Zusammenfassung
Der folgende Beitrag kommt der Forderung der Herausgeberinnen nach, Bedeutungszuschreibungsprozesse in der Landschafts- und Freiraumplanung zu reflektieren. Von einer kultur- und sozialanthropologischen Sichtweise getragen, gehe ich davon aus, dass hierzu nicht der Blick auf die ‚(kulturell) Anderen‘ hilft, um eine sensible Freiraum- und Landschaftsplanung umzusetzen, sondern zunächst der Blick auf sich selbst. Der Beitrag behandelt damit die Frage nach kulturell geprägten Wahrnehmungen mit Bezug auf die Planer:innen selbst. An dieser Verschiebung zeigt sich eine geeignete Schnittstelle zwischen Kultur- und Sozialanthropologie und Landschafts- und Freiraumplanung. Konkret wird das Spazierengehen nach Lucius Burckhardt als Methode einer solchen Reflexion vorgestellt und aufgezeigt, wie Planer:innen durch das Gehen ihren jeweiligen Bedeutungszuschreibungen auf die Spur kommen können. Im Mittelpunkt steht die Frage: Inwiefern eignet sich die Methode des Spazierengehens nach Lucius Burckhardt, um das implizite Wissen, das vor, während und nach der Planung wirkt, sichtbar zu machen?
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Notes
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Ein weiterer Kritikpunkt an einer Fokussierung auf kulturelle Vielfalt ist, dass es sich hier oft nur um die Auseinandersetzung mit einer der sozialen Differenzlinien handelt. Hier beschreibt Beate Binder bereits 2007, dass es eine Tendenz in der Beforschung von Stadt und Raum gibt, soziale Problemlagen über den Rückgriff auf die Kategorie ‚Herkunft‘ zu kulturalisieren: „Doch im gegenwärtigen Diskurs um Stadt und Urbanität wird auffälligerweise die Erfahrung von und mit Diversität und Fremdheit meist auf die Erfahrung mit ethnisch nicht deutschen Menschen und Gruppen reduziert, während dem gegenüber soziale, geschlechtliche, generationelle oder sexuelle Differenzen fast gänzlich unbekannt bleiben (…). Häufig werden ethnische Minderheiten dafür in die Verantwortung genommen und soziale Konflikte und Differenzen auf diese Weise kulturalisiert“ (Binder, 2007, S. 123). Inzwischen ist diese vermeintliche Fokussierung durch den Begriff der Superdiversität abgeschwächt.
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Markus Ritter und Martin Schmitz stellen diese Texte 2006 erstmalig zusammen, s. Burckhardt (2011). Das Buch bietet einen thematischen Überblick über die Entstehung der verschiedenen Konzepte Burckhardts bis hin zur Entwicklung der Spaziergangswissenschaften.
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Die Kassler Dönche ist ein Naturschutzgebiet im Stadtgebiet von Kassel.
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So beziehen sich laut Burckhardt bereits viele der „Paradiesbilder der Malerei“ (Burckhardt, 2011, S. 279) auf die Beschreibungen Forsters.
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Auch der Kulturanthropologe Wolfgang Kaschuba spricht vom „forschenden Konstruktionsprozess“ und davon, dass bereits „die Formulierung einer Fragestellung ein thematisches Profil schafft“ (Kaschuba, 2012, S. 199). Hier ist eine Nähe zur eben erwähnten Writing-Culture-Debatte erkennbar mit ihrer Forderung nach einer Reflexion der Repräsentation des Forschungsgegenstandes (vgl. Clifford & Marcus, 1986).
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Dieses Kenntlichmachen kann beispielsweise wie in Burckhardts Konzeption anhand des Zitierens bestimmter Textstellen umgesetzt werden.
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In einem Interview, das er anlässlich seines 60. Geburtstags gibt, schildert Burckhardt, sein Forschungsanliegen immer als Frage nach Entscheidungsprozessen zu verstehen. Siehe hierzu Schmitz (2015).
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Konkret geht es ihr darum, die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Konstruktion von Produkten, sondern auf die Konstruktion von Konstruktionsmaschinerien zu legen (Knorr-Cetina, 2008, S. 46).
Literatur
Binder, B. (2007). Urbanität und Diversität. Zur Verhandlung von Fremdheit in der Berliner Stadtentwicklungspolitik. In W.-D. Bukow, C. Nikodem, E. Schulze, & E. Yildiz (Hrsg.), Was heißt hier Parallelgesellschaft? Zum Umgang mit Differenzen. Interkulturelle Studien, 19 (S. 121–131). Springer VS.
Bowker, G., & Star, S. L. (1999). Kategoriale Arbeit und Grenzinfrastrukturen. Bereichernde Klassifikationstheorien. In S. L. Star, S. Gießmann, & N. Taha (Hrsg.), Grenzobjekte und Medienforschung (S. 167–204). Transcript.
Burckhardt, L. (2011). In M. Ritter & M. Schmitz (Hrsg.), Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft (3. Aufl.). Martin Schmitz.
Clifford, J., & Marcus, G. E. (Hrsg.). (1986). Writing culture. The poetics and politics of ethnography. University Press.
Kaschuba, W. (2012). Einführung in die Europäische Ethnologie (4. Aufl.). Beck.
Knorr-Cetina, K. (2008). Theoretischer Konstruktivismus. Über die Einnistung von Wissensstrukturen in soziale Strukturen. In H. Kalthoff, S. Hirschauer, & G. Lindemann (Hrsg.), Theoretische Empirie. Zur Relevanz qualitativer Forschung (S. 35–78). Suhrkamp.
Kühl, J. (2016). Walking Interviews als Methode zur Erhebung alltäglicher Raumproduktionen. Europa Regional, 23. 2015 (2016) 2, 35–48. https://nbn-resolving.org/urn:Nbn:De:0168-ssoar-51685-8. Zugegriffen: 3. Apr. 2020.
Leipold, K. (2015). Spazieren gehen – Zur Verschränkung von Landschaft, Kunst und Emotionen als möglicher Erweiterung anthropologischer Forschung. In K. Amelang & S. Chakkalakal (Hrsg.), Abseitiges. An den Rändern der Kulturanthropologie (S. 92–103). Panama.
Lipp, A., & Meyer, L. (2016). „Praktiken, die sich zu Städten fügen“. Studierende im Gespräch mit Jörg Niewöhner. In M. Klausner & M. Heibges (Hrsg.), Stadt erfahren. Ethnografische Explorationen urbaner Mensch-Umwelt-Beziehungen (S. 37–41). Panama.
Mäder, U. (2014). Raum und Macht. Die Stadt zwischen Vision und Wirklichkeit. Leben und Wirken von Lucius und Annemarie Burckhardt. Rotpunktverlag.
Müller, J., & Lange, J. (2016). Wie plant die Planung? Zur Einführung. In J. Lange & J. Müller (Hrsg.), Wie plant die Planung? Kultur- und planungswissenschaftliche Perspektiven auf die Praxis räumlicher Planungen (S. 9–24). Panama.
Reckwitz, A. (2008). Unscharfe Grenzen: Perspektiven der Kultursoziologie. Transcript.
Schäfer, F., Daniel, A., & Hillebrandt, F. (2015). Methoden einer Soziologie der Praxis. Transcript.
Schmitz, M. (o. J.). http://www.lucius-burckhardt.org/. Zugegriffen: 29. Aug. 2019.
Schmitz, M. (2015). Von der Urbanismuskritik zur Spaziergangswissenschaft. https://www.deutschlandfunk.de/querfeldein-denken-mit-lucius-burckhardt-1-3-von-der.1184.de.html?dram:Article_id=319584. Zugegriffen: 27. März 2020.
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Leipold, K. (2022). Spazierengehen als Methode kritischer Reflexion in der Landschafts- und Freiraumplanung. Zugänge und Ableitungen. In: Kost, S., Petrow, C.A. (eds) Kulturelle Vielfalt in Freiraum und Landschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37518-8_6
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