Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht auf Grundlage einer qualitativen Inhaltsanalyse der Zeitschrift Sezession völkische Exklusions- und Inklusionsnarrative sowie damit einhergehende Solidaritätsvorstellungen im Identitätsdiskurs der ‚Neuen Rechten‘. Dazu werden zunächst zentrale Merkmale völkischen Denkens und dessen Aktualisierung innerhalb der ‚Neuen Rechten‘ nachgezeichnet und im Anschluss die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Es zeigt sich, dass Solidarität im Diskurs der ‚Neuen Rechten‘ eine primär ordnungspolitische Funktion besitzt und unauflösbar mit dem Postulat ethnischer Homogenität verbunden ist.
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Notes
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Wobei hinsichtlich des Etiketts ‚Antikapitalismus‘ anzumerken ist, dass es sich hierbei in der Regel nicht um eine generelle Ablehnung der kapitalistischen Produktionsweise handelt(e), sondern um die Unterscheidung zwischen gutem und schlechtem bzw. produktivem und spekulativem Kapital – also um strukturellen Antisemitismus (vgl. bspw. Kellershohn, 2018, S. 66).
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Im vorliegenden Artikel geht es nicht um Populismus. Eine vertiefende Diskussion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Populismus und völkischem Denken erscheint jedoch durchaus lohnenswert. So betrachtet etwa die Politologin Karin Priester (2019, S. 11 ff.) die populistische Basiserzählung als „Identitätspolitik“, die neben der Spaltung in ‚Volk‘ und ‚Elite‘ durch eine Definition des Eigenen über Abstammungslogik, eine Erzählung als Bewegung gegen Dekadenz und Moderne sowie den Kontrast zwischen warmer organischer Gemeinschaft und kalter moderner Gesellschaft gekennzeichnet sei.
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Kellershohn et al. (2014, S. 25 f.) nutzen für die engere Definition von völkischem Nationalismus folgende Merkmale: „[…] ein Verständnis von Nation auf der Basis ethnischer Homogenität, die Vorrangstellung der Nation bzw. der Volksgemeinschaft gegenüber den Individuen, ein autoritäres Staatsverständnis mitsamt Elite- und/oder Führerkult, die Heroisierung des opferbereiten und dienstbaren Bürgers/Volksgenossen, ein dichotomisches Freund-Feind-Denken, ein biopolitisches Verständnis des ‚Volkskörpers‘ und der Primat der Außenpolitik, basierend auf der Idee des nationalen Machtstaates und geopolitischen Imperativen verpflichtet.“
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Wölk (2016, S. 17) vermutet, dass der französische Gegenaufklärer Joseph de Maistre (1753–1821) der ENR als Stichwortgeber für diesen Begriff diente.
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Bei den Begriffen ‚Rechtsgramscismus‘ und ‚Kulturrevolution von rechts‘ handelt es sich um selektive, instrumentelle Entlehnungen der hegemonietheoretischen Überlegungen des italienischen Marxisten Antonio Gramsci.
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Da es sich sowohl bei den zeitgenössischen Vertreter*innen der NR als auch bei ihren historischen Referenzen fast ausschließlich um Männer mit einem für die NR typischen heroisch-maskulinistischen Habitus handelt, wird in diesem Absatz bewusst nicht gegendert.
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Die einzelnen Suchbegriffe wurden entlang unseres Erkenntnisinteresses und unseres Verständnisses von völkischem Denken sowie auf Grundlage unseres Vorwissens zur NR zusammengestellt. Sie lauten: „ethn…“, „gemeinschaft…“, „schicksalsgemeinschaft“, „heimat…“, „herkunft…“, „homogen…“, „kapitalis…“, „identitä…“, „international…“, „nationalis…“, „organis…“, „solidar…“, „sozial…“, „sozialpol…“, „organisch…“, „volk…“, „völkisch“, „zugehörig…“ und „zusammenhalt…“.
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Die 2003 gegründete Zeitschrift erscheint alle zwei Monate. Insgesamt wurden für die lexikalische Suche 99 Hefte gesichtet.
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Leitkriterien für diese Erweiterung waren u. a. ein möglichst breites Autor*innen-Spektrum, eine nicht rein historische Thematisierung von Identitätsfragen sowie die Einbeziehung sowohl älterer als auch jüngerer Ausgaben.
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Die Kategorienbildung anhand unserer Fragestellung und erster Leseeindrücke ergab insgesamt neun Hauptkategorien: Volk, Gefahr, Exklusion, Solidarität, Identität, Sozialität, Gemeinschaft, Inklusion und Nation.
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Dabei bearbeitete Person A jene Artikel, die im ersten Durchgang Person B codiert hatte, und Person B jene von Person A.
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Die Themen ‚Familie‘ und ‚Religion‘ – an sich bedeutende rechte Identitätsmarker – spielten in den von uns analysierten Artikeln wider Erwarten keine zentrale Rolle.
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An dieser Stelle nur ein kurzer Verweis auf einige Studien zur Entlastungsfunktion von Schuldzuweisungen und den sozialpsychologischen Effekten von Othering- und Abwertungsprozessen – vgl. z. B. Adorno (1982); Decker et al., (2016); Kunz (2016); Heitmeyer (2012); Projektgruppe „Rückgrat!“ (2017); Reuter (2002); Weyand (2000).
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Fronek, T., Siegert, R. (2022). Das gefährdete und das gefährliche Wir – auf der Suche nach Solidarität im Identitätsdiskurs der ‚Neuen Rechten‘. In: Sorce, G., Rhein, P., Lehnert, D., Kaphegyi, T. (eds) Exkludierende Solidarität der Rechten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36891-3_5
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