Zusammenfassung
Digitale Medientransformationen erschöpfen sich nicht in einer ziellosen Digitalisierung von Medientypen, Interfaces und Verbreitung, sondern folgen einem nachvollziehbaren Wandel der strukturellen Beschaffenheit des Internets. Mit der Emergenz dieses Makromediums folgt der digitale Wandel in seiner Struktur einem eigenen Dispositiv. Das Internet wurde über digitale Medientransformationen hinaus – über eine Rückkoppelung von Netz und Nutzern – zum gesellschaftlichen Ordnungsprinzip und löste traditionelle massenmediale Strukturmedien ab. Das Ziel dieser Studie ist es, den Wandel zu erfassen, dem das Internet als Strukturmedium selbst in makromedialen Transformationen unterliegt. Die Übergänge einzelner Phasen des Wandels werden durch das Auftreten neuer Interfaces im Zugang und Nutzung des Internets markiert und können durch die Typen von Struktur und Vernetzung charakterisiert werden. Die Schnittstelle von Mensch und Internet rückt dabei immer näher zusammen: von Command Line Interface über Suchmaschinen und mobile Devices zu Augmented, Virtual und Extended Reality in einem Metaverse. Das Ergebnis ist ein Modell makromedialer Strukturtransformationen (Web 0 … Web n).
Dieser Beitrag ist dem Andenken an Manfred Faßler gewidmet, auf den der Begriff des Makromediums zurückgeht, der sich auch im Titel dieses Beitrags widerspiegelt. Er verstarb im April 2021, zu einem Zeitpunkt, an dem ich diesen Text fertigstellte, den ich ihm leider nicht mehr übermitteln konnte.
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Notes
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Es sei denn, man begibt sich coram publico in die analoge Einsiedelei wie die Amischen oder lebt von Natur aus als Teil eines isolierten Volkes, einer nicht-kontaktierten Gemeinschaft von der restlichen Welt abgeschottet.
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Siehe Kap. „Strukturpolarität“.
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Mir ist es nicht gelungen, hier belastbare Studien oder Abschätzungen zu finden, wann Universal Internet Access erreicht werden wird. Howard bezieht etwa eine pragmatische Position: „By 2020 everybody will effectively be online“ (2015, S. 46), die Alliance for Affordable Internet der World Wide Web Foundation geht offensichtlich von 2050 aus (Sample, 2019), andere Abschätzungen bewegen sich in Zeiträumen von 2030 (Bamford et al., 2021) bis 2069 (Terry, 2019). Nicholas Negroponte beendete die von ihm ausgerufene digitale Revolution überhaupt schon 1998 und rief das „postdigitale“ Zeitalter aus. 2020 ist bereits verstrichen, aber Howards Einschätzung „effectively“ ist ebenso willkürlich wie etwa eine Fixierung dieser Größenordnung auf 90 % der Weltbevölkerung nach Vorgabe der UN (Sample, 2019) und nicht weniger plausibilisierbar. Ich halte 2042 für einen guten Mittelwert und Platzhalter.
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Siehe https://youtu.be/7ZL3dBE3fT0.
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Metaverse wird neben den abstrakten Begriffen Cyberspace und Matrix fand mittlerweile für existierende spielerische Umwelten verstärkt Eingang in den Sprachgebrauch.
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Die später verfilmte Kurzgeschichte „Johnny Mnemonic“ (1981) von William Gibson präsentiert schon Charaktere seines späteren Romans „Neuromancer“.
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Nick Bostrom (2018) hält es für wahrscheinlich, dass wir bereits jetzt einer Simulation leben, weil mit der Möglichkeit die uns begreifliche Realität zu simulieren das auch passieren wird. Mit einer steigenden Anzahl derartiger Historiensimulationen sinkt aber die Wahrscheinlichkeit in der einen tatsächlichen Wirklichkeit zu leben.
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Gemeint sind jene Plattformen, die auch als Big-Tech bezeichnet werden, u. a. Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft (oder kurz: GAFAM). Eine genauere Beschreibung dieser Intermediäre erfolgt in „Strukturpolarität“ in diesem Band.
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Darüber hinaus gibt es neben den breit genützten auch weniger leicht zugängliche und wahrgenommene Bereiche in diesem Netz, die sich als weitere Schichten (overlay networks) in den Infrastrukturen vorhandener Schichten errichten. So wie es Protokolle gibt, die nachvollziehbare Bewegungen und Adressierungen erlauben, gibt es Methoden zur Unkenntlichmachung dieser Datenspuren. Für diesen obskuren Teil des Internets, einem Ort, der sich den politischen Gesetzmäßigkeiten entzieht, hat sich der Begriff Darknet etabliert.
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Da es zum Begriff Web 2.0 keine korrespondierenden Versionen 1.0 oder 3.0 gibt, weiche ich mit Web 1, Web 2, Web 3 usw. bewusst von der Nomenklatur ab, um hier Vermischungen zu vermeiden.
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Das Attribut langsam ist an dieser Stelle vielleicht irreführend. Setzt man digitale Medientransformationen in Beziehung zu geschichtlichen „Transformationen von Wahrnehmungs- und Denkformen“, wie sie von Faßler (1998, S. 324) in seiner „Geschichte der Medien“ von den sogenannten Heiligen Schriften an bis zur Gegenwart des neu anbrechenden Jahrtausends beschrieben werden, dann wirkt der digitale Wandel geradenach instantan. Trotzdem ist der Zeitraum geeignet, Ungleichheiten über Zeitpunktvorteile zu vergrößern und über Generationen zu wirken. Änderungen über eine Lebensspanne hinaus, sind individuell und subjektiv notwendigerweise langsam.
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Ich verwende dieses Jahr als Chiffre für den Zeitpunkt, der im Rückblick festgelegt werden wird.
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Genaugenommen ist nicht einmal der Jahrtausendwechsel ein punktuelles Ereignis, erstreckt er sich doch über 24 Stunden.
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Der Begriff der Singularität wird auch für die explosive Zunahme von Intelligenz bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) verwendet. Durch ihre den Menschen überlegene Rechenleistung erreicht eine KI in einem sehr kurzen Zeitraum Superintelligenz mit unabsehbaren Folgen für die Menschheit (Bostrom, 2017, 2018).
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Der Begriff dafür – SimStim (für simulated stimulus) – stammt, wie schon erwähnt, von William Gibson (1988).
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Alm, N. (2022). Makromediale Transformationen. In: Alm, N., Murschetz, P.C., Weder, F., Friedrichsen, M. (eds) Die digitale Transformation der Medien. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36276-8_1
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