Zusammenfassung
Durch den gesellschaftlichen Wandel in der Hypermoderne ändert sich die Perspektive auf das, was Sicherheit ist und wie sie gewährleistet werden sollte. Es bilden sich neue Sicherheitserwartungen, die die Strukturen zur vor allem staatlichen Sicherheitsgewährleistung neu ausformen. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Untersuchung auf eine neue Polizeiarbeit in der Inneren Sicherheit. Durch eine erweiterte, präventive und proaktive Polizei soll eine Neue Sicherheit in und über kommunale Kontexte gewährleistet werden. Damit dies zugleich wirksam und legitim erfolgen kann, sind neue polizeiliche Fähigkeiten, Strategien und Legitimationen gefordert.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Dose (2009, S. 179) bezieht sich hier auf die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die personelle Legitimation (BVerfG 47: 253, 275).
- 2.
Für einen Überblick über das Politikfeld Innere Sicherheit und die politikfeldspezifischen Aufgabenfelder vgl. Lanfer (2016).
- 3.
Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs für die Gewährleistung einer national-öffentlichen Sicherheit setzte später ein als für international-öffentliche Sicherheit. Hierfür erscheinen die Dimensionen nach Daase (2010) (Raum-, Sach-, Gefahren- und Referenzdimension) weiterhin relevant, obwohl sie in diesem Beitrag nicht angewendet werden, weil sie sich vor allem für die zunehmende (Politikfeld-)Verzahnung der „äußeren“ mit der „inneren“ Sicherheitspolitik eignen. Vgl. für eine Übertragung auf die drei Aufgabenfelder des Politikfelds Innere Sicherheit Lanfer (2017). Für die hier relevante sicherheits- und polizeipolitische Beschreibung über die erweiterte Sicherheit in kommunalen Kontexten sind die allgemeinen Sinndimensionen Sach-, Sozial- und Zeitdimension (Baraldi et al. 1997, S. 170–173) anleitend, um sie im Hinblick auf die (Legitimations-)Anforderungen einer spezifischen neuen Polizeiarbeit im kommunalen Kontext weiter auszuformen.
- 4.
Nach der Unterteilung der Sinus-Milieus in Deutschland betrifft dies die Milieus „Konservativ-Etablierte“, „Traditionelle“, „Bürgerliche Mitte“ und „Prekäre“, die insgesamt 43 % der deutschen Bevölkerung umfassen.
- 5.
Aufgrund des Datenschutzes können hierfür nur Strukturdaten relevant sein, um in der Kommune soziale Dynamiken mit (Un)Sicherheitsrelevanz als Grundlage für eine polizeiliche Strategie zur Sicherheitsgewährleistung verwenden zu können. Entsprechend kann es sich nur um anonymisierte Daten handeln.
- 6.
Eine Beschreibung von Abstimmungen und Verhandlungen zwischen der Kommunalpolitik und -verwaltung sowie Interessenorganisationen in kommunalen Netzwerken mit besonderer Berücksichtigung von Strukturen und Prozessen der Vertrauensbildung gibt Lanfer (2014). Obwohl sich diese Interorganisationsbeziehungen auf die Sozialpolitik beziehen, können die hier angeführten Variablen zur Analyse von Mikro-/Mesodynamiken in Issue-Netzwerken auch auf kommunale Netzwerke zur Sicherheitsgewährleistung übertragen werden.
- 7.
Hierauf bezieht sich die Unterscheidung von Anpassungs-, Veränderungslernen sowie reflexivem Lernen (Grunow 1999).
- 8.
Dies meint vor allem, dass innerhalb der Organisation Resonanzsysteme etabliert werden. Für die Struktureigenschaften solcher anspruchsvollen Systeme vgl. Lanfer und Szczygielski (2020).
- 9.
Die vielfältigen Möglichkeiten für Eingriffsverwaltungen, von der formalen Ordnung abzuweichen, lassen sich bei der Befolgung politischer Zweckvorgaben etwa durch „sekundäre Elastizitäten“ (Luhmann 1964, S. 12, Dose 2009, S. 181) und in Organisationen durch „brauchbare Illegalitäten“ (Luhmann 1995, S. 310, Kühl 2020) beschreiben.
- 10.
Die Unterscheidung zweier Verwaltungstypen setzt eine idealtypische Betrachtung voraus, wobei realtypisch natürlich auch in der Eingriffsverwaltung und kooperativen Verwaltungen Werte des jeweils anderen Typus wirken können. Für unsere Untersuchung ist diese idealtypische Gegenüberstellung aber hilfreich, weil sie die Unterschiede der Implementations- und Organisationsstrukturen der alten und Neuen Sicherheit klar herausstellt.
- 11.
Vgl. hierzu Dose (2009), der allerdings nicht die Polizei, sondern das kooperative Verwaltungshandeln im Immissionsschutz untersucht.
- 12.
Luhmann (1989, S. 39) betont mit dem „Gesetz des Wiedersehens“, dass die Möglichkeiten zur Fortsetzung der Interaktion in der Zukunft bereits in der gegenwärtigen Interaktion soziale Strukturen hervorbringen, die das Verhalten darauf hin ausrichten, dass man sich auch zu einem späteren Zeitpunkt „wieder in die Augen blicken kann“.
- 13.
Eine grundlegende rechtswissenschaftliche Konzeptionalisierung der Unterscheidung von Governance by und of Algorithm mit auch politik- und verwaltungswissenschaftlichem Mehrwert bietet Hoffmann-Riem (2017).
Literatur
Baecker, D. (1994): Soziale Hilfe als Funktionssystem der Gesellschaft, Zeitschrift für Soziologie, Jg. 23, Heft 2, S. 93–110.
Baraldi, C., Corsi, G., Esposito, E. (1997): GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Bäuerle, Michael (2008): Polizeirecht in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte: Polizei. 48/2008, S. 15–20.
Daase, C. (2010): Der erweiterte Sicherheitsbegriff. Working Paper 1/2010, Frankfurt am Main. Online abrufbar unter: http://www.sicherheitskultur.org/WorkingPapers/01-Daase.pdf
Dehne, M. (2017): Soziologie der Angst. Konzeptuelle Grundlagen, soziale Bedingungen und empirische Analysen, Wiesbaden: VS.
Dose, N. (2009): Kooperative Verwaltung – Ausdruck einer demokratisierten öffentlichen Verwaltung?, in: Czerwick, E., Wolfang, H. L., Erhard, T. (Hrsg.): Die öffentliche Verwaltung in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden: VS, S. 177–195.
Duden online (2020). Abrufbar unter: https://archiv.duden.de/node/658015/revisions/1137309/view.
Feltes, T. (2013): Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland, in: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch, Baden-Baden: Nomos, S. 241–252.
Feltes, T., Rebscher, E. (Hrsg.) (1990): Polizei und Bevölkerung. Beiträge zum Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung und zur gemeindebezogenen Polizeiarbeit (Community Policing), Holzkirchen: Felix-Verlag.
Genz, J., Gévaudan, P. (Hrsg.) (i. E.): Polyphonie in literarischen, medizinischen und pflegewissenschaftlichen Textsorten. Göttingen: V+R.
Goldhammer, E. von (1999): Eine poly-kontexturale Systemtheorie und deren Konsequenzen, Dortmund. Online abrufbar unter: ftp://www.inf.fh-dortmund.de/pub/professors/vongoldammer/publications/Polykontexturale_Systemtheorie.pdf
Grunow, D. (1999): Selbstverständnis der Verwaltung: Identitätssuche zwischen Staat und Markt? In: Klimecki, R., Müller, W. R. (Hrsg.): Verwaltung im Aufbruch. Modernisierung als Lernprozess. Zürich: NZZ Verlag. S. 59–79.
Gusy, C. (2010): Vom neuen Sicherheitsbegriff zur neuen Sicherheitsarchitektur, Verwaltungs-Archiv, 101. Bd., Heft 3, September 2010, S. 309–333.
Habermas, J. (1996): Drei normative Modelle der Demokratie, in: ders. (Hrsg.): Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 277–292.
Habermas, J. (1985): Die neue Unübersichtlichkeit. Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, Januarheft, Nr. 431.
Hoffmann-Riem, W. (2017): Verhaltenssteuerung durch Algorithmen – Eine Herausforderung für das Recht, Archiv des öffentlichen Rechts 142, S. 1–42.
Hood, C. (1991): A Public Management for all Seasons?, Public Administration, Vol. 69, S. 3–19.
Husserl, E. (1976): Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Den Haag: Martinus Nijhoff.
Koselleck, R. (2003): Stetigkeit und Wandel aller Zeitgeschichten, Begriffsgeschichtliche Anmerkungen, in: ders. (Hrsg.): Zeitschichten, Studien zur Historik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 246–264.
Krafeld, F. J. (2004): Grundlagen und Methoden aufsuchender Jugendarbeit. Eine Einführung. Wiesbaden: VS.
Kühl, S. (2020): Brauchbare Illegalität. Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kury, H. (2008): Präventionskonzepte, in: Lange, H.-J., Ohly, H. P., Reichertz, J. (Hrsg.): Auf der Suche nach neuer Sicherheit, Wiesbaden: VS, S. 21–48.
Lanfer, J. (2019): Digitalisierung der Sicherheitspolitik, in: Schnell, M., Dunger, C. (Hrsg.): Digitalisierung der Lebenswelt, Weilerswist: Velbrück, S. 32–76.
Lanfer, J. (2018a): Innovationen in Politik und Gesellschaft, Wiesbaden: VS.
Lanfer, J. (2018b): Sicherheitsherstellung unter polizeipolitischen Bedingungen der Kontextbezogenheit, in: Lange, H.-J., Wendekamm, M. (Hrsg.): Die Verwaltung der Sicherheit, Wiesbaden: VS, S. 35–67.
Lanfer, J. (2017): Cyber-Sicherheit und die (Ohn-)Macht des Staates, in: Frevel, B., Wendekamm, M. (Hrsg.), Sicherheitsproduktion zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft, Studien zur Inneren Sicherheit, Wiesbaden: VS, S. 47–72.
Lanfer, J. (2016): Das Politikfeld Innere Sicherheit, in: Grunow, D. (Hrsg.): Implementation in Politikfeldern. Eine Anleitung zum verwaltungsbezogenen Vergleich. 2. Auflage. Wiesbaden: VS, S. 55–99.
Lanfer, J. (2015): Politische Evaluationsprozesse in Gesetzgebungsverfahren zur Videoüberwachung öffentlicher Räume. Darstellung anhand des empirischen Vergleichs von Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, in: Gusy, C. (Hrsg.): Evaluation von Sicherheitsgesetzen, Wiesbaden: VS, S. 85–123.
Lanfer, J. (2014): Policy-Netze in der kommunalen Sozialpolitik zwischen Formalität und Informalität, in: Bröchler, S., Grunden, T. (Hrsg.): Informelle Politik. Konzepte, Akteure und Prozesse, Wiesbaden: VS, S. 263–290.
Lanfer, J. (2012): Gewährleistung von Innerer Sicherheit zwischen Staat und Stadt. In: Lemke, M. (Hrsg.): Die gerechte Stadt. Politische Gestaltbarkeit verdichteter Räume. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 139–166.
Lanfer, J., Szczygielski, T. (2020): Sinn zwischen Resonanz und Entfremdung. „Resonanzsysteme“ als Antwort auf den Verlust erlebter Sinnhaftigkeit in organisierten Sozialsystemen. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 51, S. 435–444.
Lanfer, J., Vogel, T. (2018): Zeitverhältnisse und die Krise der modernen Gesellschaft, Zeitschrift diskurs, Ausgabe 3: Die Zeit des Politischen und die Politik der Zeit, S. 45–67.
Lenk, K. (2018): Verwaltungswissenschaft als Transdisziplin. Perspektiven für die Sicherheitsverwaltung und ihr Management, in: Lange, H.-J., Wendekamm, M. (Hrsg.): Die Verwaltung der Sicherheit. Theorie und Praxis der Öffentlichen Sicherheitsverwaltung, Wiesbaden: VS, S. 69–86.
Luhmann, N. (1995): Funktionen und Folgen formaler Organisationen. Berlin: Duncker & Humblot.
Luhmann N. (1989): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 3. Auflage, Stuttgart: Lucius & Lucius.
Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Luhmann, N. (1964): Lob der Routine, in: Verwaltungs-Archiv, 55. Bd., H. 1, S. 1–3.
Malik, F. (2013): Führen Leisten Leben. Wirksames Management für eine neue Zeit. Sonderausgabe Frankfurt am Main: Campus.
Mayntz, R. (1995b): Politische Steuerung: Aufstieg, Niedergang und Transformation einer Theorie. In: Beyme, K. von, Offe, C. (Hrsg.): Politische Theorie in der Ära der Transformation. Opladen: VS, S. 148–168.
Ortmann, G. (2009): Management der Hypermoderne. Kontingenz und Entscheidung. Wiesbaden: VS.
Scharpf, F. W. (2009): Legitimität im europäischen Mehrebenensystem. Leviathan 37. Heft 2. Juni. S. 244–280.
Scharpf, F. W. (1999): Regieren in Europa. Effektiv und demokratisch?, Frankfurt am Main: Campus.
Schnell, M. W., Dunger, C. (2019): Digitalisierung der Lebenswelt. Studien zur Krisis nach Husserl, Weilerswist: Velbrück.
Sinus-Institut (2020): Sinus-Milieus in Deutschland. Online abrufbar unter: https://www.sinus-institut.de/sinus-loesungen/sinus-milieus-deutschland/
Stadler, F. (2016): Kultur der Digitalität, Berlin: Suhrkamp.
Van den Brink, H., Kaiser, A. (2007): Kommunale Sicherheitspolitik zwischen Expansion, Delegation und Kooperation, in: APuZ: Innere Sicherheit im Wandel, 12/2007.
Tagesschau (2020): Großes Vertrauen in die Polizei. Online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/report-muenchen/umfrage-polizei-101.html
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2022 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Lanfer, J. (2022). Polizei im Kontext – Konzeptionsversuch einer erweiterten, präventiven und proaktiven Polizeiarbeit. In: Barthel, C. (eds) Proaktive Polizeiarbeit als Führungs- und Managementaufgabe. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34201-2_4
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-34201-2_4
Published:
Publisher Name: Springer Gabler, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-34200-5
Online ISBN: 978-3-658-34201-2
eBook Packages: Business and Economics (German Language)