angeführte Feststellung von Gita Steiner-Khamsi ( 1992, S.86), daß das “Verhältnis von einer ethnischen Mehrheit zu ethnischen Minderheiten […] bislang zu wenig aus dieser Perspektive der ”Anderen“ […] untersucht” wurde, bedarf folglich einer zwar formal nur geringfügigen Veränderung, die jedoch inhaltlich, forschungsmethodisch und praktisch von großer Bedeutung ist: Einzusetzen haben wir uns Mr einen Einbezug der PerspektiveN der Anderen. Denn die Anderen repräsentieren eine Pluralität des Anders-Seins und des anders Anders-Seins.
m postkolonialen Text,“ schreibt Homi K. Bhabha (1997, S.99), ”kehrt die Frage der Identität wieder als anhaltendes Hinterfragen des Rahmens, des Repräsentationsraumes, in dem das Bild — der Vermißte, das unsichtbare Auge, das orientalische Stereotyp — mit seiner Differenz, seinem Anderen, konfrontiert wird.“
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Mecheril, P. (1999). Wer spricht und über wen? Gedanken zu einem (re-) konstruktiven Umgang mit dem Anderen des Anderen in den Sozialwissenschaften. In: Bukow, WD., Ottersbach, M. (eds) Fundamentalismusverdacht. Interkulturelle Studien, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10116-1_14
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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